Wissen> 9. Wissensdarstellung und Paradigmenwechsel

9. Wissensdarstellung und Paradigmenwechsel


"Ich hatte mich darüber geärgert, daß die
Positivisten so tun, als habe jedes Wort
eine ganz bestimmte Bedeutung und als sei
es unerlaubt, das Wort in einem anderen
Sinne zu verwenden."
(Werner Heisenberg)
"Wohlauf, laßt uns herniederfahren
und dort ihre Sprache verwirren,
daß keiner des andern Sprache verstehe."
(Genesis 11, 7)


Einleitung

Dieses Kapitel soll beim Verständnis der Thematik Wissensakquisition insofern unterstützend wirken, als daß es versucht einen Einblick in den "Urwald" von Theorien und Begrifflichkeiten auf die ihre einzelnen Disziplinen aufbauen, mit zentralem Augenmerk auf den "Informationsbegriff" an sich, zu ermöglichen. Weder ein Anspruch auf Vollständigkeit will dabei erhoben werden, noch eine Antwort auf das Problem der Theorienvielfalt und deren Unterschiedlichkeiten, Widersprüchlichkeiten und Inkompatibilitäten. Doch wer sich mit der Wissensakquisition beschäftigt, sollte sich im Klaren sein, nach welchen Gesetzen er glaubt Wissen sammeln oder erzeugen zu können, welche Rolle ein Computer dabei einnehmen kann und, daß das dabei angewandte Modell Resultat geschichtlicher Entwicklungen ist, getragen von der Etymologie des Informationsbegriffs.
Sich auch nur der Vielfalt der Paradigmen bewußt zu werden kann als postives Resultat ausgelegt werden, verhilft es ja vielleicht zu einem vielschichtigeren Zugang zum Computer und seinen in ihm steckenden Möglichkeiten, oder zumindest zu einer gesunden Skepsis gegenüber bestehenden Ansichten, Hypes und momentanen Normen.


Erster Definitionsversuch: Daten

Nach der DIN 44300 handelt es sich bei Daten um "Zeichen oder kontinuierliche Funktionen, die aufgrund bekannter oder unterstellter Abmachungen oder vorrangig zum Zweck der Verarbeitung, Informationen darstellen." [1]

In dieser oft, auch im universitären Rahmen, zitierten Definition wird keine klare Abgrenzung zwischen Daten und Information betont. Daten scheinen nach der deutschen Industrienorm scheinbar so etwas wie "niedergeschriebene" Informationen zu sein, was sich bei genauerer Beschäftigung mit der Thematik der Wissensdarstellung heute bald als unzureichend erweist. Vielmehr scheint es sich bei dieser Definition noch um ein Artefakt des Shannon-Weaver Modells zu handeln. Dieses in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts aufgekommene Kommunikationsmodell betrachtet Information auf einer übertragungstechnischen, prozeßhaften Ebene und hat damit in Belangen der Nachrichtentechnik eine fundamentale Rolle eingenommen.

Communication theorists generally focus more on the study of message-making as a process, whereas semioticians center their attention more on what a message means and on how it creates meaning. [2]

Da eine Nachricht nur rein syntaktisch analysiert wird, bietet das Modell keinerlei Auseinandersetzung mit einer möglichen immanenten "Bedeutung" der Nachricht und reagiert damit noch nicht auf eine qualitative Bewertungsmöglichkeit übermittelter Daten und das Problem der "Datenflut".


Daten sind nicht Informationen

In aktuellen Modellen, vor allem im Kontext "IT-Business", wird häufig von einer hierarchischen Struktur ausgegangen, in der Wissen auf Information und Information wieder auf Daten basiert. Die Daten, als "rohester", unterer Bestandteil, ermöglichen erst die komplexeren Gebilde.

"Data are not information, information is not knowledge, knowledge is not understanding and understanding is not wisdom." [3]

Die Welt ist nach diesem Modell vollgefüllt mit Daten - unzähligen, ungewichteten Daten. Diese Daten bieten potentielle Information, die aber erst vom Menschen gewonnen werden will, was in einem Akt der Selektion einiger wenigen Daten aus vielen geschieht. Diese Daten stehen damit in einer bestimmten Relation zueinander, was ihnen die Eigenschaft einer "Bedeutung" zukommen läßt. (Vergleiche dazu Kapitel 5 und die Definitionen des Begriffs "Data Mining".)


Die hierarchische Strukturierung lässt sich am einfachsten anhand eines Beispieles illustrieren: "Die Messung der Temperatur eines Raumes liefert Werte: 4°C, 8°C. Ein Chronometer liefert Uhrzeiten: 12:30, 18:22, usw. Das sind Daten. Bringe ich diese Daten in eine Relation zueinander, sagen wir, ich wähle stündliche Temperaturmessung, und fasse diese Temperatur/Zeit Paare in eine Liste, so habe ich Informationen.
Aus diesen Informationen kann ich mir ein Bild über die Entwicklung des Wetters in den letzten Stunden formen. Ebenso kann ich weitere Informationen hinzuziehen und einen Zusammenhang zwischen Temperatur und z.B. Lichtintensität erkennen. In diesem Akt gewinne ich aus Informationen Wissen.

In diesem Modell wird aus "viel Rohdaten" in einem aufwendigen Prozess wenig, womöglich kostbares, "Wissen" gewonnen. Was auch erklärt, warum dieses Modell, vor allem im marktwirtschaftlichen Kontext des "IT-Business" Anwendung findet:
Der Mensch lebt heute in einer "Informationsgesellschaft" und er droht nicht nur in der Datenflut, sondern nun selbst auch in einer Informationsflut unterzugehen. In dem Prozess der Gewinnung von Wissen muss ihm geholfen werden, durch Software Agenten zum Beispiel. Ein Markt hat sich gebildet, um dieses Bedürfnis zu stillen und sein Modell ist das der hierarchisch aufgebauten Wissenbildung.

Charakteristisch ist hier für die Grundtendenz der "Veredelung" "roher" Daten in relationale, situationsbedingte Verbünde, die erst so gebildet dem Menschen nützlich werden. Bildhaft wird auch von einer "Verdichtung" von Daten in Wissen gesprochen.


Kritik und Ausblick

Ob wir uns tatsächlich in einem "Informationszeitalter" befinden und ob sich darin der Akt sowie die Methode der Wissensgewinnung so unterschiedlich gegenüber anderen Zeitalter verhält, sei hier einmal dahingestellt.
Erwähnenswert wäre allerdings, daß der Veredelungsgedanke von Daten in Wissen und weiter in Verständnis und Weisheit nicht ganz konform mit den Strategien unzähliger philosophischer Schulen geht. Im Gegenteil, wo dort die Gewinnung von "Fakten" und "Wahrheiten" ein vorrangiges Problem darstellt, setzt das hierarchische Modell der Wissensgewinnung an einem Punkt an, wo es scheint, daß wir durch Instrumente, Maschinen, Sinnesorgane, die Welt "auslesen" könnten, wir also einen direkten Zugang zu "Fakten" hätten, die wir dann nur noch sortieren und organisieren müssten.

Ohne dieses Modell als "fehlerhaft" darstellen zu wollen, will ich anmerken, daß das hierarchische Modell der Wissensgewinnung, Jahrhunderte geisteswissenschaftlicher Entwicklung kaum einzubeziehen scheint und deshalb genauso, wie es einfach und verständlich wirkt, einseitig angewandt, auch schnell in eine Sackgasse führen könnte (und damit vielleicht auch irgendwann hinaus aus einem "Informationszeitalter").

Die Daten-Information-Wissen Pyramide beschreibt eine strukturelle Beschaffenheit, erklärt aber dabei nicht automatisch, wie der Übergang von einer Stufe zur nächsten vorsich geht. Wie ist es überhaupt möglich aus Information Wissen zu gewinnen? Und was wird dafür wirklich benötigt? Ist es möglich diesen Vorgang zu automatisieren, oder ist dafür letztendlich doch eine unersetzbare, menschliche Komponente notwendig (Was schnell auf eine Art Glaube an die Körper/Seele Dualität hinauslaufen kann.)?
Obwohl das hierarchische Modell zur Untermauerung wirtschaftlicher Ansätze der Wissensakquisition herangezogen wird, rückt es, will man das Modell ernsthaft anwenden, bald Grundsatzdiskurse philosophischer Natur in den Mittelpunkt und scheint damit mehr Fragen aufzuwerfen, als es zu beantworten vorgibt.

So erkannte Nobert Wiener, Urvater des Kybernetik, schon in der Mitte des des letzten Jahrhunderts:

"Wissenschaftler und Techniker versuchen heute der Vielschichtigkeit der Sprache auf verschiedenen Wegen Herr zu werden, wie z.B. das informationswissenschaftliche Ringen in der Thesaurus- und Klassifikationsforschung zeigt. In dem Augenblick aber, in dem die Sprache, unter bestimmten wissenschaftlichen Aspekten, in der Technisierung aufzugehen scheint, tauchen alte Fragen wieder auf: nach dem Sinn von Wort, Begriff und Satz, nach der Beziehung von Sprache und Wirklichkeit, nach den theoretischen und praktischen Erfassungs- und Deutungsmöglichkeiten usw. Auf einmal spielt, in der zweifellos erstrebten Beherrschung der technischen Mittel, die Fragwürdigkeit dessen mit, was sich nicht auf irgendwelche Sprachspiele reduzieren läßt. Was steht auf dem Spiel, wenn wir von Sprache und Information sprechen? Nur eine harmlose Technik zur Bewältigung der sogenannten "Informationsflut" oder vielleicht unser Verhältnis - und damit wir selbst - zur Sprache? Wer sind "wir"? Was heißt "Sprache"? Was steht zur Wahl, wenn wir von Beherrschung der Sprache als Instrument der Information sprechen? Öffnet sich uns durch diese mögliche Beherrschung ein freies Verhältnis zur Sprache und Information?" [4]


Quellen

[1] Deutsches Institut für Normung, Begriffe in der Informationsverarbeitung.
[2] Marcel Danesi, Messages and Meanings: An Introduction to Semiotics. 1994
[3] (Dr. Russell Ackoff)
[4] Norbert Wiener, Cybernetics. New York 1961, 2nd. Ed. S. 258.