Christian Fuchs (2005) Emanzipation! Technik und Politik bei Herbert Marcuse. Aachen. Shaker. ISBN 3-8322-3999-5. 168 Seiten.
Der Autor und das Buch
Christian Fuchs, Dipl.-Ing. Dr., geboren 1976, forscht in den Bereichen Gesellschaftstheorie, Wissensgesellschaft, Medientheorie. Monographien: Soziale Selbstorganisation im in-formationsgesellschaftlichen Kapitalismus (2001), Krise und Kritik in der Informationsgesellschaft (2002), Studienbuch Informatik und Gesellschaft (2003, gemeinsam mit W. Hof-kirchner), Herbert Marcuse interkulturell gelesen (2005), Herausgegebene Sammelbände: Stufen zur Informationsgesellschaft (1999, hrsg. gemeinsam mit C. Floyd und W. Hofkirchner), Causality, Emergence, Self-Organisation (2003, hrsg. gemeinsam mit V. Arshinov).
Dieses Buch beschäftigt sich mit der Kritischen Theorie Herbert Marcuses und
aktualisiert Gedanken Marcuses für das Zeitalter des Empire, der Globalisierung
und des Cyberprotestes. Fragen, zu denen Marcuse gearbeitet hat, sind u.a.: Wie
und wohin entwickelt sich die Gesellschaft? Ist die Befreiung von Unterdrückung
heute möglich? Welche Chancen und Risiken birgt die moderne Technik in sich?
Welche Rolle spielen politische Bewegungen bei sozialem Wandel?
Die
vorliegende Arbeit ist die Fortsetzung einer Einführung in das Denken von
Herbert Marcuse. Teil 1 ist unter dem Titel »Herbert Marcuse interkulturell
gelesen« (2005, Nordhausen, Verlag Traugott Bautz) erschienen.
In diesem
Band wird die Aktualität des Marcuseschen Denkens im Zeitalter des »Empire«
(Toni Negri/Michael Hardt) geprüft, Marcuses Technik- und Politikbegriff werden
diskutiert. Das den Ausführungen zu Grunde liegende Thema ist jenes der
Emanzipation.
Kapitel 1 vergleicht die Befreiungskonzepte von Herbert Marcuse
und Toni Negri/Michael Hardt. Negri und Hardt haben mit ihren Arbeiten über das
»Empire« und die »Multitude« in den letzten Jahren eine einflussreiche Theorie
der Globalisierung und der »Antiglobalisierungsbewegung« geschaffen. Fuchs
argumentiert, dass sich das Marcusesche Denken gegenüber dem Ansatz von Negri
und Hardt durch eine realistischere Einschätzung von Befreiungs- und
Unterdrückungspotenzialen auszeichnet. Nichtsdestotrotz sei die Theorie der
Multitude ein guter Ansatzpunkt für eine Theorie sozialer Protestbewegungen und
des Cyberprotests, die auf einer Synthese dialektischer Philosophie, kritischer
Theorie Marcusescher Prägung, Komplexitäts- und Selbstorganisationstheorie und
(Post-)Operaismus beruht. Die Grundzüge einer derartigen Theorie werden
ausgearbeitet, das Konzept eines radikalen Reformismus, das auf dem Aufbau von
Gegeninstitutionen, einer Politik des subjektiven Faktors und organisierter
Spontaneität beruht, macht die vorliegende Theorie politisch konkret. Als ein
zentraler Bestandteil einer derartigen Politik erachtet der Autor die Forderung
eines globalen, universellen, bedingungslosen Grundeinkommens.
In Kapitel 2
wird das Verhältnis von Technik und Gesellschaft beleuchtet, das Marcuse als
dialektisch begriffen hat und das eine zentrale Stellung in der Dialektik von
Befreiung und Unterdrückung einnimmt. Kapitel 3 ist eine Auseinandersetzung mit
der politischen Theorie Marcuses, die Kritiken an Kapitalismus, Faschismus und
Sowjetsystem sowie die Identifi-kation neuer politischer Subjekte und
politischer Alternativen beinhaltet.
Die neuen Protestbewegungen der
globalisierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts stehen für die begründete,
tätige Hoffnung auf eine freie, demokratische Gesellschaft, ein radikales
Befreiungs- und Praxispotenzial bleibt durch sie aktuell. Es ist wichtig, in
dieser Situation an Marcuses Einsichten anzuknüpfen, um eine lebendige Einheit
von Theorie und Praxis zu schaffen, die für Befreiung eintritt.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 3
1. Marcuse meets Negri/Hardt: Eine Theorie der Befreiung und der
Selbstorganisation der Multitude im Zeitalter des Empire 11
1.1. Vom fordistischen Kapitalismus zum postfordistischen, neoliberalen,
informationellen Kapitalismus 11
1.1.1. Kapitalistische Entwicklungsmodelle:
Akkumulationsregime – Regulationsweise – Disziplinarregime 11
1.1.2. Die
Haupttendenzen des postfordistischen Entwicklungsmodells 15
1.1.3. Was ist
Wissen? 17
1.1.4. Globalisierung und Wissensgesellschaft 21
1.1.5. Der
Antagonismus zwischen Wissen als Ware und öffentlichem Gut 26
1.2. »Immaterielle« Arbeit im Empire 31
1.2.1. Arbeit und
Empire 31
1.2.2. Der Profit-Squeeze und die Idealisierung der Arbeiterklasse
38
1.3. Die Selbstorganisation der Multitude 41
1.3.1.
Charakteristika der Multitude 41
1.3.2. Die Theorie selbstorganisierender
Systeme 49
1.3.3. Die Selbstorganisation des politischen Systems 52
1.3.4.
Die Dynamik der Multitude: Die Selbstorganisation von Protestsystemen 54
1.4. Cyberprotest: Die Selbstorganisation der Multitude im Cyberspace
65
1.4.1. Die Selbstorganisation des Internets 65
1.4.2.
Cyberprotest: Die Kopplung von Internet und Protest 68
1.4.3. Cyberprotest
und Rhizome (Deleuze/Guattari) 73
1.4.4. Analysedimensionen des Cyberprotests
76
1.5. Die Bewegung für globale Gerechtigkeit 77
1.5.1. Der
globale Antagonismus zwischen dem Einen und dem Vielen 77
1.5.2. Die
Organisationsstruktur der Bewegung 80
1.5.3. John Holloway: Die Welt
verändern, ohne die Macht zu erobern? 84
1.5.4. Die Politik der Multitude
87
1.6. Bedingungsloses Grundeinkommen und die Politik des
subjektiven Faktors 89
1.6.1. Eindimensionales Bewusstsein als
Gegner politischer Praxis 89
1.6.2. Die Idee des bedingungslosen
Grundeinkommens 91
1.6.3. Gründe für ein bedingungsloses Grundeinkommen
94
1.6.4. Grundeinkommen und Bürgergeld 104
1.7. Eine andere
Welt ist möglich: Das brasilianische Modell des Grundeinkommens
107
1.7.1. Der gesellschaftliche Kontext 107
1.7.2. Die
Sozialgesetzgebung Brasiliens 107
1.7.3. Zur Geschichte des Grundeinkommens
in Brasilien 109
1.7.4. Für eine Brasilianisierung der globalen Politik!
112
1.8. Fazit 113
2. Herbert Marcuses Techniksoziologie
117
2.1. Die Rolle der Technik im Kapitalismus
117
2.2. Die Dialektik der Technik
119
2.3. Technik und Befreiung
124
2.4. Fortschritt und Technik
127
2.5. Fortschritt und Psychoanalyse
133
3. Herbert Marcuses politische Theorie
135
3.1. Analyse und Kritik des Nationalsozialismus
136
3.2. Analyse und Kritik der kapitalistischen
Demokratie 138
3.3. Analyse und Kritik des Sowjetsystem
140
3.3.1. Die technologische Rationalität der Sowjetunion
142
3.3.2. Kritik von Politik und Ethik in der Sowjetunion 143
3.3.3. Die
ideologische Vulgärdialektik Stalins 146
3.3.4. Die ideologische
Vulgärdialektik Maos 148
3.4. Die Integration der Arbeiterklasse
und die Entstehung eines neuen politischen Subjekts 150
3.4.1. Die
Arbeiterklasse im Spätkapitalismus 150
3.4.2. Marcuse und die
Studentenbewegung 152
3.4.3. Marcuse, Feminismus und Angela Davis
156
3.4.4. Marcuse und die Ökologiebewegung 160
3.5. Jenseits
von Faschismus, Sowjetsystem und Kapitalismus: Wege und Ziele politischer
Alternativen 163
Der Autor und das Buch 168
Vorwort
Dieses Buch setzt die Einführung in das Denken von Herbert Marcuse fort, die
mit dem Band »Herbert Marcuse interkulturell gelesen« (2005, Nordhausen, Verlag
Traugott Bautz) begonnen wurde. In dieser Arbeit wird die Aktualität des
Marcuseschen Denkens im Zeital-ter des »Empire« (Toni Negri/Michael Hardt)
geprüft, Marcuses Technik- und Politikbegriff werden diskutiert. Das den
Ausführungen zu Grunde liegende Thema ist jenes der
Emanzi-pation.
Emanzipation! Befreiung! Warum? Freiheit bedeutet, Kontrolle
über das eigene Leben auszuüben, in Wohlstand, Sicherheit, Selbstbestimmung,
Glück und Frieden zu leben, an ge-sellschaftlichen Entscheidungen aktiv
partizipieren und sich in selbstgewählten Tätigkeiten verwirklichen zu können.
Freiheit ist ein universelles Menschenrecht, sie steht allen Menschen zu.
Globale Probleme wie Armut, Naturzerstörung, Krieg, Arbeitslosigkeit, ungleiche
Verteilung von Wohlstand, prekäre Lebens- und Arbeitsverhältnisse, rassistische,
sexuelle und geschlechtsspezifische Diskriminierung, Unterdrückung, usw. sind
Anzeichen dafür, dass Freiheit heute nicht universell, sondern nur partikular
existiert. Das Streben nach Freiheit ist die Suche nach Lösungen für globale
Probleme und der Kampf gegen deren gesell-schaftlichen Ursachen. Der heute
dominierende Zustand ist die Negation der Freiheit, also Unfreiheit und
Unterdrückung, das Negative muss im Prozess der Befreiung konstruktiv negiert
werden, um Freiheit zu erlangen. Freiheit ist das Ziel eines aktiven Prozesses,
sie kann nur durch Auseinandersetzung und konflikthafte Befreiungsbestrebungen
verwirklicht werden.
Eine wesentliche Einsicht Herbert Marcuses ist, dass
Befreiung und Unterdrückung dialek-tisch verbunden sind, in herrschaftsförmigen
Strukturen bilden sich zugleich reale Unterdrü-ckung und Möglichkeiten der
Befreiung heraus. Im Spätkapitalismus, so Marcuse, seien durch den Fortschritt
der Technik einerseits die Möglichkeit einer Gesellschaft ohne harte Arbeit und
mit einem Maximum freier Zeit und andererseits die massive Unterdrückung
kritischen Bewusstseins durch Ideologien, Manipulation und Kontrolle emergiert.
Der zu-nehmend kooperative und technisierte Charakter von Produktion und Arbeit
sei Vorausset-zung der Befreiung, technologische Rationalität, die reflektiertes
Denken unterbindet, stelle reale Befreiungsversuche aber immer stärker still. Es
sei also eine Stufe der historischen Entwicklung erreicht, auf der die
objektiven Möglichkeiten der Befreiung und die Möglichkeiten der Unterdrückung
von Befreiung, freiem Denken und kritischer Praxis so groß sind, wie niemals
zuvor. »The technical and material resources for the realization of freedom are
available. But while this objective need is demonstrably there, the subjective
need for such a change does not prevail. [...] The subjective need is repressed,
again on dual grounds: first, by virtue of the actual satisfaction of needs, and
secondly, by a massive scientific manipula-tion and administration of needs«
(Herbert Marcuse, Liberation from the Affluent Society (1967), in: Herbert
Marcuse, The New Left and the 1960s. Collected Papers of Herbert Marcuse Volume
Three, London/New York 2005, S.80f). Der heutige Zustand ist »the perpetuation
of servitude, the perpetuation of the miserable struggle for existence in the
very face of the new possibilties of freedom« (Ebd., S. 80).
Herbert Marcuse
war »ein intransigenter Optimist, ständig auf der Suche nach neuen sozia-len
Befreiungsbewegungen« (Heinz Lubasz, in: Herbert Marcuse u.a., Gespräche mit
Herbert Marcuse, Frankfurt/Main 1978, S. 138). »Marcuse’s version of critical
theory is [...] characterized by both radical critique of forces of domination
and the search for forces of opposition and liberation« (Douglas Kellner,
Introduction: Herbert Marcuse and the Vicissitudes of Critical Theory, in:
Herbert Marcuse, Towards a Critical Theory of Society: Collected Papers of
Herbert Marcuse Volume 2, London 2001, S. 24). Befreiung ist die Herstellung von
»Freiheit von« und »Freiheit zu«. Sie hat ökonomische, politische und kulturelle
Aspekte. Sie beinhaltet: »1. Freiheit von der Notwendigkeit, sein Leben zum
Mittel des Existenzkampfes zu machen, d.h. Freiheit von der Notwendigkeit von
Arbeit, in der das Individuum nicht seine menschlichen Fähigkeiten entfal-ten
kann [Negation der ökonomischen Unfreiheit, CF], 2. Freiheit von der
Notwendigkeit, bloßes Objekt der Politik zu sein, die als Bereich der
gesellschaftlichen Arbeitsteilung von Berufspolitikern gemacht wird [Negation
der politischen Unfreiheit, CF], 3. Freiheit von der Notwendigkeit, einer
Öffentlichkeit ausgesetzt zu sein, die als äußere Macht auch die innere Sphäre
der privaten Existenz determiniert [Negation kultureller Unfreiheit, CF]«
(Herbert Marcuse, Freiheit zu oder von, in: Nachgelassene Schriften Band 3,
Lüneburg 2002, S. 133). Freiheit als Autonomie bedeute daher, »dass das
Individuum seine Freiheit nicht mehr im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf
betätigt und bestätigt, also nicht mehr von unkontrolliertem Marktmechanismus
abhängig ist, dass das Individuum nicht mehr Wähler in, für oder gegen
vorgegebene Parteien und andere verselbständigte Apparate funktioniert und auch
nicht mehr als Reproduzent oder Konsument herrschender Denk- und Fühlweisen«
(Ebd., S. 133f) . Befreiung ist ein Aufhebungsprozess, er negiert die Negation
der Freiheit (=Befreiung von), also die Unfreiheit, und resultiert in einer
positiven Bestimmung (=Befreiung zu). Befreiung heißt positiv gewendet die
Herstellung einer kooperativen, selbstbestimmten, allseitigen
Tätigkeitsgesellschaft ohne harter Arbeit und Verwirklichung von einem Maximum
an freier Zeit (ökonomische Freiheit), partizipativen, basisdemokratischen
Strukturen, mit Hilfe derer alle Betroffenen gemeinsam in kommunikativen
Aushandlungsprozessen Entscheidungen treffen (politische Freiheit) und einer
Sphäre der Weisheit, Vernunft und kritischen Reflexion, in der die Menschen sich
umfassend aktiv geistig und kulturell betätigen (kulturelle Freiheit). Die
materiellen und intellektuellen Voraussetzungen für eine derart bestimmte freie
Gesellschaft sind in der Wissensgesellschaft vorhanden, sie drängen zur
Verwirklichung, diese ist aber nicht gewiss und nur durch die befreiende Praxis
der Menschen möglich.
In der philosophischen Debatte wird u.a. darüber
diskutiert, ob Freiheit ein subjektiver Bewusstseinszustand oder ein objektiver
Zustand der Gesellschaft ist. Für den frühen Sartre ist Freiheit ein innerer
Zustand, die Notwendigkeit des Subjektes, permanent seine eigene Existenz zu
produzieren. Menschliches Sein gilt als Freiheit (Jean-Paul Sartre, Das Sein und
das Nichts, Reinbek 1974 (1943)). Der Mensch entwerfe permanent sein Sein und
führe es selbst aus. Das Für-sich-Sein (Bewusstsein) des Menschen strebe ständig
nach Selbstverwirklichung im An-sich-Sein (Gesellschaft, Geworfenheit in die
Welt), scheitere aber dabei immer wieder. Das Sein sei daher ein Scheitern,
Scheitern sei Grundlage und Bedingung der menschlichen Freiheit. Die Beziehung
zum Anderen sei die Quelle von Entfremdung und Verdinglichung, denn sie führe
entweder zur Versklavung des Anderen oder zur Angleichung an den Anderen.
Beziehungen würden entweder Aneignung der Freiheit des Anderen oder Aufgabe der
eigenen Freiheit bedeuten. Das Verhältnis zum Anderen sei daher ein ewiges
Scheitern. Für Sartre ist der Mensch absolut frei in seiner Wahl und seinem Tun,
das Subjekt habe immer die Freiheit, anders zu denken und anders zu handeln,
d.h. eine andere Wahl zu treffen. Das Für-sich-Sein ist für Satre absolut
autonom. Marcuse stellt diesen idealistischen Freiheitsbegriff in Frage: »Gegen
diese Proklamation der absoluten Freiheit des Menschen erhebt sich unmittelbar
der Einwand, dass der Mensch in Wirklichkeit durch seine spezifische
gesellschaftlich-geschichtliche Situation bestimmt ist, die wiederum den Umfang
und den Inhalt seiner Freiheit und den Spielraum seiner ‚Wahl’ bestimmt. [...]
Das existentialistische Unternehmen führt daher zur abermaligen Bekräftigung der
alten idealistischen Ansicht, dass der Mensch selbst in Ketten frei sei
[...]«(Herbert Marcuse, Existentialismus. Bemerkungen zu Jean Paul Sartres
L´Être et le Néant, in: Schriften Band 8, Frankfurt/Main 1948, S. 21). Sartre
argumentiert, dass ein Mensch selbst in Situationen höchster Unterdrückung frei
ist, Herrschaft abzulehnen und durch sein Handeln die Situation zu verändern
(auch wenn dies nur durch den Tod möglich ist). Marcuse wendet dagegen ein, dass
dies ein subjektivistischer Begriff der Freiheit sei. »Die Verfolgung der Juden
und ‚die Zange des Henkers’ sind der Terror, der die Welt heute ist, sie sind
die brutale Wirklichkeit der Unfreiheit. [...] Wenn Philosophie kraft ihrer
existential-ontologischen Begriffe vom Menschen oder der Freiheit imstande ist,
den verfolgten Juden und das Opfer des Henkers als absolut frei und Herr der
selbstverantwortlichen Wahl seiend und bleibend darzustellen, dann sind diese
philosophischen Begriffe auf die Ebene barer Ideologie herabgesunken. [...]
Hinter der nihilistischen Sprache des Existentialismus verbirgt sich die
Ideologie der freien Konkurrenz, der freien Initiative und der für jeden
gleichen Chance. [...] Die Erfahrung der totalitären Organisation der
menschlichen Existenz verbietet es, Freiheit in irgendeiner anderen Form als in
der einer freien Gesellschaft zu verstehen« (Ebd., S. 23+39). Einen ähnlichen
Einwand erhebt Angela Davis gegen Sartre: »[Sartre argues that because] it is in
the nature of the human being to be ’condemned to freedom,’ even those who are
held in chains remain essentially free, for they are always at liberty to
eliminate their condition of slavery, if only because death is an alternative to
captivity. Considering the African’s real experience of slavery on this
continent, would you attempt to argue that the black slave was essentially free
since even in bondage, a person retains the freedom between captivity and
death?« (Angela Y. Davis, Unfinished Lecture on Liberation – II, in: The Angela
Davis Reader, Mal-den/Oxford 1998. S. 54). Für Marcuse ist die Abschaffung von
Ausbeutung und Unterdrückung die Vorbedingung der Freiheit, da diese in der
materiellen Struktur der Gesellschaft wurzle, benötige Befreiung
gesellschaftliche Umgestaltung, die zu einem Reich der Freiheit jenseits des
Mangels, der Notwendigkeit und des Arbeitszwangs führt.
Befreiung ist die
Produktion von Freiheit-An-Und-Für-Sich, sie gründet in der menschlichen
Erkenntnis der Unfreiheit und der befreienden Praxis, die ein Reich der Freiheit
herstellt, in der die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie
Entwicklung aller und die Freiheit der Gesellschaft die Bedingung der freien
Entwicklung eines jeden ist. Freiheit ist wirklich, wenn die Gesellschaft
vernünftig ist, d.h. allen Menschen eine allseitige und freiheitsverwirklichende
Entwicklung erlaubt. Freiheit ist Dialektik von subjektiver und objektiver
Freiheit, objektive Freiheit ermöglicht subjektive Freiheit und umgekehrt.
Herbert Marcuse bezeichnet dies als die »Dialektik der Befreiung«: »Natürlich
gibt es keine Revolution ohne individuelle Befreiung, aber auch keine Befreiung
des Individuums ohne die der Gesellschaft« (Herbert Marcuse, Konterrevolution
und Revolte, in: Schriften Band 9, Frankfurt/Main, 1972, S. 54). Für die
Verwirklichung der Freiheit müssen objektive und subjektive Keimformen im Alten
bestehen, die im Befreiungsprozess aufgehoben werden. Für Befreiung müssen
materielle Voraussetzungen und das Bedürfnis nach Befreiung, auf dem die Praxis
der Befreiung aufbaut, gegeben sein. Befreiung »is the construction of a free
society, a construction which depends in the first place on the prevalence of
the vital need for abolishing the established systems of servitude; and
secondly, and this is decisive, it depends on the vital commitment, the
striving, conscious as well as sub- and unconscious, for the qualitatively
different values of free human existence« (Herbert Marcuse, Liberation from the
Affluent Society, a.a.O., S. 78). Befreiung ist Befreiung der materiellen Kräfte
und der menschlichen Sensibilität, sie wälzt Gesellschaft und Individuum um.
Befreiung umfasst daher »the abolition of labor, the termination of the struggle
for existence – that is to say, life as an end in itself and no longer as a
means to an end – and the liberation of human sensibility and sensitivity, not
as a private factor, but as a force for transforma-tion of human existence and
of its environment. [...] The dialectic of liberation, as turned from quantity
into quality, thus involves, I repeat, a break in the continuum of repression
which reaches into the depth dimension of the organism itself. Or, we may say
that today qualitative change, liberation, involves organic, instinctual,
biological changes at the same time as political and social changes« (Ebd., S.
82). Das Neue hat seine Wurzeln im Alten, es ist die Aufhebung (Elimination,
Bewahrung, Transzendierung) des Alten. Befreiung ist Widerspruch, Negation,
Negation der Negation und Aufhebung. »Now in what sense is dialectic liberation?
It is liberation from the repres-sive, from a bad, a false system – be it an
organic system, be it a social system, be it a mental or intellectual system:
liberation by forces developing within such a system. That is the decisive
point. And liberation by virtue of the contradiction generated by the system,
precisely because it is a bad, a false system. [...] For without an objectively
justifiable goal of a better, a free human existence all liberation must remain
meaningless« (Ebd., S. 76f).
Freiheit ist für Marcuse das Reich der Freiheit
jenseits der Notwendigkeit, Momente der Freiheit sind u.a. »die freie
menschliche Tätigkeit«, die »von der gesellschaftlich notwendi-gen Arbeit
wesentlich verschieden ist und bleibt« (Herbert Marcuse, Freiheit und
Notwendigkeit. Bemerkungen zu einer Neubestimmung, in: Schrif-ten Band 8,
Frankfurt/Main 1968, S. 230), »Männer und Frauen, die über ihre eigenen
Bedürfnisse, ihre eigenen Werte, ihre eigenen Bestrebungen bestimmen« (Ebd., S.
232), »Menschen, die in Solidarität und aus eigener Initiative ihre eigene
Umwelt, ihre eigene Lebenswelt, ihre eigenes 'Eigentum’ produzieren« (Ebd., S.
232), »Beseitigung des Mangels, Abschaffung von Ungleichheiten, Hebung des
Lebensstandards« und Selbstbestimmung (Ebd., S. 234).
Der Spätkapitalismus,
so Marcuse, führt durch die technisch bedingte Zunahme der Ar-beitsproduktivität
zum Eindringen des Reiches der möglichen Freiheit in das Reich der Notwendigkeit
und durch die verbesserten Kontroll- und Manipulationsmöglichkeiten zum
Eindringen des Reiches der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit (Ebd., S.
231f).
In diesem Buch wird die Dialektik von Befreiung und Unterdrückung an
Hand der Themen-bereiche Wissensgesellschaft (Kapitel 1), Technik (Kapitel 2)
und Politik (Kapitel 3) untersucht. In der Wissensgesellschaft wird diese
Dialektik weiter vorangetrieben, die moderne Technik befördert zugleich
potenziellen Fortschritt und Repression, spätkapitalistische Politik ist geprägt
von neuen Subjekten, die für Befreiung eintreten, und der totalen Mobilmachung
gegen fortschrittliche Veränderungen durch Ideologie und Krieg.
In den
letzten Jahrzehnten ist durch Informatisierung und Globalisierung der
Gesellschaft eine neue Phase kapitalistischer Entwicklung eingetreten, jene des
postfordistischen, neoliberalen, informationellen Kapitalismus. Dieser zeichnet
sich durch ein flexibles Akkumulationsregime, eine von ökonomischen Kräfte
dominierte Regulationsweise und ein auf Selbstkontrolle basierendes
Disziplinarregime aus. Ein neues kapitalistisches Entwicklungsmodell ist
emergiert, es ist u.a. gekennzeichnet durch eine flexible, dezentrale
Produktionsweise mit flachen Hierarchien, die die globale Organisation der
Produktion erlaubt, durch vernetzte Organisationsstrukturen, die Entstehung von
transnationalen Konzernen und integrativen Managementphilosophien, die
Globalisierung von Kommunikation und sozialen Beziehungen, die zunehmende
Automation der Arbeit, die neoliberale Politik der Deregulierung, des
Sozialabbaus und der Privatisierung, die zunehmende Dominanz der Wirt-schaft
über Staat, Kultur und Lebenswelt, die wissenschaftlich-technische Revolution,
die Informatisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, die zunehmende Bedeutung
von Dienstleistungen und Wissensarbeit sowie den Übergang zum nationalen
Wettbewerbsstaat.
Die wissenschaftlich-technische Revolution,
Informatisierung und Globalisierung haben zur Hegemonie informationsbasierter,
kommunikativer und kooperativer Arbeit geführt. Der Kapitalismus hat dadurch
hinter seinem eigenen Rücken durch die Entwicklung der Produk-tivkräfte die
Voraussetzungen für eine wahrhaft kooperative und partizipative Gesellschaft
geschaffen. Zugleich sind aber auch neue Formen der Ideologie und der Kontrolle
entstanden, die sozialen Wandel verhindern (z.B. partizipatives Management,
computerbasierte Überwachung, geistige Eigentumsrechte, anspruchslose
Unterhaltung auf Basis neuer Tech-nologien wie Satellitenfernsehen, digitalem
Fernsehen, Internet; neoliberale Individualisierung und Isolation, Embedded
Journalists, usw). Kooperation und Wissen sind heute zugleich Ideologie und
Möglichkeit der Befreiung. Selbstorganisation und Kooperation sind ambivalent,
sie haben zugleich befreiende und unterdrückende Potenziale. Herbert Marcuses
These der Dialektik von Befreiung und Unterdrückung ist in der
Wissensgesellschaft hochaktuell.
Die einflussreichsten progressiven
politischen Theoretiker, die Wissensgesellschaft und Globalisierung in den
letzten Jahren thematisiert haben, sind Toni Negri und Michael Hardt, die mit
Kategorien wie »Empire«, »immaterielle Arbeit«, »Multitude«,
»Massenintellektualität«, »gesellschaftlicher Arbeiter« und »Biopolitik« die
Diskussion über Möglichkeiten von Befreiung und Unterdrückung im 21. Jahrhundert
aktualisiert haben. Es ist daher naheliegend, das Verhältnis der Theorien von
Marcuse und Negri/Hardt zu überprüfen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede
herauszustellen, die Aktualität des Marcuseschen Denkens zu überprüfen und
Möglichkeiten kritischer Theorie und kritischer Praxis im Zeitalter des Empire
zu identifizieren (Kapitel 1). Der wesentliche Unterschied besteht in der
Betonung der Subjektdialektik beim Thema Befreiung und Unterdrückung (das Empire
schaffe eine neue Subjektivität, um die Menschen zu unterdrücken, produziere
dadurch aber unabsichtlich zugleich ein neues revolutionäres kooperatives
Subjekt) durch Toni Negri und Michael Hardt und einer Dialektik von
Subjektdialektik und Objektdialektik durch Herbert Marcuse (die kapitalistische
Gesellschaft erzeugt durch ihre objektiven Antagonismen zugleich Möglichkeiten
der Befreiung des Subjekts und Möglichkeiten der Unterdrückung
fortschrittli-chen Bewusstseins). Negri und Hardt fetischieren und idealisieren
die Subjektivität des (»immateriellen«) Arbeiters, Marcuse argumentiert
realistischer für eine Dialektik von objektiven gesellschaftlichen Strukturen
und menschlicher Subjektivität.
Wissen wird sozial, kollektiv und kooperativ
produziert, es hat einen historischen Charakter und ist ein gemeinsames
kulturelles Erbe der Menschheit, es ist ein Allgemeingut. Teile des in der
Gesellschaft verfügbaren Wissens werden ständig angeeignet, um neues Wissen zu
produzieren, das in den kollektiven Bestand der Kenntnisse übergeht und wiederum
produktiv angeeignet werden kann. Wissen ist also dynamisch und perpetuiert sich
selbst. Dieser Wachstumsprozess hat heute in die neue Qualität der
Wissensgesellschaft umgeschlagen, geistige, kommunikative und kooperative
Tätigkeiten bilden die hegemoniale Form der Arbeit, die alle gesellschaftlichen
Bereiche prägt. Wissen kann nur in Kapital verwandelt und verwertet werden, wenn
es durch Eigentumsrechte kontrolliert wird, wodurch sein sozialer Charakter
negiert wird und Profit durch individuelle Aneignung einer kollektiven
Ressource, die von niemand alleine hergestellt und reproduziert werden kann,
erzielt wird. Um den Antagonismus zwischen Wissen als öffentlichem Gut und als
Ware konstituieren sich in der Wissensgesellschaft Klassenkämpfe. Der Charakter
von Wissen und kollektiven Ressourcen ist umstritten, während die neoliberale
Ideologie die Profiterwirtschaftung durch die Privati-sierung von verschiedenen
Wissensformen und öffentlichen Gütern global fördern möchte, kämpfen
Protestbewegungen, die sich durch Vernetzung und Kooperation zum kollektiven
globalen Subjekt der Multitude vereinigen, für den freien und öffentlichen
Charakter gesellschaftlicher Ressourcen. Dieses neue Subjekt protestiert gegen
den Abbau des Gemeinwesens und die Privatisierung und Verwertung aller
Aktivitäten, Lebensbereiche und kostenlo-sen Reichtümer. Die Logik von
Kooperation, Informatisierung, Globalisierung und Selbst-organisation hat ein
globales Herrschaftssystem (»Empire«) geschaffen und zugleich Bewe-gungen, die
dieses System negieren.
Teil 1 dieser Arbeit untersucht das Verhältnis des
Denkens von Herbert Marcuse und Anto-nio Negri/Michael Hardt, es analysiert
Bedingungen von Befreiung und der Multitude im Zeitalter des Empire. Als Basis
für diese Diskussion werden zunächst die gesellschaftlichen Transformationen der
letzten Jahrzehnte, die vom Fordismus zum postfordistischen, neoliberalen,
informationellen Kapitalismus geführt haben, dargestellt (1.1). Darauf aufbauend
wird Negris Konzept der »immateriellen Arbeit« diskutiert (1.2). Einen positiven
Ansatz-punkt für eine dialektische Theorie sozialer Protestbewegungen bietet vor
allem Negris Konzept der Multitude. Die Selbstorganisationstheorie erlaubt eine
Analyse von komplexen, dynamischen, vernetzten, flexiblen, dezentral
organisierten Systemen. Diese Eigenschaften treffen sowohl auf das Empire als
auch auf die Multitude zu. In Abschnitt 1.3. werden Grundlagen einer Theorie der
Selbstorganisation der Multitude dargestellt, die kritische Theorie Marcusescher
Prägung, Systemdenken, dialektische Philosophie und operaistische Konzepte
synthetisiert. Auch das Internet ist ein komplexes, dynamisches, globales
System, die Selbstorganisationstheorie ermöglicht es, das Phänomen des
Cyberprotests theoretisch zu erfassen (1.4.). Als wichtiges Moment der Multitude
wird die Bewegung für globale Gerechtigkeit im Rahmen des ausgearbeiteten
theoretischen Modells diskutiert (1.5.). Ein we-sentlicher Unterschied zwischen
Marcuse und Negri/Hardt besteht darin, dass ein von Mar-cuse geprägter Ansatz
progressive Protestbewegungen als konstitutiv für die Multitude er-achtet und
die Integration der Arbeiterklasse in den Kapitalismus als ein zentrales
politi-sches Problem der Bewegung ansieht, während der Operaismus auf Basis
eines extrem er-weiterten Begriffs der Arbeiterklasse Arbeit und politische
Protestbewegungen als automatisch widerständig erachtet. Um das Problem der
Hegemonie eindimensionalen Bewusst-seins zu lösen und Kritik in der Gesellschaft
zu stärken, bedarf es dem Aufbau von Gegen-institutionen und einer Politik des
radikalen Reformismus und der organisierten Spontaneität, die die
Selbstorganisations- und Kritikfähigkeit der Menschen stärken. Einen
entscheidenden Beitrag könnte dazu die Forderung eines universellen,
bedingungslosen Grundeinkommens darstellen (1.6., 1.7.). Es kann angenommen
werden, dass Marcuse von dieser innovativen politischen Maßnahme begeistert
gewesen wäre und sie unterstützt hätte, denn an Hand dieser Forderung können
zentrale Aspekte des Marcuseschen Denkens wie der Kampf gegen eindimensionales
Bewusstsein und die Unterdrückung kritischen Denkens, die Abschaffung harter
Arbeit, das Reich der Freiheit sowie die Ausweitung von Selbstbestimmung und
Kritikmöglichkeiten verdeutlicht und konkretisiert werden.
Für Herbert
Marcuse ist die Technik ein zentrales Charakteristikum der modernen
Gesell-schaft (Kapitel 2). Er beschreibt, wie Technik in der modernen
Gesellschaft als Mittel von Herrschaft, Kontrolle und Ausbeutung angewendet wird
(2.1.). Dies resultiert aber nicht in Kulturpessimismus, Technikskeptizismus
oder einer Ablehnung der modernen Technik, sondern in einer dialektischen
Theorie, die Technik zugleich als Chance und Risiko begreift (2.2.). Technik ist
zugleich Mittel der Repression und Basis der möglichen Befreiung des Menschen
aus diesen repressiven Verhältnissen (2.3.). Eng verkoppelt mit dem
Technikbeg-riff ist für Marcuse die Dialektik des Fortschritts (2.4.). Die volle
Realisierung der gesell-schaftlichen Möglichkeiten, die sich in der technischen
Entwicklung äußern, bedeutet für Marcuse eine Stufe der Gesellschaft, auf der
das Lustprinzip zur dominanten gesellschaftlichen Größe wird (2.5.).
Marcuses
Theorie ist eine Philosophie der Praxis, d.h. sie ist orientiert an der
fortschrittlichen Veränderung der Gesellschaft durch die Menschen. Dadurch ist
sie auch politische Theorie (Kapitel 3). Diese setzt an bei einer Kritik der
politischen Modelle des Nationalsozialismus (3.1.), der kapitalistischen
Demokratie (3.2.) und des Sowjetsystems (3.3.). Marcuses Analyse dieser
Herrschaftssysteme zeigt, dass Unterdrückung eine permanente Realität des 20.
Jahrhunderts gewesen ist und dass die Ausbildung einer instrumentellen Vernunft
Herrschaft ideologisch stabilisiert. Von Bedeutung ist dabei auch die
ideologische Integrati-on der Arbeiterklasse und die Stillstellung
revolutionärer Subjektivität (3.4.). Diese Analyse mutet zunächst düster an und
scheint keine politischen Perspektiven nahe zu legen, doch für Marcuse ist
Repression immer begleitet von der Möglichkeit der Befreiung. Die
Studentenbewegung, die Neue Linke und die Neuen Sozialen Bewegungen sind für
Marcuse Schimmer der politischen Hoffnung, sie bedeuten die Entstehung
fortschrittlicher Subjektivität und einer neuen Sensibilität (3.4.).
Selbstorganisation und Selbstverwaltung erachtet er als fortschrittliche Wege
und Ziele politischer Alternativen (3.5.).
Protestbewegungen wie die Bewegung
für eine demokratische und partizipative Form der Globalisierung oder die Open
Source-Bewegung stellen die dominanten Werte des Kapita-lismus, die auf eine
umfassende Zerstörung hinauslaufen, in Frage, sie sind Fürsprecher für eine Welt
der Kooperation, der Partizipation und der Selbstorganisation. Marcuses Ideen zu
gesellschaftlicher Entwicklung, politischem Protest und gesellschaftlichen
Alternativen verdienen unter diesen Umständen erneute Beachtung und können ein
Anstoß und ein Beitrag zur Innovation fortschrittlichen politischen Denkens und
einer darauf basierenden Praxis sein. Chancen und Risiken sind im
Spätkapitalismus aneinander scharf widerstreitende Tendenzen. Kooperation,
Informatisierung, Vernetzung und Globalisierung als zentrale Momente der
heutigen gesellschaftlichen Entwicklung beinhalten zugleich progressive und
ge-fährliche Möglichkeiten. Eine Beschäftigung mit dem Denken Marcuses kann den
Sinn für kritisches Denken erneuern, das heute notwendig ist, um Risiken zu
unterbinden und Chancen zu fördern. Der postfordistische, neoliberale,
informationelle Kapitalismus bietet zugleich neue Möglichkeiten der Befreiung
und der Unterdrückung. Dialektisches Denken und Gesellschaftskritik Marcusescher
Prägung können dabei behilflich sein, progressive Möglichkeiten und gefährliche
Risiken zu identifizieren und wissenschaftliche Kritik in praktische Kritik
umzusetzen. »Great forces of transformation are being unleashed through
technological revolution, especially computers and biotechnology, which contain
great pro-mise, but also threaten to intensify forces of domination and
destruction. Consequently, progress and regression are embedded in the current
forces of technology, society and poli-tics on a global scale. The current
historical situation is thus fluid, ambiguous, requiring the mode of dialectical
analysis and critique developed by Marcuse« . Das Empire ist eine neue globale
Herrschaftsstruktur, kritische Theorie im Zeitalter des Empire kann
Möglich-keiten der globalen Transformation aufzeigen und in die zu Grunde
liegenden Konflikte progressiv intervenieren.
Ich danke Eva Horak für
Lektorat, Diskussion und Kritik.
Wien, April 2005.
Christian Fuchs