Informations- und Biotechnologie - Befreiende oder herrschaftsförmige Technik?
Christian Fuchs
Eine gekürzte, stark überarbeitete und erweiterte Version dieses Textes ist unter dem Titel "Technisch vermittelte Entkörperlichung - Emanzipation der Risiko?" in Utopie Kreativ, H 129/130 (Julia/August 2001), S. 644-658 erschienen und ist hier in digitaler Form abrufbarAbstract
Entkörperlichung zeigt sich heute vor allem in der Prothesisierung
des Menschen, der Humanisierung des Roboters und der Ersetzung verkörperlichter,
d.h. lebendiger Arbeit, durch tote Arbeit. Sie wird vermittelt durch neue Informations-,
Kommunikations-, Gen-, Reproduktions- und Biotechnologien.
Vertreterinnen des postmodernen Feminismus wie Sadie Plant und Donna Haraway
verknüpfen mit den technischen Veränderungen die Hoffnung auf Emanzipation
von patriarchalen Verhältnissen. Damit argumentieren sie jedoch technikdeterministisch
und lassen außer Acht, daß das kapitalistische Patriarchat auf Ausbeutungs-,
Klassen- und Herrschaftsverhältnissen basiert. Emanzipation kann daher
nur als gesellschaftlicher Prozeß verstanden werden und nicht auf eine
technische Dimension reduziert werden.
Die postmodernistische Theorie betont die Differenz unterdrückter Gruppen
und landet damit bei einer Vielfalt ohne Einheit. Berechtigterweise kritisiert
sie eine Einheit ohne Vielfalt, läßt jedoch eine dialektische Postition
der Einheit in der Vielfalt im Bezug von Kulturen und unterdrückten Gruppen
aufeinander außer Acht.
Beim Postmodernismus besteht die Gefahr, daß Politik rein kulturalistisch
als Lebensstilpolitik, Identitätspolitik und symbolische Repräsentationspolitik
aufgefaßt wird. Dies zeigt sich an Hand des Ansatzes von Judith Butler.
Ausgeblendet wird dabei die Notwendigkeit politischer Emanzipation von Klassenverhältnissen,
Politik wird auf den Bereich der Kultur reduziert.
Das kapitalistische Weltsystem kann sich nur durch die Schaffung von Milieus
der ursprünglichen Akkumulation permanent reproduzieren. Als solche Milieus
können in der heutigen postfordistischen Phase des Kapitalismus die patriarchale
Produktionsweise, die "Dritte Welt", prekär Beschäftigte
und rassistische Produktionsverhältnisse betrachtet werden.
Ein marxistischer Feminismus kann sich vom Nebenwiderspruchsdenken und von mechanistischen
Basis-Überbau-Modellen lösen und die Ausbeutung und Beherrschung von
Frauen im kapitalistischen Patriarchat als Klassenverhältnis betrachten
sowie die ökonomische, politische und kulturell-ideologischen Komponenten
dieses Klassenverhältnisses analysieren und kritisieren.
Technik ist im kapitalistischen Patriarchat ein Herrschafts- und Kontrollmittel.
Daher ist es sinnvoll, den postmodernen EmanzipationsdenkerInnen kritische Argumente
gegenüberzustellen, die davon ausgehen, daß Entkörperlichung
und neue Technologien eine Verschärfung der Beherrschung und Ausbeutung
mit sich bringen. Solche Kritiken wurden vor allem im marxistischen und radikalen
Feminismus formuliert. Dabei besteht jedoch die Gefahr, in geschlechtsspezifische
Typisierungen, die eigentlich charakteristisch für die Ideologie der bürgerlichen
Gesellschaft sind, zu geraten. Dies ist in radikal- und ökofeministischen
Ansätzen häufig der Fall. Dabei wird auch Technik als inhärent
patriarchal und herrschaftsförmig betrachtet. Ein solcher Technikreduktionismus
führt aber zu Argumentationen, die eine Gesellschaft ohne Technik verlangen,
die auf angeblich typisch "weiblichen Werten" basiert.
Im Zusammenhang mit neuen Technologien bestehen z.B. die Gefahr der Kapitalisierung
des Körpers als Profitquelle, die Gefahr einer neuen Eugenik, die Gefahren
der Züchtung besonders ausbeutbarer Menschen, der totalen Kommodifizierung
weiblicher Körper und der Enteignung der Frau von der Selbstbestimmung
über ihren Körper. Besonders in einer kapitalistischen Gesellschaftsformation,
die die Ökonomie über den Menschen stellt und an der Logik und Totalität
der Kapitalakkumulation und Verwertung orientiert ist, sind diese Gefahren realistisch.
Technik ist weder interessensneutral, noch grundsätzlich ein Dämon.
Sie steht in einem wechselseitigen dialektischen Verhältnis zur Gesellschaft.
In unserer heutigen patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft ist die Technik
eine patriarchal-kapitalistische. Eine Aufhebung der bestehenden gesellschaftlichen
Verhältnisse kann jedoch als Basis für die Entwicklung einer am Menschen
orientierten Technik betrachtet werden.
Der technische Eingriff in die Körperlichkeit des Menschen (und dabei vor
allem der Frau) bedeutet heute eine neue Qualität bestehender Ausbeutungs-,
Herrschafts- und Klassenverhältnisse.
1. Einleitung: Die Entkörperlichung des Menschen und deren Gefahren
Die Prothesierung des menschlichen Körpers, d.h. die Substitution von Körperteilen und Organen durch maschinelle Anwendungen, und die Nachbildung des Menschen durch Computer und Roboter schreitet immer weiter voran. Welche Entwicklungen sind mittelfristig realistisch, welche utopisch? Welche Probleme der ethischen Grenzen von Wissenschaft und Technik werden dabei aufgeworfen? Was bedeutet all dies für die feministische Theorie und Politik, die immer noch mit der Konstruktion von Typisierung sowie von Ein- und Zuschreibungen spezifischer Eigenschaften in weibliche Körper in einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft konfrontiert sind?
Das sich heute verändernde Verhältnis von menschlichem Körper und Maschine zeigt sich vor allem in drei Bereichen:
2. der Humanisierung des Roboters
3. der Ersetzung verkörperlichter, d.h. lebendiger Arbeit, durch tote Arbeit
Im ersten Fall handelt es sich nicht mehr ausschließlich um Negativvisionen aus der Cyberpunkliteratur, positiv besetzten Visionen einer entkörperlichten "Post-Gender-World" (Donna Haraway) oder fiktiven filmischen Cyborgfiguren wie in Total Recall, Bladerunner, Terminator oder Robocop. Vielmehr hat die Verwandlung des Menschen in einen kybernetischen Organismus durch den technischen Eingriff in die Körperlichkeit auch heute eine konkrete Bedeutung bekommen. Dies zeigt sich z.B. in der Form von künstlichen Organersätzen oder -zusätzen, der Gen- und Reproduktionstechnologie oder der direkten Verkopplung von Mensch und Maschine. Der Einbau von mechanischen oder elektronischen Komponenten in den menschlichen Körper ist heute medizinischer Alltag. Im Juni 2000 wurde beispielsweise am Chicago Medical Center einem Menschen die erste künstliche Netzhaut ASR ("Artificial Silicon Retina") implantiert (Telepolis, 4.7.2000). Einem Blinden wurde ein Mikrochip ins Gehirn eingebaut. Mit Hilfe einer Cyberbrille, in die eine Kamera eingebaut ist, werden Bilder wahrgenommen, anschließend von einem Computer digitalisiert und ins Gehirn geschickt. Dazu ist jedoch die Verbindung des Mikrochips im Gehirn mit dem Computer durch ein Kabel notwendig. So kann der Blinde Umrisse und Schatten erkennen (Die Welt, 19. 01. 2000). William Dobelle hat u.a. ein solches System der Artificial Vision erschaffen.
Der zweite genannte Bereich ist eng verknüpft mit den Entwicklungen und Fortschritten in der Artificial Intelligence (AI) und im Artificial Life (AL). Nach Langton (1989) ist Artificial Life (AL) "the study of man-made systems that exhibit behaviors characteristic of natural living systems". Es gehe nicht nur darum, zu beobachten, wie Eigenschaften lebendiger Systeme in AL-Systemen emergieren ("life-as-we-know-it", Leben, wie es ist), sondern auch um die theoretische Beobachtung künstlichen Lebens, um Rückschlüsse darüber, wie Leben sein könnte, auf natürliches Leben zu ziehen ("life-as-it-could-be", Leben, wie es sein könnte). Langton hat einen zellulären Automaten (CA) programmiert, dessen Agenten sich selbst reproduzieren. Diese CA zeigen Phasenübergänge, an denen chaotische Attraktoren auftreten. Langton meint nun, daß dabei nicht vorhersehbare Signale auftreten. Die simulierten Phasenübergänge wären äquivalent zu jenen in lebendigen Systemen. Daher habe er tatsächliches Leben erzeugt. Maturana und Varela (1984) haben gezeigt, daß lebendige Systeme sich selbst reproduzieren können. Diese Eigenschaft kann ein Computerprogramm jedoch niemals aufweisen, da es immer auf einem Rechner abläuft, der einer mechanistischen Kausalität (d.h. Ursachen und Wirkungen können einander eindeutig zugeordnet werden) folgt. Die Selbstreproduktion von Agenten in einer Computersimulation ist mit jener von organischen Zellen nicht vergleichbar, da sie abhängig von einer Energiezufuhr in den Computer ist. Daher kann nicht von der Selbstreproduktion einer Maschine oder darauf ablaufender Programme gesprochen werden. Technische Artefakte sind nicht mit Menschen vergleichbar, sondern es bestehen qualitative Unterschiede. Fähigkeiten wie zweckorientiertes Handeln, Selbstbewußtsein, Rationalität oder Gefühle sind spezifisch für den Menschen. Dadurch unterscheidet er sich von allen anderen Systemen. Maschinen und soziale Organisationen (1) sind keine lebendigen Systeme, sie können sich nicht autonom selbst reproduzieren wie autopoietische Organismen.
Wesentliche Fragen, die sich für AI und AL stellen, sind,
ob ein Computer menschenähnliches Verhalten zeigen kann und ob der menschliche
Geist technisch simulierbar ist. Seit jeher war in der AI von Bedeutung, ob
Gehirn und Computer vergleichbar sind, ob das Gehirn als Maschine aufgefaßt
werden kann oder ein Computer jemals denken können wird. Dabei spielt der
Turing-Test eine Rolle, der besagt, daß eine Maschine dann intelligent
ist, wenn ein Mensch mit ihr kommuniziert, ohne zu bemerken, daß es sich
um eine Maschine handelt. Anfang der 80er-Jahre wurde diese Sichtweise jedoch
durch John Searles Chineschisches Zimmer herausgefordert. Dadurch wurde klar,
daß ein Computer immer nur Anweisungen befolgt, aber niemals so etwas
wie Bedeutungen oder pragmatische Zeichenaspekte verstehen kann. Daher ist menschliche
nicht mit maschineller Intelligenz vergleichbar. Intelligenz ist m.E. immer
mit einer Einheit von syntaktischen, semantischen und pragmatischen Aspekten
verbunden und setzt außerdem Gefühle, Selbstbewußtsein und
die Fähigkeit der individuellen Normen- und Wertbildung voraus.
Immer wieder gibt es Versuche, intelligente Computerprogramme herzustellen,
mit denen Menschen interagieren können. Ein Beispiel ist Joseph Weizenbaums
Psychoanalyseprogramm ELIZA, ein anderes der Multi User Dungeon (MUD)-Robot
Julia. Es zeigt sich heute, daß diese künstliche Intelligenz oftmals
überschätzt wird und nicht annähernd mit menschlicher vergleichbar
ist: Alan Turing meinte 1950, daß es im Jahr 2000 Computer geben wird,
die 70 Prozent der Menschen, mit denen eine Interaktion erfolgt, davon überzeugen,
daß sie menschlich sind. Der tatsächliche Forschungsstand ist weit
davon entfernt. Es mag spannend sein, sich mit so einem Programm zu unterhalten
und es zu testen. Man/Frau sollte sich aber mit Searle immer wieder vor Augen
halten, daß diese künstliche Intelligenz sich ganz wesentlich von
der menschlichen unterscheidet und daß daher die Mensch-KI-Interaktion
keine soziale Interaktion darstellt, da diese immer humane Akteure benötigt.
Nichtsdestotrotz haben heute viele AI-ForscherInnen das Ziel, "menschliche
Roboter" zu erschaffen. So meint z.B. Rodney Brooks: "Ich möchte
völlig autonome mobile Agenten erschaffen, die in der Welt mit Menschen
koexistieren und die von Menschen als eigenständige intelligente Wesen
betrachtet werden" (Brooks 1987, S. 7). Marvin Minksy (1994) beschreibt
ein KI-System, in dem menschenähnliche Agenten vorkommen. Er nimmt an,
daß der Geist aus maschinellen Agenten zusammengesetzt werden kann: "Jeder
mentale Agent ist für sich allein genommen nur zu einfachen Tätigkeiten
fähig, die weder Geist noch Denken erfordern. Wenn wir diese Agenten jedoch
auf eine ganz bestimmte Weise zu Gesellschaften zusammenfassen, ist das Ergebnis
echte Intelligenz" (Minsky 1994, S.17). Der Mensch ist für Minsky
folglich ein Computer, der Geist also eine Maschine. Es sei nur mehr eine technische
Frage, Computer mit Bewußtsein und Gefühlen zu entwickeln.
Minsky argumentiert klassisch reduktionistisch. Intelligenz sei auf einzelne
Teile zurückführbar. Seine Gleichsetzung von Mensch und Maschine zeigt
sich schon daran, daß er den Inbegriff der Soziologie (Gesellschaft) für
die Beschreibung des Zusammenwirkens von technischen Einheiten benutzt. Er betrachtet
dies allerdings als völlig unproblematisch, die damit verbundenen Gefahren
wie eine Abwertung von Humanismus, einen Freibrief für biopolitische Experimente
und daher in letzter Konsequenz der Eugenik und der rassistischen Vernichtung
sowie die Gefahr deren Legitimierung sieht er nicht. Werden Mensch und Maschine
gleichgesetzt und die qualitativen Unterschiede wegdefiniert oder geleugnet,
so stellt sich das Problem, daß damit vermittelt wird, daß mit Menschen
umgegangen werden darf wie mit Maschinen: Sind sie alt oder nicht mehr "leistungsfähig",
so werden sie "entsorgt". Werden spezielle oder äußerst
effiziente Fähigkeiten benötigt, so werden diese technisch hergestellt.
Was all dies auf den Menschen bezogen bedeuten kann, entspricht Horrorvisionen,
die an den Faschismus erinnern können.
Minsky betrachtet den Menschen als ein Mängelwesen, unperfekt und im Vergleich
zu Computern äußerst langsam. Um dies zu beheben, schlägt er
vor, Mikrochips ins Gehirn zu verpflanzen, die von den Menschen umprogrammiert
werden können, um ihr Denken zu verändern. Psychische Probleme könnten
damit vermieden werden. Eine solche Argumentation vernachlässigt, daß
psychische Probleme aus gesellschaftlichen Verhältnissen entspringen. Es
geht bei Minsky nicht um gesellschaftliche Veränderung, sondern um die
Manipulation des menschlichen Denkens, um die Zunahme psychischer Probleme in
einem kapitalistischen Weltsystem mit immer größer werdenden globalen
Problemen mittels einem psychischen Wegschmelzen dieser Probleme einzudämmen.
Individuelle Probleme, die in einem Verhältnis zu gesellschaftlichen stehen,
sollen nicht in der realen Welt gelöst werden, sondern die Menschen sollen
psychisch an die immer prekärer werdenden sozialen Verhältnisse angepaßt
werden. Damit kann auch die Vorstellung verbunden werden, daß Minsky grundsätzlichen
sozialen Wandel durch die direkte Manipulation des menschlichen Gehirns verhindern
will.
Ähnlich wie Minsky beschreibt auch Valentin Braitenberg, wie seiner Ansicht
nach durch technische Synthese einfacher Teile "Wesen" hergestellt
werden können, die dem Mensch samt Geist und Bewußtsein ähnlich
sind. Aus mobilen Robotern werden in dieser Beschreibung Menschen. Braitenberg
nimmt an, daß sich aus Motoren, Sensoren und diversen fiktiven Materialien,
menschenähnliche Organismen herstellen lassen. Die 14 beschriebenen Wesen
bauen aufeinander auf und werden immer komplexer. Wie Minsky nimmt Braitenberg
an, der menschliche Organismus sei auf einzelne technische Bauteile reduzierbar.
Auch Hans Moravec (1990) vertritt ähnliche Ansichten wie Minsky. Der Mensch
werde in Zukunft von Robotern ersetzt, menschliche Intelligenz durch künstliche
substituiert. Dadurch werde der Mensch unsterblich. "Wir Menschen werden
eine Zeitlang von ihrer Arbeit [jene der Roboter, Anm. CF] profitieren. Doch
über kurz oder lang werden sie, wie biologische Kinder, ihre eigenen Wege
gehen, während wir, die Eltern, alt werden und abtreten" (Moravec
1990, S. 13). Der menschliche Geist könne in naher Zukunft auf Maschinen
übertragen werden. Ein Roboterchirurg müsse dazu die Schädeldecke
eines Menschen öffnen und das Gehirn schichtweise abtragen und mit Sensoren
abtasten. So sei es möglich, die Kognition eines Individuums auf einen
Roboter zu übertragen.
In der Cyberpunk-Literatur hatten solche Vorstellungen noch einen kritischen
Unterton und konnten als Warnung vor Entwicklungen verstanden werden, die die
Menschheit durch technischen Fortschritt in den Faschismus zurückversetzen.
Bei Moravec handelt es sich nicht um Fiktion, sondern um ernsthafte wissenschaftliche
Ansichten. Jede kritische Überlegung ist allerdings verschwunden.
Auch im Konnektionismus, der davon ausgeht, daß Kognition ein emergentes
Phänomen der neuronalen Aktivitäten darstellt, wird der Computer mit
dem Menschen verglichen. Sowohl das Verhalten des Gehirn als auch jenes der
neuronalen Netze folge keiner deterministischen Logik, sondern zeige unvorhersehbare
Aspekte. Diese emergente AI sieht also keinen wesentlichen Unterschied zwischen
Mensch und Maschine.
Für die AI war und ist die wesentliche Frage, ob ein Computer intelligent
ist bzw. sein kann. AL setzt dies bereits voraus und fragt sich ernsthaft, ob
Maschinen zum Leben erweckt werden können. Das Gebiet des AL stellt in
Frage, daß Maschinen und Computerprogramme nicht lebendig sein können.
Die neuesten Entwicklungen aus der AI reden einer radikalen Entkörperlichung
das Wort. Der menschliche Körper gilt als vergänglich, in letzter
Konsequenz könne der Computer an seine Stelle treten und auch den Geist
substituieren. Gefahren solcher Argumentationen werden nicht ausreichend berücksichtigt,
sondern Entwicklungen in Richtung einer - um es mit Aldous Huxley auszudrücken
- "schönen neuen" Cyborg-Welt das Wort geredet.
Zum dritten Bereich: Gesellschaftliche Arbeit ist grundsätzlich an den
menschlichen Körper gebunden. Mit der Entwicklung der Produktivkräfte
kommt es jeder zu einer voranschreitenden Entkörperlichung der Arbeit.
Durch immer weitere technologische Entwicklungen wird immer mehr menschliche
Arbeit durch Maschinen ersetzt. Dies ergibt sich aus der kapitalistischen Zwangslogik,
immer effizienter zu produzieren, d.h. immer mehr in immer kürzerer Zeit
herzustellen. Marx hat dies als relative Mehrwertproduktion beschrieben: Durch
immer produktivere Maschinen wird immer mehr in immer kürzerer Zeit hergestellt.
Durch die Produktivkraftentwicklung wird die gesellschaftlich notwendige Arbeit
immer stärker reduziert. Lebendige Arbeit wird also immer stärker
durch tote Arbeit in der Form von Maschinen und konstantem Kapital ersetzt.
Da aber die lebendige Arbeit die einzige Quelle des produzierten Mehrwerts sein
kann, führt also die Produktivkraftentwicklung der lebendigen Arbeit zur
Zersetzung der Basis der Wertproduktion. Hier zeigt sich also auch ein Widerspruch
zwischen lebendiger und vergegenständlichter Arbeit (vergegenständlichte
ersetzt lebendige und damit die Basis des Werts). Im Lauf der kapitalistischen
Entwicklung steigt die tote Arbeit im Verhältnis zur lebendigen. Dies ist
eine langfristige Tendenz, die sich gerade auch in der heutigen Phase des Kapitalismus
äußert. Marx brachte diesen Widerspruch in den Grundrissen folgendermaßen
auf den Punkt: "Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch dadurch,
daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während
es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums
setzt" (Marx 1857/58, S. 601).
Dieser Widerspruch kann als eine Ursache der Tendenz des Falls der Durchschnittsprofitrate
angesehen werden. Steigt die organische Zusammensetzung des Kapitals (also das
Verhältnis von konstantem und variablem Kapital) im Rahmen der Produktivkraftentwicklung,
so kann dies auf Grund dieses Antagonismus negativ auf die Mehrwertproduktion
wirken. Daraus ergibt sich dann ein Fall der Durchschnittsprofitrate. Die Entkörperlichung
der Produktion setzt sich also im Kapitalismus krisenhaft durch. Die Ersetzung
von lebendiger durch vergegenständlichte Arbeit und damit das Voranschreiten
einer tendenziellen Unabhängigkeit der Produktion vom menschlichen Körper
hat im Kapitalismus die Konsequenz, daß sie zu den strukturellen polit-ökonomischen
Krisen und den sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Problemen wie Arbeitslosigkeit
und Armut beiträgt.
Obwohl diese Substitution existiert und immer weiter voranschreitet, ist eine
Vollautomatisierung prinzipiell unmöglich, da Maschinen in letzter Instanz
nur vom Menschen in Stand gehalten werden können und gewisse Arbeiten wie
beispielsweise im sozialen Bereich sinnvollerweise niemals von Maschinen übernommen
werden sollten. Daher läßt sich mit Klaus Fuchs-Kittowski festhalten:
"Der Mensch [...] [ist] die einzige kreative Produktivkraft [...] und [kann]
daher nicht gefahrlos wegrationalisiert werden [...]. Die Auswirkungen einer
solchen mangelnden Beachtung des Leistungs- und Wissenspotential der Menschen
und ihrer kreativen Fähigkeiten sind heute kaum abzusehen"
(2) (Fuchs-Kittowski i.E.).
Es stellt sich nun die Frage, wie realistisch diese Bilder der Entkörperlichung,
die in der Cyberpunkliteratur, der Science Fiction und von TheoretikerInnen
wie Minsky, Braitenberg und Moravec beschrieben werden, als reale gesellschaftliche
Entwicklungen kurz- und mittelfristig sind.
Mittermayer und Klosterhalfen (2000) rücken alle Überlegungen in Richtung
der Kreation eines "künstlichen Menschen" als utopisch in weite
Ferne. Implantationen und Transplantationen seien zwar heute in der Medizin
an der Tagesordnung und werden auch in Zukunft weiterentwickelt und verbessert
werden, ein künstlicher Mensch setze jedoch auch künstliches Bewußtsein
voraus. Und da heute völlig unklar ist, was Bewußtsein genau sein
soll, würde der künstliche Mensch "nicht so schnell Wirklichkeit"
werden (Mittermayer/Klosterhalfen 2000, S. 23).
Daele (2000) betont, daß Vorbehalte gegen neue Technolgien meist nur solange
bestehen, bis betont wird, daß sie medizinischen Fortschritt mit sich
bringen: "Die moralischen Vorbehalte gegen die Technik gaben regelmäßig
nach, wenn es darum geht, menschliches Leben zu erhalten oder das Leid einer
Krankheit zu mildern" (Daele 2000, S. 25). Das Problem besteht nun darin,
daß oft versucht wird, den Einsatz als problematisch zu erachtender Technologien
durch Spezialfälle der Anwendung zu rechtfertigen. Reproduktionstechnologie
soll so z.B. mit dem Kampf gegen Unfruchtbarkeit legitimiert werden, Gentechnologie
mit dem vorgegebenen Kampf gegen Armut etc. Gleichzeitig wird betont, daß
Mißbrauch gesetzlich zu unterbinden sei. In der kapitalistischen Gesellschaft
ist es nun aber der Fall, daß die Kapitalakkumulation einen ökonomischen
Zwang darstellt, der alle Lebensbereiche durchdringt und an dem in einem gewissen
Ausmaß das Geschehen in den einzelnen gesellschaftlichen Subsystemen orientiert
wird. Daher ist beim Einsatz von Technologien, die den Körper des Menschen
manipulieren, immer auch die "Wirtschaftlichkeit" ein wesentliches
Moment. Daraus ergeben sich konkrete Gefahren wie eine neue Eugenik, die Züchtung
von besonders ausbeutbarem und widestandslosem Material der Ausbeutung für
das Kapital, die weitere Kommodifizierung des Körpers, rassistische sowie
faschistische bevölkerungspolitische Maßnahmen etc. All dies sollte
besonders in einer neoliberal durchkapitalisierten kapitalistischen Gesellschaftsordnung
als gefährlich erachtet werden.
Medizin und Forschung sind nicht ausschließlich am allgemeinen Wohl der
Menschheit interessiert, sondern sind Teil des kapitalistischen Weltsystems
und daher auch Mittel zur Durchsetzung der Interessen herrschender ökonomischer
Klassen. Die Linderung menschlichen Leids in Einzelfällen ist im Kapitalismus
eben oftmals ideologisches Mittel, um die tatsächlichen Gefahren neuer
Technologien zu verschleiern und um diese für die effiziente Organisierung
der Kapitalherrschaft nutzbar zu machen. Heute wird konkret über die "Optimierung"
der Kosten des Gesundheitswesen, über bevölkerungspolitische Maßnahmen
zur Eindämmung der angeblichen "Bevölkerungsexplosion" oder
über das Klonen von Tieren (vorerst!) diskutiert. Die liberal gesinnten
Schreie nach der Zivilisierung der dabei verwendeten Technologien werden spätestens
dann verstummen, wenn die angeblichen großen Vorteile der Humantechnologie
durch die Medienmaschinerie noch viel intensiver ins Bewußtsein der Menschen
dringen. Die Durchsetzung der herrschenden ökonomischen Interessen braucht
immer ideologische Rückendeckung, damit das Bewußtsein der Menschen
massenhaft nivelliert und hergestellt werden kann und sich diesen Interessen
willenlos beugt. Es ist unter den herrschenden polit-ökonomischen Verhältnissen
nicht auszuschließen, daß mittelfristig die "Entsorgung"
nicht mehr verwertbarer und ausbeutbarer, d.h. kranker, alter oder schwacher,
humaner Körper sowie die ökonomisch effektive Kreation neuer Körper
an der Tagesordnung stehen wird. Ein Gesellschaftssystem, das permanent mit
dem Leben von Menschen spielt und zur Prekärisierung der Lebensverhältnisse
immer größerer Teile der Weltbevölkerung führt, wird keine
moralischen Bedenken vor ökonomische Interessen stellen. Daher ist auch
die Rede von der Eindämmung der Mißbrauchsgefahren neuer Technologien
durch den Staat eigentlich hinfällig, da der Staat zwar nicht - wie in
den meisten STAMOKAP-Theorien behauptet - direkt der verlängerte Arm der
Kapitalinteressen ist, aber nichtsdestotrotz einen Kristallisationspunkt der
herrschenden ökonomischen Klasseninteressen darstellt, durch den sich eine
Einheit der fragementierten und fraktionierten Bourgeoisie herstellen kann (vgl.
Poulantzas 1978).
Die Gefahr einer neuen Eugenik kann nicht einfach als Übertreibung abgetan
werden, denn heute sprechen beispielsweise immer mehr Ärzte von der Euthanasie
von "zu teuren" Kranken oder es wird in wissenschaftlichen Kreisen
ernsthaft über faschistoide bevölkerungspolitische Maßnahmen
diskutiert. So sprach sich z.B. Peter Sloterdijk bei einer Veranstaltung zur
Kritik des Humanismus durch den nationalsozialistischen Paradephilosoph Martin
Heidegger für eine vorgeburtliche Selektion aus: "Ob aber die langfristige
Entwicklung auch zu einer genetischen Reform der Gattungseigenschaften führen
wird - ob eine künftige Anthropotechnologie bis zu einer expliziten Merkmalsplanung
vordringt; ob die Menschheit gattungsweit eine Umstellung vom Geburtenfatalismus
zur optionalen Geburt und zur pränatalen Selektion wird vollziehen können
- dies sind Fragen, in denen sich, wie auch immer verschwommen und nicht geheuer,
der evolutionäre Horizont vor uns zu lichten beginnt" (Sloterdijk
1999, S. 15)
Und natürlich werden da Erinnerungen wachgerufen an die faschistische Vernichtung
von als nicht "lebenswert" bezeichnetem Leben. Gerade im thematischen
Kontext der Veranstaltung, denn Heidegger war Philosoph der nationalsozialistischen
Massenvernichtung. Heideggers Idealisierung des Todes und des Nichts waren eine
philosophische Dimension des Naziterrors. Auschwitz steht symbolisch für
das, was Heidegger in seiner Philosophie herbeisehnte. Die bei den Massenvernichtungen
Ermordeten waren für Heidegger vielleicht auch nichts anderes als "Platzhalter
des Nichts", deren "Sein zum Ende und zum Tode" gekommen ist.
Die Nazis und in ihrer Gefolgschaft das österreichische sowie das deutsche
Volk machten Schluß mit der Verdrängung des Todes, ganz so wie Heidegger
es wollte. Der Tod wurde nicht verdrängt oder hinausgeschoben, sondern
durch die Massenvernichtungen und den Massenmord an Millionen von Menschen durch
die Deutschen und Österreicher in die Realität umgesetzt. Als "nicht
lebenswert", d.h. nicht ökonomisch leistungsfähig, könnten
eben in naher Zukunft z.B. behinderte Kinder eingestuft werden. Und aus gerade
diesem Grund sind Beiträge wie jene von Sloterdijk so gefährlich.
Würden sie nämlich geistige Hegemonie erlangen, so stünde einer
neuen Eugenik tatsächlich nur mehr wenig im Weg.
In letzter Instanz ist die kapitalistische Produktions- und Reproduktionsweise
immer mit Körperkontrolle verschränkt. Es geht dabei immer um die
Beherrschung und Ausbeutung von Individuen, eine Basis dabei stellt deren körperliche
Arbeit dar. Dies bezieht sich nicht nur auf Männer und Frauen in Lohnarbeitsverhältnissen,
sondern vor allem auch auf die meist weibliche Reproduktionsarbeit, also auf
die patriarchale Dimension des Kapitalismus. Der weibliche Körper wird
dabei naturalisiert, und es werden ihm angeblich typische weibliche Tätigkeiten
eingeschrieben. Und diese sind eben zumeist unbezahlt oder schlecht bezahlt,
ohne soziale Absicherung und ohne Möglichkeit der gewerkschaftlichen Organisation
- d.h. besonders ausbeutbar. Agent dieser Ausbeutung ist nicht nur das Kapital,
sondern auch der männliche Lohnarbeiter, der sich nur dadurch reproduzieren
kann, daß diese Arbeit von Frauen unbezahlt ausgeführt wird. Der
männliche Lohnarbeiter ist dreifach "frei": Frei von den Produktionsmitteln,
mit denen er arbeitet, und den Produkten, die er herstellt. "Frei",
seine einzige Ware, die Arbeitskraft, auf den Arbeitsmarkt zu schmeißen.
Und frei von der Haus- und Reproduktionsarbeit, die zumeist von den Frauen übernommen
wird (3). Damit haben wir nun den Kontext
zum Verhältnis von Körper und der Rolle weiblicher Arbeit im Kapitalismus
hergestellt. Bedeuten die Entwicklungen in der Humantechnologie die Chance auf
Emanzipation aus patriarchalen Verhältnissen? Oder verschärfen sich
dadurch bestehende Herrschaftsverhältnisse, in denen Frauen ausgebeutet
werden? An Hand der Diskussion verschiedener Ansätze sollen nun die diversen
feministischen Auffassungen zu diesen Fragen diskutiert werden.
2. Entkörperlichung als Emanzipation vom kapitalistischen Patriarchat?
Donna Haraway: Entkörperlichte Cyborgs
Eine wesentliche Vertreterin des Gedankens der Emanzipation durch
Entkörperlichung ist die postmoderne Feministin Donna Haraway, die den
Begriff des/der Cyborg(s) geprägt hat (siehe Haraway 1995a, 1996, 1997;
zur Kritik z.B. Fuchs 1998): "Cyborgs sind kybernetische Organismen, Hybride
aus Maschine und Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit
wie der Fiktion" (Haraway 1995a, S. 33). Cyborgs sind also Mischungen aus
Maschinen und Menschen, die es derzeit tatsächlich und in Vorstellungen
oder Zukunftsvisionen gibt. Dies deutet auch bereits Haraways Faible für
Science Fiction an. In der Science Fiction gibt es unzählige Cyborgs, beispielsweise
die Borgs bei Star Trek. Derzeit käme es beispielsweise in Militär,
Medizin oder in der Form von Cybersex zur Überschreitung der Grenze zwischen
Mensch und Maschine. Mit der Cyborgmetapher versucht Haraway Veränderungen
in unserer Gesellschaft zu beschreiben und Vorstellungen über die Zukunft
zu entwickeln. Dazu gehört die Vorstellung, daß Cyborgs "Geschöpfe
in einer Post-Gender-Welt" (Haraway 1995a, S. 35) sind. Es geht ihr also
um die Auflösung der Grenze zwischen Mann und Frau, da unter den herrschenden
Bedingungen Gender als soziales Geschlecht eine Kategorie sei, entlang derer
sich Ungleichheiten manifestieren. Es geht ihr also um eine Vision, in der diese
Ungleichheiten, die Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen zu Folge
haben, aufgehoben sind. "Es geht darum zu lernen, uns daran zu erinnern,
daß wir [...] körperlich immer noch anders werden können"
(Haraway 1996, S. 365). Mit den technologischen Entwicklung, die immer stärker
zu einer Entkörperlichung führen, ist auf Grund der hybriden Identität
der Cyborgs - d.h. der Unmöglichkeit einer geschlechtlichen Zuordnung -
bei Haraway die Vision einer Gesellschaft ohne geschlechtsspezifische Unterdrückung
verbunden.
Der Begriff des/der Cyborg(s) wurde von Clynes/Kline (1960) geprägt. Sie
dachten, daß für die Raumfahrt Hybride aus Mensch und Maschine notwendig
seien, damit diese in außerirdischen Welten überleben können.
Cyborgs seien "self-regulating man-machine-systems".
Evelyn Fox Keller (1996a) weist darauf hin, daß bereits Norbert Wiener
über die Austauschbarkeit von Organismen und Maschinen sprach. Eine Verkettung
von Mensch und Maschine stellte er sich vor, indem er davon sprach, daß
es "theoretisch möglich [sei], ein menschliches Wesen durch eine Telegraphenleitung
zu schicken" (Wiener 1964, S. 35). Durch die neuen technologischen Entwicklungen
in den Bereichen der Virtual Reality, des Artificial Life und der Biotechnologie,
so Fox Keller, komme der Mensch dieser Vision Wieners ein Stück näher.
Die Computertechnologie bringe eine Entkörperlichung mit sich: "Im
späten 20. Jahrhundert ist es der Computer, der unsere Vorstellungskraft
beherrscht, und der uns von diesem sonderbaren Ausdruck, daß der Mensch
einen Körper habe, befreit" (Fox Keller 1996a, S. 329).
Als wesentliche Thesen aus Haraways "Manifest für Cyborgs" lassen sich folgende festhalten:
Sowohl marxistischer als auch radikaler Feminismus analysieren die Unterdrückung von Frauen nur an Hand von sehr engen Kategorien (Klasse/Lohnarbeit im ersten Fall, Sexualität im zweiten) und grenzen sich von anderen Richtungen ab. Eine Einheit sei aber in der derzeitigen gesellschaftlichen Situation mehr als notwendig.
Eine solche Einheit könne unter der Verwendung der Cyborg-Metapher geschaffen werden, da es damit möglich sei, Veränderungen von Klasse, Rasse und Gender zu analysieren und so umfassende politische Identitäten zu schaffen.
EinE Cyborg überschreitet Grenzen, ist ein Hybrid aus Mensch und Maschine.
Durch Biotechnologie und neue Kommunikationstechnologien wird der "rassistische, männlich dominierte Kapitalismus" (Haraway) so verändert, daß eine "Informatik der Herrschaft" entsteht, in der Frauen mit neuen Formen der Unterdrückung konfrontiert sind. Vernetzung wird dabei zu einem immer wichtigeren Moment. Durch die neuen Technologien verwischen sich zunehmend die Grenzen zwischen Mensch und Maschine.
Die feministische Science Fiction liefert Erzählungen, die Basis für eine Vision einer zukünftigen Cyborg-Gesellschaft ohne Gender sein können, in der es also keine Grenzen und Unterschiede zwischen Mann und Frau und somit auch keine Frauenunterdrückung gibt. Die Arbeit Haraways kann als Vermischung von Theorie und Fiktion gesehen werden.
Worum es in Haraways Arbeit geht, faßt sie in der Formel
Anspruchsloser Zeuge@Zweites Jahrtausend. FrauMann© trifft OncoMouseTM
(so der Titel von Haraway 1996 und 1997) zusammen: Der anspruchslose Zeuge
steht für den bürgerliche Vernunftmenschen, der Inhalte unkritisch
hinnimmt. Ihn will sie mit ihrer Theorie in seinem Vertrauen in die Moderne
stören. In der Wissenschaft glaube dieser Zeuge an die Existenz einer objektiven
Realität. Das moderne Wissen sei ein typisch männliches, zum Schutz
der bürgerlichen Männlichkeit sei unmännlich mit unzivilisiert
und dunkelheutig mit wild gleichgesetzt worden. Wissen sei in dieser patriarchalen
Moderne nur Wissen des weißen Mannes. Heute ginge es um Diffraktion, die
Herstellung von Differenzstrukturen (Haraway 1996, S. 361). Die Dekonstruktion
des männlichen Wissens und der männlichen Wissenschaft seien durch
den Aufbau eines situierten Wissens notwendig (Haraway 1995b): Dies müsse
ein Begriff sein, der "den Standpunkt der Unterworfenen" einnimmt
und "eine Perspektive aus der Position der weniger Mächtigen"
(Haraway 1995b, S. 83) sei. "Unterworfene Standpunkte werden bevorzugt,
weil sie angemessenere, nachhaltigere, objektivere, transformierendere Darstellungen
der Welt zu versprechen scheinen" (Haraway 1995b, S. 84). Totalisierung,
die Betonung einer einzigen Sichtweise und Ablehnung anderer Sichtweisen (dies
wirft sie dem radikalen und dem marxistischen Feminismus vor) seien der falsche
Weg, notwendig seien politische Solidaritätsnetzwerke, "heterogene
Vielheiten" (ebd., S. 86) und die "Verknüpfung partialer Sichtweisen
und innehaltender Stimmen zu einer kollektiven Subjektposition" (ebd.,
S. 91). Idealerweise stellt sie sich die Formierung situierten Wissens ähnlich
wie die Methode der Konsensus-Konferenzen vor. Dies ist ein parizipatorisches
und diskursives Verfahren der Technikfolgenabschätzung. Laien diskutieren
mit Experten relevante Fragen neuer Technologien. Die Laien verfassen danach
ein Gutachten, daß der Öffentlichkeit und dem Gesetzgeber zugänglich
gemacht wird (vgl. Brüchler/Simonis/Sundermann 1999).
Wir finden also in Haraways Begriff des situierten Wissens die für postmoderne
Theorien typische Ablehnung einer Vereinheitlichung und die Betonung der Differenz.
Nur durch die Diffraktion und das situierte Wissen könne der anspruchslose
Zeuge "zu einer ihrer selbst bewußten, verläßlichen, antirassistischen
FrauMann werden" (Haraway 1996, S. 362).
Das Zweite Jahrtausend und vor allem der Klammeraffe @ davor steht bei Haraway
für gesellschaftliche Veränderungen. Die neue Technoscience sei deutlich
unterschiedlich von der Moderne. Haraway bezeichnet die gesellschaftlichen Veränderungen,
die durch Bio-, Kommunikations- und Computertechnologie ausgelöst werden,
zwar nicht explizit als Postmoderne, meint aber genau diese Herangehensweise
(vgl. Haraway 1996, S. 367f). Diese Technologien seien einerseits gefährlich,
würden aber andererseits - so wie das menschliche Genom - eine Chance auf
positive gesellschaftliche Veränderungen bieten.
Unter Technoscience versteht Haraway Netzwerke menschlicher und nichtmenschlicher
Akteure, die durch Technologien Allianzen bilden (vgl. Haraway 1997, S. 50).
Mit diesem Begriff bezieht sie sich auf den Technikbegriff Bruno Latours, einem
Vertreter der sozialkonstruktivistischen Actor-Network-Theory (vgl. Latour 1987).
Diese Theorie sieht Menschen und Nichtmenschliches (wie z.B. die Technik) als
gleichberechtigte Akteuere in Netzwerken wie der Wissenschaft. Latour meint,
der Mensch müsse mit Maschinen verhandeln und sie als Verbündete rekrutieren.
Man müsse Gesellschaft und Technik nicht getrennt betrachten, sondern gemeinsam
als Soziotechnologie. Es gehe um eine Trennung der Aufhebungen zwischen Natur/Gesellschaft,
Technik/Sozialem und menschlichen/nichtmenschlichen Akteuren. Da es also auch
bei Latour um die Aufhebung von Trennungen geht, erklärt sich Haraways
positiver Bezug auf diesen Ansatz. Es wird also eine Gleichwertigkeit menschlicher
und nichtmenschlicher Akteure angenommen.
Mit FrauMann© (4) meint Haraway
ein hybrides Wesen, eine Mischung aus Mann und Frau, die kein eindeutiges Geschlecht
besitzt. FrauMann© ist also Cyborg und kommt heute vor allem
in Science Fiction-Erzählungen vor. OncoMouseTM war die erste
genmanipulierte Maus, die verläßlich Brustkrebs bekam. Sie war das
erste lebendige Wesen, das in den USA durch ein Patent geschützt wurde.
Daher Trademark. Typisch für die Biotechnologie sei heute die Herstellung
transgener Organismen durch die Übertragung von Genen einer Art auf eine
andere. Dies stellt Haraway in einen antirassistischen Kontext, da die Reinhaltung
der Körper und der Abstammung Basis rassistischer Diskurse sei (Haraway
1996, S. 374f; Haraway 1997, S. 60f). Dabei zeigt sich jedoch, daß Haraway
dazu neigt, Kritik an der Biotechnologie - die sie selbst allerdings auch für
notwendig erachtet - damit abzutun, daß sie KritikerInnen in einen rassistischen
Kontext mit Vertretern der Ideologie einer "reinen Rasse" stellt (siehe
Haraway 1997, S. 61f).
FrauMann© und OncoMouseTM sind beide Geschöpfe
von genetischen Technologien, technisch manipulierte Körper. Beide, so
Haraway, kommen nur durch Grenzüberschreitungen zustande und ihr Sein bedeute
heute, Ware zu sein. Sie seien zwar Ergebnis der Moderne, aber bereits Hinweis
auf eine postmoderne Welt ohne Frauenunterdrückung und Unterdrückung
im Allgemeinen.
"OncoMouse und FrauMann sind im Schoß der Moderne und der Aufklärung gereift, aber ihre Existenz bringt die Matrix ihres Ursprungs durcheinander. Natur und Gesellschaft, Tier und Mensch: Beide Begriffspaare kollabieren. Die große Trennung zwischen Mensch und Natur sowie ihre Konsequenzen für die Geschlechter, die die Geschichte der Moderne begründete, ist durchbrochen worden [...] Reinheit der Rasse, Reinheit jeder Art, die große weiße Hoffnung der heliozentrischen Aufklärung auf ein wahrhaft autochthones Europa, der Traum des Mannes von der Selbstgeburt - alle wurden von einer Bastard-Maus und einer Ansammlung einander ebenbürtiger, unmännlicher, erfundener Menschen zerstört. Ich finde das sehr erquicklich" (Haraway 1996, S. 385).
Trotz Haraways äußerst positiven Bezug auf die Gentechnologie,
kann nicht davon ausgegangen werden, daß sie die Gefahren dieser Technologie
völlig unkritisch sieht. So prägt sie beispielsweise den Begriff des
Genfetischismus, um sich gegen die typisch rechte Zuschreibung und Reduktion
von menschlichen Eigenschaften - die sich eigentlich im Rahmen sozialer Beziehungen
herausbilden - auf Gene zu wenden. Solche Zuschreibungen stellen eine wesentliche
Basis des Rassismus dar. Immer wieder gibt es äußerst gefährliche
Beispiele dafür: Vor einigen Jahren meinten beispielsweise die Autoren
der Bell Curve-Studie, daß Schwarze weniger intelligent seien als Weiße
und sich dies aus genetischen Unterschieden erklären lasse.
Marx gebraucht den Begriff des Fetischismus bei der Beschreibung des für
die bürgerlich-kapitalistisch Gesellschaft typischen Phänomens, daß
Eigenschaften, die aus sozialen Verhältnissen entspringen, Dingen oder
Waren als inhärent zugeschrieben werden (siehe Marx 1867, S. 85-98). In
Anlehnung an Marx spricht nun Haraway von Genfetischismus, wenn die aus sozialen
Beziehungen entspringenden Charaktereigenschaften eines Menschen auf dessen
Gene reduziert werden (vgl. Haraway 1997, S. 135-148). "The gene as fetish
is a phantom object, like and unlike the commodity. Gene fetishism involves
'forgetting' that bodies are nodes in webs of integration, forgetting
the tropic quality of all knowledge claims. [...] But the gene is fetishized
when it seems to be itself the source of all value" (Haraway 1997, S. 142ff).
Judith Butler: Die Subversion geschlechtlicher Identitäten
Auf andere Art und Weise, aber Haraways Ansatz nicht unähnlich,
hat sich die postmoderne Feministin Judith Butler (1990) mit der Entkörperlichung
auseinandergesetzt. Es sei ein Fehler, anzunehmen, Frauen hätten einheitliche
Eigenschaften und Interessen. Jede Frau sei ein eigenständiges Individuum.
Frauen würden daher keine einheitliche Gruppe darstellen. Vor allem schwarze
Frauen machten darauf aufmerksam, indem sie auf die Differenzen der Perspektiven,
Identitäten und Erfahrungen zwischen schwarzen und weißen Frauen
aufmerksam machten. Wir finden also auch bei Butler die typisch postmoderne
Betonung von Differenz. Feminismus soll, so Butler, nicht als eine politische
Bewegung agieren, da dies Einheit und allgemeine Ziele voraussetze. Dies sei
aber nicht möglich, da jede Frau einzigartig sei und es nicht ausschließlich
einen einzigen Feminismus geben könne.
Die im Feminismus gebräuchliche Unterscheidung zwischen biologischem (sex)
und sozialem Geschlecht (gender) reproduziere die patriarchalen Dichotomisierungen.
Frauen, so Butler, sollten nicht durch ihr biologisches Geschlecht definiert
werden (also durch ihre Möglichkeit, Kinder zur Welt zu bringen), da dies
eine große Anzahl an unfruchtbaren und noch nicht bzw. nicht mehr fruchtbaren
Frauen ausschließe.
Geschlecht ist für Butler keine fixe Eigenschaft einer Person, sondern
eine Kategorie, die sich in verschiedenen Kontexten und zu verschiedenen Zeiten
wandeln kann. Das Geschlecht sei nicht universell, sondern davon abhängig,
wie sich jemand zu einer bestimmten Zeit benimmt. Es sei daher eine Performanz
und frei-fließend an Stelle einer fixierten Kategorie: "When the
constructed status of gender is theorized as radically independent of sex, gender
itself becomes a free-floating artifice, with the consequence that man and masculine
might just as easily signify a female body as a male one, and woman and feminine
a male body as easily as a female one" (Butler 1990, S. 6).
Notwendig sei heute die Subversion von Geschlecht und Identität (Gender
Trouble). Dies stelle einen Versuch der Aufhebung der geschlechtsspezifischen
Binärisierung in männlich und weiblich dar. Diese frei fließenden
Identitäten sind ein wesentliches Element der Queer-Theorien. Dragkünstler(innen)
sind Butlers wesentliche Metapher für diese Subversion geschlechtlicher
Identitäten. Vor allem im kulturellen Bereich zeige sich durch Stars wie
Madonna oder Boy George eine Ambiguität der Geschlechter. Symbolische Politik
der ästhetischen Repräsentation sei heute quasi eine wichtige Politikform.
Es müsse heute viele Formen der Politik geben, die nicht aufeinander bezogen
werden müßten.
Auf die Möglichkeit der Subversion geschlechtlicher Identitäten im kulturellen Bereich verweist auch Angerer (1995): "Die gesamte Jugend-, Musik- und Modebranche spielt mit blurring boundaries, mit unisex, gay und lesbian look. In der Modebranche gelten Transvestiten - wie RuPaul - als die besten Models für weibliche Kleidung; in der Musik produzieren Michael Jackson, Boy George, Prince und Madonna uneindeutige Geschlechtsidentitäten; Filme wie The Crying Game, M. Butterfly oder Priscilla: Queen of the Desert finden bei einem breiten Publikum Gefallen. Alle diese hier genannten Momente verweisen auf eine Sehnsucht, auf die Sehnsucht dem prison house of gender, spielerisch-performativ zu entgehen".
Wenn wir einen Vergleich zu Haraways Theoriebildung anstellen,
so könnte gesagt werden, daß einerseits Cyborgs als eine Subversion
geschlechtlicher Identitäten im Butlerschen Sinn aufgefaßt werden
können und daß andererseits Butlers Geschlechtsbegriff als Performanz
ein Überschreiten der geschlechtlichen Grenzen zwischen Mann und Frau im
Sinn einer/s Cyborg(s) darstellt.
Die geschlechtliche Ungleichheit ist für Butler von den Sichtweisen geschlechtlicher
Rollen abhängig. Eine Dekonstruktion dieser Wahrnehmungen könne politische
Veränderung herbeiführen und aus der patriarchalen Gesellschaft könne
eine auf Gleichheit basierende werden.
Judith Butlers Ansatz kann als eine Interpretation der Entkörperlichung
als Entgeschlechtlichung gesehen werden. Die Subversion geschlechtlicher Identitäten
ermögliche das Überschreiten der patriarchalen Dichotomisierung zwischen
Mann und Frau.
Sherry Turkle: Virtuelle Entkörperlichung als postmoderne Vielfalt an flexiblen Identitäten
Vor allem Sherry Turkle griff Butlers Ansatz auf, um das Verhältnis
von Identität und neuen Informations- und Kommunikationstechnologien näher
zu bestimmen. Eine Auswirkung der IKT ist nämlich die Herstellung einer
Derealisierung, die Distanz zwischen Realität und Fiktion hebt sich tendenziell
auf, beide verschwimmen: "Fiktion und Realität werden austauschbar,
selbst dort, wo man die Daten eines realen Objekts aufnimmt, da der Computer
eine unendliche Zahl von Bildern produzieren kann" (Raulet 1988, S. 289).
Turkle (1996) betont, daß Multi User Dungeons (MUDs) - dies sind vernetzte
Rollenspiele, die über das Internet gespielt werden - den SpielerInnen
ermöglichen, verteilte und multiple Identitäten auszuprobieren. Die
Identität eines/r UserIn ist damit nicht mehr eindeutig bestimmbar. Turkle
hat untersucht, inwiefern MUDs als Form der sozialen Interaktion Menschen mit
Kontaktschwierigkeiten helfen können, diese Probleme zu überwinden.
Sie gelangte zu dem Ergebnis, daß MUDs hilfreich sein können, soziale
Probleme zu bewältigen, wenn eine Umsetzung der Erfahrungen aus den MUDs
ins reale Leben gelingt. Gelingt dies nicht und sind sie ein Medium der reinen
Flucht, so können sich bestehende psychische Probleme weiter verschlimmern.
Von besonderem Interessen bei den Formen der Herstellung multipler Identitäten
in MUDs ist für Turkle (1998) der Geschlechterrollentausch, das Gender-Swapping:
"Geschlechtertausch stellt eine Gelegenheit dar, Konflikte zu ergründen,
die durch die eigene biologische Geschlechtszugehörigkeit aufgeworfen werden"
(Turkle 1998, S. 345). Durch das Medium des virtuellen Raums kommt es also in
MUDs in dem Sinn zu einer Entkörperlichung, daß nicht mehr eindeutig
feststellbar ist, ob mit einem Mann oder einer Frau kommuniziert wird. Es könnte
daher gesagt werden, daß die Körperlichkeit im virtuellen Raum hinter
die Identitätsbildung zurücktritt. Virtueller und physischer Körper
stimmen nicht mehr notwendigerweise überein. Im Sinn von Judith Butler
könnten MUDs als eine Subversionstaktik geschlechtlicher Identitäten
betrachtet werden.
Die Manifestationen von multipler Identität, so Turkle, würden zu
einer "umfassenden Überprüfung traditioneller, unitärer
Identitätstheorien" beitragen (Turkle 1998, S. 424). Der virtuelle
Raum würde es Menschen ermöglichen, ein flexibles und wandlungsfähiges
Selbst zu entwickeln. Diese Konzeption des Selbst sei als postmodern zu erachten,
da sie eine Vielfalt an flexiblen Identitäten ermögliche. Das Internet
besitze die Fähigkeit, Identitätskonzepte zu verändern. Der postmoderne
Aspekt der Computertechnologie bestehe darin, daß sie ermögliche,
vielfältige Standpunkte einzunehmen. "Ich habe gesagt, die Kultur
der Simulation werde uns möglicherweise dabei helfen, die Vision einer
multiplen, aber integrierten Identität zu verwirklichen, deren Flexibilität,
Elastizität und Genußfähigkeit aus dem freien Zugang zu unseren
vielen Selbsten herrührt" (Turkle 1998, S. 437f). Turkle weist aber
auch auf die Gefahr hin, im Cyberspace verloren zu gehen oder den Bezug zur
Realität zu verlieren.
Sadie Plant: Computertechnologie und Vernetzung als Emanzipation
Eine andere postmoderne Feministin, die sich mit dem Verhältnis
von Körper und Cyberspace auseinandergesetzt hat, ist Sadie Plant (1997,
2000). In der Moderne seien Frauen wie Nachrichten, die von einem Mann zum nächsten
weitergeleitet werden. In einer patriarchalen Gesellschaft würden Frauen
nur als Waren und Medien existieren. Sie seien dafür zuständig, die
Codes der Männer zu entschlüsseln, deren Nummern zu zählen, deren
Kinder zur Welt zu bringen und deren genetischen Codes weiterzugeben. Frauen
seien wie Computer verwendet worden - als Maschinen, die das Patriarchat und
den Nachwuchs reproduzieren helfen sollen.
Durch die Automation der Kommunikation würden sich rhizomatische Netzwerke
ausbilden, in denen Linien wichtiger sind als Punkte. Damit bezieht sich Plant
auf Deleuze und Guattaris Konzept des Rhizoms, mit dem diese vernetzte Strukturen
beschreiben: "In einem Rhizom gibt es keine Punkte oder Positionen wie
etwa in einer Struktur, einem Baum oder einer Wurzel. Es gibt nichts als Linien"
(Deleuze/Guattari 1977). Damit haben Deleuze und Guattari bereits Ende der 70er-Jahre
jene Entwicklungen vorausgesehen, die in den 90ern als Netzwerkgesellschaft
beschrieben wurden. Unsere Gesellschaft, so Manuell Castells (1996), sei heute
durch eine Netzwerklogik geprägt. Wesentliches Moment dieser Logik ist
bei Castells der Raum der Flüsse (Space of Flows). Im Space of Flows zeigt
sich nun die Aufhebung von raum-zeitlicher Entfernung. Er zeichne sich nämlich
durch die zeitlose Zeit und den ortslosen Raum aus. Der Raum der Flüsse
löst die sequentielle zeitliche Organisation durch die Herstellung einer
Gleichzeitigkeit auf.
Die Nachrichten und die Knoten, zwischen denen sie zirkulieren, sind, so Plant,
binär codiert. Der binäre Code sei einerseits zwar auch typisch für
das Patriarchat, andererseits würde durch die heutigen technologischen
Entwicklungen die Zuschreibung einer männlichen Basis und eines weiblichen
Überbaus der Gesellschaft aufgelöst. Der binäre Code als Zuschreibung
von 0 und 1: weiblich und männlich verliere heute seine Gültigkeit.
Die Netzwerklogik zeige sich heute nicht nur in Wissenschaft, Technik und Ökonomie,
auch soziale Bereiche würden sich verstärkt konnektionistisch von
unten nach oben selbst organisieren. Entkörperlichung bedeutet für
Sadie Plant die Möglichkeit, aus dem eigenen Organismus zu entfliehen.
Als Beispiele dafür nennt sie die virtuelle Realität und die englische
Tanzszene (Ravebewegung). Die Dance-Kultur sei ein gutes Beispiel für die
neue Netzwerklogik, da sich in ihr die vorherrschenden Stilrichtungen permanent
verändern.
In der Zeit vor Multimedia hätten die Medien auf den Aktivitäten einzelner
Organe basiert. Im Bereich von Multimedia zeige sich heute das Überschreiten
dieser Grenzen, durch die Konvergenz der Medien komme es auch zu einer Konvergenz
ehemals medial separierter körperlicher Organe. Der Körper sei daher
heute nicht einfach eine Ansammlung von Organen, sondern ein Punkt der Verschmelzung
verschiedenster materieller Flüsse. Die Separation der Individuen von der
Natur und dem Rest der Welt komme dadurch zu einem Ende, jedes System der Herrschaft
habe auf solchen Spaltungen und Separationen aufgebaut. Kontrolle sei nicht
beliebig ausdehnbar und verkehre sich an einem bestimmten Punkt in ihr Gegenteil.
Machtstrukturen, die ihre Macht und Kontrolle immer weiter ausweiten wollen,
würden diese Kontrolle an einem gewissen Punkt unterminieren, da sie eine
von unten nach oben sich selbst organisierende Opposition stimulieren würden.
Die Kontrolle von Frauen betreffend, sei dieser Punkt heute erreicht. Es bestehe
ein enger Zusammenhang zwischen technologischer Entwicklung und der Emanzipation
der Frau: "Just as machines get more intelligent, so women get more liberated!"
(Plant).
Ähnlich wie Plant betont auch Evelyn Fox Keller (1986), daß Hierarchien
ein typisch patriarchales Charakteristikum sind. In ihrer Analyse bezieht sie
sich vor allem auf die Wissenschaft. Es bestehe ein Zusammenhang zwischen patriarchal-hierarchischen
Denkmustern und den Idealen der Naturwissenschaft. Naturwissenschaftler würden
die Natur hierarchisch beschreiben, da sich ihr Denken durch Sozialisierung
in einer patriarchal-hierarchischen Gesellschaft entwickle.
Plant (1997) möchte eine alternative Geschichte der Technologie schreiben.
Betont werden die technischen Errungenschaften, an deren Entwicklung und Durchsetzung
Frauen beteiligt waren. So könne z.B. das Weben, eine für Plant typisch
weiblich besetzte Technologie, als die erste Technologie verstanden werden.
Betont wird z.B. auch, daß eine Frau, nämlich Lady Ada Lovelace -
die Tochter des Dichters Lord Byron -, die erste Programmiersprache entworfen
habe. Dies sei in Analogie zum Webstuhl vor sich gegangen. Daher bestehe eine
Verbindung zwischen Computertechnologie und Weben. Die Geschichte der Technologie,
so wie sie zumeist erzählt und in Büchern publiziert wird, sei eine
typisch patriarchale, die weibliche Leistungen unberücksichtigt lasse und
Technik als etwas typisch männliches darstelle. So wird heute z.B. von
Charles Babbage als dem Erfinder der Differenzmaschine gesprochen, daß
Ada Lovelace dazu ganz wesentliche Beiträge geleistet hat, wird kaum erwähnt.
Die dezentrale Vernetzung sei schon in der Vergangenheit gezwungenermaßen
typisch weiblich gewesen. Vor allem im Bereich der Technologie, aber nicht ausschließlich,
zeige sich heute die Erosion zentralistischer Strukturen (Internet, Vernetzung
etc.). Es bestehe die Möglichkeit, daß die gesamte Kultur auf einen
neuen Organisationsmodus zusteuert, der kompatibler ist mit den Arten des Handelns,
mit denen Frauen in der Vergangenheit konfrontiert waren. Die Zukunft gehöre
kleinen vernetzten Einheiten, die sich dezentral organisieren. Bei den Netzen
des Internets sei dies heute schon der Fall. Bei Plant werde der "Cyberspace
als 'weiblicher Raum' beschrieben, als ein Raum, in dem Frauen sich
von 'Natur' aus besser auskennen, der ihnen in gewisser Weise immer
schon vertraut war, der auf spezifische Weise 'weiblich codiert'
zu sein scheint", so Angerer (1997).
Die typisch weibliche Vernetzung zeige sich heute auch in der Technologie des
Hypertexts. Plants Buch "Zeros and Ones" (1997) ist ähnlich einem
Hypertext strukturiert. Auch hier besteht wiederum ein Bezug, zu Deleuze und
Guattari, die ihr Buch "Tausend Plateaus" nicht linear schrieben,
sondern an verschiedenen Stellen gleichzeitig verfaßten. Es gebe daher
keine sequentielle Reihenfolge der Kapitel, sondern diese könnten in beliebiger
Reihenfolge gelesen werden. Eine solche implizite Hypertextstruktur und die
Tatsache, daß Deleuze und Guattari alltägliche Begriffe neu definieren
und dann in ganz anderen Kontexten gebrauchen, macht ein klares und einfaches
Verständnis ihrer Werke nahezu unmöglich. Eigene Interpretationen
sind notwendig.
Das Internet sei ein Beispiel für eine geordnete Unordnung, ein selbstorganisierendes
System. Es habe keine traditionelle Struktur und verhalte sich fast chaotisch.
Dieses dezentrale Modell ermögliche das Überdenken traditioneller
- d.h. zentralistischer und hierarchischer - Organisationsweisen gesellschaftlicher
Strukturen. In Bezug auf den Computer ist Plant technikoptimistisch. Er ermögliche
verschiedene Einsatzmöglichkeiten. Daraus ergebe sich eine Kompatibilität
ehemals inkompatibler Bereiche.
In Plant (2000) werden Drogen als Kommunikationstechnologien aufgefaßt.
Der Mensch sei ein informationsverarbeitendes System. Drogen würden diese
Informationsverarbeitung verändern und würden in die körperliche
Kommunikation manipulativ eingreifen. Wird der Körper als Kommunikationssystem
betrachtet, so müßten Hormone und Neurotransmitter als chemische
Kommunikationsmedien des Körpers aufgefaßt werden. Durch Drogen könnten
diese Kommunikationen erweitert oder blockiert werden. Sie seien daher chemische
Maschinen, die die körperliche Kommunikation verändern.
Der Cyborg sei nun nicht Resultat der Informationstechnologie oder der Kybernetik,
sondern resultiere aus den Überlegungen zum Einsatz von Drogen im Weltraum.
Denn der bereits erwähnte Aufsatz von Clynes/Kline (1960) beschäftigt
sich u.a. mit der Schaffung von Cyborgs, die in außerirdischen Welten
mittels maschineller Prothesen überleben können. Diese Prothesen sollten
die kontinuierliche Versorgung des Körpers mit speziellen Drogen garantieren.
Drogen sind für Plant Waffen: Als Medizin kämpfen sie gegen Schmerz
und Infektionen. Die Verteidigungsstrategien von Pflanzen würden häufig
auf dem Einsatz von chemischen Substanzen als Waffen basieren. Und auch im militärischen
Bereich seien Drogen schon immer als Waffen eingesetzt worden. Z.B. um die Ausdauer
von Piloten zu erhöhen oder um Kriminalisierungen unerwünschter Gruppen
durchzusetzen. Die Computertechnologie ermögliche es heute, Drogen synthetisch
herzustellen, da die chemische Struktur am Bildschirm genau geplant werden könne.
Plant geht mit ihren Überlegungen noch einen Schritt weiter und stellt
damit den Kontext zum Zusammenhang von Körper und Technologie wieder her:
Wenn es möglich sei, Drogen heute am Bildschirm genau zu planen, müsse
es auch möglich sein, das Gehirn durch Anschluß an einen Computer
zu manipulieren. Sie hält also die Schaffung eines kybernetischen Cyborgmenschen
heute für möglich. Bei dem nun geführten Krieg gegen Drogen (War
on Drugs) gehe es vor allem um die Herstellung eines staatlichen Monopols der
Produktion von und des Handels mit Drogen. Dieser Aspekt der Monopolisierung
sei ein typisches Phänomen für die anhaltende Krise des Kapitalismus.
Differenzdenken in der Theorie der Postmoderne
Allen hier diskutierten Ansätzen ist gemeinsam, daß
sie davon ausgehen, daß die voranschreitende Entkörperlichung Emanzipation
mit sich bringt: Für Donna Haraway stellen die durch Biotechnologie hergestellten
Cyborgs die Hoffnung auf die Emanzipation von geschlechtsspezifischer Unterdrückung
dar. Judith Butler hofft auf die Überwindung solcher Unterdrückung
durch die Subversion geschlechtlicher Identitäten und einer Subversion
im Rahmen von symbolischen und ästhetischen Formen der Politik. Sherry
Turkle verbindet mit der Herstellung multipler Identitäten im virtuellen
Raum die Hoffnung auf eine Vielfalt von Standpunkten. Für Sadie Plant steht
Entkörperlichung für eine Flucht aus dem eigenen Organismus und die
Chance auf technisch vermittelte dezentrale, nichthierarchische, vernetzte und
von unten selbst aufgebaute Organisationsweisen. Postmoderne Theorieansätze
verbinden also offenbar mit der Entkörperlichung die Vorstellung einer
Chance auf Befreiung.
Symptomatisch für solche Ansichten ist Florian Rötzers (2000) Auffassung,
daß Entkörperlichung die Selbstbestimmung der Menschen über
ihre Körper mit sich bringe: "Daher heißt jetzt Emanzipation
nicht nur Befreiung von sozialen Zwängen und Naturbeherrschung, sondern
Selbstbestimmung bis hin zur Gestaltung der eigenen Verkörperung. Und gegen
dieses Recht auf die Gestaltung seiner Kinder werden langfristig die Blockaden
nicht gehalten werden können, die mit dem Bild einer staatlich verordneten
Eugenik verteidigt werden" (Rötzer 2000, S. 12).
Wir haben gesehen, daß postmoderne Feministinnen wie Donna Haraway und
Judith Butler Begriffe wie Differenz und Identität stark betonen. Dies
wendet sich vor allem gegen vereinheitlichende Konzepte wie die Annahme der
Notwendigkeit einer Klassensolidarität in der marxistischen Theorie. Die
postmodernistische Identitätspolitik betont nicht die Aspekte eines gemeinsamen
Kampfes unterdrückter Gruppen, sondern den Kampf um Anerkennung der Identität
bestimmter unterdrückter Gruppen. Steven Best und Douglas Kellner (1997)
unterstreichen in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit der postmodernen Theorie
deren folgende Charakteristika (Best/Kellner 1997, S. 255ff): Die Betonung von
Differenz, Pluralität und Komplexität an der Stelle von Universalismus,
Vereinheitlichung und Totalisierung. Indeterminismus, Unsicherheit, Ambiguität
und Chaos an Stelle von Geschlossenheit und fixen Bedeutungen. Dieser Punkt
betrifft vor allem die Methodologie der Wissenschaft. In epistemologischer Hinsicht
tritt die postmoderne Theorie für die subjektivistische Konstruktion von
Kognition und Wissen ein und wendet sich gegen den Gedanken der Repräsentation,
wie er vor allem von der marxistischen Widerspiegelungstheorie vertreten wird.
Um noch einen näheren Einblick in den postmodernen Feminismus zu bekommen
und eine Kritik anschließen zu können, ist es sinnvoll, einige weitere
Ansätze näher zu betrachten. Donna Haraway bezieht sich mit ihrem
Begriff des situierten Wissens auf Sandra Hardings (1994) strenge Objektivität.
Eine Standpunkt-Theorie des Wissens, so Harding, dürfe nicht von den Erfahrungen
männlicher weißer Europäer oder US-Amerikaner ausgehen, sondern
müsse die Erfahrungen aller Unterdrückten und ausgeschlossenen Gruppen
berücksichtigen. Von verorteter Politik spricht Harding bei Identitätspolitik.
Wesentlich sei heute die Arbeit an der Emanzipation der eigenen unterdrückten
Gruppen, nicht universalistische Ansprüche der Befreiung der gesamten Menschheit
(Butler 1994, S. 289). Dies müsse nun nicht eine vollständige Trennung
der politischen Perspektiven mit sich bringen, vielmehr könnten WissenschaftlerInnen
aus verschiedenen Gruppen auch aus der Perspektive anderer Gruppen denken. So
könne z.B. auch eine weiße Feministin aus der Perspektive einer schwarzen
Feministin denken oder ein Mann aus der Perspektive einer Frau. Weiße
Feministinnen müßten erkennen, wie sie mit den Erfahrungen Schwarzer
verbunden sind. Dies allerdings aus ihrer "eigenen differenten sozialen
Identität heraus" (Harding 1994, S. 299).
Die Generierung emanzipatorischen Wissens müsse immer "vom Leben der
Menschen in den ausgebeuteten, unterdrückten und beherrschten Gruppen ausgehen"
(Harding 1994, S. 293). Menschen, die nicht Teil bestimmter unterdrückter
Gruppen seien, könnten nichtsdestotrotz das von diesen Gruppen generierte
Wissen für sich nutzen. Harding betont, daß nicht jede Frau automatisch
eine Feministin ist und daß auch Männer feministisches Wissen nutzen
und neues generieren können. Jede emanzipatorische Bewegung müsse
ihre Ziele heute aus der Perspektive anderer unterdrückter Gruppen betrachten.
Es sei nicht der Fall, daß jemand eine spezifische Unterdrückung
erfahren haben muß, um sie zu analysieren. Notwendig sei aber der Bezug
auf das von Menschen, die mit dieser Form der Unterdrückung konfrontiert
sind, generierte Wissen.
Eine solche Art der strengen Objektivität setze einige postmodernistische
Programmpunkte in die Tat um. Der Feminismus brauche Wissenschaften, die objektiver
sind als Praktiken der androzentrischen, bürgerlichen Gruppen im Westen,
die Wissenschaft als universell und interessenslos ausgeben (ebd., S. 324).
Insgesamt beharrt Harding auf dem typisch postmodernistischen Differenzdenken,
sie betont differente Identitäten von unterdrückten Gruppen. Jede
Gruppe müsse für ihre eigene Befreiung kämpfen, dabei jedoch
die Standpunkte anderer unterdrückter Gruppen miteinbeziehen.
Auch Evelyn Fox Keller (1986) betont die Notwendigkeit der Differenz und spricht
von einem Respekt vor der Differenz. Differenz unterscheide sich grundlegend
von dem Prinzip der Spaltung und Dichotomisierung, das typisch für die
patriarchale Gesellschaft sei. Sie unterscheidet Erkenntnis, die durch Differenz
zustandekommt, von Differenz, die durch Spaltung entsteht. Differenz ermögliche
den Schutz des Individuellen. Vielfalt, Differenz und Einzigartigkeit müßten
anerkannt werden. Sie spricht sich für ein dynamisches Konzept der Objektivität
aus. Dabei müsse die Differenz zwischen dem Selbst und dem Anderen erkannt
werden. Statische Objektivität setzte im Gegensatz dazu bei einer Trennung
des Subjekts vom Objekt an. Die herrschende Wissenschaft basiere auf einer Entgegensetzung
von Liebe und Wissen, dynamische Objektivität bedeute hingegen eine Form
der Liebe. Typisch patriarchal sei die Zweiteilung der Welt - "in Liebe
und Wissenschaft, Gefühl und Vernunft, Körper und Geist" (Fox-Keller
1996b, S. 41). Fox Keller (1996b) betont, daß für den postmodernen
Feminismus typisch sei, daß er davon ausgeht, daß Frauen und Männer
sowie Körper das sind, was ihnen eingeschrieben wird. Daher handle es sich
beim sozialen Geschlecht um eine soziale Konstruktion, die dekonstruiert werden
müsse. Weiters sei für diese Art des Feminismus der Diskurs der Differenz
wesentlich.
Fox Keller tritt also für eine neue Methodik der Wissenschaft ein, die auf differentem Denken beruht.
Die wesentlichen Thesen der diskutierten Vertreterinnen des postmodernen Feminismus zur Entkörperlichung können folgendermaßen zusammengefaßt werden:
1. Biotechnologie und Entkörperlichung als Chance auf Überwindung geschlechtsspezifischer Unterdrückung, Spaltungen und Grenzen
2. Situiertes Wissen als Wissen(schaft), das/die auf der Seite der Unterdrückten steht und die Differenz der Unterdrückten berücksichtigt
3. Judith Butler sieht Geschlecht als Performanz und Entkörperlichung als die Subversion geschlechtlicher Grenzen durch symbolische und ästhetische Formen der Politik
4. Bei Sherry Turkle kann Entkörperlichung als die Herstellung multipler Identitäten im virtuellen Raum verstanden werden. Dadurch sei ein flexibles Selbst und eine postmoderne Vielfalt der Standpunkte möglich.
5. Sadie Plant betont, daß die Netzwerklogik zwangsweise schon lange typisch für das Handeln von Frauen sei. Sie will die Geschichte der Technik weiblich umschreiben. Heute zeige sich vor allem im Bereich der Computertechnik die Erosion zentraler Strukuren und die Herausbildung dezentral vernetzter selbstorganisierter Strukturen. Diese technische Entwicklung sei eng verknüpft mit der Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderung hin zu mehr Vernetzung und Dezentralisierung. Daraus ergebe sich auch die Möglichkeit der Emanzipation vom Patriarchat.
3. Eine marxistisch-feministische Kritik der postmodernistischen Theorie
Für einen marxistischen Feminismus
Um eine Kritik an diesen Thesen zu formulieren, ist eine nähere
Analyse des Verhältnisses von Kapitalismus und Patriarchat notwendig. Als
Ziele eines marxistischen Feminismus könnte die Aufklärung der Funktionsweise
von Herrschaft und Ausbeutung im kapitalistischen Patriarchats, eine sich daran
anschließende Kritik dieser Verhältnisse und die sich daraus ergebende
Aufhebung aller Klassenverhältnisse formuliert werden.
Für einen marxistischen Feminismus einzutreten, bedeutet nicht, eine Unterscheidung
von Haupt- und Nebenwidersprüchen zu kultivieren. Im traditionellen Marxismus,
angefangen bei Marx und Engels, wurde die Ausbeutung von Frauen nicht ausreichend
berücksichtigt. Das Patriarchat wurde als reines Überbauphänomen
betrachtet, das nach Aufhebung des Klassenverhältnisses von Kapital und
Arbeit von alleine verschwinden würde. Die patriarchale Herrschaft wurde
im Sinn von Althusser zu einem Nebenwiderspruch des Kapitalismus erklärt.
Deshalb aber zu behaupten, daß sich Feminismus gegen den Marxismus wenden
muß und ein feministischer Marxismus niemals möglich sein kann, bedeutet,
daß bürgerliche Dichotomisierung reproduziert werden. Ein marxistischer
Feminismus ist möglich und er kann die Einheit verschiedener Klassenverhältnisse
berücksichtigen, die die kapitalistische Gesellschaftsformation benötigt,
um sich reproduzieren zu können.
Bestehende Ansätze des marxistischen Feminismus haben die patriarchale
Orientierung der marxistischen/ sozialistischen/kommunistischen/anarchistischen
Theorie und Praxis kritisiert. Dies wird häufig in feministischen Kritiken
am Marxismus ausgeblendet. "[For] "Mechanical Marxists"
[...] the only 'real' and important things that go on in capitalist
society are those things that relate the productive process or the conventional
political sphere. From such a point of view, every other part of experience
and social existence - things having to do with education, sexuality, recreation,
the family, art, music, housework (you name it) - is peripheral to the central
dynamics of social change; it is part of the 'superstructure' or
'culture'. Socialist feminists are in a very different camp from
what I am calling 'Mechanical Marxists'. We [...] see capitalism
as a social and cultural totality. [...] we never compartmentalized women off
to the 'superstructure'" (Ehrenreich 1976/1997, S. 68).
Daran schließt sich ein Interesse eines marxistischen Feminismus
an, die Ausbeutung von Frauen als Klassenverhältnis zu beschreiben. Die
Erklärung der patriarchalen Ausbeutung zu einem Nebenwiderspruch resultiert
tatsächlich zu einem guten Teil aus der theoretischen Annahme eines mechanistischen
Basis-Überbau-Modells, in dem die ökonomisch-materielle Basis Kultur,
Politik, Ideologie, Theorie, Religion, Erziehung, Bildung, Sexualität,
Familie, Hausarbeit etc. als Überbauphänomene in letzter Instanz determiniert.
Ein marxistischer Feminismus müßte daher ein solches mechanistisches
Modell durch ein dynamisches ersetzen, um eine Einheit aller Widersprüche
und Ausbeutungsverhältnisse des Kapitalismus beschreiben zu können.
Um dies in Anätzen zu bewerkstelligen, können wir folgende Annahmen
treffen:
Eine Gesellschaft besteht aus den Subsystemen Ökonomie, Politik und Kultur.
Die Ökonomie ist jenes gesellschaftliche Subsystem, in dem es um die (Re-)Produktion,
Distribution, Konsumtion und Allokation von Gebrauchsgütern und Ressourcen
geht. Die Politik ist jenes gesellschaftliche Teilsystem, in der Entscheidungen
über die Lebensumstände der Gesellschaftsmitglieder getroffen werden.
Und die Kultur jenes Subsystem, in dem Ideen, Einstellungen und Meinungen entstehen.
Das sind grundsätzliche Bestimmungen für jede Form der Gesellschaft.
Es zeigen sich jedoch auch spezifische Ausprägungen von Ökonomie,
Politik und Kultur in jeder Phase der gesellschaftlichen Evolution. Die derzeitige
Phase, in der wir leben, ist der Kapitalismus. Ökonomie ist daher in unserer
Gesellschaft heute immer kapitalistische Ökonomie. Und diese basiert auf
der Mehrwert produzierenden Lohnarbeit, die eine Basis einer weiteren Funktionsbestimmung,
nämlich der Realisierung des Profits ist. Weitere grundsätzliche Kategorien
sind das Privateigentum an Produktionsmitteln, der Tauschwert, die Ware, das
allgemeine Äquivalent des Tausches - die Geldform -, das Kapital und sein
permanenter Verwertungs- und Akkumulationsprozeß. Im Kapitalismus tritt
der Gebrauchswert der Güter hinter den Tauschwert. Relevant ist nicht der
gesellschaftliche Bedarf an Gütern, sondern die Aussicht auf Profitrealisierung
durch die Produktion bestimmter Waren. Der Kapitalismus zeichnet sich durch
Antagonismen in den gesellschaftlichen Subsystemen aus.
Kapital und Mehrwert existierten auch bereits vor Existenz der kapitalistischen
Gesellschaftsformation. Das spezifisch Neue des Kapitalismus ist die Selbstzweckhaftigkeit
des Werts (sein permanenter Fluß und seine Vermehrung durch Akkumulation
und Rückkopplung auf sich selbst) durch die Metamorphose und die erweiterte
Reproduktion des Kapitals, in Rahmen derer sich Kapital von Geld- in Warenkapital
verwandelt, die Form von Produktivkapital annimmt und sich schließlich
durch die Mehrwertproduktion in mehr Waren- und Geldkapital zurückverwandelt
wird.
Ökonomie, Politik und Kultur stehen miteinander in wechselseitigen Verhältnissen
und beeinflussen sich daher gegenseitig. Die Kausalität, die diesen Beziehungen
zu Grunde liegt, ist keine mechanistische. D.h., daß nicht jede Wirkung
auf genau eine Ursache zurückzuführen ist. Vielmehr haben wir es mit
einer multidimensionalen Form der Kausalität zu tun: Eine Wirkung kann
viele Ursachen haben und eine Ursache kann viele Wirkungen zu Folge haben. Gesellschaft
ist ein hoch komplexes System, daher können Ursachen und Wirkungen einander
nicht bijektiv zugeordnet werden. Auf Grund dieser komplexen Kausalität
ist es nicht der Fall, daß ein gesellschaftliches Subsystem das Geschehen
in anderen determinieren kann. Gesellschaft folgt daher auch nicht einem simplen
Basis-Überbau-Modell. Es ist jedoch so, daß in der kapitalistischen
Gesellschaft die Ökonomie ein dominantes Verhältnis zu Politik und
Kultur einnimmt. D.h., sie determiniert nicht das politische und kulturelle
Handeln und deren Entwicklung, aber sie beeinflußt sie in so einem Ausmaß,
daß auch Politik und Kultur von der ökonomischen Logik des Kapitalismus
geprägt sind. Derartige Beeinflussungen können aber niemals einen
vollständigen Charakter annehmen, da solche Argumentationen des strukturalistischen
Ökonomismus wenig Spielraum für alternative Entwicklungen lassen und
daher qualitative Veränderung der Gesellschaft prinzipiell ausschließen.
Resultat sind statische und mechanistische Gesellschaftsmodelle. Gesellschaft
als komplexes System ändert sich jedoch dynamisch und unterliegt keiner
mechanistischen Kausalität. Politik und Kultur haben daher auch immer Rückwirkungen
auf den Bereich der Ökonomie.
Die Evolution des Kapitalismus wird daher nicht von der Ökonomie determiniert,
sondern von Ökonomie, Politik und Kultur beeinflußt. Die ökonomische
Prägung ist dabei auf Grund der Dominanzverhältnisse (Ökonomie
dominiert Politik und Kultur) stärker als die poltische und kulturelle.
Die Ökonomie determiniert nicht das Auftreten von Krisen des Kapitalismus,
ökonomische Aspekte spielen aber eine wesentliche Rolle. Genauso existieren
aber politische Krisen, die mit den ökonomischen in Wechselwirkung stehen
können. Bei einer Krise des Kapitalismus kann es sich um ökonomische
oder politische Krise handeln oder um die Einheit von beidem.
Unter Annahme einer derartigen multidimensionalen Kausalität des Kapitalismus
und unter Berücksichtigung der komplexen Wirkungen zwischen gesellschaftlichen
Subsystemen, wird die Ausbeutung von Frauen nicht mehr als ein Überbauphänomen
angesehen, sondern in allen drei gesellschaftlichen Subsystemen angesiedelt
(Ökonomie, Kultur und Politik). Sehen wir uns dies näher an. Zunächst
die ökonomische Dimension:
Der Kapitalismus kann sich nur durch die Aufrechterhaltung antagonistischer
Klassenverhältnisse permanent reproduzieren. Ein Klassenverhältnis
bedeutet eine Ausbeutungs- und Herrschaftsbeziehung zwischen einer ausbeutenden/herrschenden
und einer ausgebeuteten/beherrschten Gruppe.
Es ist offensichtlich, daß zwischen Kapital und Lohnarbeit ein Ausbeutungsverhältnis
besteht. Die Lohnarbeitenden produzieren ein Mehrprodukt, daß sich die
Kapitalisten aneignen und das dem Kapital keine zusätzlichen Kosten verursacht.
Bei Marx wurde die Mehrwertproduktion zur Definitionskategorie beim Klassenbegriff.
Daher wurden z.B. patriarchale Verhältnisse nicht als Klassenverhältnisse
verstanden. Ein Klassenbegriff, der die soziale Fragmentierung und die Prekärisierung
der Lebensverhältnisse im Postfordismus erfassen soll, muß jedoch
eine allgemeinere Festlegung erfahren. Dies wird durch die Verknüpfung
von Klassen- und Ausbeutungsbegriff erreicht. Dadurch ist es auch einsichtig,
daß davon ausgegangen wird, daß es nicht ein, sondern mehrere Klassenverhältnisse
im Kapitalismus gibt. Bei Betrachtung jedes einzelnen Klassenverhältnisses
muß spezifiziert werden, um welche Form der Ausbeutung es sich handelt.
Im Fall des Verhältnisses zwischen Kapital und Lohnarbeit ist die Ausbeutungsdimension
eben dadurch gegeben, daß sich das Kapital die gratis geleistete Mehrarbeit
der Arbeitenden aneignet.
Es kann davon ausgegangen werden, daß es sich auch beim kapitalistischen
Patriarchat um ein Klassenverhältnis handelt. Die Hausarbeit dient der
Produktion und Reproduktion der Lohnarbeit. Als Gegenleistung erhalten die Hausarbeitenden
einen (meist geringen) Anteil des Lohnes der Lohnarbeitenden (oder die Arbeit
muß vollständig gratis geleistet werden), der jedoch niemals die
gratis geleistete Arbeit aufwiegen kann. Im Mehrwert, den das Kapital abschöpft,
findet sich auch die Reproduktionsarbeit, die von den meist weiblichen Hausarbeitenden
geleistet wird, um die zumeist männlichen Lohnarbeiter zu reproduzieren.
Daher beutet das Kapital nicht nur die doppelt "freien" Lohnarbeitenden
aus, sondern auch die unfreien Reproduktionsarbeitenden. Diese nahezu gratis
geleistete Reproduktionsarbeit ist für den Kapitalismus wesentlich, da
es nicht möglich ist, daß alle notwendigen Tätigkeiten bezahlt
werden. Dies würde die Kapitalakkumulation schwer beeinträchtigen
und zusätzliche ökonomische Krisen begünstigen. Um überhaupt
bestehen zu können, benötigt der Kapitalismus daher gratis geleistete
Arbeit. Von einem Ausbeutungsverhältnis kann gesprochen werden, da sich
das Kapital und die Lohnarbeitenden die Reproduktionsarbeit aneignen. Die Lohnarbeitenden
werden zu Ausbeutern, um fähig zu sein, selbst ausgebeutet zu werden. Es
handelt sich hier also um ein Ausbeutungsverhältnis zwischen den Hausarbeitenden
einerseits und Kapital sowie Lohnarbeit andererseits. Der doppelt "freie"
Lohnarbeiter ist eigentlich dreifach "frei", da er auch frei ist von
der Reproduktionsarbeit, die zumeist die Hausfrau (im Postfordismus immer häufiger
unter Mehrbelastungen) übernimmt. Wir können beim kapitalistischen
Patriarchat von einer Produktionsweise und einem Ausbeutungsverhältnis
sprechen.
Rosa Luxemburg (1913) betonte in ihrer Imperialismustheorie nicht nur, daß
Imperialismus bedeutet, daß der Kapitalismus immer weitere Gebiete erfaßt,
sondern auch, daß trotz der ständigen Ausdehnung der kapitalistischen
Produktionsweise und damit des Lohnarbeitsverhältnisses die Nicht-Lohnarbeit
eine wesentliche Rolle im Kapitalismus spielt. Sie meint, daß der Prozeß
der ursprünglichen Akkumulation im entfalteten Kapitalismus nicht abgeschlossen
sei, sondern andauert. Marx sprach davon, daß in der "ursprünglichen
Akkumulation" der Mehrwert durch Gewaltandrohung ausgepreßt wurde
und die Menschen mit eben diesen Methoden in die Lohnarbeit gezwungen wurden
(Enteignung des Landvolkes von Grund und Boden, gewaltsame Verwandlung der Landbevölkerung
in Industrieproletariat). Erst später sei an diese Stelle das Konstrukt
des doppelt "freien" Lohnarbeiters getreten, der "frei"
(d.h. gezwungen) ist, seine einzige Ware, die Arbeitskraft, auf den Arbeitsmarkt
zu schmeißen und der frei ist von den Produkten, die er herstellt (d.h.:
sie gehören ihm nicht). Luxemburg spricht von nichtkapitalistischen Milieus
und Schichten und meint damit Bereiche, in denen die Arbeitenden keine doppelt
freien Lohnarbeitenden sind. Sie vertritt die Ansicht, daß der Kapitalismus
immer wieder nichtkapitalistische Milieus produziert, damit die Akkumulation
des Kapitals überhaupt funktionieren kann.
Im marxistischen Feminismus wurde die Milieutheorie Rosa Luxemburgs aufgegriffen
und die Hausarbeit, die als Reproduktionsarbeit die Reproduktion von Arbeitenden
und Kapitalismus garantiert, als Milieubereich interpretiert. Der marxistische
Feminismus propagiert, daß die billige oder umsonst geleistete Arbeit
von Frauen wesentlich zur Generierung von Mehrwert, der Basis des Profits und
des Kapitalismus, beiträgt. Es wird also versucht, eine Beziehung zwischen
Frauenunterdrückung und Kapitalismus herzustellen. Hausarbeit kann mit
Bezug auf Luxemburg als Milieu interpretiert werden, der Haushalt und die Familie
können als Kolonie angesehen werden (5).
"In den Industrieländern sind die Hausfrauen die idealtypischen Subsistenzproduzenten
und Nichtlohnarbeiter, in den ehemaligen Kolonien sind es hauptsächlich
Frauen und Bauern. Gemeinsam ist beiden, daß die Ausbeutung und Überausbeutung
ihrer Arbeit nicht unmittelbar durch das Lohnverhältnis geschieht, sondern
durch andere Zwänge, und daß ihre Arbeit die Basis darstellt, auf
der die Ausbeutung der sogenannten Lohnsklaven erst stattfinden kann" (Bennholdt-Thomsen/Mies/Werlhof
1992, S. 107, vgl. auch Mies 1996, S. 46-53). Demnach braucht die kapitalistische
Produktionsweise für ihr Wachstum die Ausbeutung von Kolonien wie Frauen,
anderen Völkern und der Natur.
Wir gehen davon aus, daß der Kapitalismus Milieus braucht, die er im Rahmen
einer ursprünglichen Akkumulation äußerst profitabel ausbeuten
kann, um überhaupt existieren zu können. Im Postfordismus kommt es
zu einem verstärkten Ausbau dieser Milieus. Dies stellt einen Versuch dar,
die Profitabilitätskrise und die anhaltende Dauerkrise auf Kosten immer
größerer Teile der Weltbevölkerung zu lösen. Zu diesen
ausgebeuteten Milieus gehört im Postfordismus nicht nur die patriarchale
Produktionsweise, sondern auch die Dritte Welt, prekär Beschäftigte
und rassistische Produktionsverhältnisse.
Menschen, die im informellen Sektor arbeiten, sind wie Hausfrauen, sie sind
eine Quelle unkontrollierter und unbeschränkter Ausbeutung. Diese Informalisierung
und Prekärisierung immer weiterer Teile der Arbeitsverhältnisse in
der derzeitigen postfordistischen Phase des Kapitalismus, also die Verallgemeinerung
der unfreien und marginalisierten Hausfrauenarbeit, wird als "Hausfrauisierung"
bezeichnet (siehe Mies 1996, S. 26-28). Ziel der Hausfrauisierung ist die Einsparung
von Arbeitskosten.
Daß Frauen heute immer häufiger in Lohnarbeitsverhältnissen
anzutreffen sind, bedeutet kein Ende des Patriarchats, wie manche bürgerliche
FeministInnen meinen. Ganz im Gegenteil: Das kapitalistische Patriarchat benötigt
für seine postfordistische Existenzweise in prekären Lohnarbeitsverhältnissen
beschäftigte Frauen, die zusätzlich noch die gratis geleistete oder
niedrig bezahlte Hausarbeit übernehmen und damit einer Vielfachbelastung
ausgesetzt sind. "Frauenarbeit im Postfordismus heißt, rund um die
Uhr für Kapitalismus und Patriarchat zur Verfügung zu stehen"
(Ruf 1990, S. 301).
Die patriarchale Produktionsweise ist Milieu und Kolonie der ursprünglichen
Akkumulation und kann nur durch ein konstruiertes Klassenverhältnis zwischen
ausgebeuteten Reproduktionsarbeitenden und ausbeutendem Kapital bestehen. An
dieser Ausbeutung beteiligen sich häufig auch männliche Lohnarbeiter,
die ihre Arbeitskraft nur durch dieses Ausbeutungsverhältnis reproduzieren
können. Der Lohnarbeiter ist genauso wie der Kapitalist eine Charaktermaske
des Kapitalismus, er erfüllt eine Rolle und Funktion als ausgebeuteter
Ausbeuter. Die patriarchale Produktionsweise ist heute aber nicht das einzige
Milieu ursprünglicher Akkumulation. Betont werden muß, daß
diese Milieus nicht starr sind, sondern einem historischen Wandel unterliegen.
Die immer kleiner werdende Zahl der KernarbeiterInnen (6)
kann ihre Vollzeitarbeitsverhältnisse im Postfordismus nur dadurch aufrecht
erhalten, daß das Kapital dafür sorgt, daß die Arbeitsverhältnisse
der peripheren ArbeiterInnen immer schlechter werden. Die überausgebeuteten
peripheren ArbeiterInnen stellen eine eigene Klasse da, die durch das Kapital
ausgebeutet wird. An diesem Herrschaftsverhältnis beteiligen sich die KernarbeiterInnen
häufig dadurch, daß sie der Spaltung der Arbeitenden Vorschub leisten
und ihren eigenen Vorteil auf Kosten anderer verfolgen. Von einer Solidarität
zwischen Arbeitenden kann daher heute keine Rede sein.
Arbeitende in rassistischen Produktionsverhältnissen werden ebenfalls durch
das Kapital überausgebeutet. Mit Überausbeutung ist gemeint, daß
das Kapital periphere, patriarchale und rassistische Verhältnisse (Kolonien
der ursprünglichen Akkumulation) schafft, um unter deregulierten Arbeitsbedingungen
und unter Minimierung des variablen Kapitals ein Maximum an Mehrwert auszupressen.
KernarbeiterInnen, periphere ArbeiterInnen und Arbeitslose beteiligen sich häufig
an der Aufrechterhaltung rassistischer Herrschaftsverhältnisse, da sie
hoffen, dadurch ihre eigene relativ bessere Situation aufrechtzuerhalten. Daher
stellen rassistisch Ausgebeutete eine eigene Klasse dar, die in einem Ausbeutungsverhältnis
zu Kapital und anderen FördererInnen des Rassismus steht.
Ein weiteres Klassenverhältnis besteht zwischen Zentrum und Peripherie,
da einerseits über den Weltmarkt Armut in der "Dritten Welt"
generiert wird und andererseits der Kapitalexport dazu führt, daß
Mehrwert in den peripheren Räumen produziert wird, der ins Zentrum zurückfließt.
Der Kapitalismus benötigt Milieus ursprünglicher Akkumulation, die
überausgebeutet oder ausgeschlossen werden, damit die Kapitalakkumulation
funktionieren kann und der Kapitalismus seine Reproduktionsfähigkeit garantieren
kann. Als solche Milieus können die patriarchale und die rassistische Produktionsweise,
die Peripherie ("Dritte Welt"), die peripheren ArbeiterInnen und die
Arbeitslosen betrachtet werden.
Ausbeutung und Herrschaft funktioniert nicht einfach so, sondern benötigt
immer eine ideologische Legitimation, die im kulturellen Bereich der Gesellschaft
anzusiedeln ist. Kapitalistisches Patriarchat legitimiert die Ausbeutung von
Frauen, indem diese naturalisiert werden. Es wird den Frauen als inhärente
und "von Natur aus" zukommende Eigenschaften zugeschrieben, daß
sie für Reproduktionsarbeit zuständig sind. Die totalitäre Selbstverständlichkeit
des Kapitalismus besteht darin, daß gewisse Verhältnisse nicht hinterfragt
werden, sondern als selbstverständlich oder als Eigenschaften von Dingen
dargestellt werden. Es ist allerdings nicht selbstverständlich, daß
Frauen als Reproduktionsarbeitende ausgebeutet werden, sondern Notwendigkeit
des kapitalistischen Patriarchats für dessen Reproduktion. Ideologische
Zuschreibungen dienen der Aufrechterhaltung der herrschenden Verhältnisse.
Dabei zeigen sich Dichotomisierungen wie Natur/Kultur, Hand- und Reproduktionsarbeit/Technik,
privat/öffentlich-politisch, Geist/Körper, sanft/aggresiv, unterwürfig/dominant,
friedlich/kriegerisch-zerstörerisch, lebensschöpfend/lebendsfeindlich,
kooperativ/wettbewerbsorientiert, einfühlsam/körperorientiert, emotional/rational,
kreativ/strukturierend, intuitiv/logikorientiert, Liebe/Herrschaft, zurückhaltend/risikobereit,
ängstlich/mutig, dumm/intelligent, hübsch/potent, sexy/männlich,
naiv/selbstbewußt, zurückhaltend/aggressiv etc.
Die Ideologie des kapitalistischen Patriarchats erzeugt derartige Dichotomisierungen,
um jeweils eine Seite als typisch männlich und die andere als typisch weiblich
darzustellen. Dies erfolgt in Verbindung mit Naturalisierungen, dem von Donna
Haraway so genannten Genfetischismus. All diese Eigenschaften werden als in
den Genen von Männern bzw. Frauen befindlich dargestellt. Tatsächlich
entstehen sie jedoch aus sozialen Verhältnissen und sind eigentlich nicht
typisch männlich oder weiblich, sondern werden dies nur durch eine konstruierte
Zuschreibung, die spezifische Zwecke erfüllen soll. Und dieser Zweck ist
die Kontrolle, Beherrschung und Ausbeutung weiblicher Körper. Um Frauen
an spezifische Territorien (vor allem den Bereich der Haus- und Reproduktionsarbeit)
zu binden, werden die ideologischen Konstruktionen, Fetischismen und Naturalisierungen
benötigt, die diese Tätigkeiten als immer schon typisch weiblich darstellen.
Es wird als selbstverständlich dargestellt, daß Frauen sich "wie
Frauen" zu verhalten haben. Und sich wie eine Frau zu verhalten, bedeutet
dabei immer, den Ansprüchen der Männer gerecht zu werden und sich
ihrer Kontrolle im Alltag, der Sexualität und der Ökonomie zu unterwerfen.
Auch Michèle Barrett (1980/1997) betont die Bedeutung von Ideologie bei
der Konstruktion von Geschlecht und den Aspekt der Verbindung zu den ökonomischen
Verhältnissen durch die Rolle, die die Ideologie in der Reproduktion der
Arbeitskraft spielt. Ideologie spiele eine wesentliche Rolle in der Unterdrückung
von Frauen. Barrett betont ein wechselseitiges Verhältnis von kapitalistischer
Ökonomie und Ideologie, um mechanistische Basis-Überbau-Modelle zu
vermeiden. Ideologie versteht sie als eine Kategorie, die für Prozesse
steht, durch die Bedeutung erzeugt, herausgefordert, reproduziert und transformiert
wird (Barrett 1980/1997, S. 93). Gender sei eine sozial konstruierte Ideologie,
die helfe, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die Reproduktionsarbeit
aufrechtzuerhalten.
Im hier vorliegenden Ansatz wird davon ausgegangen, daß die Produktion
von Mehrwert an die Existenz von Milieus der ursprünglichen Akkumulation
- und daher auch an die Reproduktionsarbeit als Form der Ausbeutung - gebunden
ist. Erwähnt werden soll jedoch auch, daß es marxistisch-feministische
Ansätze gibt, die von einer Trennung von Wertproduktion und Reproduktionsarbeit
ausgehen. So formuliert etwa Roswitha Scholz (2000) eine Wertabspaltungs-These:
Die Entstehung des Werts durch abstrakte Arbeit sei überhaupt nur möglich,
indem das als typisch weiblich konstruierte - Sinnlichkeit, Emotionalität,
Hausarbeit etc. - abgespalten, inferior gesetzt und als unbedeutend ausgegrenzt
wird: "Die Wert-Abspaltungsthese behauptet nun [...] eine "Abspaltung"
des Weiblichen, der Hausarbeit etc. vom Wert, von der abstrakten Arbeit und
den damit zusammenhängenden Rationalitätsformen, wobei bestimmte weiblich
konnotierte Eigenschaften wie Sinnlichkeit, Emotionalität usw. der Frau
zugeschrieben werden; der Mann hingegen steht etwa für Verstandeskraft,
charakterliche Stärke, Mut usw. Der Mann wurde in der modernen Entwicklung
in mit Kultur, die Frau mit Natur gleichgesetzt" (Scholz 2000, S. 9).
Wert und vom Wert Abgespaltenes seien dialektisch vermittelt, eine Erfassung
der Abspaltung durch die Wertkritik sei nicht möglich. Zu den abgespaltenen
Bereichen werden z.B. Erotik, Sexualität, Liebe, Gefühle, Emotionen,
Betreuung, Pflege, Konsumtion und Haltungen gezählt. All diese Bereiche
würden sich der Warenform entziehen. Wert und Abspaltung würden sich
wechselseitig voraussetzen, seien also beide Konstitutionsprinzipien warenproduzierender
Gesellschaften.
Wir gehen davon aus, daß die durch Dichotomisierungen als typisch weiblich
konstruierten Eigenschaften und Tätigkeiten von der Wertproduktion eine
ideologische Dimension darstellen, die benötigt wird, um die Wertproduktion
und die ökonomische Ausbeutung der Frauen als Reproduktionsarbeitende zu
legitimieren. Der Kapitalismus benötigt für seine Reproduktion sowohl
die patriarchale Produktionsweise als Milieu der ursprünglichen Akkumulation
als auch die ideologische Konstruktion von weiblichen Typisierungen und deren
Abwertung. Reproduktionsarbeit schafft zwar keinen Wert, ist also keine abstrakte,
mehrwertschaffende Arbeit. Im Sinn von Marx kann sie also unproduktive Arbeit
gesehen werden. Die Mehrwertproduktion ist allerdings vermittelt mit der Reproduktionsarbeit,
sie benötigt die Reproduktionsarbeit, um überhaupt möglich zu
sein. Insofern hat Scholz recht, wenn sie von einer "Wertabspaltung"
spricht. Allerdings ist dieser Begriff irreführend, da er vermittelt, daß
Wertproduktion und Reproduktionsarbeit vollständig voneinander getrennt
sind. Wir sprechen nichtsdestotrotz von einer häuslich-patriarchalen Produktionsweise
der ursprünglichen Akkumulation, da hier immer wieder von Neuem Gebrauchswerte
und Dienstleistungen gratis produziert werden. Und ursprüngliche Akkumulation
bedeutet eben auch, daß Frauen durch gesellschaftliche Zwänge, Kontrolle
und Gewaltanwendung dazu gebracht werden, immer wieder neue Reproduktionsarbeit
zu leisten. Durch die Technisierung des Haushalts sollen Frauen immer mehr Reproduktionsarbeit
in immer kürzerer Zeit leisten, um die Reproduktion der Lohnarbeitenden
zu beschleunigen. Die Existenz von Milieus der ursprünglichen Akkumulation
bedeutet nicht, daß in ihnen notwendigerweise Mehrwert geschaffen wird,
sondern daß die Mehrwertproduktion diese Milieus, in denen nahezu gratis
Arbeit geleistet wird, für den permanenten Reproduktionsprozeß des
Kapitals benötigt.
Die politische Dimension des kapitalistischen Patriarchats besteht darin, daß
nicht nur ideologische Mittel zur Aufrechterhaltung der Ausbeutung und Beherrschung
von Frauen eingesetzt werden, sondern daß auch konkrete Zwangs- und Gewaltmittel
die männlich dominierte Gesellschaftsordnung aufrechterhalten helfen. Dazu
gehören einerseits staatliche Mittel wie Gewaltmonopol, Justiz, Polizei
und Militär und andererseits die männliche Gewalt gegen Frauen im
öffentlichen und privaten Bereich. Die staatliche Dimension zielt auf die
Aufrechterhaltung der herrschenden kapitalistischen Ordnung und damit auch auf
das kapitalistische Patriarchat als zu erhaltenden Status Quo. Die private Dimension
ist ebenfalls politisch, physische, psychische und sexuelle Gewalt gegen Frauen
soll deren Disziplinierung und Unterordnung unter die herrschende Logik sicherstellen.
Die Agenten dieser Gewalt handeln aber nicht bewußt "im Aufrag des
kapitalistischen Patriarchats", sondern werden wiederum durch ideologische
Muster in ihrer Sozialisierung derart geprägt, daß sie Gewalt gegen
Frauen als legitim empfinden.
Eine marxistische Kritik des Postmodernismus
Auf Basis einer solchen Konzeption des marxistischen Feminismus
und der Analyse des kapitalistischen Patriarchats kann nun eine Kritik der bereits
behandelten Ansätze des postmodernistischen Feminismus erfolgen. Postmodernistische
TheoretikerInnen wie Judith Butler und Sadie Plant betonen als politische Perspektiven
vor allem eine Identitätspolitik, die auf dem Repräsentationsfeld
der Kultur stattfindet. Kultur wird zum Repräsentationsfeld von Widerstand
und Auflehnung, Politik zur rein symbolischen Politik. Wurde dem Marxismus häufig
ein (sicher nicht zu rechtfertigender) Ökonomismus unterstellt, so kann
dem Postmodernismus ein Kulturalismus unterstellt werden, der von der Notwendigkeit
politischer Veränderung abstrahiert. Sicherlich ist Kultur ein Feld politischer
Auseinandersetzung. Kultur ist politisch, kann politisch agieren und Politik
hat eine spezifische Form der Kultur. Problematisch ist jedoch die Reduktion
potentieller gesellschaftlicher Veränderung auf den kulturellen Bereich.
Der postmoderne Feminismus konzentriert sich zu sehr auf Identität und
Kultur und läßt kapitalistische Widersprüche und eine Klassenanalyse
außer Acht. "Cultural and identity politics replaced the early focus
on capitalism and class divisions among women" (Gimenez 1998).
Auch die marxistischen Feministinnen Rosemary Hennessy und Chrys Ingraham kritisieren
an Theorien der Postmoderne, daß diese Klassen als wesentliche Strukturmerkmale
des Kapitalismus außer Acht lassen. Sie meinen, daß sich viele postmoderne
feministische DenkerInnen wie Donna Haraway als materialistische Feministinnen
bezeichnen (7), daß ihre Ansätze
aber nur als kultureller Materialismus gesehen werden können, da sie sich
fast ausschließlich auf Ideologie, Staat, kulturelle Praktiken, Bedeutung
und Repräsentation beschränkten. "Cultural materialism rejects
a systemic, anticapitalist analysis linking the history of culture and meaning-making
to capital's class system" (Hennessy/Ingraham 1997a, S. 5). Kultureller
Feminismus konzentriere sich auf die kulturellen Aspekte patriarchaler Unterdrückung.
Diese Art von Feminismus nehme an, daß Frauenunterdrückung nichts
mit den materiellen Produktionsverhältnissen zu tun habe. Hennessy und
Ingraham zählen Donna Haraway explizit zu diesen "kulturellen Feministinnen".
Zum Bereich der Kultur muß gesagt werden, daß Kultur als Kulturindustrie
eine wesentliche Funktion im Kapitalismus erfüllt. Sie ist der ideologische
Versuch, Ohnmacht und Manipulation herzustellen. Aspekte der Kontrolle und Manipulation
durch Massenmedien wurden vor allem von der Frankfurter Schule betont. Theodor
W. Adorno meinte, daß sich der Kapitalismus immer wieder selbst erhalten
kann, sei u.a. Kontrollmechanismen geschuldet.
Der Mensch in der Moderne identifiziere sich immer stärker mit seiner Ausbeutung
und Unterdrückung (Adorno 1970, S. 147). Die Möglichkeiten der Flucht
vor der Erfassung und Bestimmung des Bewußtseins durch Kontrollmechanismen,
so Adorno, schrumpfen immer mehr. Die herrschenden Zustände hätten
sich so weit in die Menschen eingeprägt, daß diese kaum mehr fähig
seien, jene zu verändern. Der Mensch könne durch die soziale Kontrolle
des Geistigen nicht mehr Subjekt seiner Selbst sein. Eine besondere Rolle spielt
dabei für Adorno die Kulturindustrie:
"Automatisch sowohl wie planvoll sind die Subjekte daran verhindert, sich als Subjekte zu wissen. Das Warenangebot, das sie überflutet, trägt dazu ebenso bei wie die Kulturindustrie und indirekte Mechanismen geistiger Kontrolle. Die Kulturindustrie ging aus der Verwertungstendenz des Kapitals hervor" (Adorno 1970, S. 146).
In der "Dialektik der Aufklärung" widmen Adorno
und Max Horkheimer der Kulturindustrie unter dem Titel "Kulturindustrie,
Aufklärung als Massenbetrug" ein eigenes Kapitel: Die Kultur im Kapitalismus
werde immer mehr Massenkultur und zeichne sich durch eine Eindimensionalität
aus. Alle Kultur sei unter dem Monopol des Kapitals identisch (Adorno/Horkheimer,
1969, S. 128). Fernsehen, Rundfunk, Kino und Unterhaltungsmusik seien nichts
als "Schund", "nichts [...] als Geschäft" (Adorno/Horkheimer
1969, S. 129). Durch die so aufgebauten Kanäle der Herrschaft würde
nichts durchgelassen, das dem Begriff des Konsumenten widerspreche. Adorno und
Horkheimer sehen also die Kulturindustrie als ein Medium für die Herstellung
der Einschränkung des Bewußtseins der Menschen, für die Degradierung
der Individuen zu Personen durch Manipulation und Kontrolle und für die
Zerstörung des Selbst.
Die Kulturindustrie halte die Menschen ohnmächtig. Bei diesem Verfahren
sei für jeden etwas vorgesehen, das ihn begeistern kann. Die kulturindustriellen
Erzeugnisse, so Adorno und Horkheimer, erscheinen dadurch differenziert, seien
aber immer das ewig Gleiche in Form von Waren. Die Kulturindustrie konfrontiere
die Arbeitenden in ihrer Freizeit mit den von ihnen selbst hergestellten Waren,
um deren geistige Tätigkeiten zu besetzen, d.h. zu bestimmen. Die Kulturindustrie
verfüge über ihre Konsumenten.
Auch der marxistische Philosoph Herbert Marcuse (Marcuse 1967) argumentiert,
daß die Unterbindung sozialen Wandels mittels einer durch die Technik
vermittelte politische und geistige Gleichschaltung der Menschen für die
fortgeschrittene Industriegesellschaft charakteristisch sei. Ziel dabei sei,
sozialen Protest zu unterbinden. Die Individualität der Menschen werde
unterdrückt. Diese Gleichschaltung sei immer weniger mit direkter Gewalt
und Zwang verbunden, sondern eine ökonomisch-technische. Andererseits geht
Marcuse aber davon aus, daß es durchwegs Kräfte gibt, die "die
Gesellschaft sprengen können" (Marcuse 1967, S. 17).
Diese eindimensionale Welt sei das Gegenteil von einer freien, da eine solche
eine Freiheit von ökonomischer und politischer Kontrolle umfassen müßte.
Erst dann wäre die Wiederherstellung eines individuellen Denkens möglich.
Freiheit im Sinn der freien Auswahl aus einem breiten Spektrum aus Waren und
Dienstleistungen bedeute keine Freiheit, wenn diese Waren die soziale Kontrolle
aufrechterhalten.
Die Menschen würden sich in den Waren wiedererkennen, sie würden für
ihr Auto, ihren Hi-Fi-Empfänger oder ihr Küchengerät leben (Marcuse
1967, S. 29). Durch die Manipulation des Geistes mit Hilfe der Technik, der
Massenmedien und der Waren entsteht, so Marcuse, ein eindimensionales Denken
und Verhalten:
"So entsteht ein Muster eindimensionalen Denkens und Verhaltens, worin Ideen, Bestrebungen und Ziele, die ihrem Inhalt nach das bestehende Universum von Sprache und Handeln transzendieren, entweder abgewehrt oder zu Begriffen dieses Universum herabgesetzt werden" (Marcuse 1967, S. 32).
Adorno, Marcuse und auch Debord (1978) vertreten die These, daß
im Kapitalismus die Manipulation der Realitätswahrnehmung der Menschen
ein wesentliches ideologisches Mittel zur ungestörten Reproduktion der
kapitalistischen Verhältnisse darstellt, das vor allem über kulturelle
Medien hergestellt wird. Ist dies jedoch der Fall, so geht der postmoderne Kulturalismus
von Butler und anderen falsch in der Annahme, daß Kultur ein bevorzugtes
Feld gesellschaftlicher Veränderung sein kann. Die Repräsentation
von Differenz und Veränderung in Warenform kann den Kapitalismus niemals
transzendieren und ihn nur beschränkt ernsthaft kritisieren. Kultur soll
nicht ein gewisser politischer Charakter, der auch eine emanzipatorische Dimension
haben kann, abgesprochen werden. Problematisch ist jedoch die Reduktion von
politischer Emanzipation auf die kulturelle Repräsentation von Identität.
Wir gehen im Gegensatz zum Kulturalismus von einem Primat der politischen Emanzipation
aus.
Auch Nicola Field (1995/1997) betont, daß die logische Konsequenz einer
Identitätspolitik die Kommodifizierung politischer Anliegen sei. Widerstand
gegen Unterdrückung könne nicht erkauft werden. Identitätspolitik
würde die Wurzeln von Unterdrückung und Ausbeutung ausklammern. Kritisiert
wird weiters, daß diese postmodernistische Form der Politik annimmt, daß
nur jene gegen Unterdrückung kämpfen können, die einer spezifischen
Gruppe angehören. Jene, die außerhalb stehen, würden als unverbesserliche
UnterdrückerInnen aufgefaßt. Dies führe zu einem Separatismus
(8). Es käme zu einer reinen Lifestylepolitik,
der Fetischierung und Kommodifizierung von Identitäten.
Carole A. Stabile (1997) kritisiert, daß Identitätspolitik vorschlägt,
daß Identitäten wie Kleidungsstücke gekauft werden können.
Die Kommodifizierung von Lebensstilen und die Vermarktung immer neuerer Konsumnischen
(z.B. spezielle Musik, Kleidung etc. für Homosexuelle oder angeblich durch
kulturelle Praktiken rebellierende Frauen - sogenannte Riot Grrls) enstpringe
aus der Globalisierung des kapitalistischen Weltsystems. Typisch für postmodernistische
Theorien seien antiorganisatorische Vorurteile und die Idealisierung und rebellische
Stilisierung des Kulturellen.
Bei kulturalistischen Feminismen besteht die Gefahr, daß die symbolische
Politik dazu führt, daß der Kauf von Waren als Symbol für gesellschaftliche
Veränderung steht und diese auf einer politischen Ebene außer Acht
gelassen wird. Zwar kritisiert auch Judith Butler (1990) Identitätspolitik
in dem Sinn, daß diese zu neuen Ausschlüssen führen könne,
ihre Alternative lautet allerdings wiederum Identitätspolitik im Sinn einer
kulturalistischen "Subversion" geschlechtlicher Identitäten.
Für die postmodernistische Identitätspolitik läßt sich
sagen, daß sie eben jene Dichotomisierungen, die die kapitalistische Gesellschaftsformation
auszeichnen und durch die sich diese ideologisch reproduziert, nicht aufhebt,
sondern unter veränderten Vorzeichen neu setzt. Unterdrückte Gruppen
beharren dabei auf ihre Identität und Differenz, und es scheint nicht mehr
um die Aufhebung von Herrschaftsverhältnissen zu gehen, sondern nur um
eine Umkehr der Hegemonie - also lediglich um die Schaffung neuer Herrschaftsverhältnisse.
Postmoderne Theoretikerinnen wie Haraway, Butler, Harding und Fox Keller betonen
zwar zu Recht, daß eine vollständige Vereinheitlichung der Interessen
und Ziele unterdrückter Gruppen nicht möglich ist. Dies kann auch
damit erklärt werden, daß vereinheitlichende Herangehensweisen wie
der Traditions-Marxismus oftmals die Unterschiedlichkeit ausgebeuteter Gruppen
nicht ausreichend berücksichtigt und verschiedene Formen der Ausbeutung
als Nebenwidersprüche abgetan haben. Es muß allerdings auch darauf
hingewiesen werden, daß heute die Emanzipation von Ausbeutung, Herrschaft
und Unterdrückung nur durch gemeinsame, vernetzte Aktivitäten aller
ausgebeuteten, beherrschten und unterdrückten Gruppen möglich erscheint.
Im postfordistisch ökonomisch globalisierten Kapitalismus ist Widerstand
nur als globalisierter Widerstand sinnvoll. Damit verbunden ist die Vorstellung
von sich global vernetzenden emanzipatorischen sozialen Netzwerken. In Fuchs
(2000) wurden solche Formen des Protests und des Widerstands als rhizomatische
soziale Netzwerke bezeichnet. Wird wie in postmodernistischen Theorien von einem
Primat der Differenz ausgegangen, so berücksichtigt dies die Notwendigkeit
gemeinsamen Handelns verschiedener unterdrückter Gruppen nicht ausreichend.
Bei der politischen und kulturellen Vernetzung können mehrere Formen unterschieden
werden (vgl. dazu ausführlich Fuchs/Hofkirchner 2000). Eine imperialistische,
die davon ausgeht, daß ein Teil höhere und bessere Qualitäten
als die anderen Teile besitzt und daß sich daher die Aktivitäten
aller nach den Vorstellungen dieses sich als superior erachtenden Teils richten
müssen. Eine solche Herangehensweise bedeutet eine Einheit ohne Vielfalt.
Die typisch postmodernistische Form ist eine dualistische, die die Differenz
der Identitäten der einzelnen Teile betont und daher gemeinsames Vorgehen
für unmöglich und als nicht wünschenswert erachtet. Dies bedeutet
eine Vielfalt ohne Einheit. Eine dialektische Position wäre jene der Einheit
in der Vielfalt: Das potentiell emanzipatorische Subjekt ist heute nicht eine
Klasse, sondern die globale, vernetzte Einheit in der Vielfalt aller Klassen
und unterdrückten Gruppen.
Vernetzte, emanzipatorische soziale Bewegungen müssen nicht homogene Interessen
haben und auf eine Homogenisierung ihrer Politik abzielen, um eine gemeinsame
politische Perspektive zu erlangen. Sie müssen auch nicht auf ein Zulassen
aller möglichen politischen Richtungen - ein anything goes - innerhalb
ihres rhizomatischen Netzwerkes hinarbeiten. Vielmehr können sie eine dialektische
Einheit in der Vielfalt betreiben, d.h. daß sie einerseits die Unterschiede
in ihren politischen Herangehensweisen und Vorstellungen sowie in der Ausprägung
in ihren spezifischen lokalen und regionalen politischen Situation betonen können
und andererseits aber nichtsdestotrotz gleichzeitig eine gemeinsame Perspektive
entwickeln können, indem sie das Verbindende betonen, herausarbeiten und
als ein Leitbild der politischen Praxis verwenden. Eine solche Herangehensweise
ist auch das Muster der dialektischen Form der kulturellen Globalisierung, die
sich von reduktionistischen, projektionistischen und dualistischen Arten unterscheiden
läßt.
Die Kulturwissenschaftler Steven Best und Douglas Kellner (1997) sehen eine
solche politische Position als Synthese von moderner und postmoderner Politik.
Es sei eine Einheit von Herangehensweisen der "modernen Politik" wie
die Betonung von Solidarität, Allianzen, Konsens, universellen Rechten
und einer Makropolitik sowie von Herangehensweisen der "postmodernen Politik"
wie die Betonung von Differenz, Pluralität, Multiperspektivität, Identität
und einer Mikropolitik notwendig. Eine solche Dialektik von Moderne und Postmoderne
könne bei der Lösung der großen politischen Probleme fruchtbar
sein.
Einheit in der Vielfalt bedeutet in Bezug auf emanzipatorische Veränderung,
daß sämtliche ausgebeuteten und unterdrückten Klassen (wir können
antagonistische Klassenverhältnisse zwischen Kapital/Lohnarbeit, Kapital
+ KernarbeiterInnen/peripheren ArbeiterInnen, Kapital + Männern/Reproduktionsarbeitenden,
Kapital + andere FördererInnen des Rassismus/rassistisch Ausgebeutete,
Zentrum/Peripherie unterscheiden) und Gruppen eine gemeinsame Perspektive eigentlich
dadurch haben, daß ihre Beherrschung spezifische Funktionen innerhalb
des kapitalistischen Weltgesellschaftssystems erfüllt.
Es wäre also notwendig, daß all diese Gruppen global ihre Verbundenheit
erkennen und darauf basierend eine solidarische emanzipatorische Praxis entwickeln.
Eine solche Einheit bedeutet aber nicht Homogenisierung. Denn sehr wohl müßten
die unterschiedlichen Identitäten, Ziele, Erfahrungen und Perspektiven
der einzelnen Gruppen ausreichend berücksichtigt werden. Hier ist die postmodernistische
Differenz dann doch von Bedeutung. Wird allerdings entweder Vereinheitlichung
oder Differenz total gesetzt, so ist das Resultat entweder projektionistische
Überheblichkeit oder postmodernistische Separation und Zersplitterung.
Notwendig wäre also eine Dialektik von Differenz und Vereinheitlichung
in der Möglichkeit politischer Veränderung. So könnten Gemeinsamkeiten
und Differenzen von z.B. schwarzen FeministInnen, weißen mitteleuropäischen
LohnarbeiterInnen, Homosexuellen (9), Arbeitslosen,
prekär Beschäftigten, Reproduktionsarbeitenden, indischen Bäuerinnen,
mexikanischen Indigenas etc. gleichzeitig ausreichend berücksichtigt werden.
Knapp (1996) weist berechtigterweise darauf hin, daß die neue Rechte den
postmodernistischen Differenzdiskurs aufgreift, um eine Differenz der Kulturen
zu behaupten und rassistische Separationen zu verlangen: "Zunehmend
beunruhigt und irritiert mich die Vereinnehmbarkeit des auch in der feministischen
Diskussion populärer werdenden 'Differenz-Denkens' durch rechte
Politiker, die sich dabei [...] auf die 'postmodernen Philosophen'
beziehen. Wie beispielsweise in einem Interview mit Armin Mohler, Bibliograph
der sogenannten Konservativen Revolution, REP-Parteigänger und Kolumnist
der Jungen Freiheit, mit dem Gründer der 'Nouvelle Droite'
Alain de Benoist, der [...] von der 'Anerkennung der Differenz'
als Grundelement einer rechten Kulturrevolution spricht" (Knapp 2000, S.
140f).
Roswitha Scholz (2000) betont als Kritik am postmodernen Feminismus den
Zusammenhang von Differenz-Denken und Neoliberalismus: "In den letzten 30 Jahren hat im Zuge einer umfassenden Computerisierung,
Medialisierung und auch Kommerzialisierung ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden,
der für gewöhnlich mit soziologischen Begrifflichkeiten wie 'Individualisierung',
'Freisetzung aus traditionellen (Geschlechts-)Rollen', 'Flexibilisierung
von Biographien', 'Pluralisierung der Lebenswelten und -stile'
umschrieben wird. 'Differenzen' - seien sie individueller, 'ethnischer'
oder sexueller Art - gewannen in diesem Zusammenhang vermittelt über die
kulturell-symbolisch-ästhetische Dimension zunehmend an Bedeutung. Postmoderne
und poststrukturalistische Konzeptionen reflektieren diese Entwicklung, allerdings
nicht kritisch [...], sondern ausgesprochen positiv" (Scholz 2000, S. 6).
In welche Richtung die neoliberale Betonung von Differenz geht, zeigt sich heute
immer deutlicher: Massenarmut, Massenarbeitslosigkeit, Nationalismus, Rassismus
und eine Prekärisiserung immer größerer Teile der Weltbevölkerung.
Zur Kritik an Donna Haraway muß gesagt werden, daß sie genauso wie
Sadie Plant technologisch deterministisch argumentiert. Von einer technischen
Entwicklung (in diesem Fall der Entkörperlichung durch das Überschreiten
der Grenzen zwischen Mensch und Maschine) wird die Emanzipation vom Patriarchat
erwartet. Sie wendet sich zwar gegen den Fetischismus in Form des Genfetischismus,
argumentiert jedoch selbst technikfetischistisch.
Technik ist die zweckmäßig orientierte Einheit der Mittel, Verfahren,
Fertigkeiten und Prozesse, die notwendig sind, um definierte Ziele zu erreichen.
Sie steht in jeder Gesellschaft in einem wechselseitigen Verhältnis mit
der Gesellschaft. Technik ist daher wechselseitig vermittelt mit den Antagonismen
des Kapitalismus in Ökonomie, Kultur und Politik. Sie ist Medium und Resultat
dieser Widersprüche. Im Kapitalismus besteht eine Umkehr der Zweck-Mittel-Relation:
Es werden nicht mehr Zwecke identifiziert, zu deren Erreichen Technik ein Hilfsmittel
ist, sondern Technik wird zum Selbstzweck. Ihr Hauptsinn besteht nun in der
effektiven Organisation der Kapitalakkumulation in Form des technischen Produktionsmittels.
Technik dient nicht mehr den Menschen zur Erleicherung ihres Daseins und ihrer
Auseinandersetzung mit der Natur, sondern der effektiven Ausbeutung der Arbeitenden
(und dazu zählen auch die Reproduktionsarbeitenden) durch das Kapital und
der Produktion des Mehrwerts. Sie ist im Kapitalismus Mittel der Herrschaft
und zur Produktion von Mehrwert und ist dadurch in die Widerspruchhaftigkeit
des Kapitalismus eingebunden. Im Kapitalismus ist Technik Herrschaftsmittel
und daher auch Mittel, um die Kontrolle und Herrschaft über Frauen aufrechtzuerhalten.
Wenn Haraway die Gen-, Reproduktions- und Biotechnologien positiv besetzt, so
mißachtet sie den herrschaftsförmigen Charakter der Technik in der
kapitalistischen Gesellschaft.
Technikreduktionistische und -determinstische Argumentationen ignorieren das
wechselseitige Verhältnis von Technik und Gesellschaft und betonen ausschließlich
technisch induzierte gesellschaftliche Veränderungen. Technik ist allerdings
nur ein Mittel, das angewendet wird, um bestimmte Interessen durchzusetzen.
Sie kann weder Emanzipation bewirken noch als die Ursache von Frauenunterdrückung
erachtet werden. Beides kann nur aus sozialen Prozessen bzw. deren praktischer
Aufhebungsbewegung resultieren. Plant und Haraway mißachten dies und schreiben
der Technik an sich emanzipatorische Fähigkeiten zu. Emanzipation ist allerdings
eine soziale Herstellung der Freiheit von Herrschaft. Resultat ist bei Haraway
und Plant ein verdinglichender Technikfetischismus. Technik wird in einer patriarchal-kapitalistischen
Gesellschaft patriarchal-kapitalistisch eingesetzt, dies ist ihr aber nicht
an sich inhärent oder fix eingebaut, sondern entspringt aus sozialen Verhältnissen
und aus dem wechselseitigen Bezug von Technik und Gesellschaft aufeinander.
Die Emanzipation von bestehenden Verhältnissen bringt allerdings nicht
automatisch eine neue, am Menschen orientierte Technik mit sich, erstes ist
aber die Basis der Entwicklung von zweitem.
Als problematisch erscheint auch Haraways Bezug auf die Actor-Network-Theory
von Bruno Latour. Dieser Ansatz ist nämlich ebenfalls ein verdinglichender,
da technische Artefakte als wissenschaftliche Akteure gefaßt werden, die
gleichbedeutend mit WissenschaftlerInnen seien. Wissenschaft wird damit verdinglicht,
Artefakte nicht mehr als aus sozialen Beziehungen resultierend, sondern als
Resultat von Beziehungen zwischen "gleichberechtigten" Menschen und
Dingen begriffen.
Zwar weist Haraway auch auf die Gefahren der Biotechnologien hin, insgesamt
gesehen setzt sie aber viel mehr Hoffnung als Kritik in die neuen Technologien.
Gefahren wie jene einer neuen Eugenik, der Züchtung von willenlosem und
besonders ausbeutbarem Menschenmaterial oder der Schaffung einer neuen Dimension
der technisch vermittelten Beherrschung und Kontrolle von Frauen werden eindeutig
unterschätzt. Haraway verdreht die Argumentation und meint, daß Gegner
der Biotechnologien möglicherweise rassistische Absichten hätten.
Auf ihren Begriff des situierten Wissens trifft genauso wie auf Hardings strenge
Objektivität und auf Fox Kellers dynamischen Objektivitätsbegriff
die formulierte Kritik an postmodernistischen Differenzansätzen zu.
An Judith Butler kann kritisiert werden, daß sie einer kulturalistischen
Identitätspolitik das Wort redet, in der vor allem DragkünstlerInnen
als Subjekt der Veränderung gelten. Die Subversion von Identitäten
ist eben nur für eine kleine Gruppe von Menschen möglich, eine gesellschaftliche
Emanzipation von Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnissen rückt dabei
in den Hintergrund. "Butler fails to illustrate how subversive, 'performative'
acts might play an integral part in the lives of anyone outside a minority of
drag artists and extrovert performers, used to shock tactics and making a statement"
(Young 1998).
"[Es] [...] spricht auch einiges dafür, daß die heutige Attraktivität des Transi-Seins viel mit der Verdrängung des grauen Krisenalltags und der damit zusammenhängenden düsteren Zukunftsaussichten zu tun hat" (Scholz 2000, S. 149).
Auch Sherry Turkle spricht von einer postmodernen Vielfalt der
Standpunkt und läßt mit dieser Betonung von Differenz die bereits
gemachten Einwände und die Notwendigkeit einer Einheit in der Vielfalt
außer Acht. Wie wir gesehen haben, entstehen geschlechtsspezifische Identitäten
im Kapitalismus durch Ideologien, die Frauen bestimmte Eigenschaften zuschreiben
und damit deren Ausbeutung und Beherrschung legitimieren sollen. Auch Turkle
argumentiert technikreduktionistisch und -deterministisch, wenn sie mit der
Zunahme der Bedeutung des Cyberspaces die Hoffnung auf ein flexibles Selbst
verbindet. Eine Aufhebung unterdrückerischer Identitäten kann nicht
alleine durch ein technisches Medium bewerkstelligt werden, sondern nur durch
eine Aufhebung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse in Politik,
Ökonomie und Kultur.
Sadie Plant muß sich wie Judith Butler den Vorwurf des Kulturalismus und
der Reduktion politischen Protests auf eine symbolische Lifestylepolitik gefallen
lassen. Auch ihre Argumentation ist technikdeterministisch, da sie aus dem dezentralen,
vernetzten und antihierarchischen Charakter des Internets gesellschaftliche
Veränderungen in Richtung einer selbstorganisierten und vom Patriarchat
befreiten Gesellschaft ableitet. Wir haben bereits gesehen, daß die Typisierung
von Frauen, d.h. die Zu- und Einschreibung spezifischer Eigenschaften in weibliche
Körper, im kapitalistischen Patriarchat ein Mittel darstellt, um Frauen
an bestimmte Territorien zu binden sowie um ihre Ausbeutung, Kontrolle und Beherrschung
zu legitimieren. Plant betreibt ebenfalls eine solche Typisierung, wenn auch
mit verändertem Vorzeichen: Wurde traditionell Technik männlich besetzt,
um Frauen aus diesem Bereich herauszuhalten und um Technik als Mittel der Kontrolle
und Herrschaft aufrechtzuerhalten, so dreht Plant den Spieß um: Technik,
Vernetzung und Dezentralisierung seien typisch weiblich. Solch positiv besetzte
Typisierungen des Weiblichen wurden auch im radikalen Feminismus immer wieder
benutzt, um auszudrücken, daß eine "bessere" Gesellschaft
eine an angeblich weiblichen Werten orientierte sein müsse. Das Problem
besteht nun aber darin, daß die für bürgerliche Ideologien typischen
Dichotomisierungen nicht aufgegeben werden, sondern einfach nur umgekehrt werden.
Resultat könnte ein matriarchaler Kapitalismus oder ein Femopatriarchat
sein. Die vollständige Aufhebung des kapitalistischen Patriarchats bedarf
nicht nur grundlegender politischer und ökonomischer Veränderung,
sondern muß auch mit einer Aufhebung der bürgerlichen Ideologien
einhergehen, die die herrschende Ordnung legitimieren helfen sollen. Gesellschaftliche
Veränderung muß also Einheit von ökonomischer, politischer und
kulturell-ideologischer Veränderung darstellen, um emanzipatorisch wirksam
zu werden. Typisierungen unter umgekehrten Vorzeichen gehen über die bürgerliche
Ideologiebildung nicht hinaus.
Den hier kritisierten Ansätzen des postmodernen Feminismus ist gemeinsam,
daß sie Entkörperlichung als die Chance auf Emanzipation aus patriarchalen
Verhältnissen verstehen. Nicht ausreichend berücksichtigt wird dabei,
daß es im kapitalistischen Patriarchat vor allem um Körperkontrolle
geht. Die Kontrolle der Körper von Lohn- und Reproduktionsarbeitenden und
StaatsbürgerInnen, um Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse aufrechtzuerhalten.
Daher sollten Entkörperlichung und Biotechnologien nicht vorschnell als
emanzipatorisch betrachtet werden, indem die Einbettung in bestehende politökonomische
Verhältnisse vernachlässigt wird. Es ist vielmehr angebracht, sich
die potentiellen Gefahren der Verschärfung bestehender Herrschaftsverhältnisse
durch neue Technologien und Veränderungen der Körperlichkeit des Menschen
anzusehen.
4. Technik und Entkörperlichung als Herrschaftsmechanismen
Wir haben bereits gesagt, daß Technologie heute patriarchal-kapitalistisches
Herrschaftsmittel ist. D.h. nicht, daß Technik keine positiven Auswirkungen
haben könnte, und es bedeutet auch nicht, daß die Technik an sich
ein Dämon ist, sondern daß das dialektische Verhältnis von Technik
und Gesellschaft im kapitalistischen Patriarchat so eingesetzt wird, daß
Kontrolle über Beherrschte ausgeübt wird. "Als Vermittler von
Macht wird die Technologie [...] in jedem Herrschaftssystem dazu entwickelt
und benutzt, um die Interessen derer, die oben stehen, zu fördern. Für
uns Frauen heißt das, wir müssen die Technologiefrage mindestens
unter zwei Gesichtspunkten untersuchen: unter dem Gesichtspunkt von Klasse und
unter dem Gesichtspunkt von Geschlecht als zwei schwer auf uns lastenden Herrschaftssystemen"
(Cockburn 1988, S. 17).
Technik ist heute typisch männlich besetzt, damit werden Frauen aus höher
qualifizierten Jobs und von der Kontrolle technischen Wissens ferngehalten.
Die Herstellung von Maschinen und die Produktion des dafür notwendigen
Wissens sind heute hochqualifizierte Tätigkeiten. Frauen hingegen finden
sich vor allem in Berufen, die schlecht bezahlt sind, wenig soziale Absicherung
bieten und in denen am ehesten die Gefahr besteht, in Armut oder prekäre
Lebensverhältnisse abzurutschen. Sie sind der technischen Kontrolle ihres
Arbeitsvermögens in einem höheren Ausmaß ausgesetzt als Männer,
da letzte sich verstärkt in hochqualifizierten und planenden Tätigkeiten
und im Management vorfinden. Frauen verrichten zumeist Arbeiten in schlechter
bezahlten und abgesicherten Berufszweigen, haben innerhalb der einzelnen Zweige
weniger Aufstiegschancen und finden sich vor allem auf den untersten hierarchischen
Positionen.
Die kapitalistische Produktionsweise benötigt für ihre permanente
Reproduktion und für die Akkumulation des Kapitals möglichst effektiv
ausbeutbare Arbeitende. Je geringer der variable Kapitalanteil, desto höher
der zu erwartende Profit. Daher ist es ein strukturelles Phänomen, daß
Frauen durch ideologische Zuschreibungen und Typisierungen schlechtbezahlte
und prekäre Arbeitsverhältnisse zugewiesen werden. Ein liberaler Reformismus,
der darauf abstellt, Frauen dieselben Bildungs- und Aufstiegschancen wie Männern
zu ermöglichen, muß scheitern, da das kapitalistisches Patriarchat
die Ausbeutung von Frauen für seine Existenzweise benötigt. Ziel kann
nur die Auflösung der Herrschafts- und Ausbeutungssysteme sein, denen Frauen
und auch Männer ausgesetzt sind. Eine stärkere Teilhabe von Frauen
an der Ausübung von Herrschaft oder die Umkehr der Herrschaftsverhältnisse
kann nicht als emanzipatorisches Ziel erachtet werden. Die Dequalifizierung
und Prekärisierung weiblicher Arbeit entspringt der kapitalistischen Logik.
Sally Hacker (1989) zeigt an Hand der Analyse des Mondragon-Systems, daß
es nicht ausreicht, Arbeit kooperativ und mehr partizipativ zu gestalten, um
patriarchale Arbeits- und Herrschaftsverhältnisse aufzulösen. Vielmehr
bedarf es zuerst einer grundlegenden gesellschaftlichen Veränderung. "Cooperative
workplaces form part of a new democratic society - but they cannot stand alone"
(Hacker 1989, S. 138). Als adäquaten Weg in eine herrschaftsfreie Gesellschaft
sieht Hacker die Strategien des sozialen und feministischen Anarchismus.
Emanzipation bedeutet nicht nur die Aufhebung sämtlicher Herrschaftsverhältnisse
(und damit auch des Patriarchats), sondern auch die Aufhebung der ideologischen
Typisierungen, die Unterdrückte in ihren Positionen festschreiben und naturalisieren
helfen sollen. Die Aufhebung der Typisierung der Geschlechter müßte
also ein Ziel emanzipatorischer Praxis sein. Um eine nichtpatriarchale Gesellschaft
zu ermöglichen, darf Männlichkeit nicht mit Technik, Produktion etc.
und Weiblichkeit mit Reproduktion, Hausarbeit etc. gleichgesetzt werden (oder
umgekehrt!). Die Aufhebung der ideologischen Komponente muß Teil der Aufhebung
der klassen- und geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung sein. Das Ende des Patriarchats
ist nur in Einheit mit der Auflösung von Geschlechtertypisierungen in unserem
Denken vorstellbar.
Steigen nun einige Frauen in höhere Positionen auf, so wird dies nichts
an der global prekären Lage der meisten Frauen verändern. Frauen sind
in Bezug auf die Produktion von und den Umgang mit Technik nicht weniger geeignet
als Männer. Entsprechende Zuschreibungen, die aber das Gegenteil davon
behaupten, sind ideologische Dichotomisierungen, die die Ausbeutbarkeit von
Frauen sicherstellen und legitimieren sollen.
Die Kontrolle der Produktionsmittel ist eine Form von Macht, um andere in Abhängigkeit
zu treiben. Der Kapitalismus basiert nun auf der exklusiven Kontrolle von Produktionsmitteln
und Ressourcen (und damit auch der Technik) durch das Kapital, um Menschen in
Lohnarbeitsverhältnisse zu zwingen. Damit sich die Lohnarbeitenden nun
reproduzieren können, existiert ein weiterer Macht- und Kontrollmechanismus:
Die Kontrolle des Arbeitslohns durch den männlichen Lohnarbeiter, um Frauen
in Reproduktionstätigkeiten zu zwingen. Zwar sind immer mehr Frauen heute
berufstätig, dies bedeutet aber zumeist Mehrfachbelastungen und prekäre
Lohnarbeit gekoppelt mit prekärer Hausarbeit.
Eine ideologische Funktion der Zuweisung von prekären Arbeiten an Frauen
besteht darin, daß Männer diese ählich wie MigrantInnen als
Konkurrenz am Arbeitsmarkt begreifen und häufig die Wut über die eigene
Situation nicht auf das Kapitalverhältnis, sondern auf Frauen und MigrantInnen
projizieren.
Den Zusammenhang von Technik mit Klassen- und Geschlechterverhältnissen
betont auch Gomez (1994). Männer würden die weibliche Hausarbeit auch
über das Design von Elektrogeräten kontrollieren. Diese Kontrolle
würde sich in der männlichen Kontrolle über den weiblichen Körper
fortsetzen. Die Kontrolle weiblicher Körper würde also u.a. durch
technisches Design sichergestellt. Als Beispiel dafür wird genannt, daß
viele Haushaltsgeräte so gestaltet sind, daß sich Frauen bücken
oder hinsetzen müssen, um sie zu bedienen. "Technology presents itself
as an instrument in the hands of men that dramatizes and augments masculine
supremacy" (Gomez 1994, S. 144).
Typisch für die kapitalistische Ökonomie sind zyklische Krisen. Seit
den 70ern kann aus vielfältigen Gründen von einer Dauerkrise des kapitalistischen
Weltsystems gesprochen werden. Natürlich versucht das Kapital durch verschiedenste
Maßnahmen dem Fall der Profitraten entgegenzusteuern. Heute sind derartige
Maßnahmen die neoliberale Politik und eine flexible Akkumulationsstrategie.
Insgesamt gesehen führt dies zur Deregulierung der Rahmenbedingungen der
Kapitalakkumulation, zur permanenten Schwächung der sozialen Absicherung
der Lohnarbeitenden und zum Ausbau prekärer Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse.
Frauen sind von der sich daraus ergebenden Prekärisierung der Lebensverhältnisse
immer größerer Teile der Weltbevölkerung im besonderen Ausmaß
betroffen, da sie sich im Kapitalismus schon immer in sozial besonders prekären
Verhältnissen befunden haben.
Die Profitrate kann durch die Ausweitung von unbezahlter Mehrarbeit erhöht
werden. Traditionell wurde diese Arbeit von Frauen erledigt, da ihre Arbeit
als weniger wert gilt als Männerarbeit. Die Krise des Fordismus ist eine
Krise der relativen Zunahme des Profits. Durch eine Schlechterstellung der Arbeitenden
und die Prekärisisrung immer weiterer Teile der Arbeitsverhältnisse
wurde vom Kapital der Versuch gestartet, die Profitraten wieder zu erhöhen.
Die Folge davon ist die für den Postfordismus typische "Hausfrauisierung":
Immer mehr Beschäftigungsverhältnisse nehmen den Charakter von Frauenarbeit
an (schlecht oder gar nicht bezahlt, keine oder schlechte sozialstaatliche Absicherung
durch Sozialversicherung, Arbeitsrecht und Kollektivvertrag).
Der neue Schub an ökonomischer Globalisierung, den wir heute erleben, bedeutet
nichts anderes, als daß Kapitalkosten durch die Verlagerung von Produktionseinheiten
eingespart werden sollen. Und von der sich daraus ergebenden Überausbeutung
in äußerst niedrig bezahlten und schlecht abgesicherten Arbeitsverhältnissen
sind Frauen wiederum in einem überproportionalen Ausmaß betroffen.
I&K-Technologien können als Medium und Resultat der ökonomischen
Globalisierung betrachtet werden, sie werden für eine Umstrukturierung
des kapitalistischen Weltsystems eingesetzt. Daraus ergibt sich der Zuammenhang
IKT-Globalisierung-Hausfrauisierung. Symptomatisch dafür ist beispielsweise,
daß europäische und amerikanische Elektronikkonzerne bevorzugt in
Asien produzieren. Und von der Überausbeutung in diesen Weltmarktfabriken
sind wiederum vorwiegend Frauen betroffen.
Neue Technologien verbessern also nicht die soziale Situation von Frauen im
kapitalistischen Weltsystem, eher das Gegenteil ist der Fall. "Ebensowenig
wie die neue Technologie das Klassenverhältnis zwischen Kapital und Arbeit
grundsätzlich revidiert - sie kennzeichnet vielmehr nur eine neue Phase
desselben -, ebensowenig revidiert sie die Verhältnisse geschlechtsspezifischer
Herrschaft" (Cockburn 1988, S. 225).
Die wesentliche Streitfrage ist nun, ob Informations- Kommunikations-, Bio-,
Gen- und Reproduktionstechnologie, die zu einer immer stärkeren Entkörperlichung
und Prothesierung menschlicher Körper führen, Frauen von Reproduktionsarbeit,
Unfruchtbarkeit, ungewollter Schwangerschaft, monotoner Lohnarbeit etc. befreien
oder ob sie zerstörerisch wirken und die Herrschaft über Frauen verstärken.
Die Annahme einer emanzipatorischen Wirkung findet sich nicht nur bei Donna
Haraway und Sadie Plant, bereits in den 70er-Jahren argumentierte z.B. Shulamith
Firestone (1975), daß eine künstliche Gebärmutter für Frauen
befreiend wirken würde, da der biologische Unterschied zwischen Frauen
und Männern an der Unterdrückung von Frauen Schuld sei. Frauen müßten
von der "Tyrannei der Fortpflanzung" befreit werden.
Sehen wir uns nun Argumente in, die von KritikerInnen vorgebracht werden, die
den Aspekt von Entkörperlichung und neuen Technologien als Verstärkung
bestehender Herrschaftsverhältnisse betonen.
Maria Mies (1995a) geht davon aus, daß Gen-, Computer und Fortpflanzungstechnologie
nicht für die Förderung menschlichen Glücks entwickelt wird,
sondern um durch die Kapitalisierung des Körpers als Investitionsterritorium
neue Profitmöglichkeiten für das krisengeschüttelte Weltwirtschaftssystem
zu schaffen. Ein Fallen der Profitraten soll also durch das Erschließen
neuer Territorien der Kapitalakkumulation wie dem weiblichen Körper kompensiert
werden.
Es wurde bereits in der Einleitung darauf hingewiesen, daß die Durchsetzung
dieser neuen Technologien oftmals mit ideologischen Konstruktionen zu rechtfertigen
versucht wird. Es wird dabei davon gesprochen, daß Unfruchtbarkeit, ungewollte
Schwangerschaften usw. durch diese Technologien beseitigt werden können.
Es wurde ebenfalls bereits auf die Gefahr einer neuen Eugenik hingewiesen, die
dazu führt, daß z.B. behinderte Embryos durch pränatale Eingriffe
abgetrieben werden, da sie als unwirtschaftlich gelten. Oder daß Alte,
Schwache und Kranke nicht behandelt werden, da sie als nicht mehr ökonomisch
leistungsfähig gelten. Die neuen Technologien sind mit der in einer kapitalistischen
Gesellschaftsordnung sehr realistischen Gefahr verbunden, daß erwünschte
Fähigkeiten und Eigenschaften und unerwünschte definiert werden. Erwünscht
sind dabei immer jene, die die Akkumulation des Kapitals effizienter gestalten
helfen. Die Biotechnologie könnte nun eingesetzt werden, um die "unerwünschten"
Elemente zu selektieren.
Dies wäre eine Rückkehr zum Sozialdarwinismus. Diese von Herbert Spencer
im 19. Jahrhundert entwickelte Übertragung der Darwinschen Evolutionsprinzipien
von der Biologie auf die Gesellschaft ging von der Überlebensfähigkeit
der Stärksten in sozialen System aus. Als Weiterentwicklung entstand die
Eugenik. Eigenschaften, die sich aus sozialen Beziehungen entwickeln, wurden
als in Genen codiert betrachtet. Darauf basierend wurde zwischen höheren
und niedrigeren Rassen unterschieden und argumentiert, daß der Staat eine
Selektionspolitik betreiben müsse, um das Überleben und die Weiterentwicklung
der höheren Rassen zu garantieren. Im Faschismus kulminierte die Eugenik
in der Massenvernichtung von als "nicht lebenswertem Leben" bezeichneten
Menschen.
Die Gefahr einer neuen Eugenik kann nicht einfach als Übertreibung abgetan
werden, sondern besteht auf Grund der Überlegungen, wie der Kapitalismus
immer effizienter gestaltet werden kann, tatsächlich. Techniken wie die
vorgeburtliche Diagnostik (z.B die Amniozentese -Fruchtwasseruntersuchung) können
sehr leicht in eine eugenische Richtung umschlagen.
Eugenikähnliche Herangehensweisen zeigen sich heute vor allem in der Bevölkerungspolitik.
Eine angebliche "Überbevölkerung" und "Bevölkerungsexplosion"
in der "Dritten Welt" wird für Armut verantwortlich gemacht.
Dabei wird davon abstrahiert, daß Armut ein gesellschaftliches Problem
ist, daß ganz wesentlich mit der globalen Dimension der Kapitalakkumulation
des kapitalistischen Weltsystems verschränkt ist. Und es wird nicht berücksichtigt,
daß heute genug für alle vorhanden wäre, aber die kapitalistischen
Eigentums- und (Re-)Produktionsverhältnisse für eine ungleiche Verteilung
sorgen. Die Produktion von Armut wird quasi als genetisch bedingt vorwiegend
Schwarzen als inhärente Eigenschaft zugeschrieben. Dieser Genfetischismus
kann vor allem als ideologische Maßnahme betrachtet werden, die dafür
sorgen soll, daß die bestehenden Herrschaftsverhältnisse aufrechterhalten
werden. Die Bekämpfung der Armut wird heute meist nicht als mit den polit-ökonomischen
Verhältnissen verschränkt begriffen, sondern es werden bevölkerungspolitische
Maßnahmen wie Zwangssterilisationen gesetzt, um den Eindruck zu vermitteln,
daß Schwarze an ihrer Armut selbst Schuld sind. Solche Maßnahmen
sind außerdem rassistisch, da sie zu einer Dezimierung der dunkelhäutigen
Weltbevölkerung beitragen soll. Gleichzeitig werden die großteils
weißen Menschen in den Metropolen des kapitalistischen Weltsystems zur
vermehrten Fortpflanzung aufgefordert. Bonussysteme sollen Anreize dafür
schaffen.
Cyborgisierung, Prothesierung des Menschen sowie Gen- und Reproduktionstechnologie
können sehr leicht in Mittel zur Förderung rassistischer und faschistoider
Verhältnisse umschlagen. Donna Haraway behauptet genau das Gegenteil: KritikerInnen
dieser Technologien wollten quasi "reine Herrenrassen" schaffen. Tatsächlich
besteht jedoch genau die umgekehrte Gefahr, diese neuen Biotechnologien zur
Selektion unerwünschter und als minderwertig betrachteter Bevölkerungsgruppen
einzusetzen, um ein neues Herrenmenschentum zu schaffen.
Eine weitere Dimension ist, daß durch die Schaffung und Züchtung
eines künstlichen Menschen versucht werden kann, besonders leistungsfähige
und willenlose Individuen zu klonen, die umso ausbeutbarer durch das Kapital
sind.
Der menschliche Körper ist im Kapitalismus grundsätzlich Ware, da
die lebendige Arbeitskraft die einzige Ware der Arbeitenden ist. Sie werden
durch ökonomische Verhältnisse gezwungen, ihren Körper an das
Kapital zu verkaufen und ihre Arbeitskraft gegen Lohn zu tauschen. Dies ist
ein struktureller kapitalistischer Zwang, dem sich die Menschen unterwerfen
müssen, um überleben zu können. Weibliche Körper werden
zusätzlich von Männern häufig als ihr Eigentum betrachtet, mit
dem sie wie mit einem Ding umgehen können.
Das enge Verhältnis von Warenförmigkeit und Körper zeigt sich
im Kapitalismus z.B. auch an Hand von Prostitution und der Schönheitsindustrie
samt plastischer Chirurgie. Durch die Fortpflanzungstechnologie bekommt die
Kommodifizierung des Körpers eine neue Dimension. In-Vitro-Vertilisation
oder Leihmutterschaft gehen von den Annahmen aus, daß der weibliche Körper
und seine Organe Waren sind. Der weibliche Körper erhält so eine neue
Dimension des Tauschwerts. Frauen sollen ihre Organe verleihen oder verkaufen,
ein menschlicher Körper, der nun als von der Frau hergestelltes Produkt
betrachtet werden muß, tauscht sich gegen Geld aus. Die menschliche Fortpflanzung
wird damit weiter kommodifiziert. Nicht unrealistisch ist die Negativvision
von Frauen als Gebärmaschinen, die dafür bezahlt werden, daß
sie durch technische Eingriffe und Befruchtung mit genmanipuliertem Sperma Kinder
mit speziellen Fähigkeiten zur Welt bringen. Dies würde bedeuten,
daß die Frau zum menschlichen Fließband wird. Eine andere Dimension
davon wäre die Vorstellung, daß arme Frauen Kinder für Reiche
gebären. Nicht unrealistisch ist, daß es dazu eigene Firmen gibt,
die Frauen als Lohnarbeiterinnen anstellen, diese für das Austragen von
Kindern bezahlen und damit Profit machen. Gena Corea spricht von der Horrorvorstellung
eines "Brutbordells".
"Today, women hire themselves out as surrogates and poor women and women in countries exploited by imperialism put their children up for adoption by people in core capitalist countries in a fashion suggestive of simple commodity production. The money received for their 'product' can be used to buy necessities for their family or other commodities and services they desire (C-M-C)" (Russell 1994/1997, S. 337).
"Ein Argument, daß gegen diese Definition des Körpers als Eigentum spricht, ist die Furcht, daß arme Menschen aus Not gezwungen sein könnten, ihre Nieren und andere Körperteile zu verkaufen" (Mies 1995b, S. 279).
Der menschliche Körper ist im Kapitalismus immer Ware, in solchen Vorstellungen wird er jedoch zur totalen Ware. "Capital has pushed itself into what was once thought to be one of the most intimate - even scred - of human activities: conception, gestation, and birth" (Russell 1994/1997, S. 329).
Fortpflanzungstechnologie wird zumeist als Fortschritt, der Frauen
mehr Wahlmöglichkeiten gibt sowie Erbkrankheiten und Unfruchtbarkeit beseitigen
hilft, angepriesen (10). Tatsächlich
steigt der Druck auf Frauen, perfekte Kinder zu gebären. Unfruchtbarkeit
wird heute als Krankheit definiert, die technisch beseitigbar ist. Tatsächlich
wäre es aber sinnvoll, die sozialen Komponenten der Unfruchtbarkeit, die
sich aus gesellschaftlichen Verhältnissen ergeben, in Betracht zu ziehen.
Dann würde nämlich nicht die technische Machbarkeit im Vordergrund
stehen, sondern ausgehend davon, daß Unfruchtbarkeit nicht ausschließlich
als biologisch, sondern auch als gesellschaftlich bedingt begriffen wird, käme
es vor allem auch auf die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse
an, in denen sich Frauen beherrschen und ausbeuten lassen müssen.
Russell (1994/1997) argumentiert, daß Kinder kriegen eine Form konkreter
Arbeit ist, da dabei Aktivitäten ausgeführt werden, um definierte
Ziele zu erreichen. Eine weitere Kommodifizierung dieser Tätigkeiten sei
nun dadurch gegeben, daß Sperma, berfruchtungsfähige Eier, Leihmutterschaft
etc. sich heute immer häufiger gegen Geld austauschen. "[...] during
in vitro fertilization or surrogacy the relationship among the different people
involved is not direct. Parents, biological and social, are brought into contact
by the activity of technicians, agency workers, and often lawyers. These services
must be paid for. The social character of the activity of joining egg, sperm,
uterus, surrogate mother, or future partents comes about through the introduction
of money" (Russell 1994/1997, S. 335f).
Die weibliche Fortpflanzung bekomme dadurch einen sozialen Charakter, daß
Menschen, die sich eigentlich nicht kennen, in einen derartigen Austausch eintreten.
Fortpflanzung werde dadurch marktfähig und für den Kapitalismus adäquat.
So werde Fortpflanzung als weibliche Arbeit in Beziehung zu anderer sozialer
Arbeit gesetzt und erfahre eine Abstraktion.
Zusammenfassend schließen wir uns hinsichtlich der Kommodifizierung des
Körpers folgender Meinung Kathryn Russells an: "The subsumption of
childbearing labor into capitalist market relations represents an extreme example
of dehumanization and alienation, and it may be laying the foundation for new
forms of exploitation".
Eine weitere Gefahr besteht darin, daß weibliche Körper als Testlabor
für biotechnologische Entwicklungen benutzt werden. Vor allem Frauen, die
in prekären Verhältnissen leben, oder Frauen aus der "Dritten
Welt" wären sicherlich bereit, im Tausch gegen etwas Geld ihren Körper
für derartige Versuchszwecke zur Verfügung zu stellen, um ihre soziale
Situation zu verbessern. Ziel der Forschung wäre dabei, die Kapitalakkumulation
durch den Test an Menschen und die Entwicklung neuer Technologien effektiver
zu gestalten. Auch Desinformationen könnten dabei eine Rolle spielen, indem
Frauen vorgetäuscht wird, daß gewisse Eingriffe in ihren Körper
sinnvoll sind, um bestimmte Limitierungen oder Krankheiten zu beseitigen oder
ihnen vorzubeugen. Die tatsächlichen gesundheitlichen Risiken wären
dabei allerdings nicht abzusehen.
FeministInnen bringen auch immer wieder das Argument vor, daß die neuen
körpermanipulierenden Technologien zur Enteignung des weiblichen Körpers
führen. Die Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper werde
durch gesellschaftliche Zwänge, technische Eingriffe in die Körperlichkeit
vornehmen zu lassen, um bestimmte Vorgaben zu erfüllen (keine behinderten
Kinder, perfekte Kinder, Kinder für Unfruchtbare durch Leihmutterschaft,
In-Vitro-Vertilisation, künstliche Befruchtung etc.), unterminiert. Jene,
die für die neuen Fortpflanzungstechnologien argumentieren, meinen jedoch
genau das Gegenteil: das Selbstbestimmungsrecht der Frau würde technisch
erweitert.
Claudia von Werlhof (1996) argumentiert, daß es in der Frauenbewegung
um Befreiung vom Zwang zum Produktions- und Destruktionswahn des Patriarchats,
um die Herstellung einer Souveränität der Frau ginge. Sie kritisiert
FeminstInnen, die ein Recht auf Abtreibung, Sterilisation, ein eigenes Kind
oder Beseitigung von Unfruchtbarkeit verlangen. Dies bedeute ein Recht, den
weiblichen Körper zu zerstören. Auch die Durchführung dieser
Tätigkeiten durch weibliche Frauenärztinnen etc. verändere grundsätzlich
nichts an der Gewaltanwendung gegen Frauen, es handle sich nunmehr um Gewalt
von Frauen gegen Frauen. Es gäbe ein altes Frauenwissen in all diesen Bereichen,
das an der Stelle der Entwicklung immer neuer Technologien wieder angeeignet
werden sollte.
Die angeblich befreiende Entkörperlichung ist für Werlhof ein neue
Form des Leibeigentums, das Frauen an sich selbst anmelden, um ihren Körper
zu Kapital zu machen. Durch seine heutige Warenförmigkeit werde der für
Werlhof positiv besetzte weibliche Leib (der der Ursprung des Lebens sei) zum
"Körper der gesellschaftlichen Herstellung, letztlich industriellen
Produktion von abstraktem 'Leben'" (Werlhof 1996, S. 89). Im
Patriarchat sei es immer schon um Inbesitznahme, Tötung, Kontrolle, Ausnutzung
und Abtrennung des weiblichen Körpers gegangen. Das Recht auf ein eigenes
Kind bewege sich innerhalb bürgerlicher Eigentumskategorien. Das Recht
auf ein eigenes Kind habe das "'Recht' des Kindes auf Trennung
von der Mutter" mit sich gebracht.
Judy Wajcman (1994) weist darauf hin, daß der weibliche Körper in
der westlichen Medizin als Maschine betrachtet wird. Frauen waren daher schon
immer das Hauptobjekt medizinischer Versuche und Interventionen. Daraus können
wir ableiten, daß die neuen Technologien vor allem als Mittel der Kontrolle
und Beherrschung von Frauen verwendet werden.
Fassen wir kurz zusammen, welche Gefahren KritikerInnen der Biotechnologie beschreiben:
1. die Kapitalisierung des Körpers als Quelle des Profits, um die weitere Akkumulation des Kapitals zu garantieren und der andauernden ökonomischen Krise entgegenzuwirken
2. die Gefahr einer neuen Eugenik und der Selektion von ökonomisch nicht "leistungsfähigen" Individuen
3. die Gefahr der Züchtung besonders leistungsfähiger, willenloser und ausbeutbarer Individuen
4. die weitere Kommodifizierung weiblicher Körper
5. die Gefahr der Benutzung weiblicher Körper als Testlabor für biotechnologische Entwicklungen
6. die weitere Enteignung des weiblichen Körpers und der Fortpflanzungsfähigkeit
Radikalfeminismus und Ökofeminismus begreifen Technik oft
als inhärent patriarchal und fordern eine auf weiblichen Werten beruhende
Technik und Gesellschaft. So meint beispielsweise Maria Mies (1995a): "[Fortpflanzungstechnologien]
können [...] niemals neutral sein, noch können sie frei sein von sexistischen,
rassistischen und letzlich faschistischen Ideologien unserer Gesellschaft. Diese
Ideologien sind in den Technologien selbst verankert und sind nicht bloß
eine Sache ihrer Anwendung" (Mies 1995a, S. 268).
Technik wird von Mies als inhärent patriarchal begriffen, daher spricht
sie sich für eine Gesellschaft ohne moderne Technik aus, die auf einer
Subsistenzperspektive beruht. Regionale Wirtschaftskreisläufe, die auf
Selbstversorgung beruhen, seien notwendig, um eine ökofeministische Gesellschaft
aufzubauen.
Die der radikalfeministischen Argumentation entgegenstehende Ansicht geht davon
aus, daß Technologie an sich neutral ist. Gen- und Reproduktionstechnologien
seien u.a. eine Chance auf die Bekämpfung der Unfruchtbarkeit, problematisch
sei nur der bestehende institutionelle Rahmen des Einsatzes (11).
Wir haben bereits erwähnt, daß beide Argumentationen als falsch erachtet
werden können. Technik ist weder neutral, noch inhärent herrschaftsförmig.
Mies' technikreduktionistische Argumentation gleicht jener bürgerlicher
Technikdämonisierer wie Schelsky, Ellul, Freyer, Heidegger, Jünger
oder Spengler, die Technik an sich als das Problem erachteten, und ihre Einbettung
in gesellschaftliche Verhältnisse mißachteten.
Andererseits ist Technik aber auch nicht neutral und es ist nicht erst ihre
Anwendung entscheidend, denn dies hieße das jede Technologie - z.B. auch
Kriegstechnologie - positive und negative Auswirkungen haben kann. Bereits der
Prozeß der Technikgenese ist von gesellschaftlichen Interessen strukturiert.
Es verhält sich nun vielmehr so, daß Technik und Gesellschaft in
einem wechselseitigen dialektischen Verhältnis stehen. Technik entsteht
durch gesellschaftliche Prozesse, wird durch gesellschaftliche Interessen geprägt
und wird als Mittel zur Durchsetzung bestimmter Ziele und Interessen eingesetzt.
Und Technik kann auch unvorhersehbare Auswirkungen haben, die sich aus ihrer
Komplexität ergeben. Eine patriarchal-kapitalistische Gesellschaft bringt
eine patriarchal-kapitalistische Technologie hervor. Insofern sind die Bedenken
von Mies und anderen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien berechtigt. Dies
heißt aber nun eben nicht, daß Technik immer nur Herrschaftsmittel
sein kann. Sie ist dies im Kapitalismus, in einer nichtkapitalistischen Gesellschaft
wäre jedoch eine Technik für den Menschen möglich, die ihm seine
Existenz erleichtert. Die Aufhebung des Kapitalismus und seiner Widersprüche
ist eine Basis dafür, jedoch keine hinreichende Voraussetzung. D.h., daß
nicht alle heute entwickelten Technologien automatisch in einer anderen Gesellschaft
positiv angewendet werden könnten. Es bedarf ihrer Umgestaltung oder Neuschaffung
entsprechend den menschlichen Bedürfnissen.
Und gewisse Technologien wie die Kriegsmaschinerie oder die Nukleartechnologie
können niemals positiv eingesetzt werden, da sie immer Zerstörung
und große Gefahren mit sich bringen. In einer anderen Gesellschaft müßte
daher darauf verzichtet werden. Wie ist dies mit den neuen Biotechnologien?
Wie wir gesehen haben, sind sie heute Herrschaftsmittel in einer patriarchal-kapitalistischen
Gesellschaft. Wie wäre dies in einer anderen Gesellschaft? Vorstellbar
ist durchwegs, daß in einer nichtkapitalistischen Gesellschaft bestimmte
Biotechnologien in eingeschränktem Ausmaß angewendet werden (z.B.
zur Beseitigung von Unfruchtbarkeit in speziellen Fällen), nichtsdestotrotz
würden die Gefahren dieser Technologien weiter bestehen. Eine sorgsamer
Schutz vor Mißbrauch und die Unterbindung der Entwicklung der Forschung
in eine menschenfeindliche, antihumanistische Richtung müßten unterbunden
werden.
In der kapitalistischen Gesellschaftsformation ist ein solcher Schutz nicht
möglich, da es in letzter Instanz immer um die Durchsetzung von Kapitalinteressen
auf Kosten des Humanismus geht. Das kapitalistische Patriarchat benötigt
die Kontrolle und Beherrschung von Frauen, Biotechnologie wird daher in einer
kapitalistischen Zukunft in diesem Sinn eingesetzt werden. Entkörperlichung
und technischer Eingriff in den Körper entsprechen im Kapitalismus immer
der Waren- und Akkumulationslogik. Und diese ist einer menschenfreundlichen
Gesellschaft entgegengesetzt. Es bedarf also einer grundlegenden Veränderung
gesellschaftlicher Verhältnisse, um eine Basis für eine am Menschen
orientierte Technik zu schaffen. Technik ist heute weder interessenneutral,
noch ein inhärenter Dämon, sondern eine Kategorie, die durch gesellschaftliche
Mechanismen kapitalistisch, patriarchal und rassistisch geprägt wird und
daher zu einem Mittel der Ausübung von Herrschaft geworden ist.
Eine Subsistenzperspektive wie bei Maria Mies würde nicht eine Erleichterung
des Lebens mit sich bringen, sondern harte Arbeit. Ziel gesellschaftlicher Veränderung
sollte jedoch auch die Erleichterung des Daseins für die Menschheit sein.
Und hier kann eine am Menschen orientierte Technik eine wesentliche Rolle spielen.
Dies ist allerdings nur in einer am Menschen, und nicht an Kapitalinteressen
orientierten Gesellschaft möglich.
An KritikerInnen der Gen- und Reproduktionstechnologien wird häufig kritisiert,
daß sie oft mit essentialistischen Zuschreibungen an Frauen operieren.
Frauen würden von Natur aus humanistisch, fürsorglich, pazifistisch
sein, seien näher an der Natur orientiert etc. Ziel sei dann eine an "weiblichen
Werten" orientierte Gesellschaft. Vor allem radikal- und ökofeministische
Ansätze argumentieren in dieser Art und Weise.
Vertreterinnen der radikalfeministischen Organisation FINRRAGE (Feministisches
internationales Netzwerk des Widerstandes gegen Gen- und Reproduktionstechnologien
(12)) betonten einerseits, daß Gen-
und Reproduktionstechnologien eine Form der patriarchalen Ausbeutung weiblicher
Körper darstellen. Andererseits sind bei einigen dieser Vertreterinnen
tatsächlich essentialistische Argumentationen zu finden, die Frauen besondere
positive Eigenschaften zuschreiben. Z.B.: "Die Qualitäten der Mutterschaft
oder des mütterlichen Denkens stehen im Gegensatz zu den destruktiven,
gewalttätigen und selbstverherrlichenden Eigenschaften von Männern"
(Rowland 1986).
Auch Claudia von Werlhof (1996) argumentiert essentialistisch, wenn sie davon
spricht, daß Begriffe wie Natur, Staat, Leib, Liebe, Politik und Mutterschaft
heute neopatriarchal besetzt sind und nicht matriarchal.
Dieser Essentialismus ist charakteristisch für den radikalen Feminismus.
Auch bekannte Vertreterinnen dieser Linie wie z.B. Catherine McKinnon oder Andrea
Dworykinare betonen die Verschiedenheit von Mann und Frau und daß der
einzige Weg aus der männlichen Herrschaft über Frauen eine Separation
sei. Es wird dabei also von einer biologischen Unterschiedlichkeit von Mann
und Frau und einer sich daraus ergebenden Unterdrückung von Frauen durch
Männern ausgegangen.
Ein solcher Essentialismus ähnelt jenem von Sadie Plant, die Technik als
weiblich besetzt. Nun wurde aber bereits erläutert, daß essentiatlistische
Typisierungen des Geschlechts typisch für die bürgerliche Gesellschaft
sind. Sie erfüllen eine ideologische Funktion, sollen die Beherrschung
und Unterdrückung bestimmter Gruppen legitimieren. Daher gelten MigrantInnen
heute vielfach als faul oder schmutzig, Frauen als an der Natur orientiert,
fürsorglich, mütterlich etc. All das wird mit Hilfe eines Genfetischismus
als natürlich dargestellt, um die Beherrschung dieser Gruppen als selbstverständlich
darzustellen. Der feministische Essentialismus reproduziert nun diese patriarchal-kapitalistischen
Dichotomisierungen und Zuschreibungen. In einer nichtpatriarchalen und nichtkapitalistischen
Gesellschaft müßten nicht nur die verschiedenen Herrschaftsformen,
sondern eben auch all diese rassistischen, sexistischen usw. Typisierungen aufgehoben
werden. Indem Frauen wiederum bestimmte Werte und Eigenschaften als "typisch
weiblich" zugeschrieben werden und diese Typisierungen positiv besetzt
werden, indem gesagt wird, daß eine bessere Gesellschaft an diesen "weiblichen
Werten" orientiert sein müßte, wird die bürgerliche Logik
reproduziert. Auf diese Art und Weise kann keine Transzendenz des Kapitalismus
erreicht werden. Es ginge heute vielmehr um die Ablehnung jedes herrschaftsförmigen
Denkens und daher auch um die Ablehnung sämtlicher Typisierungen, da diese
immer Basis von Rassismus, Sexismus, Homophobie etc. sind. Der geschlechtsspezifische
Essentialismus mißachtet, daß Geschlecht eine soziale Konstruktion
ist und daß daher all die sich daraus ergebenden Zuschreibungen nicht
von Natur aus gegeben sind, sondern ideologisch produziert werden und bestimmte
politökonomische Zwecke erfüllen sollen.
"[...] Der Glaube an eine unveränderliche weibliche Natur und deren Assoziierung mit Fortpflanzung, Wärme und Kreativität ist die Grundlage der traditionellen und unterdrückenden Konzeptionen von Weiblichkeit. [...] Wir sollten nicht auf irgendeiner inneren Essenz der Weiblichkeit als einer ahistorischen Kategorie bestehen, sondern müssen erkennen, wie sowohl 'Männlichkeit' als auch 'Weiblichkeit' gesellschaftlich konstruiert sind und fortlaufend rekonstruiert werden" (Wajcman 1994, S. 26).
Insgesamt gesehen können wir festhalten, daß Kritik an den neuen Technologien, die in die Körperlichkeit des Menschen (und dabei vor allem der Frau) eingreifen, äußerst angebracht ist. Wir leben in einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft und daher ist nicht anzunehmen, daß diese Technologien innerhalb dieser Gesellschaft zu einer Emanzipation vom Patriarchat führen werden. Vielmehr verstärken sie bestehende Herrschafts-, Ausbeutungs- und Kontrollverhältnisse. Einem Technikdeterminismus, der von technischen Entwicklungen die Emanzipation aus Herrschaftsverhältnissen erwartet, wird eine Absage erteilt, da Emanzipation immer die aktive Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse voraussetzt. Genauso haben wir uns aber gegen eine grundsätzliche Dämonisierung der Technik gewandt, wie dies im Öko- und Radikalfeminismus des öfteren der Fall ist. Technik wird in einer herrschaftsförmigen Gesellschaft zum Mittel der Herrschaft, eine andere Gesellschaft wäre die Basis für eine am Menschen orientierte Technik.
Fassen wir die wichtigsten Ergebnisse kurz zusammen:
Fußnoten:
(1) In der Organisationstheorie wird es immer populärer, Organisationen als lebendig zu betrachten. Zurück
(2) Nur ein Beispiel dafür, daß die Apologeten der Vollautomatisierung mit aller Konsequenz die Ersetzung des Menschen durch die Maschine verlangen: Die Informationsverarbeitung erreichte "ihren übertriebenen Status dadurch, daß sie marginale Aufgaben automatisierte, die wir Schreibarbeit oder Papierkram nennen. Die Robotik wird auch alles andere automatisieren!" (Moravec 2000). Zurück
(3) Auf solche Argumentationen ist häufig das Gegenargument zu hören, daß dies ja heute schon ganz anders aussehen würde. Frauen seien emanzipiert und würden genauso arbeiten wie Männer. Es sieht heute tatsächlich anders aus als vor 30 Jahren: Mehr Frauen sind in Lohnarbeitsverhältnissen tätig und gleichzeitig für die Reproduktionsarbeit zuständig. Resultat davon sind Mehrfachbelastungen. Frauen verdienen noch immer viel weniger als Männer, haben weniger Aufsstiegschancen und werden früher gekündigt als Männer. Sie sind überproportional von Armut und prekären Beschäftigungsverhältnissen betroffen. Der liberale Ruf nach Gleichstellung innerhalb des Kapitalismus muß scheitern, da Kapitalismus eben immer auch kapitalistisches Patriarchat und damit ein Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis über Frauen bedeutet. Zurück
(4) Ein Bezug auf Joanna Russ Science Fiction-Roman "The Female Man" Zurück
(5) Maria Mies betont mit Bezug auf Maria-Rosa Dalla Costa, daß Frauen im dreifachen Sinn ausgebeutet werden: von den Männern, als Hausfrauen durch das Kapital und als Lohnarbeiterinnen (Mies 1996, S. 54). Zurück
(6) Zur Unterscheidung von Kernarbeitenden und peripheren Arbeitenden siehe Atkinson (1984, S. 14ff) und Atkinson/Gregory (1986, S. 14). Zurück
(7) In Haraway (1996) meint diese z.B., sie sei eine "unverbesserliche und hartnäckige Marxistin" (Haraway 1996, S. 350). Zurück
(8) "Separatism [...] is destructive because it alienates and overlooks the mass of potential allies and supporters who have a material and immediate interest in fighting all the forms of oppression which proceed from exploitation and divisiveness. Divisiveness, fragmentation, separation - all these are weaknesses which prevent any force for liberation from gaining strength in numbers" (Field 1995/1997, S. 266). Zurück
(9) Auch die Diskriminierung von Homosexuellen folgt einem typischen ideologischen Muster der bürgerlichen Gesellschaft. Nämlich der Zersplitterung der Gesellschaft in immer mehr potentielle Feindbilder und konkurrierende Gruppen, um spezifische Zwecke durchzusetzen. Die bürgerliche Gesellschaft schafft Stereotype von konstruierten "Anderen", in die der Haß und die Wut über die eigene Diskriminierung, Unterdrückung und Beherrschung von bestimmten Gruppen und Klassen projiziert wird. Zurück
(10) Z.B.: "Es geht darum, denjenigen zu helfen, die unfruchtbar sind, und Unfruchtbarkeit unter Kontrolle zu halten. [...] Die Forscher sind keine Ungeheuer, sondern Wissenschaftler. Es sind Mediziner, die mit ihrer Forschung auf ein großes menschliches Bedürfnis reagieren. Wir sollten stolz auf sie sein" (Pfeffer 1987, S. 81). Zurück
(11) Vertreterinnen solcher Positionen sind z.B. Michelle Stanworth und Rosalind Pollack Petchesky. Zurück
(12) Dazu zählen u.a. Maria Mies, Gena Corea, Robyn Rowland, Jalna Hanmer und Renate Klein.. Zurück
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