Technisch vermittelte Entkörperlichung - Emanzipation oder Risiko?
Christian Fuchs

In: Utopie Kreativ, H. 129/130 (Juli/August 2001), S. 644-658

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Die hier vorliegende Arbeit stellt eine stark überarbeitete und gekürzte Fassung eines längeren Textes dar, der unter http://cartoon.iguw.tuwien.ac.at/christian/infogestechn/entkoerp.html zu finden ist.

Abstract

Entkörperlichung zeigt sich heute vor allem in der Prothesisierung des Menschen, der Humanisierung des Roboters und der Ersetzung verkörperlichter, d.h. lebendiger Arbeit, durch tote Arbeit. Sie wird vermittelt durch neue Informations-, Kommunikations-, Gen-, Reproduktions- und Biotechnologien. Vertreterinnen des postmodernen Feminismus wie Sadie Plant und Donna Haraway verknüpfen mit den technischen Veränderungen die Hoffnung auf Emanzipation von patriarchalen Verhältnissen. Damit argumentieren sie jedoch technikdeterministisch und lassen außer Acht, daß das kapitalistische Patriarchat auf Ausbeutungs-, Klassen- und Herrschaftsverhältnissen basiert. Emanzipation kann daher nur als gesellschaftlicher Prozeß verstanden werden und nicht auf eine technische Dimension reduziert werden. Der technische Eingriff in die Körperlichkeit des Menschen (und dabei vor allem der Frau) bedeutet heute eine neue Qualität bestehender Ausbeutungs-, Herrschafts- und Klassenverhältnisse.

Technologically mediated Debodiment - Emancipation or Risk?

A tendency of debodiment - which can be seen as the process of the human body's becoming more and more unimportant in different areas - can be witnessed in the prosthesification of man, the humanization of the robot and the substitution of embodied, living labour by dead labour. Debodiment is being mediated by new information-, communication-, gene-, reproduction- and bio-technologies. Representatives of postmodern feminism like Sadie Plant and Donna Haraway associate hopes for emancipation from patriarchal relationships with these new technologies. They argue in a technological determinist manner and do not consider that the Capitalist Patriarchate depends on exploitation, domination and class relationships. Emancipation can only be seen as a social process and should not be reduced to a technological dimension. Technological manipulations of human bodies (especially of female bodies) can be seen as a new quality of existing relationships of exploitation, domination and class.

1. Einleitung: Die Entkörperlichung des Menschen

Ziel dieser Arbeit ist eine kritische Beleuchtung der vor allem im Postmodernismus zu findenden Emanzipationsthese, die davon ausgeht, daß die technisch vermittelt Entkörperlichung in der Informationsgesellschaft zur Befreiung aus patriarchal-kapitalistischen Verhältnissen führt. Dazu werden in der Einleitung die verschiedenen Dimensionen des Begriffs der Entkörperlichung näher erläutert, in Abschnitt 2 und 3 setzen wir uns mit der Kritik der Emanzipationsthese in Bezug auf die Cyberspace- (Abschnitt 2) bzw. die Bio-Technologien (Abschnitt 3) auseinander, in Abschnitt 4 erfolgt eine grundsätzliche Kritik postmodernistischer Strategien, die auch von den VertreterInnen der Emanzipationsthese aufgegriffen werden.
Die Prothesierung des menschlichen Körpers, d.h. die Substitution von Körperteilen und Organen durch maschinelle Anwendungen, und die Nachbildung des Menschen durch Computer und Roboter schreitet immer weiter voran.
Das sich heute verändernde Verhältnis von menschlichem Körper und Maschine zeigt sich vor allem in drei Bereichen:
1. der Prothesisierung des Menschen
2. der Humanisierung des Roboters
3. der Ersetzung verkörperlichter, d.h. lebendiger Arbeit, durch tote Arbeit
Bei der Prothesisierung des Menschen handelt es sich nicht mehr ausschließlich um Negativvisionen aus der Cyberpunkliteratur, positiv besetzten Visionen einer entkörperlichten "Post-Gender-World" (Donna Haraway) oder fiktiven filmischen Cyborgfiguren wie in Total Recall, Bladerunner, Terminator oder Robocop. Vielmehr hat die Verwandlung des Menschen in einen kybernetischen Organismus durch den technischen Eingriff in die Körperlichkeit auch heute eine konkrete Bedeutung bekommen. Dies zeigt sich z.B. in der Form von künstlichen Organersätzen oder -zusätzen, der Gen- und Reproduktionstechnologie oder der direkten Verkopplung von Mensch und Maschine. Der Einbau von mechanischen oder elektronischen Komponenten in den menschlichen Körper ist heute medizinischer Alltag. Im Juni 2000 wurde beispielsweise am Chicago Medical Center einem Menschen die erste künstliche Netzhaut ASR ("Artificial Silicon Retina") implantiert (Telepolis, 4.7.2000). Einem Blinden wurde ein Mikrochip ins Gehirn eingebaut. Mit Hilfe einer Cyberbrille, in die eine Kamera eingebaut ist, werden Bilder wahrgenommen, anschließend von einem Computer digitalisiert und ins Gehirn geschickt. Dazu ist jedoch die Verbindung des Mikrochips im Gehirn mit dem Computer durch ein Kabel notwendig. So kann der Blinde Umrisse und Schatten erkennen (Die Welt, 19. 01. 2000). William Dobelle hat u.a. ein solches System der Artificial Vision erschaffen.
Die Humanisierung des Roboters ist eng verknüpft mit den Entwicklungen und Fortschritten in der Artificial Intelligence (AI) und im Artificial Life (AL). Chris Langton hat einen zellulären Automaten (CA) programmiert, dessen Agenten sich selbst reproduzieren. Diese CA zeigen Phasenübergänge, an denen chaotische Attraktoren auftreten. Langton meint nun, daß dabei nicht vorhersehbare Signale auftreten. Die simulierten Phasenübergänge wären äquivalent zu jenen in lebendigen Systemen. Daher habe er tatsächliches Leben erzeugt. Er läßt dabei außer Acht, daß technische nicht mit Menschen oder Leben i.A. vergleichbar sind, da qualitative Unterschiede bestehen. Fähigkeiten wie zweckorientiertes Handeln, Selbstbewußtsein, Rationalität oder Gefühle sind nur spezifisch für den Menschen. Dadurch unterscheidet er sich von allen anderen Systemen. Maschinen und soziale Organisationen [1] sind keine lebendigen Systeme, sie können sich nicht auf einer organischen autonom selbst reproduzieren.
Nichtsdestotrotz haben heute viele AI-ForscherInnen das Ziel, "menschliche Roboter" zu erschaffen. So meint z.B. Rodney Brooks: "Ich möchte völlig autonome mobile Agenten erschaffen, die in der Welt mit Menschen koexistieren und die von Menschen als eigenständige intelligente Wesen betrachtet werden" (Brooks 1987, S. 7). Marvin Minksy (1994) beschreibt ein KI-System, in dem menschenähnliche Agenten vorkommen. Er nimmt an, daß der Geist aus maschinellen Agenten zusammengesetzt werden kann: "Jeder mentale Agent ist für sich allein genommen nur zu einfachen Tätigkeiten fähig, die weder Geist noch Denken erfordern. Wenn wir diese Agenten jedoch auf eine ganz bestimmte Weise zu Gesellschaften zusammenfassen, ist das Ergebnis echte Intelligenz" (Minsky 1994, S.17). Der Mensch ist für Minsky folglich ein Computer, der Geist also eine Maschine. Es sei nur mehr eine technische Frage, Computer mit Bewußtsein und Gefühlen zu entwickeln.
Damit argumentiert Minsky klassisch reduktionistisch. Intelligenz sei auf einzelne Teile zurückführbar. Seine Gleichsetzung von Mensch und Maschine zeigt sich schon daran, daß er den Inbegriff der Soziologie (Gesellschaft) für die Beschreibung des Zusammenwirkens von technischen Einheiten benutzt. Er betrachtet dies allerdings als völlig unproblematisch, die damit verbundenen Gefahren wie eine Abwertung von Humanismus, einen Freibrief für biopolitische Experimente und daher in letzter Konsequenz der Eugenik und der rassistischen Vernichtung sowie die Gefahr deren Legitimierung sieht er nicht. Werden Mensch und Maschine gleichgesetzt und die qualitativen Unterschiede wegdefiniert oder geleugnet, so stellt sich das Problem, daß damit vermittelt wird, daß mit Menschen umgegangen werden darf wie mit Maschinen: Sind sie alt oder nicht mehr "leistungsfähig", so werden sie "entsorgt". Werden spezielle oder äußerst effiziente Fähigkeiten benötigt, so werden diese technisch hergestellt. In bezug auf den Menschen werden also Horrorvisionen kreirt, die durchaus faschistische Elemente enthalten.
Auch Hans Moravec (1990, 2000) vertritt ähnliche Ansichten wie Minsky. Der Mensch werde in Zukunft von Robotern ersetzt, menschliche Intelligenz durch künstliche substituiert. Dadurch werde der Mensch unsterblich. "Wir Menschen werden eine Zeitlang von ihrer Arbeit [jene der Roboter, Anm. CF] profitieren. Doch über kurz oder lang werden sie, wie biologische Kinder, ihre eigenen Wege gehen, während wir, die Eltern, alt werden und abtreten" (Moravec 1990, S. 13). Der menschliche Geist könne in naher Zukunft auf Maschinen übertragen werden. Ein Roboterchirurg müsse dazu die Schädeldecke eines Menschen öffnen und das Gehirn schichtweise abtragen und mit Sensoren abtasten. So sei es möglich, die Kognition eines Individuums auf einen Roboter zu übertragen. In der Cyberpunk-Literatur hatten solche Vorstellungen noch einen kritischen Unterton und konnten als Warnung vor Entwicklungen verstanden werden, die die Menschheit durch technischen Fortschritt in den Faschismus zurückversetzen. Bei Moravec handelt es sich nicht mehr um reine Fiktion, sondern um ernsthafte wissenschaftliche Ansichten. Jede kritische Distanz ist verschwunden.
Bei der Ersetzung verkörperlichter durch tote Arbeit muß zunächst der banalen Tatsache Rechnung getragen werden, daß gesellschaftliche Arbeit grundsätzlich an den menschlichen Körper gebunden ist. Mit der Entwicklung der Produktivkräfte kommt es zu einer voranschreitenden Entkörperlichung der Arbeit. Durch immer weitere technologische Entwicklungen wird immer mehr menschliche Arbeit durch jene von Maschinen ersetzt. Dies ergibt sich aus der kapitalistischen Zwangslogik, immer effizienter zu produzieren, d.h. immer mehr in immer kürzerer Zeit herzustellen. Marx hat diesen Prozeß vor allem als relative Mehrwertproduktion beschrieben: Durch immer produktivere Maschinen wird die gesellschaftlich notwendige (Reproduktions)Arbeit immer weiter verkürzt und der Exploitationsgrad der Arbeit, d.h. ihre Intensität, steigt an. Lebendige Arbeit wird dabei fortwährend durch tote Arbeit in der Form technischer Systeme ersetzt. Da aber die lebendige Arbeit die einzige Quelle der Mehrwertproduktion sein kann, führt also die Produktivkraftentwicklung der lebendigen Arbeit zur Zersetzung der Basis der Wertproduktion. Hier zeigt sich also auch ein Widerspruch zwischen lebendiger und vergegenständlichter Arbeit (vergegenständlichte ersetzt lebendige und damit die Basis des Werts). Im Lauf der kapitalistischen Entwicklung wächst die tote Arbeit im Verhältnis zur lebendigen. Dies ist eine langfristige Tendenz, die sich gerade auch in der heutigen Phase des Kapitalismus äußert. Die Ersetzung von lebendiger durch vergegenständlichte Arbeit und damit das Voranschreiten einer tendenziellen Unabhängigkeit der Produktion vom menschlichen Körper hat hier die Konsequenz, daß sie zu den strukturellen polit-ökonomischen Krisen und ihren gesellschaftlichen Folgeproblemen wie Arbeitslosigkeit und Armut beiträgt.
Marx brachte diesen Widerspruch in den Grundrissen folgendermaßen auf den Punkt: "Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch dadurch, daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt" (Marx 1857/58, S. 601).
Mittermayer und Klosterhalfen (2000) rücken alle Überlegungen in Richtung der Kreation eines "künstlichen Menschen" als utopisch in weite Ferne. Implantationen und Transplantationen seien zwar heute in der Medizin an der Tagesordnung und werden auch in Zukunft weiterentwickelt und verbessert werden, ein künstlicher Mensch setze jedoch auch künstliches Bewußtsein voraus. Und da heute völlig unklar ist, was Bewußtsein genau sein soll, würde der künstliche Mensch "nicht so schnell Wirklichkeit" werden (Mittermayer/Klosterhalfen 2000, S. 23). Daß Entkörperlichung im kapitalistischen Weltsystem jedoch konkrete Gefahren mit sich bringt, sollte nicht unterschätzt werden.
Wir sind heute mit einer Reihe scharfer gesellschaftlicher Veränderungen konfrontiert. Ökonomisch gesehen haben wir es mit neuen Phänomenen wie einer diversifizierten Qualitätsproduktion, der flexiblen Spezialisierung, einer Dezentralisierung der Unternehmensstruktur, Outsourcing, Netzwerkstrukturen, einer Enthierarchisierung der internen Unternehmensorganisation, flachen Betriebshierarchien, Teamarbeit, partizipatorischem Management und neuen Unternehmensphilosophien, die die Arbeitenden psychisch integrieren (bzw. zugespitzt formuliert: vereinnahmen und verzwecken) wollen, Just-in-time-Produktion, einem neuen Schub der ökonomischen Globalisierung, einer weiteren Tertiarisierung und Informatisierung von Ökonomie und Arbeit, dem Abbau der institutionellen Schranken der Kapitalakkumulation durch Deregulierung und einer Triadisierung des Welthandels und des Kapitalexports zu tun. Politisch gesehen sind wir heute mit Neoliberalismus, Nationalem Wettbewerbsstaat, der Dominanz der Ökonomie über die staatliche Politik, Deregulierungen, Sozialabbau, dem Ende des wohlfahrtsstaatlichen "Sicherheitsstaats" und einem neuen Schub an Durchstaatlichung in Form der Zunahme der repressiven Absicherung des Kapitalverhältnisses nach Innen (verstärkte Überwachung, Law and Order-Politik) und Außen (Abdichtung der Grenzen, Militarisierung) konfrontiert. Moderne Bio-, Computer-, Informations- und Kommunikationstechnologien spielen bei diesen Veränderungen eine wesentliche Rolle. Sie sind sowohl Medium, als auch Resultat der gesellschaftlichen Veränderung. Wir können heute sicherlich von einem informationsgesellschaftlichen Kapitalismus sprechen (siehe Fuchs 2001), da Arbeits- und Lebenswelt durch die umfassende Informatisierung wesentlichen Transformationen unterliegen. Umstritten ist im gesellschaftstheoretischen Diskurs die Frage, ob diese neuen Technologien nun vorwiegend positive oder negative Auswirkungen mit sich bringen. Für das Thema des technischen Eingriffs in die Körperlichkeit und die Frage nach möglichen positiven und negativen Auswirkungen ist es von Interesse, sich die im Feminismus dazu ablaufende Diskussion näher anzusehen, um Rückschlüsse darauf ziehen zu können, ob technisch vermittelte Entkörperlichung nun die Verschärfung von bestehenden Herrschaftsverhältnissen oder die Emanzipation von Herrschaft mit sich bringen kann.

2. Entkörperlichung im Cyberspace als Emanzipation vom kapitalistischen Patriarchat?

Da Gesellschaftstheorie immer in Bezug auf die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse agiert, ist es logisch, daß sich die feministische Theorie im "informationsgesellschaftlichen Kapitalismus" damit auseinandersetzt, wie sich nun die Rolle von Frauen durch die neuen Technologien verändert. Und wie in jeder techniksoziologischen und -philosophischen Diskussion gibt es dabei auch TechnikoptimistInnen, die die als positiv erachteten gesellschaftlichen Auswirkungen der neuen Technologien betonen. Bei aktuellen feministischen Technikdiskursen fällt auf, daß dabei vor allem von Vertreterinnen (und Vertretern) postmodernistischer Ansätze die These vertreten wird, daß die modernen Computertechnologien zur Entkörperlichung und dadurch zu einer Emanzipation von geschlechtsspezifischen Diskriminierungen und patriarchalen Verhältnissen führen könnten.
Die wichtigste Vertreterin der These einer Emanzipation durch technisch vermittelte Entkörperlichung ist die postmoderne Feministin Donna Haraway, die den Begriff des/der Cyborg(s) für feministische Diskussionen aufgegriffen hat (siehe Haraway 1995, 1996, 1997; zur Kritik z.B. Fuchs 1998, Soper 1999): "Cyborgs sind kybernetische Organismen, Hybride aus Maschine und Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie der Fiktion" (Haraway 1995, S. 33). Cyborgs sind also Mischungen aus Maschinen und Menschen, die es derzeit tatsächlich und in Vorstellungen oder Zukunftsvisionen gibt. Dies deutet auch bereits Haraways Faible für Science Fiction an. Dort gibt es bekanntlich unzählige Cyborgs, beispielsweise die Borgs in Star Trek. Derzeit käme es - nach Haraway beispielsweise in Militär, Medizin oder in der Form von Cybersex zur Überschreitung der Grenze zwischen Mensch und Maschine.
Mit der Cyborgmetapher versucht Haraway Veränderungen in unserer Gesellschaft zu beschreiben und Vorstellungen über die Zukunft zu entwickeln. Dazu gehört die Vorstellung, daß Cyborgs "Geschöpfe in einer Post-Gender-Welt" (Haraway 1995, S. 35) sind. Es geht ihr also um die Auflösung der Grenze zwischen Mann und Frau, da unter den herrschenden Bedingungen Gender als soziales Geschlecht eine Kategorie sei, entlang derer sich Ungleichheiten manifestieren. Es geht ihr also um eine Vision, in der diese Ungleichheiten, die Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen zu Folge haben, aufgehoben sind. "Es geht darum zu lernen, uns daran zu erinnern, daß wir [...] körperlich immer noch anders werden können" (Haraway 1996, S. 365). Mit technologischen Entwicklung, die immer stärker zu einer Entkörperlichung führen, ist auf Grund der hybriden Identität der Cyborgs - d.h. der Unmöglichkeit einer geschlechtlichen Zuordnung - bei Haraway die Vision einer Gesellschaft ohne geschlechtsspezifische Unterdrückung verbunden.
Der Begriff des/der Cyborg(s) wurde von Clynes/Kline (1960) Anfang der sechziger Jahre geprägt. Sie dachten, daß für die Raumfahrt Hybride aus Mensch und Maschine notwendig seien, damit diese in außerirdischen Welten überleben können. Cyborgs seien "self-regulating man-machine-systems". Norbert Wiener spricht von der Austauschbarkeit von Organismen und Maschinen. Eine Verkettung von Mensch und Maschine stellte er sich vor, wobei er davon ausgeht, daß es "theoretisch möglich [sei], ein menschliches Wesen durch eine Telegraphenleitung zu schicken" (Wiener 1964, S. 35). Auch der polnische Futurologe Stanislaw Lem sprach zu einem frühen Zeitpunkt bereits von der Cyborgisierung und der Unvermeidlichkeit der Invasion der Technik in den menschlichen Körper (Lem 1980). Was damals noch utopisch geklungen haben mag, erscheint heute angesichts der Diskussionen um Cyborgs in greifbare Nähe gerückt zu sein. Auch Lem prägte also bereits in den 60ern die Kategorie des Cyborgs: "Der Cyborg weist eine Reihe biologischer Elemente auf, so ein Skelett, Muskeln, Haut und ein Gehirn, doch steuert dieses Gehirn die bisher unwillkürlichen Funktionen des Körpers bewußt, denn an den entscheidenden Punkten des Organismus befinden sich osmotische Pumpen, die ihm nach Bedarf Nährstoffe, aktivierende Substanzen [...] oder umgekehrt solche Stoffe zuführen, die den Grundumsatz senken oder ihn sogar in den Zustand der Hibernation versetzen" (Lem 1980, S. 548f).
Die postmoderne Feministin Judith Butler (1990) spricht sich an Stelle von Mensch-Technik.-Systemen für Taktiken aus, die zur Subversion geschlechtlicher Identitäten und damit zu einer Emanzipation von patriarchalen Verhältnissen führen. Auch sie vertritt also die Emanzipationsthese. Naheliegend sind zu dem auch Querverbindungen zu Haraway, da Cyborgs zum einen als eine Subversion geschlechtlicher Identitäten im Butlerschen Sinn aufgefaßt werden können. Zum anderen schließt Butlers Geschlechtsbegriff als Performanz ein Überschreiten der geschlechtlichen Grenzen zwischen Mann und Frau im Sinn einer/s Cyborg(s) ein.
Während Donna Haraway die Emanzipationsthese stärker auf die kybernetischen Organismen zentriert, bezieht Sherry Turkle diese These vor allem auf den virtuellen Raum. Sie greift Butlers Ansatz auf, um das Verhältnis von Identität und neuen Informations- und Kommunikationstechnologien näher zu bestimmen. Eine Auswirkung der Kommunikationstechnologie ist nämlich die Herstellung einer Derealisierung, die Distanz zwischen Realität und Fiktion hebt sich tendenziell auf, beide verschwimmen: "Fiktion und Realität werden austauschbar, selbst dort, wo man die Daten eines realen Objekts aufnimmt, da der Computer eine unendliche Zahl von Bildern produzieren kann" (Raulet 1988, S. 289).
Turkle (1996) betont nun, daß Multi User Dungeons (MUDs) - vernetzte Rollenspiele, die über das Internet gespielt werden - es den Spielerinnen und Spielern ermöglichen, verteilte und multiple Identitäten auszuprobieren. Die Identität eines Nutzers ist damit nicht mehr eindeutig bestimmbar. Von besonderem Interessen bei den Formen der Herstellung multipler Identitäten in MUDs ist für Turkle der Geschlechterrollentausch, das Gender-Swapping (siehe Turkle 1998). "Geschlechtertausch stellt eine Gelegenheit dar, Konflikte zu ergründen, die durch die eigene biologische Geschlechtszugehörigkeit aufgeworfen werden" (Turkle 1998, S. 345). Durch das Medium des virtuellen Raums kommt es also in MUDs in dem Sinn zu einer Entkörperlichung, daß nicht mehr eindeutig feststellbar ist, ob mit einem Mann oder einer Frau kommuniziert wird. Von daher stammt die These, daß die Körperlichkeit im virtuellen Raum hinter die Identitätsbildung zurücktritt. Virtueller und physischer Körper stimmen nicht mehr notwendigerweise überein. Im Sinn von Judith Butler werden MUDs als eine Subversionstaktik geschlechtlicher Identitäten betrachtet.
Auch Sadie Plant (1997, 2000) kann als eine Vertreterin der Emanzipationsthese in bezug auf den virtuellen Raum betrachtet werden. In der Zeit vor Multimedia hätten die Medien auf den Aktivitäten einzelner Organe basiert. Im Bereich von Multimedia zeige sich nun das Überschreiten dieser Grenzen, durch die Konvergenz der Medien komme es auch zu einer Konvergenz ehemals medial separierter körperlicher Organe. Der Körper sei daher heute nicht einfach eine Ansammlung von Organen, sondern ein Punkt der Verschmelzung verschiedenster materieller Flüsse. Die Separation der Individuen von der Natur und dem Rest der Welt komme dadurch zu einem Ende, jedes System der Herrschaft habe auf solchen Spaltungen und Separationen aufgebaut. Kontrolle sei nicht beliebig ausdehnbar und verkehre sich an einem bestimmten Punkt in ihr Gegenteil. Machtstrukturen, die ihre Macht und Kontrolle immer weiter ausweiten wollen, würden diese Kontrolle an einem gewissen Punkt unterminieren, da sie eine von unten nach oben sich selbst organisierende Opposition stimulieren würden. Die Kontrolle von Frauen betreffend, sei dieser Punkt heute erreicht. Plant behauptet deshalb einen engen Zusammenhang zwischen technologischer Entwicklung und der Emanzipation der Frau: "Just as machines get more intelligent, so women get more liberated!" (Plant).
VertreterInnen solcher Emanzipationsthesen ist gemeinsam, daß sie von einer äußerst technikoptimistischen Sichtweise ausgehen und daß sie die grundsätzliche Einbindung der Technik in die Widersprüche des Kapitalismus ignorieren. Die gegenwärtige Verschärfung der globalen Probleme und die Prekärisierung der Lebensverhältnisse immer größerer Teile der Weltbevölkerung wird jedoch auch technisch vermittelt, da Technik immer auch ein Mittel zur Durchsetzung herrschender Interessen darstellt.
Zur Kritik der postmodernistischen Emanzipationsthese muß gesagt werden, daß deren VertreterInnen zumeist technologisch deterministisch argumentieren. Von einer technischen Entwicklung (in diesem Fall der Entkörperlichung durch das Überschreiten der Grenzen zwischen Mensch und Maschine bzw. zwischen virtueller und tatsächlicher Realität) wird die Emanzipation vom Patriarchat erwartet. Solche Argumentationen müssen sich daher den Einwand des Technikfetischismus gefallen lassen.
Der herrschaftsförmige Charakter der Technik in der kapitalistischen Gesellschaft wird in dem Maße ausgeblendet, wie technikreduktionistische und -determinstische Argumentationen das wechselseitige Verhältnis von Technik und Gesellschaft ignorieren und ausschließlich technisch induzierte gesellschaftliche Veränderungen betonen. Technik ist allerdings nur ein Mittel, das angewendet wird, um bestimmte Interessen durchzusetzen. Sie kann weder Emanzipation bewirken noch als die Ursache von Frauenunterdrückung oder sonstigen Herrschaftsverhältnissen bestimmt werden. Beides kann nur aus sozialen Prozessen bzw. deren praktischer Aufhebungsbewegung resultieren. Die VertreterInnen der Emanzipationsthese mißachten dies und schreiben der Technik an sich emanzipatorische Fähigkeiten zu. Emanzipation ist allerdings ein sozialer Prozeß, in dem Freiheit von Herrschaft erst hergestellt werden muß.
Für Karl Marx war das wechselseitige Verhältnis von Technik und Gesellschaft stets dialektisch.. So meinte er etwa im Kapital: "Die von der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie untrennbaren Widersprüche und Antagonismen existieren nicht, weil sie nicht aus der Maschinerie selbst erwachsen, sondern aus ihrer kapitalistischen Anwendung!" (Marx 1867, S. 465). Technik ist für Marx prinzipiell ein Mittel, um den Menschen das Leben einfacher zu machen und ihnen mehr Zeit und Raum für die freie und selbstbestimmte Gestaltung ihres Lebens zu ermöglichen. Durch die kapitalistische Anwendung der Technik zeige sich aber genau das Gegenteil: Verlängerung des Arbeitstages, Arbeitslosigkeit, soziale Probleme und Armut. Marx verfällt also weder in Technikoptimismus oder -optimismus, sondern meint: Es ist sowohl ein Einsatz der Maschinerie mit positiven als auch einer mit negativen Folgen für die Menschheit möglich. Dies sei jedoch abhängig vom sozialen Einsatz der Technik, insbesonders vom ökonomischen System.
Veränderungen im Verhältnis von Technik und Gesellschaft müssen auch noch heute auf der Basis eines dialektischen Ansatzes erklärt und kritisiert werden - auch die technisch vermittelten Veränderungen der Körperlichkeit und die Auswirkungen auf die Herrschaftsverhältnisse, mit denen Frauen konfrontiert sind. Die postmodernistische Emanzipationsthese zeigt, daß nichtdialektische Ansätze, die sich mit dem Verhältnis von Technik und Gesellschaft auseinandersetzen, sehr leicht unkritisch und affirmativ urteilen.
Hier wird im Gegensatz zur postmodernistischen Emanzipationsthese nicht davon ausgegangen, daß Computer-, Informations- und Kommunikationstechnologien in der heutigen Dauerkrise des Kapitalismus vorwiegend emanzipatorisch wirksam werden können, sondern daß sie in erster Linie zu einer Verschärfung der globalen Probleme und der Vertiefung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse - was nicht nur das patriarchale Verhältnis als Klassenverhältnis, sondern sämtliche Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse betrifft - führen, um die Krise des Kapitalismus auf Kosten der Beherrschten durchzusetzen. Technik ist dabei also in die Widersprüchlichkeit des postfordistischen Kapitalismus eingebettet.
Damit ist nicht gesagt, daß Technik keine positiven Auswirkungen haben könnte und daß die Technik "an sich" ein Dämon wäre, sondern vielmehr wird die Ansicht vertreten, daß das dialektische Verhältnis von Technik und Gesellschaft im kapitalistischen Patriarchat so aussieht, daß Technik Medium der Kontrolle und Herrschaft über Beherrschte ist.
Neben den für die kapitalistische Ökonomie typischen zyklischen Krisen ist spätestens seit den siebziger Jahren eine Dauerkrise des kapitalistischen Weltsystems getreten, die sich in einem Fall der Durchschnittsprofitraten manifestiert. Natürlich versucht das Kapital durch verschiedenste Maßnahmen dieser Entwicklung entgegen zu steuern. Insbesondere die neoliberale (Wirtschafts)Politik und eine flexible Akkumulationsstrategie werdn als Instrumente eingesetzt. Insgesamt gesehen führt dies zur Deregulierung der Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation, zur permanenten Schwächung der sozialen Absicherung der Lohnarbeitenden und zur Ausbreitung prekärer Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse. Frauen sind von der sich daraus ergebenden "Entsicherung" der Lebensverhältnisse in besonderem Ausmaß betroffen, da sie sich im Kapitalismus schon immer in sozial besonders prekären Verhältnissen befunden haben.
Ein weiterer Weg aus der Krise des Systems besteht in der Erschließung neuer Investitionsräume für das Kapital. Ein solches "neues Territorium" stellt heute auch der weibliche Körper auf qualitativ neuartige Weise dar. Nicht zuletzt stellen die Gen-, Computer- und Fortpflanzungstechnologien Instrumente dar, die nicht etwa für die Förderung menschlichen Glücks entwickelt werden, sondern vor allem um durch die Kapitalisierung des Körpers als Investitionsterritorium neue Profitmöglichkeiten für das krisengeschüttelte Weltwirtschaftssystem zu schaffen (vgl. Mies 1995a).
Da die Profitrate durch vielfältige Faktoren beeinflußt wird, bietet sich für das Kapital immer die Nutzbarmachung verschiedenster Agenzien an, wobei der "klassischen" in Form der Ausweitung der unbezahlten Mehrarbeit von jeher eine besondere Rolle zukommt. Unbezahlte Arbeit wird aber häufig von Frauen geleistet. Im Zuge der Prekärisierung immer weiterer Teile der Arbeitsverhältnisse setzt sich im Postfordismus eine typische Form der "Hausfrauisierung" durch: Immer mehr Beschäftigungsverhältnisse nehmen den Charakter von Frauenarbeit an, die schlecht oder gar nicht bezahlt wird, keine oder eine schlechte sozialstaatliche Absicherung aufweist und arbeitsrechtlich kaum geschützt ist.
Der aktuelle Schub an ökonomischer Globalisierung, bedeutet nichts anderes, als daß Kapitalkosten durch die Verlagerung von Produktionseinheiten eingespart werden sollen. Und von der sich daraus ergebenden Überausbeutung in äußerst niedrig bezahlten und schlecht abgesicherten Arbeitsverhältnissen sind Frauen wiederum in einem überproportionalen Ausmaß betroffen. Informations- und Kommunikationstechnologien können als Medium und Resultat der ökonomischen Globalisierung betrachtet werden, sie werden für eine Umstrukturierung des globalen kapitalistischen Systems eingesetzt. Daraus ergibt sich auch der Zusammenhang zwischen informationell-technischer Globalisierung und "Hausfrauisierung". Die Entkörperlichung im Cyberspace führt also in der Tendenz nicht zu einer Emanzipation aus patriarchalen Verhältnissen führt, sondern vertieft bestehende Herrschaftsverhältnisse.

3. Entkörperlichung und Bio-Technologie

Die VertreterInnen der postmodernistischen Emanzipationsthese setzen zudem auch große Hoffnungen in die modernen Bio- und Reproduktionstechnologie. Während im marxistischen und radikalen Feminismus auf die Gefahren dieser Technologien hingewiesen wird, unterstellen postmodernistische Herangehensweisen in erster Linie einen emanzipatorischen Nutzen.
So meint etwa wiederum Donna Haraway, die Biotechnologien seien zwar einerseits gefährlich, würden aber andererseits - so wie das menschliche Genom - eine Chance auf positive gesellschaftliche Veränderungen bieten. Typisch für die Biotechnologie sei heute die Herstellung transgener Organismen durch die Übertragung von Genen einer Art auf eine andere. Dies stellt Haraway in einen antirassistischen Kontext, da die Reinhaltung der Körper und der Abstammung Basis rassistischer Diskurse sei (Haraway 1996, S. 374f; Haraway 1997, S. 60f). Dabei zeigt sich jedoch, daß die Autorin dazu neigt, Kritik an der Biotechnologie - die sie selbst allerdings auch für notwendig erachtet - damit abzutun, daß sie KritikerInnen in einen rassistischen Zusammenhang mit Vertretern der Ideologie einer "reinen Rasse" bringt (siehe Haraway 1997, S. 61f). Die Erzeugung transgener Organismen biete vielmehr die Hoffnung auf eine Welt der Cyborgs, in der durch eine Entgeschlechtlichung geschlechtsspezifische Herrschaft aufgehoben sei.
Die postmodernistische These, daß Bio- und Reproduktionstechnologien zu einer postpatriarchalen Gesellschaft ohne geschlechtsspezifische Diskriminierung führen, muß jedoch aus verschiedenen Gründen in Frage gestellt werden. Problematisch ist vor allem, daß sich die Argumentationen auf den oben bereits kritisierten Technikdeterminismus und -fetischismus stützen. Auch für Bio- und Reproduktionstechnologien gilt jedoch, daß sie in die Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Gesellschaftsformation eingebunden sind und gesellschaftliche Probleme (mit)produzieren.
Unter dem spezifischen Umfeld einer kapitalistischen Gesellschaft sind ebenfalls Medizin und Forschung nicht ausschließlich am Allgemeinwohl interessiert, sondern sind Teil des Verwertungssystems und daher auch Mittel zur Durchsetzung der Interessen herrschender ökonomischer Klassen. Die Linderung menschlichen Leids ist im Kapitalismus eben oftmals demagogisch genutztes Mittel, um die tatsächlichen Gefahren neuer Technologien zu verschleiern und um diese für die effiziente Organisierung der Kapitalherrschaft nutzbar zu machen. Heute wird konkret über die "Optimierung" der Kosten des Gesundheitswesen, über bevölkerungspolitische Maßnahmen zur Eindämmung der "Bevölkerungsexplosion" oder (vorerst "nur") über das Klonen von Tieren diskutiert. Dabei erhält die Biotechnologie reale Bedeutung für die Organisation von Verwertungsprozessen, von Emanzipationstendenzen durch diese Technologien ist nichts zu erkennen. Die liberal gesinnten Rufe nach der Zivilisierung der neuen Praktiken werden spätestens dann verstummen, wenn die angeblichen großen Vorteile der Humantechnologie durch die Medienmaschinerie noch viel intensiver ins Bewußtsein der Menschen gebracht werden. Es ist unter den herrschenden sozioökonomischen Verhältnissen nicht auszuschließen, daß mittelfristig die "Entsorgung" nicht mehr verwertbarer - d.h. kranker, alter oder schwacher - humaner Körper sowie die ökonomisch effektive Kreation neuer Körper an der Tagesordnung sein wird.
Ein Gesellschaftssystem, das permanent mit dem Leben von Menschen kalkuliert und zur Prekärisierung der Lebensverhältnisse immer größerer Teile der Weltbevölkerung führt, wird keine moralischen Bedenken vor ökonomische Interessen stellen.
Die Gefahr einer neuen Eugenik kann nicht einfach als Übertreibung abgetan werden, denn heute sprechen beispielsweise immer mehr Ärzte von der Euthanasie von "zu teuren" Kranken oder es wird in wissenschaftlichen Kreisen ernsthaft über faschistoide bevölkerungspolitische Maßnahmen diskutiert. So sprach sich z.B. Peter Sloterdijk bei einer Veranstaltung zur Kritik des Humanismus durch den nationalsozialistischen Paradephilosoph Martin Heidegger für eine vorgeburtliche Selektion aus: "Ob aber die langfristige Entwicklung auch zu einer genetischen Reform der Gattungseigenschaften führen wird - ob eine künftige Anthropotechnologie bis zu einer expliziten Merkmalsplanung vordringt; ob die Menschheit gattungsweit eine Umstellung vom Geburtenfatalismus zur optionalen Geburt und zur pränatalen Selektion wird vollziehen können - dies sind Fragen, in denen sich, wie auch immer verschwommen und nicht geheuer, der evolutionäre Horizont vor uns zu lichten beginnt" (Sloterdijk 1999, S. 15). Natürlich werden da Erinnerungen wachgerufen an die faschistische Vernichtung von als nicht "lebenswert" bezeichnetem Leben. Würden Beiträge wie jener von Sloterdijk geistige Hegemonie erlangen, so stünde einer neuen Eugenik tatsächlich nur mehr wenig im Weg. Die neuen Biotechnologien sind mit der in einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung sehr realistischen Gefahr verbunden, daß erwünschte Fähigkeiten und Eigenschaften und unerwünschte definiert werden. Erwünscht sind dabei immer jene, die die Akkumulation des Kapitals effizienter gestalten helfen. Die Biotechnologie könnte nun eingesetzt werden, um die "unerwünschten" Elemente zu selektieren.
Eugenikähnliche Herangehensweisen zeigen sich heute vor allem in der Bevölkerungspolitik. Eine "Bevölkerungsexplosion" und eine daraus resultierende "Überbevölkerung" werden für die Armut in der "Dritten Welt" verantwortlich gemacht. Dabei wird ignoriert, daß Armut ein gesellschaftliches Problem ist, daß ganz wesentlich mit der globalen Dimension der Kapitalakkumulation des kapitalistischen Weltsystems verschränkt ist. Die (Re)Produktion von Armut wird mit fragwürdigen Argumenten als genetisch bedingte, vorwiegend Schwarzen inhärente Eigenschaft zugeschrieben. Daraus abgeleitet, wird die Bekämpfung der Armut oft nicht als mit den sozioökonomischen Verhältnissen verschränkt begriffen. Donna Haraway spricht als Kritik an solchen Diskursen in Anlehnung an Marxens Kritik des Warenfetisch vom Genfetisch (Haraway 1997, S. 141-148).
Bevölkerungspolitische Maßnahmen wie Zwangssterilisationen verstärken den Eindruck, daß die Menschen in der Dritten Welt an ihrer Armut selbst Schuld sind. Gleichzeitig werden die großteils weißen Menschen in den Metropolen des kapitalistischen Weltsystems zur vermehrten Fortpflanzung animiert.
Wenn Donna Haraway behauptet, KritikerInnen der Biotechnologien wollten "reine Herrenrassen" schaffen, dann besteht tatsächlich jedoch genau die umgekehrte Gefahr, daß diese neuen Biotechnologien zur Selektion unerwünschter und als minderwertig betrachteter Bevölkerungsgruppen eingesetzt werden, um ein "neues Herrenmenschentum" zu schaffen. Eine weitere Dimension ist, daß durch die Schaffung und Züchtung eines künstlichen Menschen versucht werden könnte, besonders leistungsfähige und willenlose Individuen zu klonen.
Der Umstand, daß im Kapitalismus die die lebendige Arbeitskraft die einzige Ware der Arbeitenden ist, führt dazu, daß auch der menschliche Körper grundsätzlich zur Ware wird. Durch die Fortpflanzungstechnologie bekommt die Kommodifizierung des Körpers eine neue Dimension (vgl. Russell 1994/1997, Mies 1995b). Leihmutterschaft via In-Vitro-Vertilisation geht von der Annahme aus, daß der weibliche Körper und seine Organe Waren sind. Der weibliche Körper erhält so eine neue Dimension des Tauschwerts - ein menschlicher Körper, der nun als von der Frau hergestelltes Produkt betrachtet werden muß, tauscht sich gegen Geld aus. Nicht unrealistisch ist die Negativvision von Frauen als Gebärmaschinen, die dafür bezahlt werden, daß sie durch technische Eingriffe und Befruchtung mit genmanipuliertem Sperma Kinder mit speziellen Fähigkeiten zur Welt bringen. Eine spezielle Variante wäre schließlich die Vorstellung, daß arme Frauen Kinder für Reiche gebären. Dazu könnten eigene Firmen geschaffen werden, die Frauen als Lohnarbeiterinnen für das Gebären von Kindern anstellen. Gena Corea spricht von der Horrorvorstellung eines "Brutbordells".
Fortpflanzungstechnologie wird zumeist als Fortschritt angepriesen, der Frauen mehr Wahlmöglichkeiten gibt sowie Erbkrankheiten und Unfruchtbarkeit beseitigen hilft [2]. Tatsächlich steigt der Druck auf Frauen, perfekte Kinder zu gebären. Unfruchtbarkeit wird heute als Krankheit definiert, die technisch beseitigbar ist. Tatsächlich wäre es aber sinnvoll, die sozialen Komponenten der Unfruchtbarkeit, die sich aus gesellschaftlichen Verhältnissen ergeben, in Betracht zu ziehen. Dann würde nämlich nicht die technische Machbarkeit im Vordergrund stehen, sondern ausgehend davon, daß Unfruchtbarkeit nicht ausschließlich als biologisch, sondern auch als gesellschaftlich bedingt begriffen wird, käme es vor allem auch auf die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse an, in denen Frauen beherrscht und ausgebeutet werden.
Eine weitere Gefahr besteht darin, daß weibliche Körper als Testlabor für biotechnologische Entwicklungen benutzt werden. Vor allem Frauen, die in prekären Verhältnissen leben, oder Frauen aus der "Dritten Welt" wären sicherlich bereit, im Tausch gegen etwas Geld ihren Körper für derartige Versuchszwecke zur Verfügung zu stellen, um ihre soziale Situation zu verbessern. Ziel der Forschung wäre dabei, die Kapitalakkumulation durch den Test an Menschen und die Entwicklung neuer Technologien effektiver zu gestalten. Auch Desinformationen könnten dabei eine Rolle spielen, indem Frauen vorgetäuscht wird, daß gewisse Eingriffe in ihren Körper sinnvoll sind, um bestimmte Limitierungen oder Krankheiten zu beseitigen oder ihnen vorzubeugen.
FeministInnen bringen auch immer wieder das Argument vor, daß die neuen körpermanipulierenden Technologien zur Enteignung des weiblichen Körpers führen (vgl. Werlhof 1996). Die Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper werde durch gesellschaftliche Zwänge, technische Eingriffe in die Körperlichkeit vornehmen zu lassen, um bestimmte Vorgaben zu erfüllen (keine behinderten Kinder, perfekte Kinder, Kinder für Unfruchtbare durch Leihmutterschaft, In-Vitro-Vertilisation, künstliche Befruchtung etc.), unterminiert. Jene, die für die neuen Fortpflanzungstechnologien argumentieren, meinen jedoch genau das Gegenteil: das Selbstbestimmungsrecht der Frau würde technisch erweitert. Judy Wajcman (1994) weist darauf hin, daß der weibliche Körper in der westlichen Medizin als Maschine betrachtet wird. Frauen waren daher schon immer das Hauptobjekt medizinischer Versuche und Interventionen. Auch die neuen Technologien dienen vor allem als Mittel der Kontrolle und Beherrschung von Frauen.
Die technologische Rationalität ist heute human orientierten Technik entgegengesetzt. Denn eine solche Technik würde eine am Menschen orientierte Gesellschaft voraussetzen. Entkörperlichung und technische Eingriffe in den Körper bleiben jedoch der Waren- und Akkumulationslogik des Kapitalis unterworfen.
Auch in Bezug auf die Biotechnologien kommen wir genauso wie bei den Cyber-Technologien zu dem Schluß, daß die postmodernistische Emanzipationsthese nicht zutreffend ist, sondern daß die Verkopplung von Widerspruchsdynamik des kapitalistischen Weltsystems und technologischen Paradigma heute zu einer Vertiefung von bestehenden Gefahren und Herrschaftsverhältnissen führt.

4. Die Emanzipationsthese als typische Herangehensweise der postmodernistischen Theorie

Es ist keineswegs zufällig, sondern nur logisch und konsequent,daß die Emanzipationsthese ausgerechnet vor allem von Vertreterinnen und Vertretern einer postmodernistischen Gesellschaftstheorie vertreten wird, sondern als logisch und konsequent. Als typisch für postmodernistische Herangehensweisen können wir die Ablehnung von Universalismus, ganzheitlichen Konzepten, Klassenbegriff, Befreiung der gesamten Menschheit, großen Gesellschaftstheorien und -entwürfen, jeglicher Form von Objektivität, und im Gegensatz dazu die Betonung von Differenz, Pluralität, Komplexität, sozialer Konstruktion, Subjektivität, Relativität und Identität betrachten. Es ist deshalb nur konsequent, wenn postmodernistischen Ansätzen zumeist eine antimarxistische Orientierung immanent ist. Im Mittelpunkt steht nicht mehr Analyse der Widersprüche des Kapitalismus, sondern die Preisung der Vorteile der angeblich heute postmodernen - und daher zumeist auch "postkapitalistischen" (!) - Gesellschaft. Die Befreiung der Gesellschaft und der gesamten Menschheit durch eine soziale Revolution wird ersetzt durch individualistische Strategien der (Selbst)Befreiung, die Klassensolidarität weicht der Betonung von Differenz und Pluralität der Lebensstile, an Stelle des Klassenkampfes tritt die Identitäts- und Repräsentationspolitik - der Kapitalismus wird zu allem Möglichen, angeblich Fortschrittlichem umgedeutet wie: "Bürgergesellschaft", "reflexiven Modernisierung", "Dritter Weg", "Multioptionsgesellschaft", "Wissensgesellschaft", "postindustrielle Gesellschaft", "polyzentrische Gesellschaft", "virtuelle Gesellschaft", "Risikogesellschaft", "Weltgesellschaft", "Arbeitsgesellschaft", "funktional differenzierte Gesellschaft", "Erlebnisgesellschaft", "transkulturelle" oder "multikulturelle Gesellschaft" oder auch "desintegrierende Gesellschaft". Die Betonung gewisser Adjektive und Substantive (Erlebnis, Multioption etc.) lenkt dabei immer von der Tatsache ab, daß wir heute in erster Linie noch immer in einer kapitalistischen Gesellschaft - wenngleich diese auch in eine neue, postfordistische Phase eintritt - leben, die Nachteile für weite Teile der Weltbevölkerung mit sich bringt.
Auch die VertreterInnen der Emanzipationsthese schweigen vom Kapitalismus, um statt dessen die Fortschrittlichkeit der Technik in der angeblich erreichten postmodernen Gesellschaft zu preisen. Die neuen Technologien und die damit einhergehende Entkörperlichung sollen in eine postmoderne Gesellschaft führen. So ist für Donna Haraway (1996; 1997) die neue "Techno-Science" deutlich unterschiedlich von der Moderne. Sie bezeichnet die gesellschaftlichen Veränderungen, die durch Bio-, Kommunikations- und Computertechnologie ausgelöst werden, zwar nicht explizit als Postmoderne, meint aber genau diese Konzeption (vgl. Haraway 1996, S. 367f). Sherry Turkle geht ebenfalls davon aus, daß die neuen Technologien zur postmodernen Gesellschaft führen. Die Manifestationen von multipler Identität, so Turkle, würden zu einer "umfassenden Überprüfung traditioneller, unitärer Identitätstheorien" beitragen (Turkle 1998, S. 424). Der virtuelle Raum würde es Menschen ermöglichen, ein flexibles und wandlungsfähiges Selbst zu entwickeln. Diese Konzeption des Selbst sei "postmodern", da sie eine Vielfalt an flexiblen Identitäten ermögliche. Das Internet besitze die Fähigkeit, Identitätskonzepte zu verändern. Der postmoderne Aspekt der Computertechnologie bestehe darin, daß sie ermögliche, vielfältige Standpunkte einzunehmen. Auch Evelyn Fox Keller, die ebenfalls der Emanzipationsthese anhängt [3], betont einen postmodernistischen Charakter der Gesellschaft, in der die Wissens- und Erkenntnisproduktion einer dynamischen Objektivität unterliege (vgl. Fox Keller 1986, 1996b), die auf Basis von "Differenzdenken" zustandekomme. Notwendig sei in der Postmoderne daher der Respekt vor der Differenz.
Der unkritische Technikoptimismus der VertreterInnen der Emanzipationsthese läßt sich aus der grundsätzlichen Verhaftung in der postmodernistischen Traditon erklären. Es mag verständlich, sein, daß von feministischer Seite die ökonomistische Vernachlässigung patriarchaler Verhältnisse im traditionellen Marxismus kritisiert wird. Nicht akzeptabel erscheint jedoch die daraus vom postmodernistischen Feminismus vielfach gezogene Schlußfolgerung, marxistische Argumentationslinien grundsätzlich zu verwerfen und als inadäquat für eine Analyse heutiger gesellschaftlicher Verhältnisse zu betrachten.
Im Gegenteil ist davon auszugehen, daß nur marxistische Feminismen und feministische Marxismen die Herrschaftsverhältnisse, mit denen Frauen heute konfrontiert sind, erklären und kritisieren können, weil sie das Patriarchat als einen integralen Bestandteil des Kapitalismus fassen. Dies heißt nicht, daß die Aufhebung kapitalistischer Verhältnisse automatisch postpatriarchale Verhältnisse mit sich bringt, sondern daß die Emanzipation aus kapitalistischen Verhältnissen auch eine von patriarchaler Herrschaft sein muß und daß eine nichtkapitalistische Gesellschafsformation notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für postpatriarchale Zustände ist. Das Patriarchat ist älter als der Kapitalismus, da erstes heute jedoch funktionaler Bestandteil des zweiten ist, muß Gesellschaftskritik an den vielfältigen Herrschaftsverhältnissen, die durch die bürgerliche Gesellschaftsformation jedoch wiederum vereinheitlicht werden, anzusetzen.
Die Vernachlässigung des Zusammenhangs von Patriarchat und Kapital zeigt sich bei den VertreterInnen der Emanzipationsthese - wie bei postmodernistischen Konzepten üblich - deutlich in unzulänglichen politischen Strategien. So betont beispielsweise Judith Butler (1990), deren Theorie einer der Hauptreferenzpunkte für die VertreterInnen der Emanzipationsthese darstellt, die politische Strategie der kulturellen Subversion von Geschlecht und Identität: Geschlecht sei keine fixe Eigenschaft einer Person, sondern eine Performanz, eine frei-fließende Kategorie, die sich in verschiedenen Kontexten zu verschiedenen Zeiten wandelt. Die kulturelle Subversion von Geschlecht und Identität stelle einen Versuch der Aufhebung der geschlechtsspezifischen Binärisierung in männlich und weiblich dar. Diese frei fließenden Identitäten sind ein wesentliches Element der Queer-Theorien. Dragkünstler(innen) sind Butlers wesentliche Metapher für diese Subversion geschlechtlicher Identitäten. Vor allem im kulturellen Bereich zeige sich durch Stars wie Madonna oder Boy George eine Ambiguität der Geschlechter. Symbolische Politik der ästhetischen Repräsentation sei heute quasi eine wichtige Politikform. Es müsse heute viele Formen der Politik geben, die nicht aufeinander bezogen werden müßten.
Auf die angebliche Möglichkeit der Subversion geschlechtlicher Identitäten im kulturellen Bereich verweist auch Angerer (1995): "Die gesamte Jugend-, Musik- und Modebranche spielt mit blurring boundaries, mit unisex, gay und lesbian look. In der Modebranche gelten Transvestiten - wie RuPaul - als die besten Models für weibliche Kleidung; in der Musik produzieren Michael Jackson, Boy George, Prince und Madonna uneindeutige Geschlechtsidentitäten; Filme wie The Crying Game, M. Butterfly oder Priscilla: Queen of the Desert finden bei einem breiten Publikum Gefallen. Alle diese hier genannten Momente verweisen auf eine Sehnsucht, auf die Sehnsucht dem prison house of gender, spielerisch-performativ zu entgehen".
Für Butler ist die geschlechtliche Ungleichheit von den Sichtweisen geschlechtlicher Rollen abhängig. Eine Dekonstruktion dieser Wahrnehmungen könne politische Veränderung herbeiführen und aus der patriarchalen Gesellschaft könne eine auf Gleichheit basierende werden.
Auch Sadie Plant sieht ähnlich wie Butler die Entkörperlichung als politische Strategie der Flucht aus dem eigenen Organismus, die sich durch kulturellen Praxen verwirklichen lasse. Als Beispiele dafür nennt sie die virtuelle Realität und die englische Tanzszene (Ravebewegung).
Im Einklang mit der vielfach im marxistischen Feminismus geäußerten Kritik ist hier kritisch einzuwenden, daß postmodernistische Kulturpolitik vorwiegend zur kulturindustriellen Kommodifizierung von Identitäten führt und daß eine sich in Warenkategorien manifestierende politische Strategie nicht als adäquat und über den Kapitalismus hinausweisend angesehen werden kann.
Postmodernistische TheoretikerInnen betonen als politische Perspektiven vor allem eine Identitätspolitik, die sich kulturell manifestiert. Kultur wird zum Repräsentationsfeld von Widerstand und Auflehnung, Politik zur rein symbolischen Veranstaltung. Wurde dem Marxismus häufig ein Ökonomismus unterstellt, so muß am Postmodernismus ein Kulturalismus kritisiert werden, der von der Notwendigkeit politischer Veränderung abstrahiert. Sicherlich ist Kultur ein Feld politischer Auseinandersetzung - Kultur ist politisch, kann politisch agieren und Politik hat eine spezifische Form der Kultur. Problematisch ist jedoch die Reduktion potentieller gesellschaftlicher Veränderung auf den kulturellen Bereich. "Cultural and identity politics replaced the early focus on capitalism and class divisions among women" (Gimenez 1998). Das Hören bestimmter Musik, das Tragen bestimmter Kleidung und die Identitätsschaffung in Warenform werden in postmodernistischen Politikstrategien zu Ausdrucksformen politischen Widerstands, ein Kulturfetischismus ersetzt zunehmend politische Selbstorganisationsweisen, die davon ausgehen, daß sich beherrschte Gruppen nur durch eine umfassende und globale Einheit in der Vielfalt im polit-ökonomischen Kampf befreien können (vgl. dazu Fuchs 2001, Fuchs/Hofkirchner 2000).
Dazu kommt, daß die affirmative Kultur als Kulturindustrie auch eine wesentliche ideologische Funktion im Kapitalismus erfüllt. "Eine der entscheidenden gesellschaftlichen Aufgaben der affirmativen Kultur gründet in diesem Widerspruch zwischen der glücklosen Vergangenheit eines schlechten Daseins und der Notwendigkeit des Glücks, das solches Dasein erträglich macht. Innerhalb jenes Daseins selbst kann die Auflösung nur eine scheinbare sein. [...] Aber der Schein hat eine reale Wirkung: es findet Befriedung statt. [...] Die rebellische Idee wird zum Hebel der Rechtfertigung. Daß es eine höhere Welt, ein höheres Gut als das materielle Dasein gibt, verdeckt die Wahrheit, daß ein besseres materielles Dasein geschaffen werden kann, in dem solches Glück wirklich geworden ist. In der affirmativen Kultur wird sogar das Glück zu einem Mittel der Einordnung und Bescheidung" (Marcuse 1937, S. 213f, 216).
Auch Nicola Field (1995/1997) betont, daß die logische Konsequenz einer Identitätspolitik die Kommodifizierung politischer Anliegen sei. Widerstand gegen Unterdrückung könne nicht erkauft werden. Identitätspolitik würde die Wurzeln von Unterdrückung und Ausbeutung ausklammern. Kritisiert wird weiter, daß diese postmodernistische Form der Politik davon ausgeht, daß nur jene gegen Unterdrückung kämpfen können, die einer spezifischen Gruppe angehören. Jene, die außerhalb stehen, würden als unverbesserliche UnterdrückerInnen aufgefaßt. Dies führe zu einem Separatismus. Es käme zu einer reinen Lifestylepolitik, der Fetischierung und Kommodifizierung von Identitäten. Bei kulturalistischen Feminismen besteht die Gefahr, daß die symbolische Politik dazu führt, daß der Kauf von Waren bereits als Symbol für gesellschaftliche Veränderung steht (vgl. Stabile 1997).
Für die postmodernistische Identitätspolitik läßt sich sagen, daß sie eben jene Dichotomisierungen, die die kapitalistische Gesellschaftsformation auszeichnen und durch die sich diese ideologisch reproduziert, nicht aufhebt, sondern unter veränderten Vorzeichen neu setzt. Unterdrückte Gruppen beharren dabei auf ihrer Identität und Differenz, und es scheint nicht mehr um die Aufhebung von Herrschaftsverhältnissen zu gehen, sondern nur um eine Umkehr der Hegemonie - also lediglich um die Schaffung neuer Herrschaftsverhältnisse. Knapp (1996) weist berechtigterweise darauf hin, daß die neue Rechte den postmodernistischen Differenzdiskurs aufgreift, um eine Differenz der Kulturen zu behaupten und rassistische Separationen durchzusetzen. Und nicht zuletzt sollte auch berücksichtigt werden, daß postmodernistisches Differenz-Denken neoliberalen Argumentationsmustern, die mit Begriffen wie Individualisierung, Flexibiliserung von Biographien oder der Pluralisierung der Lebensstile operieren, nicht unähnlich ist.
Der von postmodernistischen TheoretikerInnen gegenüber MarxistInnen und anderen Linken häufig vorgebrachte Vorwurf der Vereinheitlichung und Nivellierung differenter politischer Herangehensweisen mag in manchen Aspekten - vor allem was zentralistische Konzeptionen betrifft - zutreffend sein. Wenn das eine unakzeptable Extrem eine reduktionistische Nivellierung des politischen Widerstands in Form einer Einheit ohne Vielfalt darstellt, so ist das andere jedoch das einer Vielfalt ohne Einheit. Eine dialektische politische Position der Einheit in der Vielfalt erschiene demgegenüber im globalisierten Kapitalismus angebracht: Es wäre also notwendig, daß beherrschte Gruppen global ihre Verbundenheit durch die Integration in kapitalistische Herrschaftsverhältnisse erkennen und darauf basierend eine solidarische emanzipatorische Praxis entwickeln. Eine solche Einheit bedeutet aber nicht Homogenisierung. Denn sehr wohl müßten die unterschiedlichen Identitäten, Ziele, Erfahrungen und Perspektiven der einzelnen Gruppen ausreichend berücksichtigt werden. Nur eine Dialektik von Einheit und Differenz kann in der politischen Praxis beide Extreme vermeiden (vgl. Fuchs 2001, Fuchs/Hofkirchner 2000).
Der abschließende Abschnitt hat gezeigt, daß die VertreterInnen der postmodernistischen Emanzipationsstrategie in Bezug auf politische Stratgien wie im Rahmen postmoderner Theorie und Politik üblich auf Basis problematischer Konzeptionen wie der Fetischierung von Identitäten, kulturalistischer Lifestylepolitik und separierender Differenzpolitik agieren.
Insgesamt gesehen können wir festhalten, daß Kritik an den neuen Technologien, die in die Körperlichkeit des Menschen (und dabei vor allem der Frau) eingreifen, äußerst angebracht scheint. Wir leben in einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft und daher ist nicht anzunehmen, daß die neuen Technologien innerhalb dieser Gesellschaft zu einer Emanzipation vom Patriarchat führen werden. Vielmehr verstärken sie bestehende Herrschafts-, Ausbeutungs- und Kontrollverhältnisse. Einem Technikdeterminismus, der von technischen Entwicklungen die Emanzipation aus Herrschaftsverhältnissen erwartet, wird eine Absage erteilt, da Emanzipation immer die aktive Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse voraussetzt. An den VertreterInnen der postmodernistischen Emanzipationsthese sehen sowohl Cyber- als auch Bio-Technologien als Möglichkeiten der Emanzipation von patriarchalen Verhältnissen wird kritisiert, daß sie auf Grund der postmodernistischen Herangehensweise im Technikfetischismus und -determinismus landen und sich für als nichtadäquat und kulturalistisch erachtete politische Strategien aussprechen.
Die im Titel gestellte Frage ist in dem Sinn zu beantworten, daß technisch vermittelte Entkörperlichung im informationsgesellschaftlichen Kapitalismus tatsächlich das Risiko einer Verschärfung und Vertiefung bestehender gesellschaftlicher Probleme bedeutet.

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[1] In der Organisationstheorie wird es immer populärer, Organisationen als lebendig zu betrachten.

[2] Z.B.: "Es geht darum, denjenigen zu helfen, die unfruchtbar sind, und Unfruchtbarkeit unter Kontrolle zu halten. [...] Die Forscher sind keine Ungeheuer, sondern Wissenschaftler. Es sind Mediziner, die mit ihrer Forschung auf ein großes menschliches Bedürfnis reagieren. Wir sollten stolz auf sie sein" (Pfeffer 1987, S. 81).

[3] Vgl. Fox Keller (1996a): "Im späten 20. Jahrhundert ist es der Computer, der unsere Vorstellungskraft beherrscht, und der uns von diesem sonderbaren Ausdruck, daß der Mensch einen Körper habe, befreit" (Fox Keller 1996a, S. 329).