Technisch vermittelte Entkörperlichung - Emanzipation oder
Risiko?
Christian Fuchs
In: Utopie
Kreativ, H. 129/130 (Juli/August 2001), S. 644-658
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des vorliegenden Dokuments
Die hier vorliegende Arbeit stellt eine stark überarbeitete und gekürzte Fassung
eines längeren Textes dar, der unter http://cartoon.iguw.tuwien.ac.at/christian/infogestechn/entkoerp.html
zu finden ist.
Abstract
Entkörperlichung zeigt sich heute vor allem in der Prothesisierung des Menschen,
der Humanisierung des Roboters und der Ersetzung verkörperlichter, d.h. lebendiger
Arbeit, durch tote Arbeit. Sie wird vermittelt durch neue Informations-, Kommunikations-,
Gen-, Reproduktions- und Biotechnologien. Vertreterinnen des postmodernen
Feminismus wie Sadie Plant und Donna Haraway verknüpfen mit den technischen
Veränderungen die Hoffnung auf Emanzipation von patriarchalen Verhältnissen.
Damit argumentieren sie jedoch technikdeterministisch und lassen außer Acht,
daß das kapitalistische Patriarchat auf Ausbeutungs-, Klassen- und Herrschaftsverhältnissen
basiert. Emanzipation kann daher nur als gesellschaftlicher Prozeß verstanden
werden und nicht auf eine technische Dimension reduziert werden. Der technische
Eingriff in die Körperlichkeit des Menschen (und dabei vor allem der Frau)
bedeutet heute eine neue Qualität bestehender Ausbeutungs-, Herrschafts- und
Klassenverhältnisse.
Technologically mediated Debodiment - Emancipation or Risk?
A tendency of debodiment - which can be seen as the process of the human body's
becoming more and more unimportant in different areas - can be witnessed in
the prosthesification of man, the humanization of the robot and the substitution
of embodied, living labour by dead labour. Debodiment is being mediated by
new information-, communication-, gene-, reproduction- and bio-technologies.
Representatives of postmodern feminism like Sadie Plant and Donna Haraway
associate hopes for emancipation from patriarchal relationships with these
new technologies. They argue in a technological determinist manner and do
not consider that the Capitalist Patriarchate depends on exploitation, domination
and class relationships. Emancipation can only be seen as a social process
and should not be reduced to a technological dimension. Technological manipulations
of human bodies (especially of female bodies) can be seen as a new quality
of existing relationships of exploitation, domination and class.
1. Einleitung: Die Entkörperlichung des Menschen
Ziel dieser Arbeit ist eine kritische Beleuchtung der vor allem
im Postmodernismus zu findenden Emanzipationsthese, die davon ausgeht, daß
die technisch vermittelt Entkörperlichung in der Informationsgesellschaft
zur Befreiung aus patriarchal-kapitalistischen Verhältnissen führt. Dazu werden
in der Einleitung die verschiedenen Dimensionen des Begriffs der Entkörperlichung
näher erläutert, in Abschnitt 2 und 3 setzen wir uns mit der Kritik der Emanzipationsthese
in Bezug auf die Cyberspace- (Abschnitt 2) bzw. die Bio-Technologien (Abschnitt
3) auseinander, in Abschnitt 4 erfolgt eine grundsätzliche Kritik postmodernistischer
Strategien, die auch von den VertreterInnen der Emanzipationsthese aufgegriffen
werden.
Die Prothesierung des menschlichen Körpers, d.h. die Substitution von Körperteilen
und Organen durch maschinelle Anwendungen, und die Nachbildung des Menschen
durch Computer und Roboter schreitet immer weiter voran.
Das sich heute verändernde Verhältnis von menschlichem Körper und Maschine
zeigt sich vor allem in drei Bereichen:
1. der Prothesisierung des Menschen
2. der Humanisierung des Roboters
3. der Ersetzung verkörperlichter, d.h. lebendiger Arbeit, durch tote Arbeit
Bei der Prothesisierung des Menschen handelt es sich nicht mehr ausschließlich
um Negativvisionen aus der Cyberpunkliteratur, positiv besetzten Visionen
einer entkörperlichten "Post-Gender-World" (Donna Haraway) oder fiktiven filmischen
Cyborgfiguren wie in Total Recall, Bladerunner, Terminator oder Robocop. Vielmehr
hat die Verwandlung des Menschen in einen kybernetischen Organismus durch
den technischen Eingriff in die Körperlichkeit auch heute eine konkrete Bedeutung
bekommen. Dies zeigt sich z.B. in der Form von künstlichen Organersätzen oder
-zusätzen, der Gen- und Reproduktionstechnologie oder der direkten Verkopplung
von Mensch und Maschine. Der Einbau von mechanischen oder elektronischen Komponenten
in den menschlichen Körper ist heute medizinischer Alltag. Im Juni 2000 wurde
beispielsweise am Chicago Medical Center einem Menschen die erste künstliche
Netzhaut ASR ("Artificial Silicon Retina") implantiert (Telepolis, 4.7.2000).
Einem Blinden wurde ein Mikrochip ins Gehirn eingebaut. Mit Hilfe einer Cyberbrille,
in die eine Kamera eingebaut ist, werden Bilder wahrgenommen, anschließend
von einem Computer digitalisiert und ins Gehirn geschickt. Dazu ist jedoch
die Verbindung des Mikrochips im Gehirn mit dem Computer durch ein Kabel notwendig.
So kann der Blinde Umrisse und Schatten erkennen (Die Welt, 19. 01. 2000).
William Dobelle hat u.a. ein solches System der Artificial Vision erschaffen.
Die Humanisierung des Roboters ist eng verknüpft mit den Entwicklungen und
Fortschritten in der Artificial Intelligence (AI) und im Artificial Life (AL).
Chris Langton hat einen zellulären Automaten (CA) programmiert, dessen Agenten
sich selbst reproduzieren. Diese CA zeigen Phasenübergänge, an denen chaotische
Attraktoren auftreten. Langton meint nun, daß dabei nicht vorhersehbare Signale
auftreten. Die simulierten Phasenübergänge wären äquivalent zu jenen in lebendigen
Systemen. Daher habe er tatsächliches Leben erzeugt. Er läßt dabei außer Acht,
daß technische nicht mit Menschen oder Leben i.A. vergleichbar sind, da qualitative
Unterschiede bestehen. Fähigkeiten wie zweckorientiertes Handeln, Selbstbewußtsein,
Rationalität oder Gefühle sind nur spezifisch für den Menschen. Dadurch unterscheidet
er sich von allen anderen Systemen. Maschinen und soziale Organisationen [1]
sind keine lebendigen Systeme, sie können sich nicht auf einer organischen
autonom selbst reproduzieren.
Nichtsdestotrotz haben heute viele AI-ForscherInnen das Ziel, "menschliche
Roboter" zu erschaffen. So meint z.B. Rodney Brooks: "Ich möchte völlig autonome
mobile Agenten erschaffen, die in der Welt mit Menschen koexistieren und die
von Menschen als eigenständige intelligente Wesen betrachtet werden" (Brooks
1987, S. 7). Marvin Minksy (1994) beschreibt ein KI-System, in dem menschenähnliche
Agenten vorkommen. Er nimmt an, daß der Geist aus maschinellen Agenten zusammengesetzt
werden kann: "Jeder mentale Agent ist für sich allein genommen nur zu einfachen
Tätigkeiten fähig, die weder Geist noch Denken erfordern. Wenn wir diese Agenten
jedoch auf eine ganz bestimmte Weise zu Gesellschaften zusammenfassen, ist
das Ergebnis echte Intelligenz" (Minsky 1994, S.17). Der Mensch ist für Minsky
folglich ein Computer, der Geist also eine Maschine. Es sei nur mehr eine
technische Frage, Computer mit Bewußtsein und Gefühlen zu entwickeln.
Damit argumentiert Minsky klassisch reduktionistisch. Intelligenz sei auf
einzelne Teile zurückführbar. Seine Gleichsetzung von Mensch und Maschine
zeigt sich schon daran, daß er den Inbegriff der Soziologie (Gesellschaft)
für die Beschreibung des Zusammenwirkens von technischen Einheiten benutzt.
Er betrachtet dies allerdings als völlig unproblematisch, die damit verbundenen
Gefahren wie eine Abwertung von Humanismus, einen Freibrief für biopolitische
Experimente und daher in letzter Konsequenz der Eugenik und der rassistischen
Vernichtung sowie die Gefahr deren Legitimierung sieht er nicht. Werden Mensch
und Maschine gleichgesetzt und die qualitativen Unterschiede wegdefiniert
oder geleugnet, so stellt sich das Problem, daß damit vermittelt wird, daß
mit Menschen umgegangen werden darf wie mit Maschinen: Sind sie alt oder nicht
mehr "leistungsfähig", so werden sie "entsorgt". Werden spezielle oder äußerst
effiziente Fähigkeiten benötigt, so werden diese technisch hergestellt. In
bezug auf den Menschen werden also Horrorvisionen kreirt, die durchaus faschistische
Elemente enthalten.
Auch Hans Moravec (1990, 2000) vertritt ähnliche Ansichten wie Minsky. Der
Mensch werde in Zukunft von Robotern ersetzt, menschliche Intelligenz durch
künstliche substituiert. Dadurch werde der Mensch unsterblich. "Wir Menschen
werden eine Zeitlang von ihrer Arbeit [jene der Roboter, Anm. CF] profitieren.
Doch über kurz oder lang werden sie, wie biologische Kinder, ihre eigenen
Wege gehen, während wir, die Eltern, alt werden und abtreten" (Moravec 1990,
S. 13). Der menschliche Geist könne in naher Zukunft auf Maschinen übertragen
werden. Ein Roboterchirurg müsse dazu die Schädeldecke eines Menschen öffnen
und das Gehirn schichtweise abtragen und mit Sensoren abtasten. So sei es
möglich, die Kognition eines Individuums auf einen Roboter zu übertragen.
In der Cyberpunk-Literatur hatten solche Vorstellungen noch einen kritischen
Unterton und konnten als Warnung vor Entwicklungen verstanden werden, die
die Menschheit durch technischen Fortschritt in den Faschismus zurückversetzen.
Bei Moravec handelt es sich nicht mehr um reine Fiktion, sondern um ernsthafte
wissenschaftliche Ansichten. Jede kritische Distanz ist verschwunden.
Bei der Ersetzung verkörperlichter durch tote Arbeit muß zunächst der banalen
Tatsache Rechnung getragen werden, daß gesellschaftliche Arbeit grundsätzlich
an den menschlichen Körper gebunden ist. Mit der Entwicklung der Produktivkräfte
kommt es zu einer voranschreitenden Entkörperlichung der Arbeit. Durch immer
weitere technologische Entwicklungen wird immer mehr menschliche Arbeit durch
jene von Maschinen ersetzt. Dies ergibt sich aus der kapitalistischen Zwangslogik,
immer effizienter zu produzieren, d.h. immer mehr in immer kürzerer Zeit herzustellen.
Marx hat diesen Prozeß vor allem als relative Mehrwertproduktion beschrieben:
Durch immer produktivere Maschinen wird die gesellschaftlich notwendige (Reproduktions)Arbeit
immer weiter verkürzt und der Exploitationsgrad der Arbeit, d.h. ihre Intensität,
steigt an. Lebendige Arbeit wird dabei fortwährend durch tote Arbeit in der
Form technischer Systeme ersetzt. Da aber die lebendige Arbeit die einzige
Quelle der Mehrwertproduktion sein kann, führt also die Produktivkraftentwicklung
der lebendigen Arbeit zur Zersetzung der Basis der Wertproduktion. Hier zeigt
sich also auch ein Widerspruch zwischen lebendiger und vergegenständlichter
Arbeit (vergegenständlichte ersetzt lebendige und damit die Basis des Werts).
Im Lauf der kapitalistischen Entwicklung wächst die tote Arbeit im Verhältnis
zur lebendigen. Dies ist eine langfristige Tendenz, die sich gerade auch in
der heutigen Phase des Kapitalismus äußert. Die Ersetzung von lebendiger durch
vergegenständlichte Arbeit und damit das Voranschreiten einer tendenziellen
Unabhängigkeit der Produktion vom menschlichen Körper hat hier die Konsequenz,
daß sie zu den strukturellen polit-ökonomischen Krisen und ihren gesellschaftlichen
Folgeproblemen wie Arbeitslosigkeit und Armut beiträgt.
Marx brachte diesen Widerspruch in den Grundrissen folgendermaßen auf den
Punkt: "Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch dadurch, daß
es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andrerseits
die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt" (Marx 1857/58,
S. 601).
Mittermayer und Klosterhalfen (2000) rücken alle Überlegungen in Richtung
der Kreation eines "künstlichen Menschen" als utopisch in weite Ferne. Implantationen
und Transplantationen seien zwar heute in der Medizin an der Tagesordnung
und werden auch in Zukunft weiterentwickelt und verbessert werden, ein künstlicher
Mensch setze jedoch auch künstliches Bewußtsein voraus. Und da heute völlig
unklar ist, was Bewußtsein genau sein soll, würde der künstliche Mensch "nicht
so schnell Wirklichkeit" werden (Mittermayer/Klosterhalfen 2000, S. 23). Daß
Entkörperlichung im kapitalistischen Weltsystem jedoch konkrete Gefahren mit
sich bringt, sollte nicht unterschätzt werden.
Wir sind heute mit einer Reihe scharfer gesellschaftlicher Veränderungen konfrontiert.
Ökonomisch gesehen haben wir es mit neuen Phänomenen wie einer diversifizierten
Qualitätsproduktion, der flexiblen Spezialisierung, einer Dezentralisierung
der Unternehmensstruktur, Outsourcing, Netzwerkstrukturen, einer Enthierarchisierung
der internen Unternehmensorganisation, flachen Betriebshierarchien, Teamarbeit,
partizipatorischem Management und neuen Unternehmensphilosophien, die die
Arbeitenden psychisch integrieren (bzw. zugespitzt formuliert: vereinnahmen
und verzwecken) wollen, Just-in-time-Produktion, einem neuen Schub der ökonomischen
Globalisierung, einer weiteren Tertiarisierung und Informatisierung von Ökonomie
und Arbeit, dem Abbau der institutionellen Schranken der Kapitalakkumulation
durch Deregulierung und einer Triadisierung des Welthandels und des Kapitalexports
zu tun. Politisch gesehen sind wir heute mit Neoliberalismus, Nationalem Wettbewerbsstaat,
der Dominanz der Ökonomie über die staatliche Politik, Deregulierungen, Sozialabbau,
dem Ende des wohlfahrtsstaatlichen "Sicherheitsstaats" und einem neuen Schub
an Durchstaatlichung in Form der Zunahme der repressiven Absicherung des Kapitalverhältnisses
nach Innen (verstärkte Überwachung, Law and Order-Politik) und Außen (Abdichtung
der Grenzen, Militarisierung) konfrontiert. Moderne Bio-, Computer-, Informations-
und Kommunikationstechnologien spielen bei diesen Veränderungen eine wesentliche
Rolle. Sie sind sowohl Medium, als auch Resultat der gesellschaftlichen Veränderung.
Wir können heute sicherlich von einem informationsgesellschaftlichen Kapitalismus
sprechen (siehe Fuchs 2001), da Arbeits- und Lebenswelt durch die umfassende
Informatisierung wesentlichen Transformationen unterliegen. Umstritten ist
im gesellschaftstheoretischen Diskurs die Frage, ob diese neuen Technologien
nun vorwiegend positive oder negative Auswirkungen mit sich bringen. Für das
Thema des technischen Eingriffs in die Körperlichkeit und die Frage nach möglichen
positiven und negativen Auswirkungen ist es von Interesse, sich die im Feminismus
dazu ablaufende Diskussion näher anzusehen, um Rückschlüsse darauf ziehen
zu können, ob technisch vermittelte Entkörperlichung nun die Verschärfung
von bestehenden Herrschaftsverhältnissen oder die Emanzipation von Herrschaft
mit sich bringen kann.
2. Entkörperlichung im Cyberspace als Emanzipation vom kapitalistischen
Patriarchat?
Da Gesellschaftstheorie immer in Bezug auf die Veränderung gesellschaftlicher
Verhältnisse agiert, ist es logisch, daß sich die feministische Theorie im
"informationsgesellschaftlichen Kapitalismus" damit auseinandersetzt, wie
sich nun die Rolle von Frauen durch die neuen Technologien verändert. Und
wie in jeder techniksoziologischen und -philosophischen Diskussion gibt es
dabei auch TechnikoptimistInnen, die die als positiv erachteten gesellschaftlichen
Auswirkungen der neuen Technologien betonen. Bei aktuellen feministischen
Technikdiskursen fällt auf, daß dabei vor allem von Vertreterinnen (und Vertretern)
postmodernistischer Ansätze die These vertreten wird, daß die modernen Computertechnologien
zur Entkörperlichung und dadurch zu einer Emanzipation von geschlechtsspezifischen
Diskriminierungen und patriarchalen Verhältnissen führen könnten.
Die wichtigste Vertreterin der These einer Emanzipation durch technisch vermittelte
Entkörperlichung ist die postmoderne Feministin Donna Haraway, die den Begriff
des/der Cyborg(s) für feministische Diskussionen aufgegriffen hat (siehe Haraway
1995, 1996, 1997; zur Kritik z.B. Fuchs 1998, Soper 1999): "Cyborgs sind kybernetische
Organismen, Hybride aus Maschine und Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen
Wirklichkeit wie der Fiktion" (Haraway 1995, S. 33). Cyborgs sind also Mischungen
aus Maschinen und Menschen, die es derzeit tatsächlich und in Vorstellungen
oder Zukunftsvisionen gibt. Dies deutet auch bereits Haraways Faible für Science
Fiction an. Dort gibt es bekanntlich unzählige Cyborgs, beispielsweise die
Borgs in Star Trek. Derzeit käme es - nach Haraway beispielsweise in Militär,
Medizin oder in der Form von Cybersex zur Überschreitung der Grenze zwischen
Mensch und Maschine.
Mit der Cyborgmetapher versucht Haraway Veränderungen in unserer Gesellschaft
zu beschreiben und Vorstellungen über die Zukunft zu entwickeln. Dazu gehört
die Vorstellung, daß Cyborgs "Geschöpfe in einer Post-Gender-Welt" (Haraway
1995, S. 35) sind. Es geht ihr also um die Auflösung der Grenze zwischen Mann
und Frau, da unter den herrschenden Bedingungen Gender als soziales Geschlecht
eine Kategorie sei, entlang derer sich Ungleichheiten manifestieren. Es geht
ihr also um eine Vision, in der diese Ungleichheiten, die Unterdrückung und
Diskriminierung von Frauen zu Folge haben, aufgehoben sind. "Es geht darum
zu lernen, uns daran zu erinnern, daß wir [...] körperlich immer noch anders
werden können" (Haraway 1996, S. 365). Mit technologischen Entwicklung, die
immer stärker zu einer Entkörperlichung führen, ist auf Grund der hybriden
Identität der Cyborgs - d.h. der Unmöglichkeit einer geschlechtlichen Zuordnung
- bei Haraway die Vision einer Gesellschaft ohne geschlechtsspezifische Unterdrückung
verbunden.
Der Begriff des/der Cyborg(s) wurde von Clynes/Kline (1960) Anfang der sechziger
Jahre geprägt. Sie dachten, daß für die Raumfahrt Hybride aus Mensch und Maschine
notwendig seien, damit diese in außerirdischen Welten überleben können. Cyborgs
seien "self-regulating man-machine-systems". Norbert Wiener spricht von der
Austauschbarkeit von Organismen und Maschinen. Eine Verkettung von Mensch
und Maschine stellte er sich vor, wobei er davon ausgeht, daß es "theoretisch
möglich [sei], ein menschliches Wesen durch eine Telegraphenleitung zu schicken"
(Wiener 1964, S. 35). Auch der polnische Futurologe Stanislaw Lem sprach zu
einem frühen Zeitpunkt bereits von der Cyborgisierung und der Unvermeidlichkeit
der Invasion der Technik in den menschlichen Körper (Lem 1980). Was damals
noch utopisch geklungen haben mag, erscheint heute angesichts der Diskussionen
um Cyborgs in greifbare Nähe gerückt zu sein. Auch Lem prägte also bereits
in den 60ern die Kategorie des Cyborgs: "Der Cyborg weist eine Reihe biologischer
Elemente auf, so ein Skelett, Muskeln, Haut und ein Gehirn, doch steuert dieses
Gehirn die bisher unwillkürlichen Funktionen des Körpers bewußt, denn an den
entscheidenden Punkten des Organismus befinden sich osmotische Pumpen, die
ihm nach Bedarf Nährstoffe, aktivierende Substanzen [...] oder umgekehrt solche
Stoffe zuführen, die den Grundumsatz senken oder ihn sogar in den Zustand
der Hibernation versetzen" (Lem 1980, S. 548f).
Die postmoderne Feministin Judith Butler (1990) spricht sich an Stelle von
Mensch-Technik.-Systemen für Taktiken aus, die zur Subversion geschlechtlicher
Identitäten und damit zu einer Emanzipation von patriarchalen Verhältnissen
führen. Auch sie vertritt also die Emanzipationsthese. Naheliegend sind zu
dem auch Querverbindungen zu Haraway, da Cyborgs zum einen als eine Subversion
geschlechtlicher Identitäten im Butlerschen Sinn aufgefaßt werden können.
Zum anderen schließt Butlers Geschlechtsbegriff als Performanz ein Überschreiten
der geschlechtlichen Grenzen zwischen Mann und Frau im Sinn einer/s Cyborg(s)
ein.
Während Donna Haraway die Emanzipationsthese stärker auf die kybernetischen
Organismen zentriert, bezieht Sherry Turkle diese These vor allem auf den
virtuellen Raum. Sie greift Butlers Ansatz auf, um das Verhältnis von Identität
und neuen Informations- und Kommunikationstechnologien näher zu bestimmen.
Eine Auswirkung der Kommunikationstechnologie ist nämlich die Herstellung
einer Derealisierung, die Distanz zwischen Realität und Fiktion hebt sich
tendenziell auf, beide verschwimmen: "Fiktion und Realität werden austauschbar,
selbst dort, wo man die Daten eines realen Objekts aufnimmt, da der Computer
eine unendliche Zahl von Bildern produzieren kann" (Raulet 1988, S. 289).
Turkle (1996) betont nun, daß Multi User Dungeons (MUDs) - vernetzte Rollenspiele,
die über das Internet gespielt werden - es den Spielerinnen und Spielern ermöglichen,
verteilte und multiple Identitäten auszuprobieren. Die Identität eines Nutzers
ist damit nicht mehr eindeutig bestimmbar. Von besonderem Interessen bei den
Formen der Herstellung multipler Identitäten in MUDs ist für Turkle der Geschlechterrollentausch,
das Gender-Swapping (siehe Turkle 1998). "Geschlechtertausch stellt eine Gelegenheit
dar, Konflikte zu ergründen, die durch die eigene biologische Geschlechtszugehörigkeit
aufgeworfen werden" (Turkle 1998, S. 345). Durch das Medium des virtuellen
Raums kommt es also in MUDs in dem Sinn zu einer Entkörperlichung, daß nicht
mehr eindeutig feststellbar ist, ob mit einem Mann oder einer Frau kommuniziert
wird. Von daher stammt die These, daß die Körperlichkeit im virtuellen Raum
hinter die Identitätsbildung zurücktritt. Virtueller und physischer Körper
stimmen nicht mehr notwendigerweise überein. Im Sinn von Judith Butler werden
MUDs als eine Subversionstaktik geschlechtlicher Identitäten betrachtet.
Auch Sadie Plant (1997, 2000) kann als eine Vertreterin der Emanzipationsthese
in bezug auf den virtuellen Raum betrachtet werden. In der Zeit vor Multimedia
hätten die Medien auf den Aktivitäten einzelner Organe basiert. Im Bereich
von Multimedia zeige sich nun das Überschreiten dieser Grenzen, durch die
Konvergenz der Medien komme es auch zu einer Konvergenz ehemals medial separierter
körperlicher Organe. Der Körper sei daher heute nicht einfach eine Ansammlung
von Organen, sondern ein Punkt der Verschmelzung verschiedenster materieller
Flüsse. Die Separation der Individuen von der Natur und dem Rest der Welt
komme dadurch zu einem Ende, jedes System der Herrschaft habe auf solchen
Spaltungen und Separationen aufgebaut. Kontrolle sei nicht beliebig ausdehnbar
und verkehre sich an einem bestimmten Punkt in ihr Gegenteil. Machtstrukturen,
die ihre Macht und Kontrolle immer weiter ausweiten wollen, würden diese Kontrolle
an einem gewissen Punkt unterminieren, da sie eine von unten nach oben sich
selbst organisierende Opposition stimulieren würden. Die Kontrolle von Frauen
betreffend, sei dieser Punkt heute erreicht. Plant behauptet deshalb einen
engen Zusammenhang zwischen technologischer Entwicklung und der Emanzipation
der Frau: "Just as machines get more intelligent, so women get more liberated!"
(Plant).
VertreterInnen solcher Emanzipationsthesen ist gemeinsam, daß sie von einer
äußerst technikoptimistischen Sichtweise ausgehen und daß sie die grundsätzliche
Einbindung der Technik in die Widersprüche des Kapitalismus ignorieren. Die
gegenwärtige Verschärfung der globalen Probleme und die Prekärisierung der
Lebensverhältnisse immer größerer Teile der Weltbevölkerung wird jedoch auch
technisch vermittelt, da Technik immer auch ein Mittel zur Durchsetzung herrschender
Interessen darstellt.
Zur Kritik der postmodernistischen Emanzipationsthese muß gesagt werden, daß
deren VertreterInnen zumeist technologisch deterministisch argumentieren.
Von einer technischen Entwicklung (in diesem Fall der Entkörperlichung durch
das Überschreiten der Grenzen zwischen Mensch und Maschine bzw. zwischen virtueller
und tatsächlicher Realität) wird die Emanzipation vom Patriarchat erwartet.
Solche Argumentationen müssen sich daher den Einwand des Technikfetischismus
gefallen lassen.
Der herrschaftsförmige Charakter der Technik in der kapitalistischen Gesellschaft
wird in dem Maße ausgeblendet, wie technikreduktionistische und -determinstische
Argumentationen das wechselseitige Verhältnis von Technik und Gesellschaft
ignorieren und ausschließlich technisch induzierte gesellschaftliche Veränderungen
betonen. Technik ist allerdings nur ein Mittel, das angewendet wird, um bestimmte
Interessen durchzusetzen. Sie kann weder Emanzipation bewirken noch als die
Ursache von Frauenunterdrückung oder sonstigen Herrschaftsverhältnissen bestimmt
werden. Beides kann nur aus sozialen Prozessen bzw. deren praktischer Aufhebungsbewegung
resultieren. Die VertreterInnen der Emanzipationsthese mißachten dies und
schreiben der Technik an sich emanzipatorische Fähigkeiten zu. Emanzipation
ist allerdings ein sozialer Prozeß, in dem Freiheit von Herrschaft erst hergestellt
werden muß.
Für Karl Marx war das wechselseitige Verhältnis von Technik und Gesellschaft
stets dialektisch.. So meinte er etwa im Kapital: "Die von der kapitalistischen
Anwendung der Maschinerie untrennbaren Widersprüche und Antagonismen existieren
nicht, weil sie nicht aus der Maschinerie selbst erwachsen, sondern aus ihrer
kapitalistischen Anwendung!" (Marx 1867, S. 465). Technik ist für Marx prinzipiell
ein Mittel, um den Menschen das Leben einfacher zu machen und ihnen mehr Zeit
und Raum für die freie und selbstbestimmte Gestaltung ihres Lebens zu ermöglichen.
Durch die kapitalistische Anwendung der Technik zeige sich aber genau das
Gegenteil: Verlängerung des Arbeitstages, Arbeitslosigkeit, soziale Probleme
und Armut. Marx verfällt also weder in Technikoptimismus oder -optimismus,
sondern meint: Es ist sowohl ein Einsatz der Maschinerie mit positiven als
auch einer mit negativen Folgen für die Menschheit möglich. Dies sei jedoch
abhängig vom sozialen Einsatz der Technik, insbesonders vom ökonomischen System.
Veränderungen im Verhältnis von Technik und Gesellschaft müssen auch noch
heute auf der Basis eines dialektischen Ansatzes erklärt und kritisiert werden
- auch die technisch vermittelten Veränderungen der Körperlichkeit und die
Auswirkungen auf die Herrschaftsverhältnisse, mit denen Frauen konfrontiert
sind. Die postmodernistische Emanzipationsthese zeigt, daß nichtdialektische
Ansätze, die sich mit dem Verhältnis von Technik und Gesellschaft auseinandersetzen,
sehr leicht unkritisch und affirmativ urteilen.
Hier wird im Gegensatz zur postmodernistischen Emanzipationsthese nicht davon
ausgegangen, daß Computer-, Informations- und Kommunikationstechnologien in
der heutigen Dauerkrise des Kapitalismus vorwiegend emanzipatorisch wirksam
werden können, sondern daß sie in erster Linie zu einer Verschärfung der globalen
Probleme und der Vertiefung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse - was
nicht nur das patriarchale Verhältnis als Klassenverhältnis, sondern sämtliche
Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse betrifft - führen, um die Krise
des Kapitalismus auf Kosten der Beherrschten durchzusetzen. Technik ist dabei
also in die Widersprüchlichkeit des postfordistischen Kapitalismus eingebettet.
Damit ist nicht gesagt, daß Technik keine positiven Auswirkungen haben könnte
und daß die Technik "an sich" ein Dämon wäre, sondern vielmehr wird die Ansicht
vertreten, daß das dialektische Verhältnis von Technik und Gesellschaft im
kapitalistischen Patriarchat so aussieht, daß Technik Medium der Kontrolle
und Herrschaft über Beherrschte ist.
Neben den für die kapitalistische Ökonomie typischen zyklischen Krisen ist
spätestens seit den siebziger Jahren eine Dauerkrise des kapitalistischen
Weltsystems getreten, die sich in einem Fall der Durchschnittsprofitraten
manifestiert. Natürlich versucht das Kapital durch verschiedenste Maßnahmen
dieser Entwicklung entgegen zu steuern. Insbesondere die neoliberale (Wirtschafts)Politik
und eine flexible Akkumulationsstrategie werdn als Instrumente eingesetzt.
Insgesamt gesehen führt dies zur Deregulierung der Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation,
zur permanenten Schwächung der sozialen Absicherung der Lohnarbeitenden und
zur Ausbreitung prekärer Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse. Frauen sind
von der sich daraus ergebenden "Entsicherung" der Lebensverhältnisse in besonderem
Ausmaß betroffen, da sie sich im Kapitalismus schon immer in sozial besonders
prekären Verhältnissen befunden haben.
Ein weiterer Weg aus der Krise des Systems besteht in der Erschließung neuer
Investitionsräume für das Kapital. Ein solches "neues Territorium" stellt
heute auch der weibliche Körper auf qualitativ neuartige Weise dar. Nicht
zuletzt stellen die Gen-, Computer- und Fortpflanzungstechnologien Instrumente
dar, die nicht etwa für die Förderung menschlichen Glücks entwickelt werden,
sondern vor allem um durch die Kapitalisierung des Körpers als Investitionsterritorium
neue Profitmöglichkeiten für das krisengeschüttelte Weltwirtschaftssystem
zu schaffen (vgl. Mies 1995a).
Da die Profitrate durch vielfältige Faktoren beeinflußt wird, bietet sich
für das Kapital immer die Nutzbarmachung verschiedenster Agenzien an, wobei
der "klassischen" in Form der Ausweitung der unbezahlten Mehrarbeit von jeher
eine besondere Rolle zukommt. Unbezahlte Arbeit wird aber häufig von Frauen
geleistet. Im Zuge der Prekärisierung immer weiterer Teile der Arbeitsverhältnisse
setzt sich im Postfordismus eine typische Form der "Hausfrauisierung" durch:
Immer mehr Beschäftigungsverhältnisse nehmen den Charakter von Frauenarbeit
an, die schlecht oder gar nicht bezahlt wird, keine oder eine schlechte sozialstaatliche
Absicherung aufweist und arbeitsrechtlich kaum geschützt ist.
Der aktuelle Schub an ökonomischer Globalisierung, bedeutet nichts anderes,
als daß Kapitalkosten durch die Verlagerung von Produktionseinheiten eingespart
werden sollen. Und von der sich daraus ergebenden Überausbeutung in äußerst
niedrig bezahlten und schlecht abgesicherten Arbeitsverhältnissen sind Frauen
wiederum in einem überproportionalen Ausmaß betroffen. Informations- und Kommunikationstechnologien
können als Medium und Resultat der ökonomischen Globalisierung betrachtet
werden, sie werden für eine Umstrukturierung des globalen kapitalistischen
Systems eingesetzt. Daraus ergibt sich auch der Zusammenhang zwischen informationell-technischer
Globalisierung und "Hausfrauisierung". Die Entkörperlichung im Cyberspace
führt also in der Tendenz nicht zu einer Emanzipation aus patriarchalen Verhältnissen
führt, sondern vertieft bestehende Herrschaftsverhältnisse.
3. Entkörperlichung und Bio-Technologie
Die VertreterInnen der postmodernistischen Emanzipationsthese setzen zudem
auch große Hoffnungen in die modernen Bio- und Reproduktionstechnologie. Während
im marxistischen und radikalen Feminismus auf die Gefahren dieser Technologien
hingewiesen wird, unterstellen postmodernistische Herangehensweisen in erster
Linie einen emanzipatorischen Nutzen.
So meint etwa wiederum Donna Haraway, die Biotechnologien seien zwar einerseits
gefährlich, würden aber andererseits - so wie das menschliche Genom - eine
Chance auf positive gesellschaftliche Veränderungen bieten. Typisch für die
Biotechnologie sei heute die Herstellung transgener Organismen durch die Übertragung
von Genen einer Art auf eine andere. Dies stellt Haraway in einen antirassistischen
Kontext, da die Reinhaltung der Körper und der Abstammung Basis rassistischer
Diskurse sei (Haraway 1996, S. 374f; Haraway 1997, S. 60f). Dabei zeigt sich
jedoch, daß die Autorin dazu neigt, Kritik an der Biotechnologie - die sie
selbst allerdings auch für notwendig erachtet - damit abzutun, daß sie KritikerInnen
in einen rassistischen Zusammenhang mit Vertretern der Ideologie einer "reinen
Rasse" bringt (siehe Haraway 1997, S. 61f). Die Erzeugung transgener Organismen
biete vielmehr die Hoffnung auf eine Welt der Cyborgs, in der durch eine Entgeschlechtlichung
geschlechtsspezifische Herrschaft aufgehoben sei.
Die postmodernistische These, daß Bio- und Reproduktionstechnologien zu einer
postpatriarchalen Gesellschaft ohne geschlechtsspezifische Diskriminierung
führen, muß jedoch aus verschiedenen Gründen in Frage gestellt werden. Problematisch
ist vor allem, daß sich die Argumentationen auf den oben bereits kritisierten
Technikdeterminismus und -fetischismus stützen. Auch für Bio- und Reproduktionstechnologien
gilt jedoch, daß sie in die Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Gesellschaftsformation
eingebunden sind und gesellschaftliche Probleme (mit)produzieren.
Unter dem spezifischen Umfeld einer kapitalistischen Gesellschaft sind ebenfalls
Medizin und Forschung nicht ausschließlich am Allgemeinwohl interessiert,
sondern sind Teil des Verwertungssystems und daher auch Mittel zur Durchsetzung
der Interessen herrschender ökonomischer Klassen. Die Linderung menschlichen
Leids ist im Kapitalismus eben oftmals demagogisch genutztes Mittel, um die
tatsächlichen Gefahren neuer Technologien zu verschleiern und um diese für
die effiziente Organisierung der Kapitalherrschaft nutzbar zu machen. Heute
wird konkret über die "Optimierung" der Kosten des Gesundheitswesen, über
bevölkerungspolitische Maßnahmen zur Eindämmung der "Bevölkerungsexplosion"
oder (vorerst "nur") über das Klonen von Tieren diskutiert. Dabei erhält die
Biotechnologie reale Bedeutung für die Organisation von Verwertungsprozessen,
von Emanzipationstendenzen durch diese Technologien ist nichts zu erkennen.
Die liberal gesinnten Rufe nach der Zivilisierung der neuen Praktiken werden
spätestens dann verstummen, wenn die angeblichen großen Vorteile der Humantechnologie
durch die Medienmaschinerie noch viel intensiver ins Bewußtsein der Menschen
gebracht werden. Es ist unter den herrschenden sozioökonomischen Verhältnissen
nicht auszuschließen, daß mittelfristig die "Entsorgung" nicht mehr verwertbarer
- d.h. kranker, alter oder schwacher - humaner Körper sowie die ökonomisch
effektive Kreation neuer Körper an der Tagesordnung sein wird.
Ein Gesellschaftssystem, das permanent mit dem Leben von Menschen kalkuliert
und zur Prekärisierung der Lebensverhältnisse immer größerer Teile der Weltbevölkerung
führt, wird keine moralischen Bedenken vor ökonomische Interessen stellen.
Die Gefahr einer neuen Eugenik kann nicht einfach als Übertreibung abgetan
werden, denn heute sprechen beispielsweise immer mehr Ärzte von der Euthanasie
von "zu teuren" Kranken oder es wird in wissenschaftlichen Kreisen ernsthaft
über faschistoide bevölkerungspolitische Maßnahmen diskutiert. So sprach sich
z.B. Peter Sloterdijk bei einer Veranstaltung zur Kritik des Humanismus durch
den nationalsozialistischen Paradephilosoph Martin Heidegger für eine vorgeburtliche
Selektion aus: "Ob aber die langfristige Entwicklung auch zu einer genetischen
Reform der Gattungseigenschaften führen wird - ob eine künftige Anthropotechnologie
bis zu einer expliziten Merkmalsplanung vordringt; ob die Menschheit gattungsweit
eine Umstellung vom Geburtenfatalismus zur optionalen Geburt und zur pränatalen
Selektion wird vollziehen können - dies sind Fragen, in denen sich, wie auch
immer verschwommen und nicht geheuer, der evolutionäre Horizont vor uns zu
lichten beginnt" (Sloterdijk 1999, S. 15). Natürlich werden da Erinnerungen
wachgerufen an die faschistische Vernichtung von als nicht "lebenswert" bezeichnetem
Leben. Würden Beiträge wie jener von Sloterdijk geistige Hegemonie erlangen,
so stünde einer neuen Eugenik tatsächlich nur mehr wenig im Weg. Die neuen
Biotechnologien sind mit der in einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung
sehr realistischen Gefahr verbunden, daß erwünschte Fähigkeiten und Eigenschaften
und unerwünschte definiert werden. Erwünscht sind dabei immer jene, die die
Akkumulation des Kapitals effizienter gestalten helfen. Die Biotechnologie
könnte nun eingesetzt werden, um die "unerwünschten" Elemente zu selektieren.
Eugenikähnliche Herangehensweisen zeigen sich heute vor allem in der Bevölkerungspolitik.
Eine "Bevölkerungsexplosion" und eine daraus resultierende "Überbevölkerung"
werden für die Armut in der "Dritten Welt" verantwortlich gemacht. Dabei wird
ignoriert, daß Armut ein gesellschaftliches Problem ist, daß ganz wesentlich
mit der globalen Dimension der Kapitalakkumulation des kapitalistischen Weltsystems
verschränkt ist. Die (Re)Produktion von Armut wird mit fragwürdigen Argumenten
als genetisch bedingte, vorwiegend Schwarzen inhärente Eigenschaft zugeschrieben.
Daraus abgeleitet, wird die Bekämpfung der Armut oft nicht als mit den sozioökonomischen
Verhältnissen verschränkt begriffen. Donna Haraway spricht als Kritik an solchen
Diskursen in Anlehnung an Marxens Kritik des Warenfetisch vom Genfetisch (Haraway
1997, S. 141-148).
Bevölkerungspolitische Maßnahmen wie Zwangssterilisationen verstärken den
Eindruck, daß die Menschen in der Dritten Welt an ihrer Armut selbst Schuld
sind. Gleichzeitig werden die großteils weißen Menschen in den Metropolen
des kapitalistischen Weltsystems zur vermehrten Fortpflanzung animiert.
Wenn Donna Haraway behauptet, KritikerInnen der Biotechnologien wollten "reine
Herrenrassen" schaffen, dann besteht tatsächlich jedoch genau die umgekehrte
Gefahr, daß diese neuen Biotechnologien zur Selektion unerwünschter und als
minderwertig betrachteter Bevölkerungsgruppen eingesetzt werden, um ein "neues
Herrenmenschentum" zu schaffen. Eine weitere Dimension ist, daß durch die
Schaffung und Züchtung eines künstlichen Menschen versucht werden könnte,
besonders leistungsfähige und willenlose Individuen zu klonen.
Der Umstand, daß im Kapitalismus die die lebendige Arbeitskraft die einzige
Ware der Arbeitenden ist, führt dazu, daß auch der menschliche Körper grundsätzlich
zur Ware wird. Durch die Fortpflanzungstechnologie bekommt die Kommodifizierung
des Körpers eine neue Dimension (vgl. Russell 1994/1997, Mies 1995b). Leihmutterschaft
via In-Vitro-Vertilisation geht von der Annahme aus, daß der weibliche Körper
und seine Organe Waren sind. Der weibliche Körper erhält so eine neue Dimension
des Tauschwerts - ein menschlicher Körper, der nun als von der Frau hergestelltes
Produkt betrachtet werden muß, tauscht sich gegen Geld aus. Nicht unrealistisch
ist die Negativvision von Frauen als Gebärmaschinen, die dafür bezahlt werden,
daß sie durch technische Eingriffe und Befruchtung mit genmanipuliertem Sperma
Kinder mit speziellen Fähigkeiten zur Welt bringen. Eine spezielle Variante
wäre schließlich die Vorstellung, daß arme Frauen Kinder für Reiche gebären.
Dazu könnten eigene Firmen geschaffen werden, die Frauen als Lohnarbeiterinnen
für das Gebären von Kindern anstellen. Gena Corea spricht von der Horrorvorstellung
eines "Brutbordells".
Fortpflanzungstechnologie wird zumeist als Fortschritt angepriesen, der Frauen
mehr Wahlmöglichkeiten gibt sowie Erbkrankheiten und Unfruchtbarkeit beseitigen
hilft [2]. Tatsächlich steigt der Druck
auf Frauen, perfekte Kinder zu gebären. Unfruchtbarkeit wird heute als Krankheit
definiert, die technisch beseitigbar ist. Tatsächlich wäre es aber sinnvoll,
die sozialen Komponenten der Unfruchtbarkeit, die sich aus gesellschaftlichen
Verhältnissen ergeben, in Betracht zu ziehen. Dann würde nämlich nicht die
technische Machbarkeit im Vordergrund stehen, sondern ausgehend davon, daß
Unfruchtbarkeit nicht ausschließlich als biologisch, sondern auch als gesellschaftlich
bedingt begriffen wird, käme es vor allem auch auf die Veränderung der gesellschaftlichen
Verhältnisse an, in denen Frauen beherrscht und ausgebeutet werden.
Eine weitere Gefahr besteht darin, daß weibliche Körper als Testlabor für
biotechnologische Entwicklungen benutzt werden. Vor allem Frauen, die in prekären
Verhältnissen leben, oder Frauen aus der "Dritten Welt" wären sicherlich bereit,
im Tausch gegen etwas Geld ihren Körper für derartige Versuchszwecke zur Verfügung
zu stellen, um ihre soziale Situation zu verbessern. Ziel der Forschung wäre
dabei, die Kapitalakkumulation durch den Test an Menschen und die Entwicklung
neuer Technologien effektiver zu gestalten. Auch Desinformationen könnten
dabei eine Rolle spielen, indem Frauen vorgetäuscht wird, daß gewisse Eingriffe
in ihren Körper sinnvoll sind, um bestimmte Limitierungen oder Krankheiten
zu beseitigen oder ihnen vorzubeugen.
FeministInnen bringen auch immer wieder das Argument vor, daß die neuen körpermanipulierenden
Technologien zur Enteignung des weiblichen Körpers führen (vgl. Werlhof 1996).
Die Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper werde durch gesellschaftliche
Zwänge, technische Eingriffe in die Körperlichkeit vornehmen zu lassen, um
bestimmte Vorgaben zu erfüllen (keine behinderten Kinder, perfekte Kinder,
Kinder für Unfruchtbare durch Leihmutterschaft, In-Vitro-Vertilisation, künstliche
Befruchtung etc.), unterminiert. Jene, die für die neuen Fortpflanzungstechnologien
argumentieren, meinen jedoch genau das Gegenteil: das Selbstbestimmungsrecht
der Frau würde technisch erweitert. Judy Wajcman (1994) weist darauf hin,
daß der weibliche Körper in der westlichen Medizin als Maschine betrachtet
wird. Frauen waren daher schon immer das Hauptobjekt medizinischer Versuche
und Interventionen. Auch die neuen Technologien dienen vor allem als Mittel
der Kontrolle und Beherrschung von Frauen.
Die technologische Rationalität ist heute human orientierten Technik entgegengesetzt.
Denn eine solche Technik würde eine am Menschen orientierte Gesellschaft voraussetzen.
Entkörperlichung und technische Eingriffe in den Körper bleiben jedoch der
Waren- und Akkumulationslogik des Kapitalis unterworfen.
Auch in Bezug auf die Biotechnologien kommen wir genauso wie bei den Cyber-Technologien
zu dem Schluß, daß die postmodernistische Emanzipationsthese nicht zutreffend
ist, sondern daß die Verkopplung von Widerspruchsdynamik des kapitalistischen
Weltsystems und technologischen Paradigma heute zu einer Vertiefung von bestehenden
Gefahren und Herrschaftsverhältnissen führt.
4. Die Emanzipationsthese als typische Herangehensweise der postmodernistischen
Theorie
Es ist keineswegs zufällig, sondern nur logisch und konsequent,daß die Emanzipationsthese
ausgerechnet vor allem von Vertreterinnen und Vertretern einer postmodernistischen
Gesellschaftstheorie vertreten wird, sondern als logisch und konsequent. Als
typisch für postmodernistische Herangehensweisen können wir die Ablehnung
von Universalismus, ganzheitlichen Konzepten, Klassenbegriff, Befreiung der
gesamten Menschheit, großen Gesellschaftstheorien und -entwürfen, jeglicher
Form von Objektivität, und im Gegensatz dazu die Betonung von Differenz, Pluralität,
Komplexität, sozialer Konstruktion, Subjektivität, Relativität und Identität
betrachten. Es ist deshalb nur konsequent, wenn postmodernistischen Ansätzen
zumeist eine antimarxistische Orientierung immanent ist. Im Mittelpunkt steht
nicht mehr Analyse der Widersprüche des Kapitalismus, sondern die Preisung
der Vorteile der angeblich heute postmodernen - und daher zumeist auch "postkapitalistischen"
(!) - Gesellschaft. Die Befreiung der Gesellschaft und der gesamten Menschheit
durch eine soziale Revolution wird ersetzt durch individualistische Strategien
der (Selbst)Befreiung, die Klassensolidarität weicht der Betonung von Differenz
und Pluralität der Lebensstile, an Stelle des Klassenkampfes tritt die Identitäts-
und Repräsentationspolitik - der Kapitalismus wird zu allem Möglichen, angeblich
Fortschrittlichem umgedeutet wie: "Bürgergesellschaft", "reflexiven Modernisierung",
"Dritter Weg", "Multioptionsgesellschaft", "Wissensgesellschaft", "postindustrielle
Gesellschaft", "polyzentrische Gesellschaft", "virtuelle Gesellschaft", "Risikogesellschaft",
"Weltgesellschaft", "Arbeitsgesellschaft", "funktional differenzierte Gesellschaft",
"Erlebnisgesellschaft", "transkulturelle" oder "multikulturelle Gesellschaft"
oder auch "desintegrierende Gesellschaft". Die Betonung gewisser Adjektive
und Substantive (Erlebnis, Multioption etc.) lenkt dabei immer von der Tatsache
ab, daß wir heute in erster Linie noch immer in einer kapitalistischen Gesellschaft
- wenngleich diese auch in eine neue, postfordistische Phase eintritt - leben,
die Nachteile für weite Teile der Weltbevölkerung mit sich bringt.
Auch die VertreterInnen der Emanzipationsthese schweigen vom Kapitalismus,
um statt dessen die Fortschrittlichkeit der Technik in der angeblich erreichten
postmodernen Gesellschaft zu preisen. Die neuen Technologien und die damit
einhergehende Entkörperlichung sollen in eine postmoderne Gesellschaft führen.
So ist für Donna Haraway (1996; 1997) die neue "Techno-Science" deutlich unterschiedlich
von der Moderne. Sie bezeichnet die gesellschaftlichen Veränderungen, die
durch Bio-, Kommunikations- und Computertechnologie ausgelöst werden, zwar
nicht explizit als Postmoderne, meint aber genau diese Konzeption (vgl. Haraway
1996, S. 367f). Sherry Turkle geht ebenfalls davon aus, daß die neuen Technologien
zur postmodernen Gesellschaft führen. Die Manifestationen von multipler Identität,
so Turkle, würden zu einer "umfassenden Überprüfung traditioneller, unitärer
Identitätstheorien" beitragen (Turkle 1998, S. 424). Der virtuelle Raum würde
es Menschen ermöglichen, ein flexibles und wandlungsfähiges Selbst zu entwickeln.
Diese Konzeption des Selbst sei "postmodern", da sie eine Vielfalt an flexiblen
Identitäten ermögliche. Das Internet besitze die Fähigkeit, Identitätskonzepte
zu verändern. Der postmoderne Aspekt der Computertechnologie bestehe darin,
daß sie ermögliche, vielfältige Standpunkte einzunehmen. Auch Evelyn Fox Keller,
die ebenfalls der Emanzipationsthese anhängt [3],
betont einen postmodernistischen Charakter der Gesellschaft, in der die Wissens-
und Erkenntnisproduktion einer dynamischen Objektivität unterliege (vgl. Fox
Keller 1986, 1996b), die auf Basis von "Differenzdenken" zustandekomme. Notwendig
sei in der Postmoderne daher der Respekt vor der Differenz.
Der unkritische Technikoptimismus der VertreterInnen der Emanzipationsthese
läßt sich aus der grundsätzlichen Verhaftung in der postmodernistischen Traditon
erklären. Es mag verständlich, sein, daß von feministischer Seite die ökonomistische
Vernachlässigung patriarchaler Verhältnisse im traditionellen Marxismus kritisiert
wird. Nicht akzeptabel erscheint jedoch die daraus vom postmodernistischen
Feminismus vielfach gezogene Schlußfolgerung, marxistische Argumentationslinien
grundsätzlich zu verwerfen und als inadäquat für eine Analyse heutiger gesellschaftlicher
Verhältnisse zu betrachten.
Im Gegenteil ist davon auszugehen, daß nur marxistische Feminismen und feministische
Marxismen die Herrschaftsverhältnisse, mit denen Frauen heute konfrontiert
sind, erklären und kritisieren können, weil sie das Patriarchat als einen
integralen Bestandteil des Kapitalismus fassen. Dies heißt nicht, daß die
Aufhebung kapitalistischer Verhältnisse automatisch postpatriarchale Verhältnisse
mit sich bringt, sondern daß die Emanzipation aus kapitalistischen Verhältnissen
auch eine von patriarchaler Herrschaft sein muß und daß eine nichtkapitalistische
Gesellschafsformation notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für postpatriarchale
Zustände ist. Das Patriarchat ist älter als der Kapitalismus, da erstes heute
jedoch funktionaler Bestandteil des zweiten ist, muß Gesellschaftskritik an
den vielfältigen Herrschaftsverhältnissen, die durch die bürgerliche Gesellschaftsformation
jedoch wiederum vereinheitlicht werden, anzusetzen.
Die Vernachlässigung des Zusammenhangs von Patriarchat und Kapital zeigt sich
bei den VertreterInnen der Emanzipationsthese - wie bei postmodernistischen
Konzepten üblich - deutlich in unzulänglichen politischen Strategien. So betont
beispielsweise Judith Butler (1990), deren Theorie einer der Hauptreferenzpunkte
für die VertreterInnen der Emanzipationsthese darstellt, die politische Strategie
der kulturellen Subversion von Geschlecht und Identität: Geschlecht sei keine
fixe Eigenschaft einer Person, sondern eine Performanz, eine frei-fließende
Kategorie, die sich in verschiedenen Kontexten zu verschiedenen Zeiten wandelt.
Die kulturelle Subversion von Geschlecht und Identität stelle einen Versuch
der Aufhebung der geschlechtsspezifischen Binärisierung in männlich und weiblich
dar. Diese frei fließenden Identitäten sind ein wesentliches Element der Queer-Theorien.
Dragkünstler(innen) sind Butlers wesentliche Metapher für diese Subversion
geschlechtlicher Identitäten. Vor allem im kulturellen Bereich zeige sich
durch Stars wie Madonna oder Boy George eine Ambiguität der Geschlechter.
Symbolische Politik der ästhetischen Repräsentation sei heute quasi eine wichtige
Politikform. Es müsse heute viele Formen der Politik geben, die nicht aufeinander
bezogen werden müßten.
Auf die angebliche Möglichkeit der Subversion geschlechtlicher Identitäten
im kulturellen Bereich verweist auch Angerer (1995): "Die gesamte Jugend-,
Musik- und Modebranche spielt mit blurring boundaries, mit unisex, gay und
lesbian look. In der Modebranche gelten Transvestiten - wie RuPaul - als die
besten Models für weibliche Kleidung; in der Musik produzieren Michael Jackson,
Boy George, Prince und Madonna uneindeutige Geschlechtsidentitäten; Filme
wie The Crying Game, M. Butterfly oder Priscilla: Queen of the Desert finden
bei einem breiten Publikum Gefallen. Alle diese hier genannten Momente verweisen
auf eine Sehnsucht, auf die Sehnsucht dem prison house of gender, spielerisch-performativ
zu entgehen".
Für Butler ist die geschlechtliche Ungleichheit von den Sichtweisen geschlechtlicher
Rollen abhängig. Eine Dekonstruktion dieser Wahrnehmungen könne politische
Veränderung herbeiführen und aus der patriarchalen Gesellschaft könne eine
auf Gleichheit basierende werden.
Auch Sadie Plant sieht ähnlich wie Butler die Entkörperlichung als politische
Strategie der Flucht aus dem eigenen Organismus, die sich durch kulturellen
Praxen verwirklichen lasse. Als Beispiele dafür nennt sie die virtuelle Realität
und die englische Tanzszene (Ravebewegung).
Im Einklang mit der vielfach im marxistischen Feminismus geäußerten Kritik
ist hier kritisch einzuwenden, daß postmodernistische Kulturpolitik vorwiegend
zur kulturindustriellen Kommodifizierung von Identitäten führt und daß eine
sich in Warenkategorien manifestierende politische Strategie nicht als adäquat
und über den Kapitalismus hinausweisend angesehen werden kann.
Postmodernistische TheoretikerInnen betonen als politische Perspektiven vor
allem eine Identitätspolitik, die sich kulturell manifestiert. Kultur wird
zum Repräsentationsfeld von Widerstand und Auflehnung, Politik zur rein symbolischen
Veranstaltung. Wurde dem Marxismus häufig ein Ökonomismus unterstellt, so
muß am Postmodernismus ein Kulturalismus kritisiert werden, der von der Notwendigkeit
politischer Veränderung abstrahiert. Sicherlich ist Kultur ein Feld politischer
Auseinandersetzung - Kultur ist politisch, kann politisch agieren und Politik
hat eine spezifische Form der Kultur. Problematisch ist jedoch die Reduktion
potentieller gesellschaftlicher Veränderung auf den kulturellen Bereich. "Cultural
and identity politics replaced the early focus on capitalism and class divisions
among women" (Gimenez 1998). Das Hören bestimmter Musik, das Tragen bestimmter
Kleidung und die Identitätsschaffung in Warenform werden in postmodernistischen
Politikstrategien zu Ausdrucksformen politischen Widerstands, ein Kulturfetischismus
ersetzt zunehmend politische Selbstorganisationsweisen, die davon ausgehen,
daß sich beherrschte Gruppen nur durch eine umfassende und globale Einheit
in der Vielfalt im polit-ökonomischen Kampf befreien können (vgl. dazu Fuchs
2001, Fuchs/Hofkirchner 2000).
Dazu kommt, daß die affirmative Kultur als Kulturindustrie auch eine wesentliche
ideologische Funktion im Kapitalismus erfüllt. "Eine der entscheidenden gesellschaftlichen
Aufgaben der affirmativen Kultur gründet in diesem Widerspruch zwischen der
glücklosen Vergangenheit eines schlechten Daseins und der Notwendigkeit des
Glücks, das solches Dasein erträglich macht. Innerhalb jenes Daseins selbst
kann die Auflösung nur eine scheinbare sein. [...] Aber der Schein hat eine
reale Wirkung: es findet Befriedung statt. [...] Die rebellische Idee wird
zum Hebel der Rechtfertigung. Daß es eine höhere Welt, ein höheres Gut als
das materielle Dasein gibt, verdeckt die Wahrheit, daß ein besseres materielles
Dasein geschaffen werden kann, in dem solches Glück wirklich geworden ist.
In der affirmativen Kultur wird sogar das Glück zu einem Mittel der Einordnung
und Bescheidung" (Marcuse 1937, S. 213f, 216).
Auch Nicola Field (1995/1997) betont, daß die logische Konsequenz einer Identitätspolitik
die Kommodifizierung politischer Anliegen sei. Widerstand gegen Unterdrückung
könne nicht erkauft werden. Identitätspolitik würde die Wurzeln von Unterdrückung
und Ausbeutung ausklammern. Kritisiert wird weiter, daß diese postmodernistische
Form der Politik davon ausgeht, daß nur jene gegen Unterdrückung kämpfen können,
die einer spezifischen Gruppe angehören. Jene, die außerhalb stehen, würden
als unverbesserliche UnterdrückerInnen aufgefaßt. Dies führe zu einem Separatismus.
Es käme zu einer reinen Lifestylepolitik, der Fetischierung und Kommodifizierung
von Identitäten. Bei kulturalistischen Feminismen besteht die Gefahr, daß
die symbolische Politik dazu führt, daß der Kauf von Waren bereits als Symbol
für gesellschaftliche Veränderung steht (vgl. Stabile 1997).
Für die postmodernistische Identitätspolitik läßt sich sagen, daß sie eben
jene Dichotomisierungen, die die kapitalistische Gesellschaftsformation auszeichnen
und durch die sich diese ideologisch reproduziert, nicht aufhebt, sondern
unter veränderten Vorzeichen neu setzt. Unterdrückte Gruppen beharren dabei
auf ihrer Identität und Differenz, und es scheint nicht mehr um die Aufhebung
von Herrschaftsverhältnissen zu gehen, sondern nur um eine Umkehr der Hegemonie
- also lediglich um die Schaffung neuer Herrschaftsverhältnisse. Knapp (1996)
weist berechtigterweise darauf hin, daß die neue Rechte den postmodernistischen
Differenzdiskurs aufgreift, um eine Differenz der Kulturen zu behaupten und
rassistische Separationen durchzusetzen. Und nicht zuletzt sollte auch berücksichtigt
werden, daß postmodernistisches Differenz-Denken neoliberalen Argumentationsmustern,
die mit Begriffen wie Individualisierung, Flexibiliserung von Biographien
oder der Pluralisierung der Lebensstile operieren, nicht unähnlich ist.
Der von postmodernistischen TheoretikerInnen gegenüber MarxistInnen und anderen
Linken häufig vorgebrachte Vorwurf der Vereinheitlichung und Nivellierung
differenter politischer Herangehensweisen mag in manchen Aspekten - vor allem
was zentralistische Konzeptionen betrifft - zutreffend sein. Wenn das eine
unakzeptable Extrem eine reduktionistische Nivellierung des politischen Widerstands
in Form einer Einheit ohne Vielfalt darstellt, so ist das andere jedoch das
einer Vielfalt ohne Einheit. Eine dialektische politische Position der Einheit
in der Vielfalt erschiene demgegenüber im globalisierten Kapitalismus angebracht:
Es wäre also notwendig, daß beherrschte Gruppen global ihre Verbundenheit
durch die Integration in kapitalistische Herrschaftsverhältnisse erkennen
und darauf basierend eine solidarische emanzipatorische Praxis entwickeln.
Eine solche Einheit bedeutet aber nicht Homogenisierung. Denn sehr wohl müßten
die unterschiedlichen Identitäten, Ziele, Erfahrungen und Perspektiven der
einzelnen Gruppen ausreichend berücksichtigt werden. Nur eine Dialektik von
Einheit und Differenz kann in der politischen Praxis beide Extreme vermeiden
(vgl. Fuchs 2001, Fuchs/Hofkirchner 2000).
Der abschließende Abschnitt hat gezeigt, daß die VertreterInnen der postmodernistischen
Emanzipationsstrategie in Bezug auf politische Stratgien wie im Rahmen postmoderner
Theorie und Politik üblich auf Basis problematischer Konzeptionen wie der
Fetischierung von Identitäten, kulturalistischer Lifestylepolitik und separierender
Differenzpolitik agieren.
Insgesamt gesehen können wir festhalten, daß Kritik an den neuen Technologien,
die in die Körperlichkeit des Menschen (und dabei vor allem der Frau) eingreifen,
äußerst angebracht scheint. Wir leben in einer patriarchal-kapitalistischen
Gesellschaft und daher ist nicht anzunehmen, daß die neuen Technologien innerhalb
dieser Gesellschaft zu einer Emanzipation vom Patriarchat führen werden. Vielmehr
verstärken sie bestehende Herrschafts-, Ausbeutungs- und Kontrollverhältnisse.
Einem Technikdeterminismus, der von technischen Entwicklungen die Emanzipation
aus Herrschaftsverhältnissen erwartet, wird eine Absage erteilt, da Emanzipation
immer die aktive Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse voraussetzt.
An den VertreterInnen der postmodernistischen Emanzipationsthese sehen sowohl
Cyber- als auch Bio-Technologien als Möglichkeiten der Emanzipation von patriarchalen
Verhältnissen wird kritisiert, daß sie auf Grund der postmodernistischen Herangehensweise
im Technikfetischismus und -determinismus landen und sich für als nichtadäquat
und kulturalistisch erachtete politische Strategien aussprechen.
Die im Titel gestellte Frage ist in dem Sinn zu beantworten, daß technisch
vermittelte Entkörperlichung im informationsgesellschaftlichen Kapitalismus
tatsächlich das Risiko einer Verschärfung und Vertiefung bestehender gesellschaftlicher
Probleme bedeutet.
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[1] In der Organisationstheorie wird es immer populärer, Organisationen als lebendig zu betrachten.
[2] Z.B.: "Es geht darum,
denjenigen zu helfen, die unfruchtbar sind, und Unfruchtbarkeit unter Kontrolle
zu halten. [...] Die Forscher sind keine Ungeheuer, sondern Wissenschaftler.
Es sind Mediziner, die mit ihrer Forschung auf ein großes menschliches Bedürfnis
reagieren. Wir sollten stolz auf sie sein" (Pfeffer 1987, S. 81).
[3] Vgl. Fox Keller (1996a): "Im späten
20. Jahrhundert ist es der Computer, der unsere Vorstellungskraft beherrscht,
und der uns von diesem sonderbaren Ausdruck, daß der Mensch einen Körper habe,
befreit" (Fox Keller 1996a, S. 329).