In unserem Beitrag in Z Nr. 48 haben wir Theorien der Globalisierung bilanziert und methodische Anmerkungen zu einer neuen Theorie der Globalisierung gemacht. In Z Nr. 49 haben wir argumentiert, dass es sich bei der Globalisierung um einen allgemeinen Prozess der Menschheitsgeschichte handelt, d.h. dass jede Gesellschaftsformation Schübe der Globalisierung erfährt. Die kapitalistische Form der Globalisierung ist eine antagonistische, die auf Dichotomisierungen, Prekarisierungen, Ausbeutung, Exklusion und ungleicher Verteilung von Wohlstand und Macht basiert. Noch unbeantwortet geblieben ist die Frage, was die neue Qualität der gegenwärtigen Globalisierung ausmacht. Bei der Antwort darauf gilt es, zwei Extreme zu vermeiden: Erstens die Annahme, die Globalisierung sei etwas vollständig Neues. Zweitens die Annahme, die heutige Phase des Kapitalismus und die damit verbundene Globalisierung zeige keine neuen Qualitäten, sondern folge vollständig der bekannten Logik. An diesen beiden Extremen verläuft jedoch heute häufig der Globalisierungsdiskurs.
Wir gehen davon aus, dass methodologisch eine Dialektik von Altem und
Neuem gilt: Globalisierung ist ein allgemeiner Prozess jeder Gesellschaftsformation,
in der kapitalistischen nimmt sie antagonistische Züge an und in der gegenwärtigen
Phase kommt zu es neuen Qualitäten der Globalisierung in Ökonomie, Politik,
Kultur und Technik. Wir werden einige dieser Aspekte in den Bereichen Ökonomie,
Politik und Kultur, städtische Raumstrukturen und Technik skizzieren.
Ökonomische Globalisierung
Fast schon täglich finden sich in den Medien Berichte über Unternehmen,
die ihre Produktion in andere Länder verlagern, da sie dort günstigere Standortbedingungen
vorfinden. Es drängt sich dabei die Frage auf, was das qualitativ Neue der
ökonomischen Globalisierung ist. Dass internationaler Handel über den Weltmarkt
betrieben wird? Dass Unternehmen im Ausland investieren? Wohl kaum, denn all
das war seit jeher Teil des Kapitalismus.
Es könnte argumentiert werden, dass die ökonomische Globalisierung eigentlich ein Mythos sei, da die Exportquoten der kapitalistischen Länder schon vor etwa hundert Jahren so hoch waren wie heute oder da etwa drei Viertel der ausländischen Direktinvestitionen der OECD-Ländern innerhalb dieses Raumes verbleiben und sich daran in den letzten 15 Jahren nicht viel verändert hat. Wird die Verteilung der Ausländischen Direktinvestitionen (ADI) der NAFTA-Länder und Westeuropas betrachtet, so zeigt sich, dass 1985 74% der ADI in Länder aus NAFTA, EU und EFTA gingen, 1992 hatte sich diese Zahl nur geringfügig auf 77% erhöht; 1985 gingen 6% nach Südostasien, 1992 7%; in den Rest der Welt gingen 1985 20%, 1992 gar nur mehr 16% (vgl. Ofner 1997, S. 289f). Der Anteil des internationalen Handels an der Weltproduktion betrug 1950 7%, 1973 12% und 1993 15%. Werden die OECD-Länder betrachtet, so hat der durchschnittliche Anteil des Außenhandels von 1960 12,5% auf 1990 18,6% zugenommen (Krugman 1995, S. 327). Dies bedeutet zwar eine Zunahme des Welthandels, Anfang des 20. Jahrhunderts wurden jedoch bereits ähnliche Werte erreicht.
Aus statistischen Daten ist also ersichtlich, dass der Welthandel keine
wesentlich neuen Qualitäten aufweist. Globalisierung kann also nicht eine
Zunahme der internationalen Handelstätigkeiten bezeichnen. Der Kapitalexport
und das (notwendigerweise) globale Agieren des Kapitals wurden bereits in
der traditionellen marxistischen Theorie beschrieben. Was ist dann das qualitativ
Neue an der ökonomischen Globalisierung im heutigen Kapitalismus? Um diese
Frage beantworten zu können, ist ein Blick auf die Veränderungen notwendig,
die dem Übergang vom Fordismus zum Postfordismus zugeschrieben werden.
Ende der 60er-/Anfang der 70er-Jahre traten die Widersprüche des Fordismus deutlich hervor, worauf eine gesellschaftliche Krise einsetzte. Dafür gab es laut der Regulationstheorie mehrere Gründe, u.a. die Internationalisierung der Produktion, das Erreichen organisatorischer, physischer und psychischer Grenzen der tayloristischen Produktionsweise sowie eine ideologische und staatliche Krise. Die monotone Fabrikarbeit wurde als immer entfremdender entfunden, die technisch und organisatorisch war wenig Flexibilität der Produktion möglich, was zu immer höheren Unregelmäßigkeiten führte (zu den Ursachen der Krise des Fordismus vgl. auch Fuchs 2002, Aglietta 1979, Destanne de Bernis 1988, Hirsch/Roth 1986, Lipietz 1987). Des weiteren stieg durch die voranschreitende Automation die organische Zusammensetzung des Kapitals immer weiter an, wodurch eine Krise der Wertproduktion einsetzte, da keine ausreichenden Gegenmaßnahmen organisiert werden konnten, die das Fallen der Profitraten ausglichen (vgl. Fuchs 2002). Im Zuge der Krise des Fordismus ergab sich hinsichtlich der Produktionsweise das, was heute vielfach als Übergang zum Postfordismus bezeichnet wird. Die heutigen gesellschaftlichen Veränderungen sind also vielfach Folge einer anhaltenden gesellschaftlichen Krise, die zu Restrukturierungsmaßnahmen geführt hat, von denen man sich erhofft, dass der Krise ein Ende gesetzt werden kann.
Die mikroelektronische Revolution leitete eine neue Entwicklungsphase
der kapitalistischen Gesellschaftsformation ein. Information in ihrer systematisierten,
organisierten und integrierten Form des Wissens wird heute zu einer immer
wichtigeren Produktivkraft. Mit der Verwissenschaftlichung der Produktion
und der immer stärkeren Zunahme der Bedeutung der Produktivkraft Wissen werden
wissenschaftliche Vorleistungen der Produktion, die Schaffung von Know-How
durch Forschung und die Ausbildung qualifizierter ArbeiterInnen an Universitäten
immer essenzieller.
Wissen hat Eigenschaften wie langsamen Verschleiß, einfache und billige
Vervielfältigung, geringe Reproduktionskosten, Komprimierbarkeit und schnelle
globale Distribution über Netzwerkstrukturen, die es zu einem ökonomisch vorteilhaften
Faktor machen. Die Informatisierung der Ökonomie ist also Resultat der Krise
des Fordismus, durch die Zunahme der Bedeutung des Wissens als Produktionsfaktor
soll die anhaltende gesellschaftliche Krise beendet werden.
In den letzten Jahrzehnten hat eine immer stärkere Verlagerung der Tätigkeiten vom primären und sekundären ökonomischen Bereich in den Dienstleistungssektor stattgefunden. Es kann aber nicht gefolgert werden, dass deshalb heute ein Übergang zu einer postindustriellen Gesellschaft (Bell 1976) stattfindet. Vielmehr entspringt diese Veränderung der Logik der ökonomischen Entwicklung. Daraus entsteht ein Zwang für die Unternehmen, die Produktivität permanent zu steigern, also immer mehr in immer kürzerer Zeit zu produzieren. Daraus ergeben sich die Automatisierung und der technische Fortschritt. Resultat ist auch, dass immer weniger menschliche Arbeitskraft benötigt wird, um Waren zu produzieren: Die Masse der im industriellen Bereich verausgabten Arbeit nimmt ab. Durch die mikroelektronische Revolution und die Computerisierung der Arbeit werden diese Entwicklungen beschleunigt. Die heutige Ökonomie ist nicht „nachindustriell“, da trotz aller Informatisierung und Immaterialisierung die Wertproduktion noch immer auf einer materiellen Basis beruht.
Die Ausweitung des Dienstleistungssektors stellt nun einerseits den Versuch dar, freigesetzte Arbeitende zu absorbieren und andererseits wird nach neuen Investitionsterritorien gesucht, die es ermöglichen sollen, die anhaltende ökonomische Krise in den Griff zu bekommen. Es erscheint zumindest fraglich, ob der Dienstleistungsbereich das Phänomen der Massenarbeitslosigkeit kompensieren kann, denn auch er unterliegt Rationalisierungstendenzen (z.B. in Versicherungen und Banken, beim Internetversand und E-Commerce, durch Kassenautomaten, Kundenkarten, Scannerkassen, Online-Banking, etc.). Es zeigt sich ein Qualifikationsproblem (die Rationalisierungsopfer sind immer noch vorwiegend Menschen in niedrig qualifizierten Bereichen, deren Tätigkeiten maschinell standardisiert werden können; die neu entstehenden Jobs in der New Economy verlangen aber zumeist hohe Qualifikationen) und es kommt zu dem Problem, dass mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit aus Käufern Nichtkäufer werden, woraus sich eine Verstärkung von Nachfrageschwierigkeiten und Realisierungsproblemen in verschiedenen ökonomischen Bereichen ergibt.
Dass die ökonomische Krise des Weltsystems weiter anhält, zeigt sich daran,
dass das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts der westlichen Länder und der
Profitraten heute wesentlich geringer ist als im „Goldenen Zeitalters“ des
Fordismus. Aus fallenden Profitraten ergibt sich die Suche nach neuen Investitionsbereichen.
Auch dies ist ein Grund für den Boom des Dienstleistungsbereiches und dabei
vor allem der Softtwareindustrie, des E-Commerce, der Lizenzvergaben und sonstiger
Bereiche der New Economy. In der Tat zeigten sich hier extrem hohe Wachstumsraten,
die Hoffnungen auf einen gesamtökonomischen Aufschwung aufkommen ließen. Allerdings
ist die New Economy ein Bereich, der weiter dazu beiträgt, dass im Rahmen
der Automatisierung lebendige Arbeit durch tote ersetzt wird. Dem von Marx
formulierten Wertgesetz (vgl. Marx 1867, S. 54f) zu Folge schafft jedoch nur
lebendige Arbeit Wert. Daher erscheint es auch denkbar, dass der Boom der
New Economy die Krise der „Old Economy“ verschärft. Auch im Zuge der Pleitenwelle
seit 2000 und der Einbrüche an den Technologiebörsen wurde deutlich, dass
die New Economy selbst krisenanfällig ist. Die realökonomische Krise des Kapitalismus
hat seit Mitte der 80er zu großen Hoffnungen in die New Economy geführt, was
zu einem irrationalen Überschwang der Börsenwerte solcher Unternehmen an den
Aktienmärkten geführt hat. Da diese fiktiven Werte aber kein reales Fundament
haben, sondern einen Vorgriff auf erst zu akkumulierendes Kapital darstellen,
ist eine gewaltige Finanzblase die Folge. Die Börsenwerte der New Economy-Unternehmen
stimmen also meist nicht mit jenen realökonomischen Werten überein, die tatsächlich
erzielt werden. Wenn sich die Hoffnungen auf hohe Gewinne schließlich nicht
einstellen, platzt die Finanzblase auf, Panikwellen führen zu Rückzügen und
Verkäufen, fallenden Börsenkursen und Konkursen.
Die standardisierte Massenproduktion wird heute immer stärker durch eine
diversifizierte Qualitätsproduktion ersetzt, die sich durch Kundenorientierung
und kleine Stückzahlen von hoher Qualität charakterisieren lässt. Produziert
wird immer häufiger mit einer flexiblen Fertigungsmaschinerie, die individuell
gefertigte Produktserien im Rahmen einer Just-in-Time-Produktion ermöglicht.
Produktionseinheiten folgen heute immer weniger einem zentralistischen Aufbau,
sondern differenzieren sich immer stärker aus. Der Produktionsprozess wird
immer stärker in autonom voneinander abwickelbare Teile zerlegt, die in selbständige
betriebliche Einheiten gegliedert sind. Innerbetrieblich kommt es zum Aufstieg
von Teamarbeit und teilautonomen Arbeitsgruppen. Auf die gesamtbetriebliche
Organisationsstruktur bezogen zeigt sich eine Tendenz zum Outsourcing, d.h.
zur Auslagerung von Teilen der Produktion in Subunternehmen und günstige Zulieferfirmen.
Das moderne kapitalistische Unternehmen und die Ökonomie bekommen immer stärker
Netzwerkcharakter.
Die alten zentralistischen,
kommandohaften, auf Überwachung und Kontrolle basierenden Organisationsmethoden
des Taylorismus scheinen passé, gefragt sind heute bei den Beschäftigten nicht
die Eingliederung in einen monotonen Arbeitsprozess, sondern Motivation, Selbstbewußtsein,
Verantwortungsbewußtsein, Identifikation mit dem Betrieb, Kooperationsfähigkeit,
Qualitätsbewußtsein, Eigeninitiative, permanentes Lernen und verantwortungsvolles
Handeln. Arbeitende sollen stärker unternehmerisch denken, woraus sich automatisch
die Frage ergibt, ob die neuen flexiblen und partizipativen Arbeitsformen
eine stärkere Selbstbestimmung der Arbeitenden mit sich bringen oder eine
neue. raffinierte Form der Ausbeutung darstellen.
Die ökonomische Globalisierung muss im Zusammenhang mit der Krise des Fordismus und dem Übergang zu Postfordismus und Neoliberalismus gesehen werden. Globalisierung umfasst dabei auch die Deregulierung von Schranken wie Schutzzöllen und Steuern sowie von sozialen Sicherungssystemen. Wird die ökonomische Globalisierung im Kontext der Einheit eines Akkumulations- und Regulationsmodells erfasst, so bezeichnet sie heute nicht eine Zunahme des internationalen Warenhandels, sondern vor allem die Schaffung neuer Rahmenbedingungen für die Verwertungsprozesse des Kapitals in der Form des zunehmenden Abbaus von institutionellen Schranken und Grenzen dieser Prozesse sowie die Internationalisierung des Kapitalverhältnisses , die sich als Triadisierung (Konzentrierung auf die drei großen Wirtschaftsregionen Europa, USA und Südostasien) des Welthandels und des Kapitalexports in Form ausländischer Direktinvestitionen zeigt.
Die transnationalen Konzerne (TNK) spielen heute eine wesentliche Rolle
in der Weltökonomie. Aus den rund 7.000 TNK, die in den 60er Jahren existierten,
sind heute etwa 37.000 geworden. „Ihre Gesamtverkäufe haben ein größeres Volumen
als alle Welthandelsexporte zusammen” (Chomsky/Dieterich 1999, S. 44). Bei
der Internationalisierung des Kapitals waren bis in die 70er Jahre vor allem
die Exportstrategie und die Multinationalisierung wesentlich. Bei der Exportstrategie
vertreibt eine von einer Zentrale aus kontrollierte ausländische Niederlassung
eines Konzerns das entsprechende Produkt. Bei der multinationalen Strategie
sind die ausländischen Niederlassungen relativ autonom und verfolgen selbständige
Kontrolle der nationalen und regionalen Märkte. Charakteristisch für den Postfordismus
sind die globale und die transnationale Strategie[1].
Bei der globalen versucht ein Konzern, sein Produkt weltweit durchzusetzen.
Die Produktion erfolgt dezentral, eine wesentliche Rolle dabei spielt die
Auslagerung (Outsourcing) von Teilen des Produktionsprozesses in Regionen,
die für die entsprechende Aufgabe optimale Bedingungen bieten. Die transnationale
Strategie läuft darauf hinaus, dass global verteilte Unternehmen eines Konzerns
bei der Erzeugung eines vielfältigen Produktschemas zusammenarbeiten. Jedes
Unternehmen spezialisiert sich und konzentriert sich auf die Vermarktung des
Produktprogrammes des Konzerns in der Region vor Ort. Globale und transnationale
Strategie sind nicht zu trennen, TNK verfolgen zumeist beide.
Das qualitativ Neue an der ökonomischen Globalisierung ist nun, dass es
zu einer Triadisierung des Welthandels und einer Deregulierung der im Fordismus
gesetzten Schranken der Kapitalakkumulation kommt. Der Weltmarkt verändert
sich qualitativ durch einen Konzentrationsprozess des Handels auf große ökonomische
Räume, die durch Freihandelsabkommen wie die EU, NAFTA oder APEC entstanden
sind. Da die Globalisierung eben nicht ausschließlich ökonomisch zu begreifen
ist, sondern auch Aspekte der Regulation, der Technik und der Ideologie eine
wesentliche Rolle spielen, müssen weitere Dimensionen der Globalisierung erfaßt
werden.
Politische und kulturelle Globalisierung
Der Fordismus war mit der Ausbildung des keynesianischen Wohlfahrtsstaats verbunden. Dabei handelt es sich vornehmlich um kollektive soziale Schutzmaßnahmen, die die physische und psychische Existenz der Arbeitenden garantieren sollten. Das Modell des Massenkonsums und der Massenproduktion konnte nur durch eine solche Strategie ermöglicht werden. Andererseits war der Wohlfahrtsstaat ein Ergebnis der Kämpfe der Arbeitenden. Die staatliche Sozialpolitik garantierte die Reproduktion der Arbeitskräfte und regulierte das Angebot an Arbeitskräften.
Heute wird vielfach die Krise des Staates festgestellt. Diese ist einerseits
logische Konsequenz der Krise des Fordismus, da strukturelle ökonomische Krisen
und die sich durch die voranschreitende Rationalisierung ausbreitende Massenarbeitslosigkeit
auch eine Verringerung der Steuereinnahmen mit sich bringen, andererseits
wurde die Dynamik des Deficit Spendings im Rahmen einer Krise der Kapitalakkumulation
unterschätzt. Deficit Spending stellt einen permanenten steuerlichen Vorgriff
auf erst zu erwirtschaftendes Kapital dar. Wenn sich aber realökonomische
Krisenprobleme ergeben – die ohnehin auf Grund der vorhandenen antagonistischen
ökonomischen Strukturen unvermeidlich sind, was aber wegen der großen Hoffnungen
auf eine immerwährende fordistische Prosperität übersehen wurde –, so ist
ein Scheitern einer solchen politischen Strategie vorprogrammiert.
Im
Kontext des Postfordismus und der ökonomischen Globalisierung ist die Herausbildung
des Nationalen Wettbewerbsstaates (vgl. Hirsch 1995, S. 103-121, 139-143)
von Bedeutung. Die einzelnen Staaten treten miteinander in Wettbewerb um die
günstigsten Rahmenbedingungen für ökonomische Investitionen. Die staatliche
Politik konzentriert sich „zunehmend darauf, einem global immer flexibler
agierenden Kapital in Konkurrenz mit anderen Staaten günstige Verwertungsvoraussetzungen
zu verschaffen“ (Hirsch 1995, S. 103).
Staatliche Politik wird daher immer mehr vom Diktat der Standortpolitik geleitet. In diesem Kontext steht auch die Deregulierung von Arbeitsrechten und sozialen Sicherungssystemen. Der Staat zieht sich im Neoliberalismus als regulierende Instanz immer stärker aus der Ökonomie zurück und vermindert durch Sozialabbau die Qualität und Quantität der Eingriffe in den sozialen Bereich.
Die Politik des Neoliberalismus basiert auf dem sich selbst regulierenden Markt. Pierre Bourdieu charakterisierte sie folgendermaßen: „Das neo-liberale Modell basiert auf drei Prinzipien. Zuerst: die Wirtschaft ist ein vom Sozialen getrennter Bereich, in dem Naturgesetze und universelle Gesetze herrschen, die die Regierungen nicht konterkarieren sollten. Das zweite Prinzip: Der Markt ist das optimale Mittel, um die Produktion und den Austausch in demokratischen Gesellschaften auf effektive und gerechte Weise zu organisieren. Das dritte Prinzip, das mehr konjunktureller Natur ist: Die Globalisierung erfordert eine Reduzierung der öffentlichen Ausgaben, vor allem im sozialen Bereich, soziale Rechte in den Bereichen Arbeit und Sozialversicherung gelten als kostenaufwendig und dysfunktional“ (Bourdieu 1999).
Noam Chomsky hält es für ein Charakteristikum des Neoliberalismus, dass Menschen, die in prekären Verhältnisse leben, auf sich selbst gestellt werden, während der Staat Reiche und Unternehmen finanziell unterstützt: „Staatsprotektionismus und öffentliche Subventionen für die Reichen, Marktdisziplin für die Armen. Diese Ideologie ruft nach ‘Kürzungen bei den Sozialausgaben’ und Gesundheitskosten für die Armen und Älteren, verweigert Hilfen für Kinder und kürzt die Wohlfahrtsprogramme - für die Armen. Sie verlangt ebenfalls steigenden Wohlstand für die Reichen, auf die klassische Weise: zurückhaltende fiskalische Maßnahmen und vorbehaltlose Subventionen. Das erste meint steuerliche Ausnahmen für Unternehmen und die Wohlhabenden, Abschaffung von Kapitalertragssteuern usw., das zweite meint Zuschüsse aus Steuermitteln für Investitionen in Fabriken und Betriebsanlagen, bessere Abschreibungsmöglichkeiten, Zerschlagung des Regulationsapparates” (Chomsky/Dieterich 1999, S. 30).
Pierre Bourdieu sieht den Neoliberalismus nicht als fortschrittlich, sondern
als Gefahr und einen konservativen Rückschritt, der sich progressiv präsentiert:
„Der Neoliberalismus gibt sich als progressive Bewegung aus, dabei ist er
eine zutiefst konservative Revolution. Es ist eine Restauration, die im Mäntelchen
der Neuerung auftritt. Die neoliberale Botschaft ist konservativ: Arbeitet
viel, ohne Garantie und Sicherheit! Es handelt sich um einen Rückschritt hin
zum Unternehmertum des 19. Jahrhunderts” (Bourdieu 2000).
Der Staat verändert seine innere Organisation im Postfordismus nicht grundsätzlich,
aber er greift immer weniger regulierend in die Nationalökonomie ein, was
im Fordismus für die Ermöglichung des Massenproduktions- und Massenkonsummodells
notwendig war. Die transnationalen Konzerne sind heute die wesentlichen ökonomischen
Akteure, der Einfluss der Nationalstaaten auf ökonomische Entscheidungen,
die von globaler Bedeutung sind, wird immer geringer. Das Leben der Weltbevölkerung
wird heute immer mehr von Entscheidungen gelenkt, die tausende Kilometer entfernt
in den Schaltzentralen der transnationalen Konzerne des Weltsystems getroffen
werden. Der Nationale Wettbewerbsstatt bedeutet keinen „schwachen Staat“,
vielmehr geht die Prekarisierung der Lebensverhältnisse großer Teile der Weltbevölkerung
und die Peripherisierung der westlichen Staaten mit einer Militarisierung
der Gesellschaft in Richtung von Überwachungsstaaten mit umfassenden Kontrollmöglichkeiten
einher. Auch hier spielen die neuen Technologien eine wesentliche Rolle. „The
myth of the powerless state is a concept that clouds intelligent analysis
of what is
actually going on“ (Marcuse 2000).
Politische Globalisierung bezeichnet heute nicht nur über den Nationalstaat hinausgehende, überstaatliche politische, ökonomische und militärische Bündnisse herrschender politischer und ökonomischer Gruppen (z.B. G8, UNO, Weltsicherheitsrat, NATO, Weltbank, IWF, OECD, WHO etc.), sondern meint insbesondere auch die durch die soziale, kommunikative und technische Vernetzung gegebene Möglichkeit der gemeinsamen politischen Organisierung von Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen. Weltinnenpolitik ist also nicht bloßes Aggregat der staatlichen Außenpolitiken, sondern es betreten (darüber hinaus) neue politische Akteure das Parkett der internationalen Beziehungen: die internationalen Nichtregierungsorganisationen und die Speerspitzen der neuen sozialen Bewegungen.
In die Vernetzung der sozialen Protestbewegungen
können Hoffnungen in Bezug auf die Humanisierung und Demokratisierung der
Gesellschaft gesetzt werden. Die veränderte gesellschaftliche Landschaft bedeutet
nicht nur neue Gefahren und eine Zunahme der Globalisierung, sondern bietet
auch neue Chancen auf gesellschaftliche Veränderungen, die sozial und ökologisch
nachhaltige gesellschaftliche Entwicklungen einleiten könnte. Dazu wäre jedoch
eine globale Bewegung selbstbewusster und -bestimmter, politisch agierender
Subjekte notwendig. Global vernetzte politische Akteure müssen keine homogenen
Interessen haben und auf eine Homogenisierung ihrer Politik abzielen, um eine
gemeinsame politische Perspektive zu erlangen. Sie müssen auch nicht auf ein
Zulassen aller möglichen politischen Richtungen innerhalb ihres rhizomatischen
Netzwerkes hinarbeiten. Vielmehr können sie einerseits die Unterschiede in
ihren politischen Herangehensweisen und Vorstellungen sowie in der Ausprägung
in ihren spezifischen lokalen und regionalen politischen Situation betonen
und andererseits aber nichtsdestotrotz gleichzeitig eine gemeinsame Perspektive
entwickeln, indem sie das Verbindende betonen und als Leitbild der politischen
Praxis verwenden. Die Kulturwissenschaftler Steven Best und Douglas Kellner
(1997) sehen eine solche politische Position als Synthese von moderner und
postmoderner Politik. Notwendig sei eine Einheit von Herangehensweisen der
„modernen Politik” wie die Betonung von Solidarität, Allianzen, Konsens, universellen
Rechten und einer Makropolitik sowie von Herangehensweisen der „postmodernen
Politik” wie die Betonung von Differenz, Pluralität, Multiperspektivität,
Identität und einer Mikropolitik. Eine solche politische Dialektik von Einheit
und Vielfalt Moderne und Postmoderne könnte bei der Lösung der großen politischen
Probleme ebenso fruchtbar sein wie eine kulturelle Einheit in der Vielfalt
(siehe dazu unseren Beitrag in Z Nr. 49). “A postmodern politics must learn to
be at once local, national, and global, depending on specific territorial
conditions and problems. […] To the slogan, ‘Think globally, act locally’,
we may thus add the slogan, ‘Think locally, act globally’. […] The task today
is to construct what Hegel called a ‘differentiated unity’, where the various
threads of historical development come together in a rich and mediated way”
(Best/Kellner 2001, S. 115f).
Räumliche Globalisierung
Die Veränderung der politischen Raumstruktur führt auch dazu, dass zwischen
den global operierenden Unternehmen und dem Netz der Städte ein wichtiger
Zusammenhang besteht. Die globalen Städte sind die „primären geographischen
Knotenpunkte“ des transnationalen Kapitalismus (Sassen 1991; Moulaert/Swyngedouw
1990; Krätke 1991, Castells 1989). Die bedeutendsten Großstädte sind daher
jene, in denen die wesentlichen politischen Entscheidungen getroffen werden.
New York, London, Tokyo, Paris, Frankfurt, Zürich, Amsterdam, Los Angeles,
Sydney, São Paulo, Mexiko City und Hong Kong zeichnen sich derzeit dadurch
aus, dass sie als politische und ökonomische Kommandostellen fungieren. Sie
sind Kommandostellen in der Organisation der Weltökonomie, Marktplätze und
Standorte der führenden Industrien und Produktionsräume ihrer Innovationen
(Sassen 1998, S. 180, vgl. auch Sassen 1991).
Moulaert/Swyngedouw (1990) gehen davon aus, dass die ökonomische Gesellschaftsstruktur mit einer spezifischen räumlichen Struktur korrespondiert. Durch die Flexiblisierung der Ökonomie komme es zu einer Erschließung neuer Räume. Einige bisher abgelegene Städte könnten nun vermehrt als Standorte fungieren, da das Kapital Faktoren wie geringe Lohnkosten nutze. Krätke (1991, S. 32) beschreibt, dass sich im Postfordismus auf internationaler Ebene flexible Produktionsstrukturen vor allem in verschiedenen Gebieten ansiedeln : in Randzonen von Großstädten, in innerstädtischen Büro- und Geschäftszentren, in bisher nicht-industrialisierten Regionen sowie in traditionell handwerklich geprägten Regionen.
Castells (1989) setzt sich intensiv mit der Rolle der Stadt im Informationszeitalter
auseinander. Die globalen, informationellen Städte seien Kontrollpunkte der
globalisierten Ökonomie. Ein hoher Prozentsatz der Beschäftigten dieser Städte
(etwa 30 Prozent) seien Informationsarbeiter, und hier seien die wesentlichen
politischen und ökonomischen Kräfte versammelt. Die Mehrheit der neu entstehenden
Jobs sei instabil und mit schlechter sozialer Absicherung, schlechter Bezahlung
und niedriger Qualifikation verbunden. Dies treffe z.B. für Reinigungspersonal,
VerkäuferInnen, Babysitter, KellnerInnen etc. zu. So entstehe eine neue Unterklasse,
während nebenher eine kleine Elite Privilegierter (hohe Löhne, hohe Qualifikationen,
aber auch lange Arbeitszeiten, viel Stress) existiert. Die informationelle
Stadt zeichne sich durch krasse soziale Unterschiede und Spaltungen aus. Castells
(1989, S. 224) erläutert eine neue Form des urbanen Dualismus von Reichtum
und Armut. Mike Davis (1990) spricht von einer Südafrikanisierung der Städte,
die Exklusion der Armen bedeute die Schaffung von „high-tech castles“ (Davis
1990, S. 248).
Eine neue Qualität ist, dass Leid und die Armut devisualisiert werden
sollen. Reiche Stadtteile werden immer häufiger von Polizei und privaten Sicherheitskräften
abgeriegelt, eine klare Trennung und Unterscheidbarkeit zwischen Reich und
Arm soll territorial hergestellt und fixiert werden. Obdachlose, Bettler,
Erst- und Drittweltverhältnisse vermischen sich in den Zentren des Kapitalismus
immer deutlicher, sie werden aber auch immer intensiver voneinander abgeschottet.
Der Lebensstil der neuen Elite, die eine hegemoniale Klasse forme, so Castells, präge das Leben in den globalen Städten. Sie habe vielfältige Interessen, einen hohen Lebensstandard, internationale Kontakte und einen dynamischen Lebensstil. Die sich ausweitende und immer weiter verarmende Unterklasse sei von diesem Luxus ausgeschlossen und müsse ums Überleben kämpfen.
Den globalisierten Städten mit ihrem akkumulierten Reichtum stehen die
lokalisierten Armen im Westen und der Dritten Welt gegenüber, es kommt zu
einer mit der sozialen und ökonomischen Polarisierung einhergehenden räumlichen
Konzentration und Dichotomisierung. „The more globally the
economy becomes, the higher the agglomeration of central functions in a relatively
few sites, that is, the global cities“ (Sassen 1991, S. 5).
Die globalen Städte sind im Gegensatz zu unterentwickelten Regionen reich
an Infrastruktur. Aber auch in diesen Städten gibt es ein Gefälle, eine Geographie
mit Unterschieden von Zentralität und Marginalität. Eine globale Stadt differenziert
sich also intern in zentrale und marginale Räume. Die räumlichen Ungleichheiten
der globalen Städte sind eng mit jenen des virtuellen Raums verkoppelt. Sassen
(1998) argumentiert, das dezentrale Internet führe zu neuen virtuellen und
real-räumlichen Zentralisierungen und Segmentierungen: Die mächtigsten und
infrastrukturell weit überlegenen Räume seien die Finanzzentren des Kapitalismus.
weniger entwickelte Regionen haben kaum Anteil an der angeblich „virtuellen
Gemeinschaft”. Dies bedeute ungleiche Zugangsbedingungen und -geographien.
Globale Ökonomie und globale Kommunikation können in Bezug auf das Internet
somit vor allem als ein Ausdruck asymmetrischer Machtverteilung betrachtet
werden. Es zeigt sich eine neue
Geographie der Macht und Zentralität im realen und im elektronischen Raum:
“The sharpening inequalities in the distribution of the infrastructure for
electronic space, whether private computer networks or the Net, in the conditions
for access to high-powered segments and features, are all contributing to
new geographies of centrality on the ground and in electronic space” (Sassen
1998, S. 178).
Technische Globalisierung
Globale Prozesse und die Veränderung von Raum und Zeit durch I&K-Systeme
stehen offensichtlich in einem Zusammenhang. Gesellschaftliche Probleme werden
durch die kapitalistische Anwendung der Technik vermittelt und verstärkt.
Im Kapitalismus besteht der Hauptsinn von Technik in der effektiven Organisation
der Kapitalakkumulation in Form des technischen Produktionsmittels. Technik
dient nicht den Menschen zur Erleichterung ihres Daseins und ihrer Auseinandersetzung
mit der Natur, sondern der effektiven Produktion von Mehrwert, die zur Ausbeutung
der Arbeitenden durch das Kapital führt. Sie ist im Kapitalismus Mittel zur
Produktion von Mehrwert und dadurch in die Widersprüchlichkeit des Kapitalismus
eingebunden.
Moderne Technologien sind Medium und Resultat der Rationalisierung und
der gesellschaftlichen Globalisierung. Auf der einen Seite ermöglichen I&K-Systeme
durch die Herstellung von raum-zeitlicher Entfernung den Einfluss lokaler
Prozesse auf das weltweite Geschehen und umgekehrt. Dadurch stellen sich sowohl
eine räumliche als auch eine zeitliche Unabhängigkeit ein. Daher sind die
modernen Informations- und Kommunikationssysteme Medium der Globalisierung.
Sie ermöglichen und vereinfachen die Beschleunigung der Vernetzung in Weltwirtschaft,
Weltpolitik und Weltkultur. Sie sind jedoch nicht ausschließlich Medium der
ökonomischen Globalisierung, sondern auch eines der politischen und kulturellen.
Gérard Raulet (1988) bezeichnet in diesem Zusammenhang die Schaffung räumlicher
Unabhängigkeit als Delokalisierung. Dies hat zur Folge, dass alle Orte von
jedem anderen gleichermaßen erreichbar sind: „In den neuen Kommunikationsnetzen
gleichen sich alle Orte einander an und werden insofern austauschbar, als
sie im Prinzip alle von jedem x-beliebigen unter ihnen aus gleichermaßen erreichbar
sind, der seinerseits weder einen Ausgangs-, noch einen bevorzugten Endpunkt
darstellt. [...] Die Delokalisierung betrifft jedoch nicht nur die Position
im Raum, sondern auch die in der Zeit. So gibt es im Falle der digitalen Bilder kein Vorher
und Nachher mehr” (Raulet 1988, S. 286f). In ähnlicher Weise betont Paul Virilio
(1990), dass es das wesentliche Moment des Computers ist, dass er eine Zeit-
und Ortsunabhängigkeit herstellt. Durch die Annäherung an die Lichtgeschwindigkeit
werde der Ort unbedeutend. Dadurch gehe auch die Zeitdifferenz zwischen dem
Auftauchen eines Bedürfnisses und dessen Befriedigung gegen Null. Damit werde
der Stillstand zur ultimativen Beschleunigung, zum rasenden Stillstand (Virilio
1992). Durch moderne I&K-Systeme könnten die Körper prinzipiell stillstehen
und durch den vernetzten Datentransport trotzdem jeden Punkt und jede Bewegung
im Raum wahrnehmen.
Anthony Giddens spricht in diesem Zusammenhang von der Entbettung (Disembedding)
als einem wesentlichen Prozess der Moderne. Darunter versteht er die raum-zeitliche
Entfernung von sozialen Beziehungen. Sie gehe einher mit einem Prozess der
Wiedereinbettung (Reembedding), bei dem die ausgelagerten sozialen Beziehungen
wieder an die lokalen (zeitlichen und örtlichen) Gegebenheiten angepasst werden.
Die Entbettung versteht Giddens als „Herausheben sozialer Beziehungen aus
ortsgebundenen Interaktionszusammenhängen und ihre unbegrenzte Raum-Zeit-Spannen
übergreifende Umstrukturierung” (Giddens 1995, S. 33).
Als ein Beispiel dafür nennt er, dass Verwandte in der Moderne oft durch
die Entbettung örtlich voneinander weit entfernt leben. Moderne Transport-
und Kommunikationsmittel ermöglichen aber das Reembedding in dem Sinn, dass
der kommunikative Kontakt und Besuch jederzeit möglich ist. Ein anderes Beispiel
für das Verhältnis von Dis- und Reembedding ist der Zusammenhang von Globalem
und Lokalem. Durch die Entbettung werden lokale Angelegenheiten global erfahrbar.
Andererseits drückt sich Globales im Lokalen in dem Sinn aus, dass globale
Geschehnisse auf lokale Prozesse zurückwirken und diese beeinflussen. Über
das Fernsehen oder heute auch über das Internet beeinflusst das Weltgeschehen
das alltägliche Handeln der Menschen. Damit ist auch der Zusammenhang von
Globalisierung, I&K-Systemen und Entbettung verdeutlicht: I&K-Systeme
ermöglichen die Herstellung raum-zeitlicher Entfernung.
Auch Castells (1989, 1996) betont die durch I&K-Technologien vermittelte
Auflösung von räumlichen und zeitlichen Distanzen im Space of Flows. Die gesellschaftliche Evolution
zeichne sich durch die Einheit der Entwicklung eines ökonomischen (Produktionsweise)
und eines technischen Modells (Entwicklungsweise) aus (vgl. Castells 1989,
S. 10-12). Die derzeitige Entwicklungsweise sei die informationelle Entwicklungsweise
(Informational Mode of Devolopment), die das informationstechnologische Paradigma
konstituiere (vgl. Castells 1996, S. 60-65). Resultate davon seien neue Geographien
und eine Netzwerklogik. Wesentliches Moment dieser Logik ist bei Castells
der Raum der Flüsse (Space of Flows). Dieser besitzt eine technische (Kreislauf
elektronischer Impulse, die die technologische Infrastruktur des Netzwerks
bilden), eine geographische (Topologie des Raumes, die sich durch Knoten und
Zentren auszeichnet) und eine soziale Ebene (räumliche Organisation der Elite
des Managements, die das Netzwerk benutzt).
Im Space of Flows zeigt sich nun für Castells die Aufhebung von raum-zeitlicher
Entfernung. Er zeichne sich nämlich durch die zeitlose Zeit und den ortslosen
Raum aus. Der Raum der Flüsse löst die
sequentielle zeitliche Organisation durch die Herstellung einer Gleichzeitigkeit
auf. Genauso wie die zeitliche löst sich die räumliche Distanz auf: “The more
organizations depend, ultimately, upon flows and networks, the less they are
influenced by the social context associated with the places of their location”
(Castells 1989, S. 169). Der Space of Flows, so Castells, sei die dominante
soziale Logik in der Netzwerkgesellschaft. Da die Menschen jedoch im realen
physikalischen Raum leben (im Space
of Places), zeige sich eine Schizophrenie der Räume, die einen Verlust
des Selbst der Individuen bedeute. Dieser drücke sich wiederum in Versuchen
der Wiederfindung der eigenen Identität aus, die charakteristisch für das
informationelle Zeitalter seien (Castells 1997). Damit verbunden sei die zunehmende
Bedeutung der Neuen Sozialen Bewegungen.
I&K-Systeme sind andererseits nicht nur Medium der Globalisierung,
sondern auch deren Resultat. Es liegt in der Logik des Kapitalismus begründet,
dass die Produktivität permanent gesteigert werden muss. Daher kann ebenfalls
gefolgert werden, dass I&K-Systeme und die vernetzenden Technologien sich
nur durchsetzen konnten, da sie sich auf die Organisation des Kapitalismus
positiv auswirken und diesen in dem Sinn bereichern, dass sie die Internationalisierung
des Kapitals vereinfachen. In diesem Sinn können sie auch als Resultat der
Globalisierung verstanden werden. Sie bedingen als Medium einerseits die Globalisierung,
sind also eine von deren Voraussetzungen. Andererseits ist die Globalisierung,
wie wir gesehen haben, ein dem Kapitalismus innewohnender Prozess. Die Internationalisierung
des Kapitals, also die notwendigerweise vorhandene globale Dimension des Kapitalismus,
benötigt für ihre effiziente Gestaltung entsprechende Verkehrsformen. Die
Entwicklung und vor allem die globale Durchsetzung von Schifffahrt, Eisenbahn,
Telegraf, Telefon, Funk und Fernsehen, Auto, Flugzeug, Computer und letzten
Endes von I&K-Systemen erscheint daher logisch als das Resultat der internationalen
Dimension des Kapitalismus. Die Informatisierung der Gesellschaft und der
Einsatz des Computers in der Wirtschaft beruhen auf Investitionen, die Arbeitskräfte
einsparen und zugleich arbeit- und kapitalsparend sind. Damit boten sie für
die Unternehmen in gewisser Hinsicht einen Ausweg aus den Krisenerscheinungen
der 70er/80er Jahre des 20. Jahrhunderts (siehe Fleissner u.a., Kap. 7 u.
8).
Ausblick
Es wird heute viel Aufsehen um die neuen Technologien gemacht. In technikzentristischer
und –deterministischer Manier zeigen sich Hoffnungen auf ein neues goldenes
Zeitalter des ökonomischen Wachstums und des globalen Wohlstands. Tatsächlich
wird heute das Gegenteil sichtbar: Die antagonistische Logik der Globalisierung
des Kapitalismus hat dazu geführt, dass sich die globalen Probleme immer weiter
verschärfen und die sozialen Unterschiede immer größer werden. Die neuen Technologien
sind nicht Ursache, aber ein wesentliches Medium dieser Probleme, da sie die
Restrukturierung, Dezentralisierung, Flexibilisierung und Informatisierung
der Weltproduktion vermitteln. Eine Bewertung sollte jedoch durchweg ambivalent
ausfallen, denn neue Technologien sind in die bestehenden Antagonismen eingebunden,
bieten aber auch neue Möglichkeiten für emanzipatorische Prozesse.
Durch die weltweite Vernetzung und die dezentrale Struktur der Verknüpfung
von Netzwerkknoten im Internet entsteht ein neuer technischer virtueller Raum.
Nur ca. 1 % der Weltbevölkerung hat Zugang zum Internet, dies sind hauptsächlich
weiße, männliche Amerikaner. Die bestehenden gesellschaftlichen Macht-, Herrschafts-
und Besitzverhältnisse reproduzieren sich auch im virtuellen Raum. Es besteht
also eine Verbindung zwischen den realen sozialen, politischen und ökonomischen
Räumen und dem virtuellen Raum – gesellschaftliche Ungleichheiten werden im
virtuellen Raum widergespiegelt. Sassen (1998) argumentiert, das dezentrale
Internet führe zu neuen virtuellen und real-räumlichen Zentralisierungen und
Segmentierungen.
Es sind weder Technikpessimismus
noch –optimismus hinsichtlich der neuen Medien angebracht. Es zeigen sich
emanzipatorische Nutzungsformen; soziale Protestbewegung greifen immer stärker auf moderne Technologien
zurück, um einen globalen Netzwerkcharakter zu erlangen (vgl. Fuchs 2001b,
S. 153-172, bes. 166ff). Gerade die „Anti-Globalisierungs-Bewegung“, die eine
Bewegung für eine humane, solidarische globale Gesellschaft darstellt, sollte
einen bedeutenden Anknüpfungspunkt für eine politische Praxis der Einheit
in der Vielfalt darstellen. Die globalen Probleme sind eine qualitativ neue
Dimension der kapitalistischen Moderne. Es eröffnen sich mehrere Möglichkeiten:
Die weitere Notstandsverwaltung des kapitalistischen Weltsystems oder aber
die qualitative gesellschaftliche Veränderung in einer globalen Dimension,
die die Antagonismen beseitigt, denen
die Krisen- und Problemhaftigkeit des Kapitalismus zu Grunde liegt. Dazu bedarf
es aber vor allem der sozialen Selbstorganisation der sozialen Subjekte.
Literatur:
Hirsch, Joachim (1995) Der nationale Wettbewerbsstaat. Berlin. Edition ID-Archiv
[1] Siehe für die folgende Unterteilung in Exportstrategie, multinationale, globale und transnationale Strategie Hirsch-Kreinsen (1996) S. 12f