Leben und Selbstorganisation im postfordistischen, neoliberalen
und informationsgesellschaftlichen Kapitalismus
Christian Fuchs
Die gesellschaftlichen Umbrüche, die wir heute erleben, werden
mit so unterschiedlichen Schlagworten wie den Folgenden bedacht: "Ära der
Simulation und der Hyperrealität" (Baudrillard) "Arbeitsgesellschaft" (Offe),
"Bildungsgesellschaft" (Mayer), "Bürgergesellschaft" (Dahrendorf), "desintegrierende
Gesellschaft" (Heitmeyer), "digitaler Kapitalismus" (Glotz), "dynamische Gesellschaft"
(Mayntz) "Erlebnisgesellschaft" (Schulze), "flexible Gesellschaft" (Sennett),
"funktional differenzierte Gesellschaft" (Nassehi), "gespaltene Gesellschaft"
(Honneth), "Informationsgesellschaft" (Lash), "Mediengesellschaft" (Postman),
"Multioptionsgesellschaft" (Gross) "reflexive Modernisierung" (Beck, Giddens),
"polyzentrische Gesellschaft" (Willke), "postindustrielle Gesellschaft" (Bell),
"postmoderne Gesellschaft" (Lyotard, Inglehart, Baudrillard), "Risikogesellschaft"
(Beck), "transkulturelle" oder "multikulturelle Gesellschaft" (Welsch, Leggewie),
"Single-Gesellschaft" (Hradil), "Tätigkeitsgesellschaft" (Arendt, Biesecker,
Mutz), "transparente Gesellschaft" (Vattimo) "Verantwortungsgesellschaft"
(Etzioini), "virtuelle Gesellschaft" (Bühl), "Weltgesellschaft" (Albrow),
"Wissensgesellschaft" (Willke, Knorr-Cetina).
Interessant erscheint es mir zunächst, dass in diesen Konzepten einzig Peter
Glotz einräumt, dass die Gesellschaft, in der wir leben, ganz wesentlich immer
noch eine kapitalistische Gesellschaft ist, die um die Produktion von Wert
und Profit herum organisiert ist. M.E. gilt es zwei Extrema zu vermeiden:
Einerseits den typisch postmodernistischen Reflex, zu konstatieren, die heutige
Gesellschaft stelle etwas völlig Neues dar, andererseits reduktionistische
Argumentationen, die feststellen, dass kein wesentlicher gesellschaftlicher
Wandel feststellbar sei und dass die Gesellschaft noch immer ausschließlich
nach Prinzipien funktioniere, die bereits von Klassikern der Gesellschaftstheorie
und -kritik beschrieben wurden. Ich denke, dass eine Dialektik von allgemeinen
und konkreten Bestimmungen angebracht ist, um diese beiden Extrempositionen
zu vermeiden: Einerseits leben wir immer noch in einer kapitalistischen Gesellschaft,
die um Kategorien wie die Akkumulation von Kapital, den Tauschwert, die Produktion
von Mehrwert, das Privateigentum an Produktionsmitteln, Klassenverhältnisse,
Staat, Nation, Repräsentativverfassung, Arbeitsteilung und wissenschaftlich-technischem
Fortschritt organisiert ist. Andererseits sind wir in eine neue Phase der
gesellschaftlichen und kapitalistischen Entwicklung eingetreten, in der diese
Kategorien eine spezifische Ausprägung erfahren, die neue Qualitäten aufweist
und die es zu erfassen gilt, um eine realistische Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen
Verhältnisse liefern zu können.
Die kapitalistische Entwicklung verläuft nicht stabil, sondern dynamisch und
antagonistisch. Der typische Ausdruck dessen sind gesellschaftliche Krisen,
die ökonomische, politische und ideologische Aspekte umfassen. Seit Anfang
bis Mitte der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts haben wir es mit einer anhaltenden
ökonomischen, politischen und ideologischen Krise des Kapitalismus zu tun,
mit der eine Restrukturierung des kapitalistischen Weltsystems einhergeht.
Resultat ist ein mehrdimensionaler kapitalistischer Umbruch: Der Übergang
vom fordistischen zum postfordistischen Kapitalismus, vom keynesianischen
zum neoliberalen Kapitalismus und von der Verallgemeinerung des Fließbands
zum informationsgesellschaftlichen Kapitalismus.
Vom Fordismus zum Postfordismus
Ökonomisch gesehen ist die den Kapitalismus vom zweiten Weltkrieg bis in die
70er-Jahre prägende Phase vielfach als Fordismus bezeichnet worden (siehe
z.B. Coriat 1979, Gottl-Ottilienfeld 1926, Gramsci 1971, Hirsch 1991, Horatschek
1939, Lipietz 1987). Der Begriff Fordismus bezieht sich zunächst auf die "Wissenschaftliche
Betriebsführung", die von Frederick Winslow Taylor eingeführt wurde (Optimierung
der Organisation der Kapitalverwertung durch die Anwendung wissenschaftlicher
Methoden auf die Arbeitsorganisation), und von Henry Ford in dessen Betrieben
eingeführt wurde. Der Begriff wird jedoch auch allgemeiner für eine Phase
des Kapitalismus benutzt, dessen Produktionsweise auf der Verallgemeinerung
standardisierter Massenproduktion und einer sich daraus ergebenden Beeinflussung
aller Lebensbereiche beruht. Als wesentliche Elemente des Taylorismus können
folgende betrachtet werden:
1. Zerlegung und Teilung des Produktionsprozesses
2. Strikte Vorgaben, wie die Arbeit auszuführen ist, und eine dementsprechende Betriebsorganisation, die auf einer hierarchischen Organisationsweise, Kontrollen, Überwachungen, Disziplinierungen, einer Standardisierung der Abläufe und einer Einengung des Handlungsspielraum der Arbeitenden basierte.
3. Trennung von planenden (Kopfarbeit) und ausführenden (Handarbeit) Tätigkeiten: "Alle Kopfarbeit unter dem alten System wurde von dem Arbeiter mitgeleistet und war ein Resultat seiner persönlichen Erfahrung. Unter dem neuen System musste sie notwendigerweise von der Leitung getan werden in Übereinstimmung mit wissenschaftlich entwickelten Gesetzen" (Taylor 1919, S. 40). "Taylorism can be seen as the rationalization of production, based on an increasing separation of the 'ideas people' and organizers of production (engineers, and organization and maintenance staff) an the 'operatives' carrying out production - semi-skilled manual workers performing repetitive tasks" (Lipietz 1992, S. 4).
4. Versuch der zeitlichen Optimierung der Produktion durch Zeit- und Bewegungsstudien: Unter Optimierung kann verstanden werden, dass versucht wurde, die Produktivität durch diese Methoden zu erhöhen. In Marxschen Kategorien kann dies als eine Form der relativen Mehrwertproduktion verstanden werden. Marx (1867) hat dies auch als die Methode der relativen Mehrwertproduktion bezeichnet: Der Arbeitstag zerfällt dabei in zwei Teile: Die Arbeit, die notwendig ist, um das Lohnäquivalent zu produzieren und jene unbezahlte Mehrarbeit, die den Mehrwert produziert. Durch den technischen Fortschritt, d.h. die Entwicklung der technischen Produktivkraft, wird die Mehrarbeit verlängert. Der Einsatz produktiverer Maschinerie als Methode des relativen Mehrwerts hat zur Folge, dass der Arbeiter in derselben Zeit mehr produziert als zuvor, d.h. die Produktivität steigt. Durch die tayloristische Optimierung des Produktionsprozesses wurde versucht, mehr Mehrwert in kürzerer Zeit zu produzieren, also die Mehrwertproduktion zeitlich zu straffen. Die Arbeit wurde im großen Ausmaß verdichtet. Daher handelt es sich um eine Form der Produktion des relativen Mehrwerts. Dadurch erhoffte man sich bei der Realisierung des Mehrwerts einen Anstieg des Profits.
5. Normierung und Vereinheitlichung der verwendeten Einzelteile
6. Auswahl der Geeignetsten für eine Arbeit
Der Fordismus als das verallgemeinerte ökonomische Modell, das den Kapitalismus nach 1945 prägte, beruht auf folgenden Prinzipien:
1. Verkopplung von Massenproduktion, Massenkonsum und Massenbeschäftigung: "Der Fordismus ist, in wenigen Worten, ein auf Massenproduktion und Massenkonsum basierendes Modell der Kapitalakkumulation" (Jessop 1986, S. 12). Das Automobil als Schlüsselprodukt wurde zum Symbol dieser Massenproduktionsweise. Die absolute Beschäftigungszahl nahm in den fordistischen Zentren des Westens zu, und es zeigte sich eine Verlagerung der Beschäftigung von der Landwirtschaft in die Industrie und den Dienstleistungsbereich.
2. technische Veränderung der Produktionsweise: ausgehend von der Autoindustrie in den Fabriken Fords wurde die Fließbandproduktion großflächig ausgebaut. Bereits 1908 wurde von Ford das "Modell T" als erstes fließbandmäßig produziertes Auto präsentiert.
3. Einsatz des Taylorismus als Organisationsweise der Arbeit
4. Durch die Steigerung der Produktivität sollte das Lohnniveau gehoben werden, was den Massenkonsum und damit die Massenproduktion erst ermöglichte. Damit wurde die Hoffnung auf ein Steigen der Profitraten verbunden. Massenprodukte brauchen einen Absatzmarkt, ansonsten kann der Profit nicht realisiert werden. Daher war es aus einer rein kapitalistischen Logik für Ford logisch, dass die Löhne erhöht werden müssten. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so kann angenommen werden, dass sich schon bald eine Überproduktionskrise eingestellt hätte. Daher war auch die Verbilligung der Produkte eine Notwendigkeit, was auf Grund der verminderten Herstellungskosten durch die Erhöhung der Mehrwertrate und damit der Produktivität einfach war. Zur ideologischen Einbindung der Arbeitenden in das fordistische Modell wurden nicht nur die Löhne erhöht, sondern auch die Arbeitszeit verkürzt [1]. Dies sollte die Arbeitenden ermutigen, mehr zu leisten. Es wurde davon ausgegangen, dass durch die Produktion immer größerer Stückzahlen die Stückkosten sinken, dadurch die Nachfrage stimuliert wird und so eine immer größere Anzahl von KonsumentInnen erreicht werden kann.
5. Die Erhöhung der Löhne war Teil einer umfassenderen Restrukturierung der Gesellschaft. Teil dessen war, dass "persönliche Dienstleistungen [...] durch industriell produzierte Waren oder kommerzialisierte Dienstleistungen ersetzt" wurden (Hirsch 1995, S. 77). Damit hielt die Warenform Einzug in große Bereiche der Freizeit. Dies bedeutet, dass die kapitalistischen Verhältnisse von der Produktions- auf die Reproduktionssphäre übergriffen. Der Reproduktionsbereich wurde im Fordismus zu einer entscheidenden Basis der Verwertung des Kapitals.
6. Revelli (1999) nennt als ein Merkmal des Fordismus, dass die Unternehmen zentralistisch organisiert waren. Alle für die Produktion entscheidenden Abläufe waren in einem Unternehmen räumlich und zeitlich lokalisiert. Es entstanden riesige Fabriksgelände, wie z.B. River Rouge von Ford, in dem es 105.000 Beschäftigte gab und das eine Oberfläche von 1.115 ha umfaßte. Die fordistische Produktionsweise zeichnete sich damit durch eine unmittelbare Nähe aus.
7. Die vertikale Integration spielte eine wesentliche Rolle in der Produktionsweise. Es wurde versucht, die Zulieferindustrie und verwandte Industriezweige aufzukaufen und in den eigenen Produktionskomplex zu integrieren (Revelli 1999).
8. Robert Castel (1997) nennt folgende Charakteristika des fordistischen Arbeitsverhältnisses: 8.1. Eine klare Trennung zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen 8.2. Die Internalisierung der Konsumnorm durch die Arbeitenden 8.3. Den zentralen Arbeitsplatz und eine reglementierte Zeitverwaltung des Arbeitsverhältnisses 8.4. Die Etablierung öffentlicher Dienstleistungen, der Pflichtversicherung und die Verankerung eines Rechts auf Gesundheit, Unterricht, Ausbildung, Arbeit, Wohnen etc. (betrifft bereits die staatliche Ebene des Fordismus, siehe auch weiter unten)
9. Nochmals extra erwähnt (obwohl bereits in die Charakteristika
des Taylorismus aufgenommen) werden soll die relative Mehrwertproduktion durch
die Steigerung der Produktivität (Erhöhung der Geschwindigkeit der Maschinen,
Taylorisierung, neue Produktionsmaschinerie). Wie erwähnt, hatte bereits Marx
davon gesprochen. Werner Sombart (1927) unterscheidet in Analogie dazu eine
extensive und eine für den Fordismus typische intensive Zeitökonomie. In der
Regulationstheorie ist eine Unterscheidung zwischen einer extensiven und einer
intensiven (wie im Fordismus) Akkumulationsweise üblich.
Ende der 60er-/Anfang der 70er-Jahre traten die Widersprüche des Fordismus
deutlich hervor, worauf eine gesellschaftliche Krise des Kapitalismus einsetzte.
Dafür gab es mehrere Gründe: Das Voranschreiten der Technisierung und Automatisierung
der Produktion führte zu einer Krise der Wertproduktion, da die lebendige
menschliche Arbeitskraft, die einzig wertschaffend agieren kann, immer stärker
durch tote, geronnene Arbeit in der Form von Maschinen ersetzt wurde. Die
tayloristische Produktionsweise erreichte ihre eigenen Grenzen. Die Arbeitenden
rebellierten immer stärker gegen die hohen physischen und psychischen Belastungen
der zumeist monotonen Arbeiten, hinsichtlich der technischen Apparatur waren
hohe Wartezeiten und Unregelmäßigkeiten bei der Fließbandproduktion immer
häufiger. Vor allem die voranschreitende Entfremdung der Arbeitenden führte
zu einer Zunahme der Arbeitsverweigerungen und Streiks und zur Erschöpfung
der Produktivitätszuwächse. Des weiteren zeigte sich eine immer stärkere internationale
Konkurrenz am Weltmarkt, die den USA schwer zu schaffen machte (Aufstieg von
Japan und Europa) und die Rohstoff- und Arbeitskosten stiegen stark an. Zur
ökonomischen Krise kam eine ideologische, die sich in der Zunahme der Auflehnung
gegen Autoritäten manifestierte, und eine staatliche, da der Staat durch die
ökonomische Krise zu wenig Einnahmen zur Verfügung hatte und sich durch das
keynesianische Deficit Spending Finanzlücken ergaben (zu den Ursachen der
Krise des Fordismus vgl. Aglietta 1979, Destanne de Bernis 1988, Hirsch/Roth
1986, Lipietz 1987). Im Zuge der Krise des Fordismus ergab sich hinsichtlich
der Produktionsweise das, was heute vielfach als Übergang zum Postfordismus
bezeichnet wird.
In den letzten Jahrzehnten hat eine immer stärkere Verlagerung der Tätigkeiten
vom primären und sekundären ökonomischen Bereich in den Dienstleistungssektor
stattgefunden. Es kann aber nicht gefolgert werden, dass deshalb heute ein
Übergang zu einer postindustriellen Gesellschaft (Bell 1976) stattfindet.
Vielmehr entspringt diese Veränderung der Logik der kapitalistischen Entwicklung.
Aus der kapitalistischen Logik entsteht ein Zwang für die Unternehmen, die
Produktivität permanent zu steigern, also immer mehr in immer kürzerer Zeit
zu produzieren. Daraus ergeben sich die Automatisierung und der technische
Fortschritt als Sachzwänge. Resultat ist auch, dass immer weniger menschliche
Arbeitskraft benötigt wird, um Waren zu produzieren, die Masse der im industriellen
Bereich verausgabten Arbeit nimmt ab. Durch die mikroelektronische Revolution
und die Computerisierung der Arbeit werden diese Entwicklungen beschleunigt.
Die Ausweitung des Dienstleistungssektors stellt nun einerseits den Versuch
dar, freigesetzte Arbeitende zu absorbieren und andererseits wird nach neuen
Investitionsterritorien gesucht, die es ermöglichen sollen, die anhaltende
ökonomische Krise in den Griff zu bekommen. Es erscheint unrealistisch, dass
der Dienstleistungsbereich das Phänomen der Massenarbeitslosigkeit kompensieren
kann, denn auch er unterliegt Rationalisierungstendenzen (denken wir z.B.
an den Bereich der Versicherungen und Banken, an Internetversand, E-Commerce,
Kassenautomaten, Kundenkarten, Scannerkassen, Online-Banking, Point of Sale-
und Point of Interest-Applikationen etc.), es zeigt sich ein Qualifikationsproblem
(die Rationalisierungsopfer sind immer noch vorwiegend Menschen in niedrig
qualifizierten Bereichen, die einfach automatisiert werden können, da standardisierte
Tätigkeiten maschinell einfach in der Form von if..then..else-Verzweigungen
dargestellt werden können; die neu entstehenden Jobs in der New Economy verlangen
aber zumeist hohe Qualifikationen) und es entsteht das Problem, dass mit dem
Anstieg der Arbeitslosigkeit aus Käufern Nichtkäufer werden, woraus sich eine
Verstärkung von Nachfrageschwierigkeiten und Realisierungsproblemen in verschiedenen
ökonomischen Bereichen ergeben können.
Dass die Krise des Kapitalismus anhält zeigt sich daran, dass das Wachstum
des BIPs und der Profitraten heute wesentlich geringer ist als im "Goldenen
Zeitalters" des Fordismus, in dem von einer immerwährenden Prosperität geträumt
wurde. Aus fallenden Profitraten ergibt sich die Suche nach neuen Bereichen
für die Anhäufung von Profit. Auch dies ist ein Grund für den Boom des Dienstleistungsbereiches
und dabei vor allem der Softtwareindustrie, des E-Commerces, der Lizenzvergabe
und den sonstigen Bereichen der New Economy. In der Tat zeigen sich hier extrem
hohe Wachstumsraten, die Hoffnungen auf einen gesamtökonomischen Aufschwung
aufkommen lassen. Allerdings sollte bedacht werden, dass die New Economy ein
Bereich ist, der vor allem weiter dazu beiträgt, dass im Rahmen der Automatisierung
lebendige Arbeit durch tote ersetzt wird. Dem von Marx formulierten Wertgesetz
(vgl. Marx 1867, S. 54f) zu Folge schafft jedoch nur lebendige Arbeit Wert.
Daher erscheint es mir viel realistischer, dass der Boom der New Economy die
Krise der "Old Economy" verschärft und dass die gesamtgesellschaftliche Krise
weiter anhalten wird. Auch im Zuge der Pleitenwelle im New Economy-Bereich,
die seit dem Jahr 2000 um sich greift, und durch die unlängst erfolgten Einbrüchen
an den Technologiebörsen wurde deutlich, dass die New Economy selbst krisenanfällig
ist. Die realökonomische Krise des Kapitalismus hat seit Mitte der 80er zu
großen Hoffnungen in die New Economy geführt, was zu einem irrationalen Überschwang
der Börsenwerte solcher Unternehmen an den Aktienmärkten geführt hat. Da diese
fiktiven Werte aber kein reales Fundament haben, sondern einen Vorgriff auf
erst zu akkumulierendes Kapital darstellen, ist eine gewaltige Finanzblase
die Folge. Die Börsenwerte der New Economy-Unternehmen stimmen also meist
nicht mit jenen realökonomischen Werten überein, die tatsächlich erzielt werden.
Wenn sich die Hoffnungen auf hohe Gewinne schließlich nicht einstellen, platzt
die Finanzblase langsam auf, es zeigen sich Panikwellen, die zu Rückzügen
und Verkäufen führen, die Börsenkurse purzeln, Konkurse von New Economy-Unternehmen
stellen sich ein und die Träume der New Economy-Millionäre zerplatzen wie
Seifenblasen.
Die standardisierte Massenproduktion wird heute immer stärker durch eine diversifizierte
Qualitätsproduktion ersetzt, die sich durch Kundenorientierung und kleine
Stückzahlen mit hoher Qualität charakterisieren lässt. Produziert wird immer
häufiger mit einer flexiblen Fertigungsmaschinerie, die individuell gefertigte
Produktserien im Rahmen einer Just-in-Time-Produktion ermöglicht. Begriffe,
mit denen derartige organisatorische Veränderungen von Unternehmen beschrieben
werden, sind etwa: Fraktale Unternehmen (Hans-Jürgen Warnecke), Virtuelle
Unternehmen (William Davidow, Michael Malone), Atomisierte Organisationen
(Balz Ryf), Modulare Fabriken (Horst Wildemann), Business Reengeneering (James
Champy, Michael Hammer), Lean Management/Lean Production (Daniel Jones, Daniel
Ross, James Womack vom MIT). Gemeinsam sind all diesen Konzepten und den darauf
basierenden betrieblichen Restrukturierungen folgende Charakteristika:
· Bildung kleiner organisatorischer Einheiten im Unternehmen
· Delegation von Entscheidungskompetenzen von oben nach unten in der Hierarchie
=>Erweiterung des Handlungs- und Entscheidungsspielraums unterer Einheiten
· diese Dezentralisierung führt zum Aufbau einer Netzwerkorganisation, die
relativ abgeschlossenen organisatorischen Einheiten koordinieren ihre miteinander
notwendigen Interaktionen
· dazu eignen sich moderne I&K-Technologien. Der Informationsaustausch kann
dabei intrabetrieblich zwischen organisatorischen Einheiten erfolgen, aber
auch interbetrieblich im Rahmen globalerer Unternehmensnetzwerke und organisatorischer
Einheiten (Zentrale, Zulieferbetriebe, dezentrale Tochterunternehmen, Kunden,
etc.).
· Die Dezentralisierung und die flacheren Hierarchien im Unternehmen sind
die Basis von Programmen mit aktiver Beteiligung der Beschäftigten
Produktionseinheiten folgen heute immer weniger einem zentralistischen
Aufbau, sondern differenzieren sich immer stärker aus. D.h., dass der Produktionsprozess
immer stärker in autonom voneinander abwickelbare Teile zerlegt wird, die
von selbständigen betrieblichen Einheiten durchgeführt werden. Innerbetrieblich
bedeutet dies den Aufstieg von Teamarbeit und teilautonomen Arbeitsgruppen,
auf die gesamtbetriebliche Organisationsstruktur bezogen zeigt sich eine Tendenz
zum Outsourcing, d.h. zur Auslagerung von Teilen der Produktion an Subunternehmen
und günstige Zulieferfirmen. Das moderne kapitalistische Unternehmen und damit
die kapitalistische Ökonomie bekommt immer mehr einen Netzwerkcharakter.
Die alten zentralistischen, kommandohaften, auf Überwachung und Kontrolle
basierenden Organisationsmethoden des Taylorismus scheinen passé, gefragt
sind heute bei den Beschäftigten nicht die Eingliederung in einen monotonen
Arbeitsprozess, sondern Motivation, Selbstbewußtsein, Verantwortungsbewußtsein,
Identifikation mit dem Betrieb, Kooperationsfähigkeit, Qualitätsbewußtsein,
Eigeninitiative, permanentes Lernen und verantwortungsvolles Handeln. Arbeitende
sollen stärker unternehmerisch denken, woraus sich automatisch die Frage ergibt,
ob die neuen flexiblen und partizipativen (?) Arbeitsformen eine stärkere
Selbstbestimmung der Arbeitenden mit sich bringen oder eine neue raffinierte
Form der Ausbeutung darstellen?
Vorreiter der flexiblen Produktionsweise war die japanische Lean Production
bei Toyota, weshalb auch häufig vom Toyotismus gesprochen wird. Wesentliches
Ziel ist, Profite durch Kostenreduktion zu erhöhen. Dazu werden folgende Maßnahmen
eingesetzt:
· Kaizen (vgl. Imai 1992): Die Ware und der Produktionsprozeß sollen permanent
verbessert werden. Wer sich an Kaizen-Aktivitäten beteiligt, hat bessere Aufstiegschancen
im Betrieb. Lange Transportwege und Lagerzeiten, Wartezeiten, unnötige Bewegungen,
Ausschüsse, Überproduktion etc. sollen vermieden werden, um die Herstellungskosten
zu senken und die Profite dadurch zu erhöhen. Kaizen soll auch zu einer Qualitätserhöhung
führen.
· Kundenorientierung der Produktion: Marktforschung, genaue Erhebung der Kundenwünsche,
Integration der Kunden in den Produktionsprozeß
· Teamarbeit, Enthierarchisierung, Dezentralisierung
· Simultaeous Engineering: simultan mit der Produktentwicklung werden alle
dafür benötigten und noch nicht vorhandenen Werkzeuge und Produktionsmittel
hergestellt (Daum/Piepel 1992)
· Just-in-Time-Produktion: "Just-in-time basically means to produce the necessary
units in necessary quantities at the necessary time" (Monden 1983, S. 2).
· Kanban-System: es werden nur die Teile angeliefert, die tatsächlich benötigt
werden. Der benötigte Bedarf wird dazu in Arbeitskarten (Kanban) eingetragen.
· Geringe Fertigungstiefe [2]: Teilprozesse
der Herstellung werden an Subunternehmen ausgelagert oder zugekauft. Dadurch
sollen die Herstellungskosten sinken.
· Autonomation: Die Produktionsmaschinen halten bei Störungen automatisch
an (vgl. Imai 1992, S. 121f)
Resultat ist keine große Humanisierung, sondern Zwang zu Überstunden
bei Produktionsmittelausfall sowie Nichterfüllung des Plan-Solls, lange Arbeitszeiten
und hoher Streß. Daher wird in bezug auf die japanischen Produktionsmethoden
häufig vom "Management by Stress" gesprochen. Der Sinn dieser Flexibilisierung
ist klar: Die Umschlagszeit des Kapitals, d.h. jene Zeit, dass dieses in der
Zirkulationssphäre verbringt, soll verkürzt und die Akkumulation von Kapital
beschleunigt werden. Zeitlich gesehen soll also schneller mehr Kapital angehäuft
werden als zuvor.
In den Betrieben selbst lastet ein ungeheurer Druck auf den einzelnen Arbeitsgruppen,
der zu Feindeseligkeiten und Konkurrenz der Arbeitenden untereinander führt.
Auch die Übertragung des japanischen Modells auf Europa bringt nicht unbedingt
eine Humanisierung der Arbeit mit sich, wie etwa das Opelwerk Eisenach exemplarisch
vor Augen führt: "Die 'Fertigungsstätte mit Modellcharakter' für ganz Europa
(Opel-Selbstlob) mag wegweisend für die Fabrik der Zukunft sein. Ein Beispiel
für humane Arbeitsbedingungen ist sie nicht [...] Gerade in diesen edlen Werkhallen
herrscht Stress, und mittlerweile haben die Folgen der neuen Arbeitsbedingungen
auch einen Namen: Flexibilitätssyndrom, Just-in-time-Syndrom, Qualitätssyndrom.
[...] In den Teams entwickelt sich bisweilen eine Gruppendynamik, die mehr
belastet als ein autoritärer Chef. Um Anwesenheits- und Leistungskontrollen
braucht sich in Eisenach kein Vorgesetzter mehr zu kümmern, das regeln die
Gruppen wie von selbst. Denn niemand ist längere Zeit bereit, die Minderleistung
eines schwächeren Kollegen auszugleichen" (Gottschall 1994, S. 242ff).
Entfremdung bleibt also tatsächlich weiter bestehen, auch jene Entfremdung
vom Produkt, die darin besteht, dass die Produktionsmittel und Arbeitsprodukte
nicht den Arbeitenden selbst gehören. Ziel ist weniger die Humanisierung der
Arbeit als neue Methoden der Maximierung von Profit, die als wesentliches
Element neue ideologische Konzepte enthalten. Tatsächlich ergibt sich aus
der postfordistischen Produktionsweise auch keine materielle Besserstellung
der Arbeitenden. Die Reallöhne stagnieren, Zuwächse bleiben weit unter den
Raten des Kapitalwachstums, es zeigt sich ein Ende des Sozialstaats und der
wohlfahrtsstaatlichen Absicherung und es gibt immer mehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse
(geringfügige Beschäftigung, Leiharbeit, Werkverträge, Neue Selbständige,
Zeitarbeit, Teilzeitjobs etc.), die ohne Untertreibung als Armutsfallen bezeichnet
werden können. Im Bereich der New Economy gibt es tatsächlich aber auch Schichten
von hoch qualifizierten Arbeitenden, die hohe Gehälter verzeichen können.
Der Preis, den sie dafür bezahlen, nimmt allerdings oftmals die Form von unerträglichem
Stress, 80-Stunden-Wochen, Mangel an Freizeit und Privatleben, Einsamkeit
etc. an. Erich Ribolits spricht hinsichtlich der neuen Arbeitsformen davon,
dass Arbeitende dazu gebracht werden sollen, "etwas zu tun, was andere wollen,
aber sie gleichzeitig glauben zu machen, dass sie es selbst tun wollen" (Ribolits
1995). Ribolits interpretiert die neuen Organisations- und Managementmethoden
als eine "Totalverzweckung des Menschen" (ebd., S. 150), bei der die Arbeitenden
total (also inklusive ihres Bewusstseins) in den Verwertungsprozess des Kapitals
integriert werden sollen. Ziel sei die "Totalverausgabung der Arbeitenden".
Die Flexibilisierung, Dezentralisierung, Spezialisierung, Diversifizierung,
Informatisierung und Enthierarchisierung der organisatorischen Strukturen
des Kapitalismus lässt sich vor allem in Bezug auf die Suche nach neuen Strategien
und Bereichen der Kapitalakkumulation im Zuge der anhaltenden Krise des Fordismus
betrachten. Resultat ist eine postfordistische Restrukturierung der Ökonomie.
Als Tendenzenden postfordistischer Veränderungen der Ökonomie des Kapitalismus
können wir abschliessend folgende festhalten:
· diversifizierte Qualitätsproduktion, flexible Spezialisierung
· Dezentralisierung der Unternehmensstruktur, Outsourcing, Netzwerkstrukturen
· Enthierarchisierung der internen Unternehmensorganisation, flache Hierarchien
· Teamarbeit
· partizipatorisches Management und neue Unternehmensphilosophien, die die
Arbeitenden psychisch integrieren (bzw. zugespitzt formuliert: vereinnahmen
und verzwecken) wollen.
· Just-in-time-Produktion · neuer Schub der ökonomischen Globalisierung
· weitere Tertiarisierung und Informatisierung der Ökonomie
· Abbau der institutionellen Schranken der Kapitalakkumulation durch Deregulierung
· Triadisierung des Welthandels und des Kapitalexports
Vom Keynesianismus zum Neoliberalismus
Im fordistischen Staat entwickelte sich das, was heute mit den Begriffen "Wohlfahrtsstaat"
oder "Sozialstaat" bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um kollektive soziale
Schutzmaßnahmen, die die physische und psychische Existenz der Arbeitenden
garantieren sollten. Das Modell des Massenkonsums und der Massenproduktion
konnte überhaupt nur durch eine solche Strategie ermöglicht werden. Andererseits
muss auch gesagt werden, dass der Wohlfahrtsstaat ein Ergebnis der Kämpfe
der Arbeitenden war. Die staatliche Sozialpolitik garantierte im Fordismus
die Reproduktion der Arbeitskräfte und regulierte das Angebot an Arbeitskräften.
Auf der motivationalen Ebene war eine mentale Integration und Identifikation
der Arbeitenden in bzw. mit dem Fordismus durch die staatliche Politik vorgesehen.
Der fordistische Staat war keynesianischer Staat. D.h., dass der Staat lenkend
in die Ökonomie eingriff. Der Keynesianismus bedeutete also staatliche Eingriffe
in die Ökonomie, den bürokratischen Ausbau des Sozialstaates, geplante Geld-,
Fiskal-, Industrie-, Forschungs-, Konjunktur-, Wachstums-, Einkommensverteilungs-
und Beschäftigungspolitik sowie die Anerkennung der Gewerkschaften als politische
Kraft (ein Ausdruck dessen sind die Sozialpartnerschaften als institutionalisierte
Klassenkompromissfindungsformen). Keynes sprach von der "Notwendigkeit bewussten
Managements" und der "Sozialisierung von Investitionen". Der Staat wurde als
Interventionsmechanismus begriffen, der eingreift, wenn private Investitionen
nicht ausreichen, um eine Depression oder andere ökonomische Probleme zu beenden.
John Maynard Keynes (1936) ging davon aus, dass das Saysche Theorem falsch
sei. Dieses besagt, dass sich durch die "unsichtbare Hand" des Marktes automatisch
ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage einstellen muss. Say galten die
Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit als substituierbar. Sie werden demnach
stets so gewählt, dass es den Bedingungen am besten entspricht: Die Summe
der Preise dieser Faktoren sei kleiner als die Summe aller anderen möglichen
nutzbaren Faktoren. Ist dies nicht der Fall, so würden die Unternehmer nach
billigeren Faktoren suchen. Ein ständiges Gleichgewicht von Kapital und Arbeit
wird propagiert, Arbeitslosigkeit könne daher langfristig nicht auftreten.
Die Lohnrate regle den Arbeitsmarkt, je nach ökonomischer Situation seien
daher niedrigere oder höhere Löhne angebracht. Das Problem sei daher nicht,
dass die Arbeitslosen keine Arbeit finden können, sondern dass sie nicht zu
jenen Preisen arbeiten, die die Unternehmen bezahlen können/wollen.
Keynes meinte im Gegensatz dazu, dass eine mangelnde Nachfrage Arbeitslosigkeit
produzieren kann: "Der Hang zum Verbrauch und die Rate der Neuinvestition
bestimmen unter sich die Menge der Beschäftigung [...] Wenn der Hang zum Verbrauch
und die Rate der Neuinvestition zu einer unzureichend wirksamen Nachfrage
führen, wird das tatsächliche Niveau der Beschäftigung hinter dem Arbeitsangebot,
das zum bestehenden Reallohn potentiell verfügbar sein mag, zurückbleiben
[...] Diese Analyse gibt uns eine Erklärung für das Paradox der Armut mitten
im Überfluss. Denn das bloße Vorhandensein einer Unzulänglichkeit der wirksamen
Nachfrage kann und wird oft die Zunahme der Beschäftigung zum Stillstand bringen"
(Keynes 1936, S. 26f).
Keynes Lösungsvorschlag war das sogenannte "Deficit Spending": Der Staat müsse
durch Interventionismus in die Ökonomie die Investitionen und den Verbrauch
anregen. Das Massenkonsum- und Massenproduktionsmodell des Fordismus benötigte
also nach der Theorie von Keynes staatliche Unterstützung und Intervention,
um überhaupt zu funktionieren. Die Förderung der staatlichen Investitionen,
so Keynes, müssten über ein Defizt des Budgets finanziert werden. Dabei bestand
jedoch die Gefahr, dass das "Deficit Spending" die Inflation steigert, also
das Defizit durch die Steigerung der im Umlauf befindlichen Geldmenge zu mildern
versucht wird. Keynes meinte jedoch, dass nicht jede Zunahme der Geldmenge
inflationär wirken müsse.
Das korporative System, wie es in unseren Breiten in der Form von Sozialpartnerschaften
institutionalisiert wurde, stellt im Fordismus einen Verhandlungsmechanismus
zwischen den Klassen dar, mit dem versucht wird, den grundsätzlichen Klassenwiderspruch
zu institutionalisieren und damit durch eine künstliche Konstruktion abzuschwächen
sowie den sich daraus ergebenden Klassenkampf aufzuheben. Eine Folge davon
war in Ländern wie Österreich das Ausfallen von großen Streiks, da die Vermittlung
am Tisch durch die "Sozialpartner" forciert wurde.
Joachim Hirsch (1980) betont, dass der fordistische Staat ein "Sicherheitsstaat"
im doppelten Sinn war: Er garantierte eine gewisse soziale Absicherung und
fungierte andererseits als eine Art Überwachungsstaat. Auf der einen Seite
stand also die Steigerung des Lebensniveaus für die Massen in den fordistischen
Zentren, um den Fordismus überhaupt aufrechterhalten zu können, auf der anderen
der bürokratische Kontroll- und Überwachungsstaat.
Der Fordismus war politisch gesehen nationalstaatlich organisiert, eine internationale
Dimension stellte das Bretton Woods-System dar, an dessen Ausarbeitung Keynes
beteiligt war. Damit wurde die internationale kapitalistische Weltwirtschaftsordnung
der Zeit nach dem 2. Weltkrieg konstituiert. Diese beruhte auf dem Prinzip
der Liberalisierung des Welthandels und der Ansicht, dass diese Liberalisierung
den Sicherheitsstaat unterminiere, was die Regulation von Kapitalflüssen erforderlich
mache, um Kapitalflucht zu vermeiden. In diesem System wurden fixe Wechselkurse
zwischen den einzelnen Währungen und dem Dollar installiert. Einzig der Dollar
als stabilste Währung, was sich aus der internationalen Hegemonie der USA
im Fordismus ergab, hielt seine Deckung mit Gold aufrecht. Andere Nationalwährungen
wurden an den Dollar in einem fixen Austauschverhältnis gebunden. Als Grundlagen
des Systems wurden der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank
geschaffen, die im Fall von Zahlungsunfähigkeit Kredite an die betroffenen
Nationalstaaten gaben. Durch das System von Bretton Woods wurde der Dollar
zum Weltgeld. Damit wurde der weitere Ausbau der US-Hegemonie begünstigt.
Das Bretton-Woods-System "erleichterte den US-Konzernen die Eroberung fremder
Märkte durch Direktinvestitionen" (Scherrer 1992, S. 131).
Der Wert der Währungen aller 44 dem Bretton Woods-Abkommen beitretenden Staaten
wurde 1944 durch ein festes Verhältnis zum Dollar bestimmt. Der Wert des Dollars
wurde auf 1/35 Unze Gold festgesetzt. Die USA gingen die Verpflichtung ein,
jeden Dollarbetrag jederzeit in die zugrundeliegende Goldmenge umzutauschen.
Heute wird vielfach von der Krise des Staates geredet. Diese ist einerseits
logische Konsequenz der Krise des Fordismus, da die auf Grund struktureller
Antagonismen relativ fallenden Profitraten und die sich durch die voranschreitende
Rationalisierung ausbreitende Massenarbeitslosigkeit auch eine Verringerung
der Steuereinnahmen mit sich bringen, andererseits wurde die Dynamik des Deficit
Spendings im Rahmen einer Krise der Kapitalakkumulation unterschätzt. Deficit
Spending stellt einen permanenten steuerlichen Vorgriff auf erst zu erwirtschaftendes
Kapital dar. Wenn sich aber realökonomische Krisenschwierigkeiten ergeben
- die ohnehin auf Grund der vorhandenen antagonistischen ökonomichen Strukturen
unvermeidlich sind, was aber wegen der großen Hoffnungen auf eine immerwährende
fordistische Prosperität übersehen wurde -, so ist ein Scheitern einer solchen
politischen Strategie vorprogrammiert.
Die Veränderungen von Staat und Politik, die wir heute erleben, hängen unmittelbar
mit dem zusammen, was heute als "Globalisierung" bezeichnet wird. In Fuchs/Hofkirchner
(2000) haben wir betont, dass Globalisierung einen allgemeinen Prozess der
Menschheitsgeschichte bedeutet, der ein dialektisches Verhältnis von Lokalem
und Übergreifendem/Globalem bedeutet. Jede Form der Gesellschaft ist geprägt
durch eine konkrete Ausprägung dieser Dialektik der Globalisierung. In jeder
Gesellschaft entwickeln sich globale Formen der Ökonomie, der Politik und
der Kultur. Es gibt also nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine politische
und eine kulturelle Globalisierung. Grundsätzlich sollten alle diese Ebenen
in der Globalisierung betrachtet werden und die bestehenden Formen der Dialektiken
in diesen Bereichen näher untersucht werden. In dieser Arbeit interessiert
uns nun vor allem die ökonomische Globalisierung im Kapitalismus.
Wenn die ökonomische Globalisierung ein dem Kapitalismus immanenter Prozess
ist, was ist dann im Postfordismus das eigentlich Neue daran? Warum wird so
viel Lärm um ein bereits altbekanntes Phänomen gemacht? Es kann argumentiert
werden, dass die ökonomische Globalisierung eigentlich ein Mythos ist, da
die Exportquoten der kapitalistischen Länder schon vor etwa hundert Jahren
so hoch waren wie heute oder da etwa drei Viertel der ausländischen Direktinvestitionen
der OECD-Ländern innerhalb dieses Raumes verbleiben und sich daran in den
letzten 15 Jahren nicht viel verändert hat.
Im Kontext des Übergangs vom Fordismus zum Postfordismus lässt sich nun auch
näher bestimmen, was eigentlich unter dem neuen Schub ökonomischer Globalisierung
zu verstehen ist: Es kann gesagt werden, dass die derzeitige Form der Globalisierung
kein Ergebnis einer seit Jahrzehnten bewusst durchgeführten falschen Regierungspolitik
ist (wie Martin und Schumann (1996) in der "Globalisierungsfalle" argumentiert
haben), sondern sie kann aus der Logik und der Produktivkraftentwicklung des
Kapitalismus als eine Strategie des Kapitals zur Lösung der fordistischen
Krise durch die Ausnutzung internationaler Standortvorteile begriffen werden.
Der Krise der Profitraten soll durch eine Externalisierung der Kosten kompensiert
werden, indem versucht wird, durch eine weltweite Umstrukturierung der Organisationsweisen
(Lean Production, Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer, Outsourcing
etc.) der Unternehmen den konstanten und variablen Kapitalanteil zu senken.
Dadurch wird die Hoffnung auf einen Anstieg der Profitraten gesetzt. Um dies
zu erreichen werden auch immer neue und weitere Rationalisierungsschübe durchgesetzt.
Die Nutzung von Standortvorteilen bedeutet die Möglichkeit, den Produktionsprozess
in unabhängig voneinander abwickelbare Teile zerlegen zu können, die jeweils
dezentral erledigt und von einer Zentrale aus gesteuert werden. Jeder Teilprozess
kann in einem anderen Land durchgeführt werden, in dem die Verwertungsbedingungen
des Kapitals für die entsprechende Aufgabe "optimal" im Sinne eines niedrigen
konstanten und variablen Anteils des Kapitals und schlechtem Arbeitsrecht
sind. Die Drohung mit der Abwanderung von Betrieben kann als die Antizipation
von Arbeitslosigkeit, vermindertem Wachstum und geringeren finanziellen Mitteln
des Staates verstanden wurden. Dadurch entsteht im Postfordismus eine potentielle
Situation der Erpressbarkeit. Die transnationalen Konzerne (TNK) spielen heute
eine wesentliche Rolle in der Weltökonomie. Aus den rund 7.000 TNK, die in
den 60ern existierten, sind heute etwa 37.000 geworden. Bei der Internationalisierung
des Kapitals waren bis in die 70er-Jahre vor allem die Exportstrategie und
die Multinationalisierung wesentlich. Bei der Exportstrategie vertreibt eine
von einer Zentrale aus kontrollierte ausländische Niederlassung eines Konzerns
das entsprechende Produkt. Bei der multinationalen Strategie sind die ausländischen
Niederlassungen relativ autonom und versuchen eine selbständige Kontrolle
der nationalen und regionalen Märkte. Als charakteristisch für den Postfordismus
können die globale und die transnationale Strategie betrachtet werden [3]
. Bei der globalen versucht ein Konzern,
sein Produkt weltweit durchzusetzen. Die Produktion erfolgt dezentral, eine
wesentliche Rolle dabei spielt die Auslagerung (Outsourcing) von Teilen des
Produktionsprozesses in Regionen, die für die entsprechende Aufgabe optimale
Bedingungen bieten. Die transnationale Strategie läuft darauf hinaus, dass
es global verteilte Unternehmen eines Konzerns gibt, die bei der Erzeugung
eines vielfältigen Produktschemas zusammenarbeiten. Jedes Unternehmen spezialisiert
sich dabei auf gewisse Aspekte und konzentriert sich auf die Vermarktung des
Produktprogrammes des Konzerns in der Region, in der es angesiedelt ist. Globale
und transnationale Strategie sind nicht zu trennen, TNK verfolgen zumeist
beide.
Die ökonomische Globalisierung kann im Zusammenhang des Übergangs vom Fordismus
zum Postfordismus und vom Keynesianismus zum Neoliberalismus gesehen werden.
Globalisierung bedeutet dann auch die Deregulierung von Schranken wie Schutzzöllen
und Steuern sowie von sozialen Sicherungssystemen. Wird die ökonomische Globalisierung
im Kontext der Einheit eines Akkumulations- und Regulationsmodells erfasst,
so bezeichnet sie nicht eine Zunahme des internationalen Warenhandels, sondern
vor allem die Schaffung neuer Rahmenbedingungen für die Verwertungsprozesse
des Kapitals in der Form des zunehmenden Abbaus von institutionellen Schranken
und Grenzen dieser Prozesse sowie die Internationalisierung des Kapitalverhältnisses
und die Triadisierung (Konzentrierung auf die drei großen Wirtschaftsregionen
Europa, USA und Südostasien) des Welthandels und des Kapitalexports in Form
ausländischer Direktinvestitionen. Das qualitativ Neue an ihr ist im Postfordismus,
dass es zu einer Deregulierung der im Fordismus gesetzten Schranken der Kapitalakkumulation
kommt und dass sich eine Triadisierung des Welthandels einstellt. Der Weltmarkt
verändert sich nicht quantitativ durch eine wesentliche Zu- oder Abnahme des
Welthandels, sondern qualitativ durch einen Konzentrationsprozess des Handels
auf große ökonomische Räume, die durch Freihandelsabkommen wie die EU, NAFTA
oder APEC entstanden sind.
Im Kontext des Postfordismus und der ökonomischen Globalisierung ist die Herausbildung
des Nationalen Wettbewerbsstaates (vgl. Hirsch 1995, S. 103-121, 139-143)
von Bedeutung. Die einzelnen Staaten treten miteinander in Wettbewerb um die
günstigsten Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation. Jener Staat, der die
Deregulierung und den Sozialabbau am meisten vorantreibt, kann mit dem Wohlwollen
des internationalen Kapitals und den sich daraus ergebenden Investitionen
und Betriebsansiedlungen rechnen. Die staatliche Politik konzentriert sich
"zunehmend darauf, einem global immer flexibler agierenden Kapital in Konkurrenz
mit anderen Staaten günstige Verwertungsvoraussetzungen zu verschaffen" (Hirsch
1995, S. 103). Durch die Möglichkeit, dass Unternehmen permanent mit ihrer
Abwanderung drohen können, steht ihnen ein Mechanismus zur Verfügung, mit
dem die Belegschaften und Gewerkschaften erpressbar in der Hinsicht gemacht
werden sollen, dass sie jedes Diktat des Kapitals widerstandslos akzeptieren,
und mit dem die staatliche Politik zum Dumping der arbeits- und sozialrechtlichen
Standards, zur Senkung der Lohnnebenkosten und der Unternehmenssteuern sowie
zur Flexibilisierung der Arbeitszeit im Rahmen des internationalen Standortwettbewerbs
gezwungen wird.
Durch die neoliberale Deregulierung der Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation
wird die Drohung mit der Abwanderung für Konzerne immer einfacher. Resultat
davon ist ein Wettbewerb der Nationalstaaten um für das Kapital möglichst
günstige Standortbedingungen. Staatliche Politik wird daher immer mehr vom
Diktat der Standortpolitik geleitet. Optimale Bedingungen für das Kapital
bedeuten dabei immer prekärere Verhältnisse für die Lohnarbeitenden, Armen
und Marginalisierten, da sich diese Optimalität nur durch den Wettbewerb um
das Dumping der Arbeitsrechte und Sozialstandards herstellen lässt. Der Staat
verändert seine innere Organisation im Postfordismus nicht grundsätzlich,
aber er greift immer weniger regulierend in die Nationalökonomie ein, was
im Fordismus für die Ermöglichung des Massenproduktions- und Massenkonsummodells
notwendig war. Der Staat ist heute der Nachtwächter der Kapitalakkumulation,
der ideale Rahmenbedingungen für diese herstellt. Die transnationalen Konzerne
sind heute die wesentlichen ökonomischen Akteure, der Einfluss der Nationalstaaten
auf ökonomische Entscheidungen, die von globaler Bedeutung sind, wird immer
geringer. Das Leben der Weltbevölkerung wird heute immer mehr von Entscheidungen
gelenkt, die tausende Kilometer entfernt in den Schaltzentralen der transnationalen
Konzerne des Weltsystems getroffen werden.
Der Staat zieht sich im Neoliberalismus als regulierende Instanz immer stärker
aus der Ökonomie zurück und vermindert durch Sozialabbau die Qualität und
Quantität der Eingriffe in den sozialen Bereich. Den ungehemmten Kräften des
"freien" Marktes wird freier Lauf gegeben. Die neoliberale Ökonomie und Politik
gehen vom sich selbst regulierenden Markt aus. Die permanente Verschärfung
der globalen Probleme im Postfordismus zeigt, dass die neoliberale Ideologie
offensichtlich die Lebensverhältnisse weiter Teile der Menschheit nicht verbessert,
sondern immer mehr Menschen in prekäre Lebensverhältnisse drängt. Die doppelt
"freien" Lohnarbeitenden sind zusätzlich immer mehr frei von jeder sozialstaatlichen
Absicherung. Es ist auch ein typisches Charakteristikum des Neoliberalismus,
dass Menschen, die in prekären Verhältnisse leben, auf sich selbst gestellt
werden, während der Staat Reiche und Unternehmen finanziell unterstützt.
Pierre Bourdieu sieht den Neoliberalismus nicht als fortschrittlich, sondern
als Gefahr und einen konservativen Rückschritt, der sich progressiv präsentiert:
"Der Neoliberalismus gibt sich als progressive Bewegung aus, dabei ist er
eine zutiefst konservative Revolution. Es ist eine Restauration, die im Mäntelchen
der Neuerung auftritt. Die neoliberale Botschaft ist konservativ: Arbeitet
viel, ohne Garantie und Sicherheit! Es handelt sich um einen Rückschritt hin
zum Unternehmertum des 19. Jahrhunderts" (Bourdieu 2000).
Bourdieu charakterisiert die neoliberale Politik mit drei Prinzipien, von
denen diese ausgeht: "Das neo-liberale Modell basiert auf drei Prinzipien.
Zuerst: die Wirtschaft ist ein vom Sozialen getrennter Bereich, in dem Naturgesetze
und universelle Gesetze herrschen, die die Regierungen nicht konterkarieren
sollten. Das zweite Prinzip: Der Markt ist das optimale Mittel, um die Produktion
und den Austausch in demokratischen Gesellschaften auf effektive und gerechte
Weise zu organisieren. Das dritte Prinzip, das mehr konjunktureller Natur
ist: Die Globalisierung erfordert eine Reduzierung der öffentlichen Ausgaben,
vor allem im sozialen Bereich, soziale Rechte in den Bereichen Arbeit und
Sozialversicherung gelten als kostenaufwendig und dysfunktional" (Bourdieu
1999).
"Prototypen" des Neoliberalismus waren die Reagonomics und der Thatcherismus.
Reagans Ziel war es, die Unternehmen so weit wie möglich zu entlasten (Einkommens-
und Körperschaftssteuern senken, Zurückdrängung der Gewerkschaften usw.).
Begleitet wurde dies durch Kürzungen im sozialen Bereich und eine expansive
Ausgabenpolitik im Rüstungsbereich. Als Veränderungen der Politik in der Ära
des postfordistischen Kapitalismus können wir folgende festhalten:
· Neoliberalismus
· Nationaler Wettbewerbsstaat, Dominanz der Ökonomie über die staatliche Politik
· Deregulierung
· Sozialabbau
· Ende des Wohlfahrtsstaats/"Sicherheitsstaats"
· Neue Formen der Durchstaatlichung nach Innen und Außen
Von der fordistischen Verallgemeinerung des Fließbandes zum informationsgesellschaftlichen
Kapitalismus
Dass Auto und das Fließband stellten das technologische Paradigma des
Fordismus dar. Sie symbolisierten die Massenproduktion und den Massenkonsum.
Henry Ford meinte, dass die Arbeitenden das von ihnen hergestellte "Modell
T" selbst kaufen können sollten. Anders wäre die neue Produktionsweise auch
gar nicht möglich gewesen. Nach 1945 wurde dieses Modell verallgemeinert,
in standardisierter Fließbandproduktion hergestellte Massenwaren kurbelten
das auf Massenproduktion und Massenkonsum basierende Akkumulationsmodell an.
Schon bald hatte jeder nicht nur sein eigenes Auto, sondern auch ein Fernsehgerät,
einen Kühlschrank, Haushaltsgeräte, Telefon etc. Für den Massenkonsum waren
vor allem auch Techniken wie das Fernsehen, das Telefon und das Radio charakteristisch.
Der Rationalisierungsprozess ist für den Kapitalismus grundlegend. Es ist
ein Zwang jedes Unternehmens, die Produktivität permanent zu erhöhen, um schneller
immer mehr Produkte zu einem günstigeren Preisen als andere anzubieten. Wer
sich dieser Zwangsgesetzlichkeit des Kapitalismus nicht fügt und variables
Kapital durch konstantes ersetzt (d.h. Arbeitskraft durch Maschinen), riskiert
seinen eigenen Untergang als Unternehmer. Technik als Produktionsmittel unterliegt
daher nicht nur einer Entwertung durch Verschleiß im Gebrauch und Nichtgebrauch,
sondern auch einem "moralischen Verschleiß", wie Marx sagte. Damit ist gemeint,
dass Maschinerie veraltet und permanent bessere und die Produktivität steigernde
Maschinen hergestellt werden.
Die großflächige Durchsetzung des Fließbandes im Fordismus kann als ein weiterer
Schub der Rationalisierung betrachtet werden, der den variablen Kapitalanteil
- also jenen Teil des Kapitals, der für Löhne verausgabt wird -, verkleinere
und durch die Methode der relativen Mehrwertproduktion die Profitraten erhöhen
sollte.
Mehrfach wurde in der Kulturkritik die These aufgestellt, dass die fordistische
Standardisierung durch die Massenkultur vom Fließband auf das Bewusstsein
und Denken übergreife, wodurch sich ein eindimensionales Denken und die Formierung
von ohnmächtigen Subjekten herstelle, die durch die psychische Bindung an
die Konsumgesellschaft ihr eigenes Unglück im Kapitalismus nicht erkennen
könnten (Marcuse 1941, 1967; Adorno/Horkheimer 1969, Debord 1979).
Wir können davon ausgehen, dass für jede Phase des Kapitalismus ein spezifisches
technologisches Paradigma ausschlaggebend ist. Sind die Produktivitätszuwächse
jedoch nicht mehr ausreichend, so müssen andere Techniken gefunden werden,
die die Organisationsweise des Kapitalismus effektiver gestalten helfen. Durch
einen sich mit der Dauer strukturell einstellenden Mangel der Produktivität
wurde im Fordismus dem postfordistischen Aufstieg der Computertechnologie
und der darauf basierenden modernen Informations- und Kommunikationstechnologien
(IKT) der Weg geebnet.
Wenn von der "Informationsgesellschaft" gesprochen wird, so wird diese allzu
häufig auf rein technische Veränderungen, also die vermehrte gesellschaftliche
Nutzung von IKT, reduziert. Manifest wird dies etwa in Metaphern wie jener
von der Datenautobahn, da ein herrschendes Technologieverständnis befördert
wird, das einem ungebremsten Fortschrittsoptimismus das Wort redet und letztlich
vor allem auf die Maximierung von Profit orientiert ist. Tatsächlich ist Information
aber ein gesellschaftliches Verhältnis, das nicht nur in der Form von IKT
zunehmende Bedeutung erfährt; des weiteren haben wir es nicht nur mit technischen
Veränderungen zu tun, sondern vor allem mit ökonomischen und politischen Umbrüchen,
die vom fordistischen zum postfordistischen und vom keynesianischen zum neoliberalen
Kapitalismus führen; außerdem sind diese gesellschaftlichen Umbrüche nicht
automatisch mit gesellschaftlichem Fortschritt verbunden, sondern bedeuten
heute vorwiegend eine Verschärfung der globalen Probleme, die inzwischen zu
Überlebensproblemen der Menschheit geworden sind. Information umfasst immer
die Produktion von Zeichen und entsteht dann, wenn sich ein System selbst
organisiert (vgl. Fuchs/Hofkirchner 2001). Es handelt sich um keine rein technische
Kategorie, sondern um eine, die sich in Systemen unterschiedlicher Art finden
lässt (in technischen und sozialen genauso wie in physikalisch-chemischen
und lebendigen Systemen). Information finden wir in der Gesellschaft einerseits
auf einer individuell-kognitiven Ebene in der Form von wahrgenommenen Daten,
interpretiertem Wissen und bewerteter Weisheit (vgl. ebd.) und andererseits
als soziale Information in der Form von Ressourcen, Entscheidungen, Normen
und Werten, die vergangenes soziales Handeln speichern und zukünftiges soziales
Handeln erleichtern. Es muss nicht immer von neuem eine Grundlage für soziales
Handeln geschaffen werden, da diese in der Form von sozialer Information dauerhaft
zur Verfügung steht. Soziale Information ist eine dauerhafte Grundlage sozialen
Handelns, die sich aber in ihrer eigenen gesellschaftlichen Dynamik permanent
verändert.
Der gesellschaftliche Umgang mit Wissen umfasst dessen Produktion, Verteilung
und Differenzierung. Im Rahmen der Verteilung stehen unterschiedliche Mittel
zur Verfügung. Moderne IKT stellen neben z.B. Büchern, Bibliotheken oder Gesprächen
nur eine Form der Wissensverteilung dar. Mit Hilfe von Computertechnologien
kann Wissen heute in polydirektionaler, interaktiver und multimedialer Form
produziert und verteilt werden. Dabei ist zu beachten, dass Wissen immer eine
soziale Kategorie ist, es wird niemals nur individuell produziert, sondern
nimmt einerseits immer Bezug auf bereits bestehendes Wissen und beeinflusst
andererseits das zukünftige soziale Handeln (wenn auch abhängig von Macht-
und Klassenverhältnissen mehr oder weniger).
Vom informationsgesellschaftlichen Kapitalismus können wir heute sprechen,
da Wissen zu einer immer bedeutenderen Produktivkraft wird, die die Akkumulation
des Kapitals und die Produktion von Mehrwert wesentlich beeinflusst. Wir haben
bereits gesagt, dass der Dienstleistungsbereich einen immer bedeutender werdenden
Sektor des Kapitalismus darstellt. Teil dieses Bereiches ist auch das, was
wir als Informations- oder Wissensarbeit subsumieren können. Darunter sind
jene Tätigkeiten zu zählen, die mit der Schaffung, Verarbeitung und Instandhaltung
von Wissen zu tun haben. Also etwa die Tätigkeiten eines Programmieres genauso
wie jene einer Wissenschaftlerin, eines Sekretärs, eines Information-Brokers,
einer Marktforscherin oder einer Zeitungsredakteurin. Wissensarbeit wird heute
zu einer für die weitere Funktionsweise des Kapitalismus immer wichtigeren
Kategorie.
Immaterielle und geistige Arbeit werden zwar immer bedeutender, die Akkumulation
des Kapitals benötigt aber immer noch eine stoffliche Basis. Daher ist eben
auch die Vorstellung einer Weightless Economy ein Mythos. Es lässt sich hinzufügen,
dass sich die Notwendigkeit einer stofflichen Basis der Akkumulation auch
im Rahmen der New Economy bereits daran zeigt, dass die angeblich immateriellen
Produkte sehr wohl eine stoffliche Basis haben (Infrastruktur, Modem, Computer,
Glasfaserkabel, CD-ROMs, Datenträger etc.). Auch Ökobilanzen der New Economy
zeigen, dass diese Unmassen an stofflichen Ressourcen verschlingt. Durch die
Entwicklung der Produktivkräfte hebt sich das Wertgesetz zwar tendenziell
auf, solange der Kapitalismus besteht, wird er allerdings lebendige Arbeit
und stoffliche Mehrprodukte als Grundlagen benötigen.
Mit der Zunahme der Bedeutung der Herstellungen der Rahmenbedingungen und
der Infrastruktur der Warenproduktion, wird auch der Stellenwert Wissenschaft
wird im heutigen Kapitalismus immer größer. Unter Wissenschaft kann zunächst
die Verallgemeinerung von neue geschaffenem Wissen mit Bezugnahme, Analyse
und Kritik auf das im Kontext dazu bereits existierende Wissen verstanden
werden. Als Produktivkraft hat die Wissenschaft eine wesentliche Funktion
für die kapitalistische Entwicklung. Sie stellt dabei eine Organisationsweise
der Rahmenbedingungen und infrastrukturellen Einrichtungen der Kapitalakkumulation
dar, sie sorgt für den Fortschritt der Produktions- und Organisationsmethoden
und dabei vor allem für immer neue und effizientere Methoden der relativen
Mehrwertproduktion, die Maschinen hervorbringen, die immer effizienter in
der Produktion eingesetzt werden können (d.h. die immer mehr Waren in immer
kürzerer Zeit produzieren helfen). Mit der Verwissenschaftlichung der Produktion
und der immer stärkeren Zunahme der Bedeutung der Produktivkraft Wissen werden
wissenschaftliche Vorleistungen der Produktion, die Schaffung von Know-How
durch Forschung und die Ausbildung qualifizierter ArbeiterInnen an Universitäten
immer bedeutender. Viele Firmen und nahezu alle Konzerne kooperieren nicht
nur mit Universitäten und vergeben Forschungsaufträge an diese, sondern haben
auch eigene Forschungsabteilungen, die kein allgemein zugängliches Wissen
schaffen, sondern Wissen, das dem eigenen Betrieb vorbehalten bleibt. Das
Wissen hat im Produktionsprozess einen äußerst günstigen Charakter, der ökonomischen
Interessen nützt: Es verbraucht sich nicht stofflich und muss nicht durch
Neukauf reproduziert werden. Einmal angeeignetes Wissen kann und muss zumeist
weiterentwickelt werden, was weitere Kosten verursacht, aber es gibt fast
keine Reproduktionskosten des vorhandenen Wissens, es muss nicht permanent
neu (re)produziert werden wie die Arbeitskraft oder Rohstoffe. Wissen kann
zu einem sehr geringen Preis quasi unendlich vervielfältigt werden (es wird
also in der Form von Kopien billig reproduziert, muss aber selbst nicht reproduziert
werden), kann in digitaler Form mittels moderner I&K-Technologien global sehr
schnell verbreitet werden und die Grenzkosten der Vervielfältigung des Wissens
sinken durch die technische Produktivkraftentwicklung immer weiter.
Schließlich haben auch die modernen IKT wie das Internet wesentliche Veränderungen
des Kapitalismus vermittelt. Computertechnologie kann grundsätzlich als Medium
und Resultat der Rationalisierung betrachtet werden: Dem Kapitalismus liegt
die Zwangsgesetzlichkeit der permanenten Erhöhung der Produktivität zu Grunde.
Eine immer weiter voranschreitende Rationalisierung ist die logische Folge.
Die Computertechnologie ist Medium und Resultat der Rationalisierung und der
Umstrukturierung des Kapitalismus. Ihre Genese ist das logische Resultat der
Weiterentwicklung der kapitalistischen Produktionsweise. Gleichzeitig ist
sie das Medium der Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen. Eine
logische Folgerung ist die Massenarbeitslosigkeit, mit deren permanenten Zunahme
wir heute konfrontiert sind. Die ökonomische Diffusion der Computertechnologien
hängt auch mit der Krise des Fordismus zusammen. Als eine Reaktion auf den
relativen Fall der Profitraten wurde die Computerisierung und damit die Automatisierung
weiter vorangetrieben, um Arbeitskosten einzusparen und die Profitraten zu
steigern.
In technischen Artefakten widerspiegeln sich gesellschaftliche Herrschafts-
und Besitzverhältnisse. Dies gilt auch für das Internet. Der Zugang zum Cyberspace
kostet Geld für Telefon, Modem, Computer, Provider usw., gleichzeitig kommt
es aber zu einer immer stärkeren sozialen Spaltung und Polarisierung. Nur
ca. 2-3% der Weltbevölkerung hat Zugang zum Netz, dabei handelt es sich mehrheitlich
um weiße, männliche US-Amerikaner. Es zeigt sich also die Widerspiegelung
von gesellschaftlichen Dichotomisierungen nach Klasse, Geschlecht, Herkunft,
Alter und Qualifikation im Internet. Der Zugang ist in diesem Sinn ganz und
gar nicht "frei", die Forderung nach "Access for all" ist technizistisch und
verkürzt, denn sie blendet aus, dass ihre Realisierung grundlegende gesamt-
und weltgesellschaftliche Transformationen umfassen müsste. Afrika stellt
etwa 12% der Weltbevölkerung, verfügt aber nur über 2% der weltweit verfügbaren
Telefonanschlüsse. Durchschnittlich gibt es in Afrika weniger als 2 Telefonanschlüsse
pro 1000 EinwohnerInnen. Das Internet ist vorwiegend ein Mittel zur Erzielung
von Profit, aus einer ursprünglich rein militärisch eingesetzten Technologie
(ARPA-Net) wurde ein Mittel zur Restrukturierung und Beschleunigung betrieblicher
Abläufe, ein neuer Ort der Kapitalakkumulation und ein Werbemittel mit interaktiven
und multimedialen Dimensionen. Politik stellt ein minoritäres Feld im Web
dar, maximal 1-2% der Websites behandeln politische Inhalte, es überwiegen
Sex und Kommerz.
Trotz allem zeigt sich, dass moderne IKT von sich selbst organisierenden politischen
Bewegungen unterstützend effizient eingesetzt werden können. Vor allem eine
globale Vernetzung und Vereinfachung sowie Beschleunigung kommunikativer Abläufe
kann so erreicht werden. Es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass kritische
und oppositionelle Tätigkeiten durch die Vernetzung effizienter selbst organisert
werden können. IKT sind Teil jener Strukturen, die Fremdbestimmung aufrechterhalten,
bieten aber auch Unterstützung bei vernetzter Selbstorganisation, die gesellschaftskritisch
und intervenierend agiert (vgl. Fuchs 2001). Halten wir einige Aspekte der
modernen IKT fest, die eine Bedeutung bei derzeitigen gesellschaftlichen Veränderungen
spielen:
1. IKT führen zu Delokalisierungs- und Entbettungsprozessen im Sinn der Herstellung
einer raum-zeitlichen Entfernung sozialer Beziehungen. Damit im Zusammenhang
steht die Internationalisierung der Produktion. IKT sind Medium und Resultat
der ökonomischen, kulturellen und politischen Globalisierung.
2. IKT können einer Derealisierung Vorschub leisten, bei der die Realität mit künstlichen Realitäten verschwimmt. Dies zeigt sich im Cyberspace z.B. bei Chats oder MUDs/MOOs, bei denen die handelnden Akteure unterschiedliche konstruierte Identitäten annehmen können.
3. IKT vermitteln eine Dezentralisierung und Enthierarchisierung der internen Unternehmensorganisation. Dabei stellt sich die Frage, ob dies zu einer Humanisierung der Arbeit führt oder zu einer Totalverzweckung des Menschen, bei der die Ausgebeuteten ihrer Ausbeutung zustimmen sollen. Damit in Zusammenhang steht auch die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse.
4. IKT können den Zugang zu Informationen, den Informationsaustausch, die Kooperation und die Kommunikation prinzipiell erleichtern. Zugleich zeigt sich aber, dass der virtuelle Raum segmentarisiert ist und dass sich die gesellschaftlichen Ungleichheiten im Cyberspace reproduzieren.
5. IKT können einen kulturellen Austausch und eine kulturelle Einheit in der Vielfalt prinzipiell vermitteln. Gleichzeitig produzieren sie unter kapitalistischen Verhältnissen Widersprüche jedoch mit und tragen dabei prinzipiell zu einer Verschärfung der globalen Probleme bei.
6. Die Anwendung von IKT verändert die Arbeitswelt auch dadurch, dass es im Bereich der neuen Medien und der Softwareindustrie zu einem hochqualifizierten Segment des Arbeitsmarktes kommt. Gleichzeitig verschärfen sich jedoch die Spaltungen am Arbeitsmarkt. Vor allem niedrig qualifizierte Jobs werden wegrationalisiert, Folge ist eine Massenarbeitslosigkeit. Es ist zweifelhaft, dass die Entstehung hoch qualifizierter Jobs im High-Tech-Bereich diese Arbeitslosigkeit kompensieren kann.
7. IKT sind Teil des Rationalisierungsprozesses, der zu einer Ersetzung menschlicher Arbeit durch Maschinen führt. An sich stellt die Verringerung der durch den Menschen zu leistenden gesellschaftlich notwendigen Arbeit eine zivilisatorische Errungenschaft dar, die dem Menschen mehr freie Zeit und Musse bietet. Unter den Bedingungen der kapitalistischen Widersprüche und der Zweck-Mittel-Verkehrung der Technik bedeuten Rationalisierung und Automatisierung jedoch eine Zunahme der Arbeitslosigkeit und der Armut. IKT sind Medium und Resultat der Rationalisierung im Kapitalismus.
8. IKT führen zu einer Durchdigitalisierung des Sozialen (d.h. zur Diffusion der neuen Medien und Technologien in alle gesellschaftlichen Bereiche und Lebensverhältnisse) und ermöglichen damit eine Verstärkung der Kontrolle und Überwachung durch technische Vernetzung. IKT machen Abläufe nachvollziehbar, dies ist jedoch nicht nur eine Chance, sondern auch ein Risiko der Zunahme der Intensität von Überwachung und Kontrolle.
9. IKT können geistige Tätigkeiten fördern. Gleichzeitig unterliegt derzeit aber auch der Bereich der geistigen Arbeit der Rationalisierung. Es zeigt sich also auch eine Automation der Kopfarbeit.
10. IKT werden vorwiegend kommerziell und im Sinn der Profitmaximierung genutzt, taugen aber z.B. auch als Medium oppositioneller politischer Interventionen
Vor allem der erste Punkt verweist darauf, dass IKT auch Medium
und Resultat der ökonomischen Globalisierung des Kapitalismus sind. Auf der
einen Seite ermöglichen I&K-Systeme durch die Herstellung von raum-zeitlicher
Entfernung den Einfluss lokaler Prozesse auf das weltweite Geschehen und umgekehrt.
Dadurch stellt sich sowohl eine räumliche und zeitliche Unabhängigkeit ein.
Daher können die modernen Informations- und Kommunikationssysteme als Medium
der Globalisierung bezeichnet werden. Sie ermöglichen und vereinfachen die
globale Kommunikation und den Welthandel. Die Globalisierung, Dezentralisierung
und Flexibilisierung des Kapitalismus wird also durch die modernen IKT vorangetrieben,
sie werden als Mittel der territorialen Restrukturierung des Kapitalismus
eingesetzt. Der Netzwerkcharakter der global agierenden Transnationalen Konzerne
wird durch die neuen IKT ermöglicht, letztere sind aber auch das Resultat
der ökonomischen und profitgeleiteten Restrukturierungsbewegungen des Kapitals.
I&K-Systeme sind also nicht nur Medium der Globalisierung, sondern auch deren
Resultat. Es liegt in der Logik des Kapitalismus begründet, dass die Produktivität
permanent gesteigert werden muss. Die Kapitalakkumulation muss ständig durch
die Entwicklung neuer Technologien besser und optimaler organisiert werden.
Ständig neue Automatisierungsschübe sind daher eine logische Konsequenz der
kapitalistischen Produktionsweise. Um die Kapitalakkumulation optimal zu organisieren,
sind also ständig produktivere Maschinen und neue Technologien notwendig.
Daher kann auch argumentiert werden, dass I&K-Systeme und die vernetzenden
Technologien nicht zufällig entstanden sind, sondern sich nur durchsetzen
konnten, da sie sich auf die Organisation des Kapitalismus positiv auswirken
und diesen in dem Sinn bereichern, dass sie die Internationalisierung des
Kapitals vereinfachen. In diesem Sinn können die neuen Technologien auch als
Resultat der Globalisierung verstanden werden. Sie bedingen als Medium einerseits
die Globalisierung, sind also eine von deren Voraussetzungen. Andererseits
ist die Globalisierung, ein dem Kapitalismus innewohnender Prozess. Die Internationalisierung
des Kapitals, also die notwendigerweise vorhandene globale Dimension des Kapitalismus,
benötigt für ihre effiziente Gestaltung entsprechende Verkehrsformen. Die
Entwicklung und vor allem die globale Durchsetzung von Schiffahrt, Eisenbahn,
Telegraf, Telefon, Funk und Fernsehen, Auto, Flugzeug, Computer und letzten
Endes von I&K-Systemen erscheint daher logisch als das Resultat der internationalen
Dimension des Kapitalismus.
Diese Zusammenhänge von Globalisierungsprozessen und der beschleunigenden
Wirkung von Technologien erkannte bereits Marx, konnte sie aber natürlich
nicht für die Spezifik der IKT anwenden. "Wenn einerseits mit dem Fortschritt
der kapitalistischen Produktion die Entwicklung der Transport- und Kommunikationsmittel
die Umlaufszeit für ein gegebenes Quantum Waren abkürzt, so führt derselbe
Fortschritt und die mit der Entwicklung der Transport- und Kommunikationsmittel
gegebne Möglichkeit - umgekehrt die Notwendigkeit herbei, für immer entferntere
Märkte, mit einem Wort, für den Weltmarkt zu arbeiten" (Marx 1885, S. 254).
Transport- und Kommunikationswesen seien "Waffen zur Erobrung fremder Märkte"
(Marx 1867, S. 475). Wenn heute davon gesprochen wird, dass das Internet die
ökonomische Globalisierung vorantreibe, so verweist dies auf nichts anderes
als auf die grundsätzliche Funktion von Technologien im Kapitalismus, die
Marx bereits im 19. Jahrhundert erkannte.
Der informationsgesellschaftliche Kapitalismus zeichnet sich durch die Zunahme
der gesellschaftlichen Bedeutung des Wissens als Produktivkraft aus. Diese
Informationsgesellschaft ist aber eigentlich nur halbierte Informationsgesellschaft
(Hofkirchner 1999), denn sie hat es noch nicht geschafft, jene Weisheit als
Dimension gesellschaftlicher Information zu erlangen, die zur Lösung der globalen
Probleme führen würde.
Globale Probleme und die Nichtdeterminiertheit der gesellschaftlichen Entwicklung
Der Umbruch vom Fordismus zum Postfordismus, vom Keynesianismus zum Neoliberalismus
und hin zum informationsgesellschaftlichen Kapitalismus bringt eine Verschärfung
der globalen gesellschaftlichen Probleme mit sich. Einige Stichwörter sind
in diesem Zusammenhang die Stagnierung der Löhne, während Kapitaleinkommen
weiter steigen; prekäre Arbeitsverhältnisse als Armutsfallen, Massenarbeitslosigkeit,
Massenarmut, Armut trotz Arbeit, Verschärfung der ungleichen Ressourcenverteilung
zwischen Nord und Süd, immer längere Wochen- und Lebensarbeitszeit bei relativ
geringerem Lohn, Verschärfung der ökologischen Krise. Die soziale Destabilisierung
führt in Folge auch zum Anstieg von Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Kriminalität,
Krieg und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Eine solche Gesellschaft ist
in der Tat keine weise Gesellschaft.
Mit dem modernen Komplexitätsansatz und den Selbstorganisationstheorien (vgl.
Fuchs 2001) werden heute immer stärker Elemente wie Zufall, deterministisches
Chaos, eingeschränkte Vorhersagbarkeit, Unordnung, Ordnung aus dem Chaos,
Instabilität, Dynamik, Unsicherheit, Ambigutität, multidimensionale, komplexe
und nichtlineare Kausalität, Indeterminismus und Interdisziplinarität an Stelle
von Vorhersagbarkeit, Stabilität einer Ordnung, Sicherheit, Kontrolle, Steuerbarkeit,
Linearität, Reduktionismus, Determinismus und Fragmentierung betont. Für die
Sozialwissenschaften bedeutet dies eine Ende der Gewissheiten, es ist nicht
möglich, uneingeschränkt geltende Gesetze zu entdecken, nach denen soziale
Systeme funktionieren und die diese vorhersagbar und infolgedessen stabilisierbar
und kontrollierbar machen. Vielmehr stellen wir einen Übergang vom Sein zum
Werden fest, d.h. dass auch Gesellschaftssysteme sich permanent dynamisch
wandeln und dass Situationen eintreten, in denen Instabilitäten auftreten
und die gesellschaftliche Entwicklung nicht weiter vorhergesagt werden kann.
An der klassischen sozialwissenschaftlichen Darstellung universeller Regeln,
die menschliches und soziales Handeln erklären sollen, kann nicht mehr weiter
festgehalten werden. Vielmehr folgen bestimmte Aspekte sozialer Systeme Regeln
und sind daher auch einigermaßen vorhersagbar. Andererseits gibt es aber auch
chaotische Zustände, in denen die weitere Entwicklung eines sozialen Systems
nicht vorhersagbar ist. Die Anwendung des Newtonschen Paradigmas und dessen
verkürzter, mechanistischer Kausalität auf die Sozialwissenschaften steht
noch immer an der Tagesordnung, die menschliche Geschichte gilt vielen immer
noch als unvermeidlich fortschrittlich und es wird nach Regeln gesucht, die
helfen sollen, die gesellschaftliche Entwicklung exakt vorherzusagen. Auch
Immanuel Wallerstein stellt in diesem Zusammenhang fest - und darin gebe ich
ihm uneingeschränkt recht - , dass die Sozialwissenschaften heute mit einem
Ende der Gewissheiten konfrontiert sind, Indeterminismus, Irreversibilität,
Zufall und Nichtvorhersagbarkeit seien heute von wesentlicher Bedeutung (vgl.
Wallerstein 1995, 1997a).
Ich gehe davon aus, dass wir heute mit der globalen Krise unserer Gesellschaften
in einem solchen Bifurkationspunkt der gesellschaftlichen Entwicklung angelangt
sind, in dem sich massive Instabilitäten in der Form der Verschärfung der
globalen Probleme zeigen und in dem die weitere Entwicklung nicht determiniert,
sondern offen ist. Wir sind daher mit der Ambivalenz von großen Risiken und
Gefahren einerseits sowie sich ergebenden Chancen für die zukünftige Entwicklung
andererseits konfrontiert. Denkbar sind mehrere Entwicklungsszenarien: Das
Ende der Menschheit, da die globalen Probleme unter den derzeitigen Entwicklungsbedingungen
nicht in den Griff zu bekommen sind; die weitere krisenhafte Reproduktion
des Kapitalismus im Rahmen extrem militarisierter und repressiver Regime;
der Übergang in offen faschistische Formen des Kapitalismus; oder ein grundlegender
Richtungswandel, der ein Umdenken in allen gesellschaftlichen Bereichen und
einen sich daraus ergebenden Formwandel voraussetzt, mit Hilfe dessen eine
sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung eingeschlagen werden kann.
Ich bin nicht optimistisch, was die weitere Entwicklung betrifft, es ist jedoch
nicht der Fall, dass sich die gesellschaftliche Entwicklung unabhängig vom
sozialen Handeln des Menschen durchsetzt. Gerade in solchen Phasen der Instabilität
kommt dem sozialen Eingriff des Menschen eine große Bedeutung zu. Es ist zwar
nicht möglich, die weitere Entwicklung zu bestimmen, aber die gesellschaftliche
Evolution kann möglicherweise durch soziale Gestaltungsmechanismen in gewisse
Bahnen geleitet werden. D.h., dass es menschliche Intervention grundsätzlich
ermöglicht, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass eine gewisse Entwicklungsbahn
eingeschlagen wird. Gewissheiten gibt es allerdings auch hierbei nicht. Verläuft
diese Intervention des Menschen in Gesellschaft und Natur weiterhin auf zerstörerische
und ausbeuterische Art und Weise, so bin ich mir ziemlich sicher, dass sich
eines der ersten drei Schreckensszenarien ergeben wird. Werden jedoch die
Selbstorganisationspotenzen der Menschheit aktiviert, d.h. wenn durch basisdemokratische
Bottom-Up-Interventionen versucht wird, gesellschaftlichen Hierarchien und
Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken, so bin ich zuversichtlich, dass das vierte
Szenario und damit möglicherweise eine Humanisierung der globalen Lebensverhältnisse
durch die Etablierung einer auf den Prinzipien der Selbstorganisation und
der Selbstbestimmung aller gesellschaftlicher Lebensbereich basierenden Gesellschaft
erreicht werden kann. Es geht also um Selbstorganisation an Stelle von Fremdorganisation
als gesellschaftliches Gestaltungsprinzip, das eine sozial und ökologisch
nachhaltige Entwicklung ermöglichen könnte.
Gewisse Hoffnungen setzte ich in die Neuen Sozialen Bewegungen, da hier Basisdemokratie
und Selbstorganisation immer eine gewisse Bedeutung gehabt haben. Allerdings
zeigt sich heute einerseits die Institutionalisierung und damit ein tendenzielles
Ende dieser sozialen Protestbewegungen, anderseits fehlt eine umfassende Perspektive,
die die Verbundenheit aller Ausgebeuteten und Unterdrückten mit berücksichtigt
und Selbstorganisation als mögliches umfassendes gesellschaftliches Gestaltungsprinzip
in Ökonomie, Politik und anderen Lebenswelten begreift.
Ich schließe mich der Meinung Immanuel Wallersteins an, dass wir in 50 Jahren
eine radikal transformierte Gesellschaft (oder keine Gesellschaft mehr) erleben
werden und dass die Zeit bis dorthin eine mit großen sozialen Unruhen und
einer Zunahme der alltäglichen Gewalt sein wird. Dies kann als Resultat der
Antagonismen der kapitalistischen Entwicklung und der sich daraus ergebenden
großen gesellschaflichen Krise betrachtet werden.
"[...] this structural crisis leads us into a dark period of struggle over
what kind of system will succeed the existing one. We can think of this as
a bifurcation, and therefore the beginning of a chaotic period, within which
no one can predict the outcome, which is inherently indeterminate. There will
be a new structure, a new order, but it may be either better or worse than
the existing one. It depends on what we all do in the period of acute struggle
and how clearly we understand the forces at work" (Wallerstein 1999b).
Die Krise, so Wallerstein, würde sich unabhängig vom Willen der Menschen durchsetzen,
nicht jedoch die Entwicklung im Bifurkationspunkt. Schon kleine politische
Aktionen könnten große Konsequenzen nach sich ziehen. Daher sei der freie
Wille in dieser Situation von großer Bedeutung (Wallerstein 1999a). "The future
[...] is open to possiblity, and therefore to a better world" (Wallerstein
1997b).
Fortschritt ist möglich, aber nicht unvermeidlich. Er ist aber auf alle Fälle
abhängig davon, ob es gelingt, soziale Selbstorganisation in der gesellschaftlichen
Praxis und den sich darin immer findenden (Überlebens-)Kämpfen konkret umzusetzen.
Literatur:
Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max (1969) Dialektik der Aufklärung. Philosophische
Fragmente. Frankfurt/Main. Fischer. Neuauflage 1997
Aglietta, Michel (1979) A Theory of Capitalist Regulation. The US Experience.
London. NLB
Bell, Daniel (1976) Die nachindustrielle Gesellschaft. Frankfurt/Main. Suhrkamp.
Bourdieu, Pierre (1999) Neoliberalismus. In: Die Tageszeitung. Nr. 6008 vom 4/12/1999
Bourdieu, Pierre (2000) Der Neoliberalismus ist konservativ. Will Gegenfeuer legen: Pierre Bourdieu sieht im Neoliberalismus eine Gefahr für Europa. Interview mit Pierre Bourdieu. In: Tagesanzeiger. 20/05/2000
Castel, Robert (1997) The Model of the "Employment Society" as a Principle of Comparison between Systems of Social Protection in Northern and Southern Europe. In: Palier, Bruno (Hrsg.) (1997) Comparing Social Welfare Systems in Europe. Paris. SICOM. Band 3. S. 27-46.
Coriat, Benjamin (1979) L'atelier et le chronomètre. Essai sur le taylorisme, le fordisme et la production de masse. Paris.
Daum, Matthias/Piepel, Ulrich (1992) Lean Prodcution. Philosophie und Realität. In: io Management. 1/92
Debord, Guy (1978) Die Gesellschaft des Spektakels. Hamburg. Edition Nautilus
Destanne de Bernis, Gérard (1988) Propositions for analysing the crisis. In: International Journal of Political Economy. Sommer 1988
Gottschall, Dietmar (1994) Von 152 auf 110 Sekunden. In: Manager Magazin. 4/92
Gottl-Ottililienfeld, Friedrich von (1926) Fordismus. Über Industrie und Technische Vernunft. Jena. Verlag Gustav Fischer
Gramsci, Antonio (1971) Americanism and Fordism. in: ders. Selections from the Prison Notebooks. New York. International Publishers. S. 277-318
Hirsch, Joachim (1980) Der Sicherheitsstaat. Das "Modell Deutschland", seine Krise und die neuen sozialen Bewegungen. Frankfurt/Main. Europ. Verl.-Anst
Hirsch, Joachim (1991) The Fordist Security State and New Social Movements. In: Clarke, Simon (Hrsg.) (1991) The State Debate. London. Macmillan. S. 142-156
Hirsch, Joachim (1995) Der nationale Wettbewerbsstaat. Berlin. Edition ID Archiv.
Hirsch Joachim/Roth, Roland (1986) Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum Post-Fordismus. Hamburg. VSA
Hirsch-Kreinsen, Hartmut (1996) Internationalisierung der Produktion. Strategien, Organisationsformen und Folgen für die Industriearbeit. In: WSI-Mitteilungen. 1/1996. S. 11-18
Horatschek, Heinrich (1939) Fordismus und die Selbstversorgung des Betriebes. Wien. Eigenverlag.
Imai, Masaaki (1992) Kaizen. Der Schlüssel zum Erfolg der Japaner im Wettbewerb. München. Wirtschaftsverl. Langen Müller. 2. Auflage
Jessop, Bob (1986) Der Wohlfahrtsstaat im Übergang vom Fordismus zum Postfordismus. In: Prokla 65
Keynes, John Maynard (1936) Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes. Berlin.
Lipietz, Alain (1987) Mirages and Miracles. The Crises of Global Fordism. London. Verso
Lipietz, Alain (1992) Towards a New Economic Order. Postfordism, Ecology and Democracy. Cambridge/Oxford. Polity Press/Blackwell Publishers
Marcuse, Herbert (1941) Einige gesellschaftliche Folgen moderner Technologien. In: Herbert Marcuse Schriften Band 3: Aufsätze aus der "Zeitschrift für Sozialforschung". 1979. Frankfurt am Main. Suhrkamp. S. 286-319
Marcuse, Herbert (1967) Der eindimensionale Mensch: Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. München. dtv. Neuauflage 1994
Martin, Hans-Peter/Schumann, Harald (1996) Die Globalisierungsfalle. Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand. Reinbek. Rowohlt.
Marx, Karl (1867) Das Kapital. Band 1: Der Produktionsprozeß des Kapitals. Berlin. Dietz. MEW, Band 23
Marx, Karl (1885) Das Kapital. Band 2: Der Zirkulationsprozeß des Kapitals. Berlin. Dietz. MEW, Band 24
Monden, Yasuhiro (1983) Toyota Production System. Norcoss. Industrial Engineering and Management Press
Revelli, Marco (1999) Die gesellschaftliche Linke: Jenseits der Zivilisation der Arbeit. Münster. Westfälisches Dampfboot
Ribolits, Erich (1995) Die Arbeit hoch? Berufspädagogische Streitschrift wider die Totalverzweckung des Menschen im Post-Fordismus. Wien. Profil Verlag
Scherrer, Christoph (1992) Im Bann des Fordismus. Die Auto- und Stahlindustrie der USA im internationalen Konkurrenzkampf. Berlin. Edition Sigma Bohn
Sombart, Werner (1927) Das Wirtschaftsleben im Zeitalter des Hochkapitalismus. München/Leipzig.
Taylor, Frederick Winslow (1919) Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung. München. Oldenbourg
Wallerstein, Immanuel (1995) Die Sozialwissenschaft "kaputtdenken". Die Grenzen der Paradigmen des 19. Jahrhunderts. Weinheim. Beltz Athenäum Verlag
[1]1914 kündigte Ford an, dass der Tageslohn von 2,30 Dollar auf 5 Dollar angehoben wird. Gleichzeitig wurde der 8-Stunden-Tag eingeführt. Bei 6 Arbeitstagen ergab sich damit die 48-Stunden-Woche.
[2] Fertigungstiefe: Ausmaß, in dem die erforderlichen Verarbeitungsschritte bei der Herstellung einer Ware selbst oder von fremden Betrieben durchgeführt werden. Die Fertigungstiefe ist ein Maß dafür, in welchem Ausmaß der Hersteller die Ware selbst herstellt.
[3] Siehe für die folgende Unterteilung in Exportstrategie, multinationale, globale und transnationale Strategie Hirsch-Kreinsen (1996) S. 12f