1.
Einleitung
Über die Globalisierung wird heute viel gesprochen, wobei jedoch in
erster Linie die antagonistische ökonomische Ausprägung gemeint ist. Die
vorhandenen Theorien der Globalisierung reduzieren diese meist auf eine
einzelne gesellschaftliche Dimension oder sehen sie als einen Prozess, der rein
typisch für die aktuelle Phase der modernen Gesellschaft sei (siehe dazu
unseren Beitrag über Theorien der Globalisierung in Z Nr. 48, Fuchs/Hofkirchner
2001).
Wir gehen im Gegensatz dazu, davon aus, dass es sich bei der Globalisierung um einen allgemeinen, dialektischen Prozess der Menschheitsgeschichte handelt. D.h., historisch betrachtet haben die Gesellschaftsformationen einen immer globaleren Charakter bekommen, zunächst wäre also ein allgemeiner Begriff der Globalisierung auszuarbeiten, der für dieses Phänomen formationsübergreifend beschreibt. Als erster Konkretisierungsschritt kann darauf basierend der Kapitalismus als globales und sich globalisierendes System beschrieben werden, als zweite Konkretisierung der aktuelle Schub an Globalisierung, den wir in der heutigen, postfordistischen, neoliberalen und informationsgesellschaftlichen Phase des Kapitalismus (vgl. dazu Fuchs 2001a, b) erleben. In diesem Aufsatz wollen wir die Globalisierung als allgemeinen Prozess und die antagonistische Globalisierung im Kapitalismus diskutieren. Dazu beschreiben wir zunächst Gesellschaft als allgemein als dialektisches System (Abschnitt 2), darauf basierend die allgemeine Dialektik der Globalisierung in Ökonomie, Politik und Kultur (Abschnitt 3), die antagonistische, kapitalisitsche Dialektik der Globalisierung (Abschnitt 4) und geben wir einen Ausblick hinsichtlich weiterer Fragen und möglicher Alternativen (Abschnitt 5).
Globalisierung als Herstellung von Globalität ist etwas, das heute in allen sozialen Bereichen, also auf der ökonomischen, politischen und kulturellen, aber auch auf der ökologischen und auf der technologischen Ebene sichtbar geworden ist und sich dort jeweils im Rahmen der Austragung von Mediation unzugänglich scheinenden Interessensgegensätzen abspielt. Die These, die wir hier vorlegen und als einen Beitrag zur Ausarbeitung einer Theorie der Globalisierung verstehen wollen, die mit dem empirischen Augenschein in Einklang steht, ist die, dass
1. Globalisierung einen
allgemeinen Prozess der Menschheitsgeschichte darstellt, der in ein
dialektisches Verhältnis von Lokalem und Übergreifendem/Globalem eingebettet
ist,
2. jede Form der
Gesellschaft durch eine konkrete Ausprägung dieser Dialektik der Globalisierung
geprägt ist und diese Ausprägung im Kapitalismus eine ist, die auf
gesellschaftlichen Antagonismen basiert, und
3. die spezifische Qualität
der antagonistischen Globalisierung heute ganz wesentlich darin besteht, dass
die Fortexistenz humanen gesellschaftlichen Lebens gefährdet ist.
2.
Gesellschaft als dialektisches System
Gesellschaftsmodelle müssen einerseits allgemein genug sein, um alle möglichen Gesellschaftsformationen zu erklären, andererseits muss es Konkretisierungen geben, die helfen, spezifische Gesellschaftsformationen wie den Kapitalismus zu erklären. Des weiteren müssen dann noch verschiedene Phasen konkreter Gellschaftsformationen unterschieden werden. Theorien der Gesellschaft sollten also auf einer Dialektik von Allgemeinem und Konkretem basieren.
Als allgemeine Teile der Gesellschaft betrachten wir Techno-, Öko- und Soziosphäre. Der Mensch als Wesen existiert nur im Rahmen der Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur und mit sich selbst, d.h. anderen Menschen. Der Mensch als arbeitendes und soziales Wesen tritt in Stoffwechsel mit der Natur (der Ökosphäre), um mit Hilfe von Werkzeugen bestimmte Ziele zu erreichen. Die Herstellung dieser Werkzeuge ist der eigentliche Kern der Technosphäre, die das Verhältnis Mensch – Technik beschreibt. Hinzu kommt als notwendige Bedingung der Gesellschaft die Ökosphäre, das Verhältnis des Menschen zur Natur, in dem Naturkräfte für den Menschen lebenserhaltend nutzbar gemacht werden. Schließlich ist auch die Soziosphäre ein notwendiges Element der gesellschaftlichen Reproduktion, sie bezeichnet die Beziehungen der Menschen untereinander, die zur Produktion von Sinn führen. Die Soziosphäre basiert notwendigerweise auf Bio- und Technosphäre, geht aber durch emergierende soziale Qualitäten über diese hinaus. Techno-, Öko- und Soziosphäre sind hierarchisch angeordnet, es gibt jedoch nicht nur Wechselwirkungen von unten nach oben, sondern auch Rückwirkungen der jeweils darüber liegenden Ebene auf die darunter liegenden.
Uns interessiert hier vor allem die Soziosphäre, der eigentliche gesellschaftliche Kern, der sich aus Ökonomie, Politik und Kultur zusammensetzt.
Die Ökonomie als Basis der Soziosphäre befasst sich mit der Produktion, Distribution und Allokation von Gebrauchswerten und gesellschaftlichen Ressourcen. Die Grundlagen jedes ökonomischen Prozesses stellen die Produktivkräfte dar. Lebendige Arbeit und ihre Faktoren bilden eine Beziehung, die sich historisch wandelt und von einer konkreten Gesellschaftsformation (wie dem Kapitalismus) abhängig ist.
Unter Produktivkräften verstehen wir in Anlehnung an Marx ein System der lebendigen Arbeit und diese näher bestimmende subjektive, objektive und naturbedingte Faktoren begreifen. Diese Faktoren stellen nur in Kombination mit der lebendigen Arbeit Produktivkräfte dar. Der Produktivkraftbegriff ist also nicht reduzierbar auf einzelne Elemente des Systems der Produktivkräfte, er zeichnet sich durch emergente Eigenschaften aus. Das System der Produktivkräfte ist also mehr als die Summe seiner Teile. Unter subjektiven Produktivkräften (Marx 1857/58, S. 403) kann die Einheit von physischer Produktionsfähigkeit und geistigen Produktivkräften (ebd., S. 410) wie Qualifikation, Kenntnisse, Wissen, Erfahrung, Fähigkeiten und General Intellect (zu diesem Begriff vgl. Marx 1857/58, S. 602) verstanden werden. Objektive Produktivkräfte sind hingegen die nicht auf das Individuum bezogenen Faktoren des Arbeits- und Produktionsprozesses: z.B. Arbeitsmittel, Arbeitsgegenstände, Wissenschaft, Technik, Arbeitsteilung, Kooperation, Vergesellschaftungsgrad der Arbeit. Im Kapital spricht Marx weiters von den naturbedingten Produktivkräften der Arbeit und betont immer wieder die zentrale Bedeutung der lebendigen Arbeit im System der Produktivkräfte. Diese Faktoren stehen in einem sich historisch dynamisch wandelnden Verhältnis.
Ökonomie meint einen doppelten Prozess der Produktion und Reproduktion: Materielle und nichtmaterielle Ressourcen der Gesellschaft werden benutzt, indem das System der Produktivkräfte angewandt wird. Andererseits werden produzierte Ressourcen eingesetzt, um das System der Produktivkräfte zu reproduzieren. Reproduktion bedeutet etwa die Reproduktion der lebendigen Arbeitskraft (Konsum, freie Zeit usw.) oder wissenschaftlichen Fortschritt.
Produktion und Reproduktion können als die materielle Basis jeder Form der Gesellschaft betrachtet werden. Eine solche materialistische Position ist keine reduktionistische, wenn berücksichtigt wird, dass politische und kulturelle Strukturen von ökonomischen Prozessen abhängen, aber nichtsdestotrotz in relativer Autonomie funktionieren und die Ökonomie durch Rückwirkungen beeinflussen. Ökonomie, Politik und Kultur sind in dialektischer Weise verbunden, da ökonomische Einwirkungen zur Emergenz neuer kultureller und politischer Phänomene führen können und umgekehrt. Es existiert auch für jedes Subsystem spezifischer endogener Wandel.
Politik beschäftigt sich mit Entscheidungen, die sich darauf beziehen, wie Ressourcen eingesetzt und verteilt werden und die Lebensstile und Gewohnheiten der Gesellschaftsmitglieder beeinflussen. Kultur und Habitus beziehen sich dabei immer auf Einsatz und Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen. Politik bedeutet einen doppelten Prozess des Entscheidens und Ausführens: In Beziehung zu verfügbaren Ressourcen werden Entscheidungen getroffen, um das Funktionieren der Gesellschaft zu organisieren. Diese Entscheidungen nehmen entweder kodifizerte oder nichtkodifizierte Formen an. Werden sie einmal getroffen, so ist der nächste Schritt ihre Umsetzung und Ausführung. Dies bedeutet immer, dass gesellschaftliche Ressourcen in einer spezifischen Art und Weise eingesetzt werden.
Kultur kann als jenes Subsystem der Gesellschaft betrachtet werden, in dem Ideen, Sichtweisen, Meinungen, soziale Normen und soziale Werte im Rahmen von Gewohnheiten, Lebensstilen, Traditionen und sozialen Praxen entstehen und sich verändern. Die emergierenden sozialen Normen und Werte sind eine Form der sozialen Information, die im Bereich der Kultur entstehen. Kultur beinhaltet einen doppelten Prozess der Formierung und Partizipation. Auf der einen Seite werden soziale Normen und Werte in Beziehung zu bereits getroffenen Entscheidungen konstituiert und differenziert (Formierung), andererseits sind sie eine Basis für weitere und Differenzierungen bereits bestehender Entscheidungen (Partizipation). Die Art der Partizipation bestimmt, ob, wie und zu welchem Grad individuelle Akteuren und soziale Gruppen Entscheidungen beeinflussen können, die sie betreffen.
Weder Kultur, noch Politik werden von ökonomischen Prozessen determiniert. Jedes gesellschaftliche Subsystem hat eine relative Autonomie, nichtsdestotrotz üben ökonomische Prozesse im Kapitalismus eine stark prägende Wirkung auf Politik und Kultur aus. Für den Bereich der Kultur folgen wir der Sichtweise des Kulturellen Materialismus Raymond Williams’ (1961), der großen Einfluss auf die heutigen Cultural Studies ausübt. Williams argumentiert, dass Kultur „the whole way of life“ (Williams 1961, S. 122) inkludiert. Dazu gehören kollektive Ideen, Institutionen, Beschreibungen, durch die Gesellschaft Erfahrungen reflektiert und diesen Sinn gibt, Weisen und Traditionen des Handelns und Denkens sowie Intentionen, die daraus resultieren. Williams betont weiters, dass Kultur die Formierung von Werten als soziale Kategorien umfasst. Edward P. Thompson (1961) hat Williams Kulturtheorie aufgegriffen und die Idee hinzugefügt, dass die Gesamtheit von Lebensstil und Erfahrungen durch Klassenkämpfe und soziale Konflikte beeinflusst wird.
Die Kultur ist auch jener Bereich, in dem Ideologien entstehen. Darunter kann „ein System von Ideen und Vorstellungen, dass das Bewusstsein eines Menschen oder einer gesellschaftlichen Gruppe beherrscht“ (Althusser 1977) verstanden werden.
Kultur ist weder unabhängig von politischen und ökonomischen Prozessen, noch kann sie auf diese beiden Bereiche reduziert werden. Sie wird weder politisch, noch ökonomisch determiniert. Bereits Antonio Gramsci betonte, dass Strukturen des „Überbaus“ nicht auf die ökonomische Basis reduziert werden können (Gramsci 1930/31). Materialistische Theorien, die sich mit Kultur eingehender befassen, haben immer kulturelle Information, deren relative Autonomie und Beziehung zu sozio-ökonomischen Prozessen betont, nur Vulgärmaterialismen reduzieren Kultur oder Politik auf die Ökonomie. Kultur als die oberste Ebene in unserem Modell ist von Ökonomie und Politik abhängig, sie formt ein integrales Ganzes des gesellschaftlichen Lebens, das sowohl die Gebiete der ideellen Reproduktion als auch der materiellen Reproduktion umfasst (Marcuse 1937, S. 62). Politische und ökonomische Beziehungen haben ihre eigene Form der Kultur, Kultur kann ihrerseits wiederum nur in Verbindung zu Politik und Ökonomie gedacht werden, obwohl sie einen bestimmten Grad der Autonomie umfasst.
Ökonomie, Politik und Kultur bauen hierarchisch aufeinander auf und sind wechselseitig miteinander vermittelt. Auf einer höheren Ebene zeigen sich neue, emergente Eigenschaften, die diese von der darunterliegenden unterschieden und die von letzterer beeinflusst werden. Andererseits gibt es von jeder höheren Ebene Rückwirkungen auf die darunter liegenden Levels. Die Kausalität, die diesen wechselseitigen Beziehungen zu Grunde liegt, ist keine mechanistische. D.h., dass nicht jede Wirkung auf genau eine Ursache zurückzuführen ist. Vielmehr haben wir es mit einer multidimensionalen Form der Kausalität zu tun: Eine Wirkung kann viele Ursachen haben, und eine Ursache kann viele Wirkungen zu Folge haben. Gesellschaft ist ein hochkomplexes System, daher können Ursachen und Wirkungen einander nicht bijektiv zugeordnet werden. Auf Grund dieser komplexen Kausalität ist es nicht der Fall, dass ein gesellschaftliches Subsystem das Geschehen in anderen determiniert. Gesellschaft folgt daher auch nicht einem simplen Basis-Überbau-Modell. Es ist jedoch der Fall, dass in der kapitalistischen Gesellschaft die Ökonomie ein dominantes Verhältnis zu Politik und Kultur hat. D.h., sie determiniert nicht das politische und kulturelle Handeln und deren Entwicklung, aber sie beeinflusst sie in so einem Ausmaß, dass auch Politik und Kultur von der ökonomischen Logik des Kapitalismus geprägt sind. Derartige Beeinflussungen können aber niemals einen vollständigen Charakter annehmen, da solche Argumentationen des strukturalistischen Ökonomismus wenig Spielraum für alternative Entwicklungen lassen und daher qualitative Veränderung der Gesellschaft eher ausschließen. Resultat sind statische und mechanistische Gesellschaftsmodelle. Gesellschaft als komplexes System ändert sich jedoch dynamisch und unterliegt keiner mechanistischen Kausalität. Politik und Kultur haben daher auch immer Rückwirkungen auf den Bereich der Ökonomie.
3. Die Dialektik der Globalisierung
Wir haben bereits angedeutet, dass u.E. jeder Dimension eine geschichtliche Tendenz zur Globalisierung innewohnt – der Ökonomie, Politik, Kultur, aber auch der Technik – und dass alle diese Tendenzen unter den gegebenen Bedingungen einen antagonistischen Charakter angenommen haben – den eines unüberbrückbar scheinenden Gegensatzes zwischen Monopol und Konkurrenz, zwischen den Orten, an denen die essentiellen Entscheidungen getroffen werden, und jenen, wo das nicht der Fall ist, zwischen Vereinheitlichung der Lebensweisen und deren Zerfall, und zwischen den sozialen Prozessen der Technikanwendung mit ihren Folgewirkungen und solchen der Technikgenese, allesamt Gegensätze, mit denen gesellschaftliche Interessen einhergehen, die in der strukturellen Verfasstheit der Gesellschaft(en) verankert sind. Diese Tendenz zur Globalisierung und ihr antagonistischer Charakter sind gleichwohl auseinanderzuhalten. Das eine halten wir für historisch notwendig, das andere für kontingent, das eine für einen allgemeinen Zug der Menschwerdung und Vergesellschaftung, das andere für die besondere Gestalt, in der dieser erscheint.
Dass es zur Globalisierung in allen hier betrachteten Dimensionen (und ganz wesentlich auch in der hier außer Acht gelassenen Dimension der Beziehung zur Natur) gekommen ist, lässt sich zunächst mit dem Hinweis auf deren enge Verflochtenheit und mit dem Aufweis einer treibenden Kraft, die zur Globalität drängt, in zumindest einer der Dimensionen plausibel machen. Im Bereich der Ökonomie ist mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise diese Kraft benannt, die zur Herstellung eines einzigen Weltmarktes führt, und deren dominanter Einfluss auf Staat und Politik, Kultur und Ideologie wie auf die Situation der Umwelt wie auf den technischen Fortschritt ist augenscheinlich. Der Einfluss der Ökonomie lässt sich allerdings viel weiter zurückverfolgen. Und ein Trend in Richtung Ausgreifen und Überschreiten der unmittelbaren Zusammenhänge im Ökonomischen selbst ist – bei aller Langsamkeit, verglichen mit der heutigen Beschleunigung dieser Prozesse – schon vor der industriellen Revolution ab der neolithischen agrarischen Revolution der Sesshaftwerdung auszumachen, ja vielleicht sogar ab der Produktionsweise der Wildbeuter, die Landstriche und Ökotope durchstreiften und auf der Suche nach weniger überjagten oder bessere Beute versprechenden Gebieten neue Räume erschlossen. Wie auch immer: Mit dem punktuellen Auftreten des Menschen auf der Erde setzte ein Prozess seiner sukzessiven Verbreitung auf dem Planeten ein, an dessen Grenzen wir heute stoßen, die Verwandlung der archaiischen Gemeinschaften in von außen gesehen integrierte und nach innen differenzierte Gesellschaften findet ihre Fortsetzung in einem derart hohen Grad der Vernetzung der verschiedenen Gesellschaften untereinander, dass die Herausbildung einer Weltgesellschaft in allen Dimensionen, mit einer Weltwirtschaft, Welt(innen)politik, Weltkultur, ein und derselben weltweiten Umwelt und ein und derselben weltweiten Technologie, auf der Tagesordnung steht. Es ist dieser weltgeschichtliche und die über die Geschichte der Menschheit hinausgehende Geschichte unseres Planeten betreffende Vorgang, der das Fundament für die aktuellen, “Globalisierung” genannten Vorgänge bildet, deren Bezeichnung sich deshalb anbietet, weil klar wird, dass hier quantitative Veränderungen großen Ausmaßes eine qualitative Veränderung erheischen. Diese qualitative Veränderung besteht in der Herstellung der Globalität und im Eintritt ins globale Zeitalter. Vernadskij (Hofkirchner 1997) paraphrasierend, kann formuliert werden, dass genauso, wie die Entwicklung der Biosphäre einen Punkt erreicht hat, an dem sie die Geosphäre so weit durchdrungen hat, dass sie ihr ein charakteristisches Aussehen verliehen hat, nun die Durchdringung der Biosphäre mit der im Zuge der Anthropogenese entstandenen Soziosphäre einen Punkt erreicht, an dem die Entwicklung der Soziosphäre die der Biosphäre unseres Planeten zu prägen beginnt. Systemtheoretisch gesprochen, ist dieser Punkt dann erreicht, wenn die vielen Gesellschaften, die die Erdoberfläche bevölkern und die als Systeme betrachtet werden können – als soziale Systeme, die sich von anderen evolutionären Systemen unterscheiden, die alle ihre je eigene Entwicklungsgeschichte haben und sich durch eine andersartige Struktur und andersartige Funktionen auszeichnen –, derartige Beziehungen zueinander aufbauen, dass aus ihrem wechselseitigen Verhalten ein von ihnen gebildetes, übergeordnetes System hervorgeht, dessen Teilsysteme sie dann darstellen.
Mit dem Auftreten der sogenannten globalen Probleme, die sich den Interessensantagonismen verdanken, kann dieser Punkt als erreicht gelten. Denn mit der Existenz von Hunger, Elend und Tod in den armen Teilen der Erde und nicht nur dort, industriell-agrikultureller Verwüstungen und der Atombombe haben die Unbeständigkeit und Unausgewogenheit im Bereich der Gesellschaft insgesamt – der Soziosphäre – , die Empfindlichkeit und Endlichkeit im Bereich der gesellschaftlichen Naturbeziehungen – der Ökosphäre – und die Zerstörungskraft und Störanfälligkeit im Bereich der technischen Organisation der Gesellschaft – der Technosphäre – ein planetares Ausmaß angenommen. Globale Probleme betreffen die ganze Menschheit als Objekt, da sie deren Fortbestand aufs Spiel setzen, und globale Lösungen fordern die ganze Menschheit als Subjekt, da sie die Problemlösungskapazität einzelner Abteilungen der Menschheit übersteigen.
Den Interessensantagonismen verdanken sie sich deshalb, weil die
Friktionen in den Bereichen der Sozio-, der Öko- und der Technosphäre
Frustrationen geschuldet sind, die Individuen widerfahren, die sich in einer
Gesellschaft selbst verwirklichen wollen, in der die Entwicklung der einen zu
Lasten der Entwicklung der anderen geht (zum Folgenden siehe Tab. 1). Diese
Schranken der Selbstverwirklichung gehen unter den Bedingungen kapitalistischen
Wirtschaftens auf die Institution des Privateigentums an Produktionsmitteln
zurück. Dieses Privateigentum bedeutet Inklusion durch Exklusion in die Umstände
des eigenen Lebens entscheidenden ökonomischen, politischen, kulturellen
Verhältnissen, in Naturverhältnissen, in Technikverhältnissen. Während es für
die einen den Einschluss in selbstverantwortliche Wirtschaftstätigkeiten
bedeutet, bedeutet es für die anderen den Ausschluss aus diesen, was
entfremdete Arbeit, durch Geschlechterrollen bestimmte Arbeit, Arbeitslosigkeit
heißen mag. Während es auf der eine Seite den Einschluss in politische
Entscheidungsprozesse bedeutet, die die Verwertungsbedingungen des Kapitals
garantieren helfen, bedeutet es auf der anderen Seite den Ausschluss aus diesen
für die weniger und Ohnmächtigen. Während die einen am gesellschaftlich
herrschenden Pool gemeinsamer Werte partizipieren, die für sie Sinn machen,
bleiben andere von ihnen ausgeschlossen. Während die einen die Natur als Quelle
von Gratisdiensten vernutzen und als Senke für gesellschaftliche Exkremente
verschmutzen, werden die anderen von der Erhaltung der natürlichen Grundlagen
des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen. Und während die einen die
technischen Mittel zur Erlangung ihrer bornierten Ziele einsetzen können,
verkehrt sich die Technik für die anderen in reinen Selbstzweck, dem sie
ausgeliefert sind.
Unter den Bedingungen der Globalisierung nimmt der antagonistische
Widerspruch des Kapitalismus die Form einer unversöhnlich scheinenden
Entgegensetzung von Netz und Identität an, ein Begriffspaar, das Manuel
Castells (1989, 1996, 1997) geprägt hat: Die kapitalistische Gesellschaft
erscheint als eine vernetzte Gesellschaft, der gegenüber die Individuen, die
Gruppen, die Ethnien usw. ihr Selbst behaupten oder wiederfinden müssen. In der
Weltwirtschaft sind es die “Multis”, die ein weit verzweigtes Netz von
Einflüssen aufrecht erhalten, denen die übrigen Wirtschaftsteibenden und
sonstigen wirtschaftlich Abhängigen unterliegen, in der Weltpolitik die
überstaatlichen Netzwerke, an die Staaten Souveränitätsrechte abtreten, in der
Weltkultur die christlich-abendländischen und hauptsächlich US-amerikanischen
Werte, die sich wie ein Netz über die traditionalen und indigenen Lebensweisen
breiten. Die Natur erscheint als ein vernetztes System, in dem kleine Eingriffe
große Fernwirkungen oder Spätfolgen nach sich ziehen können. Und die Technik
tritt den Menschen als ein undurchschaubares und unbeherrschbares Netzwerk
gegenüber.
Wiederum systemtheoretisch gewendet, ist die in der Beziehung von Individuum und Gesellschaft grundsätzlich angelegte Möglichkeit der Externalisierung von Handlungsfolgen unter kapitalistischen Bedingungen Wirklichkeit und unter den Bedingungen der Globalisierung für die Aufrechterhaltung eines jeden gesellschaftlichen Systems kontraproduktiv geworden, da die ursprünglich ohne Rücksicht aufeinander agierenden, nunmehr aber interdependenten Systeme nur mehr als Teilsysteme eines größeren Ganzen funktionieren können und damit das, was sie externalisieren, für den Gesamtzusammenhang zu etwas Internem wird.
|
soziale Systeme |
im Kapitalismus |
in der heutigen Phase des
Kapitalismus |
gesellschaftlich |
Gegensatz von Individuum und Gesellschaft bei |
in Gestalt des Antagonismus zwischen Selbstverwirklichung und
Privateigentum wie |
in Gestalt des Antagonismus zwischen Identität und Netz wie |
ökonomisch |
der Produktion, Distribution und Konsumtion der Lebensbedingungen |
ProduzentInnen und Kapital |
nationalen Wirtschaftsakteuren und transnationalen Konzernen |
politisch |
der Entscheidungsfindung |
“Zivilgesellschaft” und der Regulierung der Rahmenbedingungen für die
Verwertung des Kapitals |
nationalen politischen Akteuren und überstaatlichen Vereinigungen |
kulturell |
der Sinnstiftung |
Lebenswelt/-weise und der vom Kapital geforderten Ideologie der
wissenschaftlich-technischen Zivilisation |
nationalen kulturellen Akteuren und westlichem Hegemonismus |
natural |
der Reproduktion der Umwelt |
Gesellschaft und Umwelt als Quelle von Gratisdiensten |
nationalen Gesellschaften und einer vernetzten Umwelt |
technologisch |
der Herstellung und Verwendung künstlicher Mittel |
Gesellschaft und Technik als scheinbarer Selbstzweck |
nationalen Gesellschaften und einer vernetzten Technologie |
systemisch |
mit dem möglichen Resultat externer Effekte |
mit dem Resultat externer Effekte |
mit dem Resultat externer Effekte, die dysfunktional werden |
Tab.1.: Die Dialektik der Globalisierung in sozialen
Systemen allgemein, im Kapitalismus und im heutigen, postfordistischen
Kapitalismus
Diese Interna bedrohen objektiv den Fortbestand der planetaren Soziosphäre und ihrer humanen Teilsysteme. Die Ausschaltung der Bedrohung erfordert die Beilegung der Antagonismen, die die Inklusion und Exklusion der gesellschaftlichen Subjekte in die Prozesse der Gestaltung der Gesellschaft bestimmen. Dazu bedarf es Einsicht, einsichtsvoller Absprache und absprachengemäßen Handelns seitens der Subjekte.
Der Antagonismus zwischen der vernetzten Gesellschaft, der vernetzten
Umwelt, der vernetzten Technik, die das Eine verkörpern, und den Subjekten der
Gesellschaft, die das Viele verkörpern, ist aufhebbar. Aufgehoben wird er
allerdings nicht durch eine Reduktion des Vielen auf das Eine (siehe Tab. 2),
das Aufgehen der Besonderheiten im Uniformen, auch nicht umgekehrt durch eine
Übertragung des Vielen auf das Eine und schon gar nicht durch eine Trennung
zwischen dem Einen und dem Vielen, beides Leugnungen des Gemeinsamen, also
weder durch eine “Konfliktlösung” ausschließlich zugunsten einer der beiden
Seiten, des Netzes oder der Identität, noch durch eine zuungunsten beider
Seiten[1].
Die Prozesse der Globalisierung und der Wiedereinbettung ins Lokale lassen sich
nur dann “versöhnen”, wenn beide “gewinnen” und sie wie das Allgemeine und das
Besondere aufeinander bezogen werden. Das Allgemeine ist die Vernetzung, die
ihres kapitalistischen Vorzeichens entledigt wird, das Besondere ist die
Vielfalt der Wirtschaftsweisen, der Weisen der Verwaltung der öffentlichen
Angelegenheiten, der Lebensweisen, der Art und Weise des Umgangs mit den
lebensunterstützenden Systemen der Umwelt und der Handhabung der technischen
Instrumente, eine Vielfalt, die sich nicht mehr gegen Vereinnahmungen durch
Sonderinteressen verwahren muss, eine Vielfalt, die sich nur dort ihre Grenze
setzt, wo sie mit der Wahrung des Allgemeinwohls unverträglich wird.
|
Eines |
Vieles |
Reduktion |
hinreichende Bedingung |
abgeleitetes Resultat |
Projektion |
abgeleitetes Resultat |
hinreichende Bedingung |
Disjunktisierung |
unabhängige Bedingungen |
|
Dialektik |
Allgemeines |
Besonderes |
Tab. 2.: Mögliche Verhältnisse des Einen und des Vielen.
Die dialektische Einheit in der Vielfalt ist eine Aufhebungsmöglichkeit der
kapitalistischen Antagonismen
Die Ökonomie ist grundsätzlich niemals rein lokal oder regional zu denken. Unterschiedliche Produktionsbedingungen, –faktoren und natürliche Gegebenheiten bewirken, dass in bestimmten Gebieten bestimmte Produkte hergestellt werden. Dadurch ergibt sich auch eine historische Tendenz dazu, dass Menschen und Kulturen sich ökonomisch aufeinander beziehen. Daraus folgt nicht automatisch, dass dieser Bezug durch die Warenform und Konkurrenz vermittelt werden muss, vielmehr sind beide Formen bereits Teil der antagonistischen Ausprägung der allgemeinen Dialektik der ökonomischen Globalisierung.
Wir gehen auch davon aus, dass Politik als die institutionalisierte
Form der Entscheidungsfindung in der Gesellschaft früher oder später eine
globale Dimension bekommt. Dies deshalb, da einzelne politische Einheiten in
ihren Entscheidungen nicht autonom sind, sondern viele Entscheidungen von
anderen Einheiten[2], die
ebenfalls von diesen Fragen betroffen sind, abhängen. Eine Bezugnahme
aufeinander und der Versuch, anstehende Entscheidungen mit Bezug auf außerhalb
der eigenen politischen Einheit organisierte Menschen zu lösen, wird dadurch
notwendig. Das wesentliche ist dabei die Frage nach der Gestaltung dieser
Bezugnahme, sie nimmt heute vielmehr militärische und durch Konkurrenz
organisierte, denn kooperative und solidarische Formen an.
Genauso wie die Bereiche Ökonomie und Politik entwickelt der Bereich der Kultur im Lauf der Entwicklungsgeschichte der Gesellschaften eine globale Dimension. Kulturen bestehen nicht, indem sie sich isolieren, sondern indem sie sich aufeinander beziehen. Die Globalisierung der Kulturen bedeutet nicht automatisch einen auf Zerstörung und Ausbeutung basierenden Expansionismus, vielmehr ist auch ein globales Miteinander der unterschiedlichen Lebensweisen eine Form der kulturellen Globalisierung. Diese wird heute jedoch im Rahmen einer antagonistischen Dialektik der kulturellen Globalisierung zu wenig berücksichtigt, vielmehr steht die auf Zerstörung, Ausbeutung und Kolonialisierung basierende kulturelle Globalisierung im Vordergrund.
4. Die antagonistische Dialektik der Globalisierung im Kapitalismus
Wie bereits erwähnt, gehen wir davon aus, dass die Globalisierung im Kapitalismus eine spezifische Ausprägung findet, die auf gesellschaftlichen Antagonismen in allen Subsystemen basiert. Das Verhältnis von Lokalem und Übergreifendem basiert also in der modernen Gesellschaftsformation auf Gegensätzlichkeiten, die unter den herrschenden Bedingungen nicht miteinander vereinbar sind.
Bereits Marx und Engels haben von der globalen Dimension der kapitalistischen Ökonomie gesprochen, die u.a. auf der Ausbildung des Weltmarkts basiert (siehe dazu Fuchs/Hofkirchner 2001). Der Kapitalismus basiert niemals auf ökonomischer Abgeschlossenheit, sondern auf einem allseitigen Waren- und Kapitalverkehr, der sich jedoch zu Ungunsten der unterprivilegierten Klassen, Fraktionen, Gruppen, Nationen, Regionen und Schichten auswirkt. Die kapitalistische Produktionsweise hat sich ausgehend von Europa in den letzten Jahrhunderten über den gesamten Erdball ausgebreitet, daher können wir in der Tat vom kapitalistischen Weltsystem sprechen, das auf sich wandelnden Verhältnissen und Disparitäten zwischen Zentrum, Semi-Peripherie und Peripherie basiert (vgl. Wallerstein 1986). Es bilden sich für die kapitalisitsche Moderne spezifische antagonistische Verhältnisse zwischen Besitzenden und Besitzlosen, Verfügenden und Verfügbaren, Herrschenden und Beherrschten, Ausbeutern und Ausgebeuteten, Privilegierten und Unterprivilegierten, Arm und Reich aus. Durch die Ausdehnung des Kapitalismus werden auch ökonomische Monopolisierungstendenzen vorangetrieben. Ausdehnung bedeutet auch die Emergenz neuer Märkte (wie heute etwa der New Economy), im Rahmen deren Entwicklung sich das Verhältnis von Konkurrenz und Monopol zu Gunsten letzter Tendenz verschiebt.
Das moderne, auf wirtschaftlichem Gebiet hergestellte kapitalistische
Weltsystem ist ein globales komplexes System, in dem viele Entscheidungen eine
globale Reichweite erlangt haben. Dies heißt nicht, dass sämtliche von den
anstehenden und zu lösenden Fragen Betroffenen an diesen Entscheidungen
partizipieren können. Ganz im Gegenteil, es zeigt sich eine Hegemonie der
westlichen Industriestaaten, und dabei insbesondere der USA, was den Einfluss
auf globale politische Entscheidungen betrifft. Große Teile der Weltbevölkerung
werden von den bedeutenden globalen Entscheidungen ausgeschlossen und auch in
den westlichen Ländern selbst unterliegt die politische Entscheidungsfindung
einer Dichotomisierung, die die direkte Partizipation der von Gesetzen
Betroffenen ausschließt. Vielfach wird politische Hegemonie auch militärisch
durchgesetzt. Die kriegerischen, weltpolitischen Interventionen wie unlängst in
Afghanistankönnen als Verteidigung der hegemonialen, globalen politischen
Entscheidungsstrukturen und Weltordnung angesehen werden.
Das einheitliche, aber durch Antagonismen gespaltene kapitalistische
Weltsystem ist auch im Politischen von antagonistischen Interessengegensätzen
geprägt. Diese Gegensätze und unterschiedlichen Vorstellungen betreffen nicht
nur die globale Dimension, sondern vielmehr auch grundsätzliche
Interessenswidersprüche zwischen politischen Vorstellungen einzelner Klassen.
Für den Kapitalismus ist dabei der ökonomisch begründete und sich in der
politischen Organisationsweise fortsetzende Widerspruch zwischen Kapital und
Lohnarbeit charakteristisch. Aber auch einzelne Klassen stellen keine homogenen
Interessensgemeinschaften dar, sondern sind intern fragmentiert.
Die großen politischen Antagonismen bestehen demnach in den
Interessenskonflikten zwischen verschiedenen Klassen, in den internen
Konflikten von Klassenfraktionen, den globalen politischen
Interessenskonflikten (z.B. zwischen unterschiedlichen Vorstellungen, in welche
Richtung sich die Einheit von kapitalistischem Akkumulations- und
Regulationsmodell entwickeln soll) und in den weltweiten Auseinandersetzungen
zwischen den Herrschenden und den Ausgebeuteten und Unterdrückten, egal, in
welchem Land sie sich befinden. Diese antagonistische Form der Dialektik ist
die Ausprägung einer allgemeinen Dialektik, die sich in jeder Gesellschaft findet,
unter kapitalistischen Vorzeichen.
Zum antagonistischen Charakter des kapitalistischen Weltsystems in
Ökonomie und Politik passen Antagonismen im kulturellen Bereich. Sie äußern
sich im Clash des Universalismus in Form des Liberalismus bzw. Imperialismus
des Westens bzw. Nordens, wie er von seinen Parteigängern bzw. seinen
Gegnerinnen genannt wird, mit dem “Fundamentalismus” und mit postmodernen
Ideologien, in welchen beiden Gestalten der Relativismus auftritt. Denn die Fragestellung
lautet: Ist das, was mit der Globalisierung entsteht, etwas Homogenes, etwas
Fragmentiertes oder etwas Emergentes und was soll es sein? Wie entwickelt sich
das Verhältnis der Gesellschaften zueinander und zur Weltgesellschaft, und wie
soll es sich entwickeln?
Das Modell der Moderne, deren Hauptmerkmale der
abendländisch-neuzeitliche Typus von Wissenschaft und Technik, die darauf
beruhende industrielle und computerisierte Naturaneignung und die sich davon
herleitende Einheitskultur von Kapitalismus, Demokratie und Menschenrechten
sind, ist das Modell, das für den Universalismus steht. Dabei verdient
festgehalten zu werden, dass Kapitalismus und Menschenrechte eine widersprüchliche
Einheit darstellen. denn die kapitalistische Wirtschaft stellt laufend
Ungleichheit her. Es ist ein Auseinanderfallen von Theorie und Praxis zu
konstatieren - der Theorie einer vernünftigen Weltgesellschaft, die aus der
bürgerlichen Aufklärung des 18. Jahrhunderts stammt, wo Kant 1795 in “Zum
ewigen Frieden” die Vision eines Weltbürgerrechts und eines Weltfriedensbundes
als Entfaltung universaler Gemeinschaftlichkeit zum globalen Republikanismus
entwirft, und der Praxis der globalen Realität, der realen Globalität technisch-wirtschaftlicher
Vernetzung (Richter 1992). Um mit dem kapitalistischen Wirtschaftsystem
kongruent zu sein, werden die Menschenrechte als individuelle Abwehrrechte
gegenüber dem Staat formuliert, damit das fertige bürgerliche Individuum mit seinem
Eigentum vorausgesetzt werden kann.
Der Universalismus changiert zwischen einem liberalen Anspruch und einem imperialen Gehabe. Auf der einen Seite verheißt er mit wirtschaftlicher Freiheit und politischer Gleichheit für alle auch soziale Solidarität, auf der anderen Seite wird er als Bedrohung kultureller Eigenständigkeit und Vielfalt wahrgenommen, als McDonaldisierung der Welt (Ritzer 1997), als Verbreitung einer Coca-Cola-Kultur über die Welt, als Amerikanisierung, als Verwestlichung, als Homogenisierung.
Er fußt auf einer monokausalen und linearen Sicht des Prozesses der
Globalisierung. Weltkultur reduziert sich in dieser Betrachtungsweise auf den
gemeinsamen Nenner aller in den Globalisierungsprozeß eingespannten Kulturen.
D.h. das, was sie infolge der Globalisierungstendenzen an Gleichem bekommen,
macht sie zum Agens und zu Partizipanten der nach diesem Muster
vereinheitlichten Weltgesellschaft - eine Einheit
ohne Vielfalt.
Diese Einheit ohne Vielfalt bedeutet ein homogenisierendes Überstülpen eines Kulturmodells (nämlich des westlich-kapitalistischen) über andere Kulturen. Dadurch wird ein Widerspruch konstituiert, der typisch für den Kapitalismus ist. Denn der Fundamentalismus ist diejenige Reaktion auf den Imperialismus, die den universellen Zug nur abstrakt negiert und keine über diesen hinausgehende Perspektive eröffnet.
Hier wird irgendeine Kultur, für die ganz spezifische gesellschaftliche
Verhältnisse typisch sind, zum Idealbild erhoben, dem alle übrigen Kulturen
nachzueifern hätten. Es wird ein Besonderes zur allgemeinen Norm erhoben.
Insofern es ein Besonderes ist, das zur allgemeinen Norm erhoben wird, handelt
es sich um einen Partikularismus. Insofern es aber zur allgemeinen Norm erhoben
wird, handelt es sich um einen Totalitarismus. D.h. diese Form des Relativismus
tritt wie der Universalismus mit dem Anspruch der Allgemeingültigkeit auf, mit
dem Anspruch der Vereinheitlichung, aber einer Vereinheitlichung nach dem
Muster nicht des allen Gemeinsamen, sondern irgendeines Trennenden. Die fundamentalistische
Form projiziert also Unterschiede einer bestimmten Kultur auf andere Kulturen
und im Falle der Einstellung zu einer Weltordnung auf alle anderen Kulturen und
gibt diese wie der Universalismus als Einheit aus, als eine Einheit ohne Vielfalt.
Neben dieser homogenisierenden Herangehensweise der Bezugnahme der
Kulturen aufeinander, existiert in der Moderne auch eine der postmodernen
Fragmentierung, die auf eine Vielfalt der Kulturen ohne Einheit setzt. Hier
wird jede der vielen Kulturen, die von ganz unterschiedlichen
gesellschaftlichen Verhältnissen gekennzeichnet sind, als etwas angesehen, das
ein Existenzrecht und ein Recht darauf hat, frei von äußeren Einmischungen zu
bleiben. Es wird jedes Besondere zu einer Norm für sich gemacht. Insofern es
ein jedes der Vielen ist, das zur Norm gemacht wird, lässt sich von Pluralismus
sprechen. Insofern aber ein jedes zu einer Norm gemacht wird, muss von Indifferentismus
gesprochen werden. D.h. diese Form des Relativismus verzichtet auf jeden
allgemeinen Gültigkeitsanspruch, sie will nichts und niemand vereinheitlichen.
Die postmoderne Form belässt die Unterschiede, wie sie sind. Weltgesellschaft
wäre demnach nur das Vorfindliche, die Vielfalt
ohne Einheit. In vielen Auffassungen vom derzeitigen Zustand der
Weltordnung, wo davon die Rede ist, dass nach dem Ende des Kalten Krieges die
Bipolariät durch eine Multipolarität ersetzt worden sei und wo von einer
polyzentrischen Weltpolitik gesprochen wird, klingen derartige postmoderne
Ansichten an.
Der Antagonismus der kulturellen Globalisierung besteht im Kapitalismus
darin, dass die Kulturen nicht friedlich koexistieren können, sondern
westlichem Hegemonismus unterworfen werden. Als Folge ist es im Kapitalismus
unmöglich, dass alle Kulturen gleichberechtigt an den Reichtümern teilhaben.
Die antagonistische Form der Globalisierung im Kapitalismus führt
ökonomisch zum kapitalistischen Weltsystem, das auf Disparitäten,
Ausbeutungsverhältnissen und Ungleichheiten zwischen Privilegierten und
Unterprivilegierten basiert. Politisch zeigt sich eine vom Westen dominierte
politische Weltordnung, die militärisch verteidigt wird. Kulturell zeigen sich
Homogenisierung und Fragmentierung als vorherrschende Formen der kulturellen
Globalisierung, die dazu führen, dass die Kulturen nicht friedlich
koexistieren, sondern westlichem Hegemonismus unterworfen werden.
5. Ausblick und Alternativen
Die Terroranschläge des 11. September 2001
und die darauf folgende Bombardierung Afghanistans, die wohl in eine
andauernden Gewaltspirale resultieren werden, sind nicht, wie von vielen
Kommentatoren mit Bezug auf Samuel Huntington nahegelegt wird, auf eine
Unvereinbarkeit und einen Kampf der Kulturen und Religionen zurückzuführen. So
meinte z.B. die New York Times in einem Leitartikel am 16.9., die Attentäter
hätten aus „Hass gegen die gemeinsamen Werte des Westens, gegen Freiheit,
Toleranz, Wohlstand, religiöse Vielfalt und allgemeines Wahlrecht“ gehandelt.
Einfache Begründungen sind schnell zur Hand,
der Komplexität der Weltlage wird nicht Rechnung getragen. Der Anstieg der
Gewalt auf verschiedenen Seiten ergibt sich aus der Verschärfung der
Antagonismen des kapitalistischen Weltsystems, die wir in diesem Beitrag
beschrieben haben. Während auf der einen Seite die Partizipation an Reichtum,
Wohlstand und Entscheidungen steht, steht auf vielen anderen die Exklusion von
materiellen und ideellen Gütern und Entscheidungen. Die heutige explosive
Weltlage ist Resultat der antagonistischen Dialektik der Globalisierung des
Kapitalismus, die in Friktionen und sich verschärfenden Disparitäten und
Ungleichheiten resultiert. Dies betrifft nicht nur das Verhältnis der
industrialisierten Länder zum Rest der Welt, sondern etwa auch die Verhältnisse
zwischen Kapital und Unterdrückten, Kernarbeitern und peripheren Arbeitern/Arbeitslosen,
Männern und Frauen, Inländern und rassifizierten MigrantInnen etc. Resultat ist
eine Verschärfung der globalen Probleme und ein Anstieg der alltäglichen
Gewalt.
Die Lösung dieser Probleme ist nicht einfach
und wird sich auch nicht von heute auf morgen implementieren lassen. U.E. ist
eine unerlässliche Bedingung dazu die Aufhebung des antagonistischen Charakters
der Globalisierung und der Übergang zu einer Gesellschaftsformation, die auf
Kooperation, Solidarität und Inklusion an der Stelle von Konkurrenz, Ausbeutung
und Exklusion in allen Lebensbereichen basiert. So müsste es ökonomisch zu
einer Umverteilung des Wohlstands kommen, zur Entschuldung der armen Teile der
Welt, einer solidarischen Weltökonomie. Politisch müsste Partizipation an
Stelle von Exklusion treten, d.h. dass der Entfremdung der
Entscheidungszusammenhänge, mit der die Menschen heute weltweit konfrontiert
sind (d.h. Menschen werden mit für sie bindenden Entscheidungen konfrontiert,
die weitab ihrer Einflusssphäre getroffen werden und die ihnen vielfach als
anonyme Mächte entgegentreten), ein Ende gesetzt werden müsste. Durch
friedlichen und übergreifenden Dialog sollte versucht werden, Werte wie die
Menschenrechte global durchzusetzen. Globale Institutionen, in denen sämtliche
Länder, Kulturen und Regionen im selben Ausmaß partizipieren können, wären dazu
eine sinnvolle Errungenschaft. Heute werden Begriff wie Freiheit,
Menschenrechte und Demokratie pervertiert, Unfreiheit, Entrechtung und
Unhumanismus werden militärisch und mit Gewalt durchgesetzt. Es wird
argumentiert, dass die „Freiheit“ der „Zivilisierten“ gegen das „Böse“ durch
einen „Kreuzzug“ verteidigt werden müsse. Diese ideologische Sprache zeigt ihre
Wirkung, sie resultiert in der Kriegslust der Massen, in Polarisierungen und
rassistischen Übergriffen in westlichen Ländern. Herbert Marcuses Analysen aus
dem Jahr 1964 haben nichts an ihrer Bedeutung verloren, ganz im Gegenteil (vgl.
dazu auch Fuchs 2001c,d): „Indem die großen Worte über Freiheit und Erfüllung
von Führern und Politikern bei Wahlkampagnen verkündet werden, in den Kinos, im
Radio und Fernsehen, verkehren sie sich in sinnlose Laute, die nur im
Zusammenhang mit Propaganda, Geschäft, Disziplin und Zerstreuung einen Sinn
erhalten“ (Marcuse 1967, S. 77). Die Unfreiheit wird als frei präsentiert, das
Unglück als Glück, die Versklavung als Befreiung, die Barbarei des gesamten
Weltsystems als Zivilisation, die Ungleichheit als Gleichheit, die
Ungerechtigkeit als Gerechtigkeit, der Totalitarismus als Freiheit usw. „Damit
wird die Tatsache, dass die herrschende Art der Freiheit Knechtschaft ist und
die herrschende Art der Gleichheit von außen auferlegte Ungleichheit durch die
abgeschlossene Definition dieser Begriffe im Sinn der Mächte, die das jeweilige
Universum der Rede modeln, daran gehindert, Ausdruck zu finden. Das Ergebnis
ist die bekannte Orwellsche Sprache (‚Frieden ist Krieg’ und ‚Krieg ist
Frieden’)“ (Marcuse 1967, S. 107).
Kulturell wäre in einer globalen Gesellschaft des Friedens, der Solidarität und der Humanität die Form der Einheit in der Vielfalt angebracht: Es ist unmöglich, dass sämtliche Kulturen in friedlicher Eintracht unseren Planeten bevölkern, solange es einigen unter ihnen eingestiftet ist, sich zum Hegemon über die anderen zu erheben. Dies bedeutet gleichzeitig nicht, dass eine Abkopplung der Kulturen zielführend sei, sondern vielmehr, dass eine Einheit nur unter Aufhebung der großen gesellschaftlichen Antagonismen möglich wird. Im Unterschied zum kulturellen Universalismus, der das Universale in den Überlappungen verschiedener Kulturen sieht (Kulturschmelze), und im Unterschied zum Kulturrelativismus, für den es kein einigendes Band zwischen einander fremden, aber entweder einander über- und unterlegenen und daher vereinnahmenden und vereinnahmten oder miteinander sich als gleichberechtigt behaupten wollenden Kulturen gibt (Kulturkampf), ist es eine Dialektik von Allgemeinem und Besonderem, die in diesem Denken das Verhältnis des Einen zum Vielen bestimmt. Das Eine ist das Allgemeine, das im Besonderen existiert, aber im Besonderen nicht aufgeht. Das Viele ist das Besondere des Allgemeinen, das aber im Allgemeinen nicht aufgeht. Allgemeines und Besonderes haben einander wechselseitig zur Voraussetzung, und doch können sie nicht aufeinander zurückgeführt werden. Jedes von ihnen bewahrt eine gewisse Eigenständigkeit. Der Prozess ihrer gegenseitigen Beeinflussung ist ein Wechselspiel von Integration und Differenzierung. Die Integration ist die Herausbildung des Einen, ein Prozess, der vom Besonderen zum Allgemeinen verläuft, eine Verallgemeinerung, die ein neues Allgemeines erzeugt, das in sich das Viele zusammenfasst. Die Differenzierung ist die Erweiterung des Vielen, ein Prozess, der vom Allgemeinen zum Besonderen gerichtet ist, eine Besonderung, die ein neues Besonderes produziert, das aus dem Einen heraus sich auffächert. Das neue Allgemeine wie das neue Besondere sind Qualitätssprünge, die auf Emergenz und Dominanz in einem selbstorganisierenden Zyklus verweisen.
Die Glokalisierung ist demnach sowohl ein Prozess der Integration als
auch ein Prozess der Differenzierung, das Entstehen einer einzigen
Allgemeinheit und das Entstehen vieler Besonderheiten zugleich. Das eine
Allgemeine, das Universale, entsteht durch das Aufeinandertreffen und Miteinander-in-Beziehung-Treten
der vielen Besonderen, des Partikularen im Plural, die ihrerseits aus den
Ermöglichungen und Einschränkungen hervorgehen, die das Allgemeine bereithält.
Die Weltgesellschaft emergiert aus der Interaktion der Kulturen der Welt, eine
Kultur wird unter der Dominanz der Weltgesellschaft zur Geburt von Neuem.
Auf das Verhältnis von Kultur und Gesellschaft, das durch ein
Aufeinandereingehen, ein gegenseitiges Respektieren, ein wechselweises Geben
und Nehmen auch normativ gefasst werden kann, passt der Term “Aushandeln”, um
diesen neuen Umgang zu bezeichnen. Dadurch ändert sich auch der erhoffte
Charakter der Weltgesellschaft. Sie soll nicht bloß multikulturell sein, auch
nicht bloß mit mehr und mehr interkulturellen Beziehungen ausgestattet werden.
Der Philosoph Wolfgang Welsch prägte den Ausdruck “Transkulturalität”, womit er meint (Pongs 1999, 243), “dass die
kulturelle Formation der Individuen und damit auch die Struktur der Gesellschaft
weltweit immer mehr von nationalen Formationen unabhängig wird.”
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[1] Zur methodologischen Unterscheidung zwischen Reduktionismus, Projektionismus, Dualismus und Dialektik siehe Hofkirchner (2000). Diese Unterscheidung liegt unseren Überlegungen zur Globalisierung zu Grunde und manifestiert sich auch in den Tabellen 1 und 2 .
[2] In der kapitalistischen Moderne sind diese Einheiten Bündnisse, Nationalstaaten, Regionen und Kommunen