Theorien der Globalisierung.
Über ein sowohl neues, als auch altbekanntes
Phänomen des Kapitalismus und der Menschheitsgeschichte.[1]
“Globalisierung” ist seit einigen Jahren
eines der meistgebrauchten Schlagwörter in Politik und Medien. Verteufelungen
und die damit oft verbundenen nationalistischen Ressentiments sind sowohl von
links als auch von rechts zu beobachten. Der Rechten kommt die Globalisierungsdiskussion
zu Gute, um ihren traditionellen Nationalismus im modernen Gewand wieder auferstehen
zu lassen. Teile der Linken merken in ihrem antikapitalistisch motivierten
Feldzug gegen die Globalisierung oft nicht, dass sie eben diesen
nationalistischen Ressentiments Vorschub leisten und sich zu den besten Helfern
der Rechten machen.
Andererseits ist aber vor allem aus neoliberal eingestellten Kreisen, und dazu sind im Westen heute auch große Teile der etablierten sozialdemokratischen und grünen Parteien zu rechnen, eine unkritische, fortschrittsoptimistische und kompromisslose Bejahung der Globalisierung zu hören. Die tradierten politischen Herangehensweisen seien längst überkommen, notwendig sei eine moderne Politik, die sich auf die “New Economy” einstellt. In politischen Realkategorien heißt dies zumeist, dass der letzte Rest Sozialstaat zur Disposition gestellt wird, um mit einem schlanken Staat die beste Voraussetzung für die internationale Standortkonkurrenz zu bieten. All dies führt zur Herausbildung des für den heutigen postfordistischen Kapitalismus typischen Nationalen Wettbewerbsstaat (vgl. Hirsch 1995, S. 103-121, 139-143). Die einzelnen Staaten treten miteinander in Wettbewerb um die günstigsten Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation. Jener Staat, der die Deregulierung und den Sozialabbau am meisten vorantreibt, kann mit dem Wohlwollen des internationalen Kapitals und den sich daraus ergebenden Investitionen und Betriebsansiedlungen rechnen. Die staatliche Politik konzentriert sich „zunehmend darauf, einem global immer flexibler agierenden Kapital in Konkurrenz mit anderen Staaten günstige Verwertungsvoraussetzungen zu verschaffen“ (Hirsch 1995, S. 103).
Fragen, die im Diskurs und in der Hysterie
über Globalisierungsprozesse oft zu kurz kommen, sind z.B.:
§
Was eigentlich ist unter Globalisierung zu verstehen?
§
In welchem Bereich der gesellschaftlichen Entwicklung liegen ihre
Ursachen?
§
Gibt es nur eine einzige denkmögliche Form der Globalisierung oder auch
Alternativen?
§
Handelt es sich bei der Globalisierung um etwas qualitativ Neues oder
ist sie ein Prozeß, der der gesellschaftlichen Entwicklung schon seit langem
innewohnt?
In der Literatur finden sich verschiedene
Standpunkte.
Technische und ökonomische
Globalisierung
Es gibt Globalisierungsbegriffe, die nur eine
einzige gesellschaftliche Dimension der Globalisierung betonen, und solche, die
mehr als nur eine Dimension betrachten. Ansätze, die sich auf eine Ebene beschränken, konzentrieren
sich entweder auf technische oder auf ökologische oder auf ökonomische oder
politische oder kulturelle Faktoren.
Was heute im technischen Sinne als Globalisierung angesehen wird, wurde von
Schriftstellern und Wissenschaftlern vor langem vorweggenommen. Schon in der
Mitte des 19. Jahrhunderts ließ Nathaniel Hawthorne eine seiner Romanfiguren im
“Haus der sieben Giebel” angesichts des Telegraphen den Vergleich des Globus
mit einem Kopf und Gehirn anstellen. Der Paläontologe und Jesuitenpater Teilhard de Chardin betrachtete das “erstaunliche System
der Land-, See- und Luftwege, der Postverbindungen, Drähte, Kabel und Ätherschwingungen,
die mit jedem Tag mehr das Angesicht der Erde umspannen” als “Schaffung eines
wirklichen Nervensystems der Menschheit; Erarbeitung eines gemeinsamen
Bewusstseins, Verkittung der menschlichen Menge”, wie er am 6. Mai 1925
geschrieben hat (Teilhard de Chardin 1964, 61, 62; siehe auch 1961, 117 f.). Am
Vorabend des Zweiten Weltkriegs formulierte der russische Begründer der
Biogeochemie, Vladimir I. Vernadskij, ein Klassiker des globalen Denkens (in
Hofkirchner 1997, 51): “Das Leben der Menschheit ist, bei all seiner Verschiedenartigkeit,
unteilbar geworden. Ein Ereignis, das im abgelegensten Winkel eines beliebigen
Kontinents oder Ozeans vonstatten ging, zieht Folgen nach sich und hat an
einer Reihe anderer Orte, überall auf der Erdoberfläche, Auswirkungen – große
oder kleine. Der Telegraph, das Telefon, das Radio, die Flugzeuge, die Ballone
haben die ganze Erdkugel umspannt. Die Verbindungen werden immer einfacher und
schneller. Alljährlich steigt ihr Organisationsgrad... Dieser Prozess der vollständigen Besiedlung der Biosphäre durch
den Menschen ist durch den Verlauf der Geschichte des wissenschaftlichen
Denkens bedingt, untrennbar verknüpft mit der Geschwindigkeit der Verbindungen,
mit den Erfolgen der Fortbewegungstechnik, mit der Möglichkeit der augenblicklichen Übertragung eines
Gedankens, seiner gleichzeitigen Erörterung überall auf dem Planeten.” Und
1964 konstatierte Marshall McLuhan, dass wir, nachdem wir im Zeitalter der mechanischen
Technologie unsere Körper in den Raum verlängert hätten, nun mit der
elektrischen Technologie unser Zentralnervensystem selbst zu einer globalen
Umarmung ausdehnen würden, die nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit,
soweit es unseren Planeten betrifft, aufhebt (vgl. McLuhan 1997, 3).
Mit dem Bau der Atombombe und danach der
Wasserstoffbombe und geeigneten, weitreichenden Trägerwaffen entzündete sich
eine Friedensbewegung unter den Intellektuellen und WissenschaftlerInnen, der
bewusst wurde, dass die Produktiv- bzw. Destruktivkräfte in Gestalt der Militärtechnik
einen Stand erreicht hatten, der die Menschheit in die Lage versetzte, sich
selbst mit einem Knopfdruck auszulöschen. Der globale Charakter der Entwicklung
von Wissenschaft und Technologie wurde mit den Bildern, die durch die Raumfahrt
von unserm Planeten möglich wurden, ein weiteres Mal unterstrichen. Zugleich
entstand das Bild vom Raumschiff Erde.
Immanuel Wallerstein (1974, 1981, 1988b)
betont die ökonomische Dimension und
meint dabei, dass eine kapitalistische Gesellschaft niemals national beschränkt
ist, sondern dass es sich beim Kapitalismus um ein Weltsystem handelt. Daher
sei dieser notwendigerweise ein globales System. Globalisierung kann in diesem
Zusammenhang so verstanden werden, dass sich mit der Ausdehnung des
Kapitalismus über den Globus eine weltweite Arbeitsteilung durchgesetzt hat.
Wallerstein betont die Herausbildung eines Weltmarktes, der den Zweck der
Profitrealisierung erfülle. Die kapitalistische Weltökonomie konstituiere sich
durch Ausbeutungsverhältnisse. Die Aneignung des Mehrwerts erfolge durch
kapitalistische Zentren, die periphere Räume ausbeuten. Wallerstein
unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen Zentrum, (starker Staat,
Nationalkultur, Aufrechterhaltung von Disparitäten im Weltsystem, Ausbeutung
der Peripherie), Semi-Peripherie (frühere Zentral- oder Peripheriegebiete,
Sammlungspunkte für politisch unpopuläre Maßnahmen, leiten politischen Druck
ab, den in Peripheriegebieten angesiedelte Gruppen sonst direkt gegen die
Zentralstaaten und die darin lebenden Gruppen richten würden) und Peripherie.
Das kapitalistische Weltsystem erzeuge auf der einen Seite Reichtum und auf der
anderen Armut. Kapitalismus sei niemals eine Angelegenheit der Nationalstaaten
gewesen, sondern es handle sich prinzipiell um ein Weltsystem. Das Kapital
ließe sich nicht national beschränken.
Unter einem Weltsystem versteht Wallerstein
(1986) ein soziales System, das Grenzen, Strukturen, Mitgliedsgruppen,
Legitimationsgesetze und Kohärenz hat. Wesentlich seien widerstreitende Kräfte,
die das System zusammenhalten und auseinanderzerren. Weltsysteme seien
selbstgenügsam, denn die dynamischen Kräfte der Entwicklung würden weitgehend
aus dem Inneren des Systems kommen. Bei einem Abschnitt von äußeren Kräften sei
das System auch weiterhin funktionsfähig. Weltsysteme seien historische System,
d.h., dass sie sich durch drei Charakteristika auszeichnen: sie sind relativ
autonom, d.h. sie funktionieren durch ihre inneren Prozesse und sie haben
zeitliche sowie räumliche Grenzen. Ein historisches System wiese ein
integriertes Netzwerk von ökonomischen, politischen und kulturellen Prozessen
auf.
In der bisherigen Geschichte hätten zwei
Arten von Weltsystemen bestanden: Weltreiche, in denen sich ein einziges
politisches System über den Großteil des Gebietes ausbreitet. Und eine
Weltökonomie, in der es nicht ein globales politisches, sondern ein globales
ökonomisches System gibt. Der Kapitalismus sei das moderne Weltsystem, das seit
dem 16. Jahrhundert eine Weltwirtschaft besitze, die jedoch nicht durch eine
globale politische Dimension begleitet sei. Am Ende des 19. Jahrhunderts habe
sich die kapitalistische Weltwirtschaft über den gesamten Planeten ausgedehnt
gehabt. Die Weltwirtschaft enthalte in ihren Grenzen viele politische Systeme.
Ein alternatives Weltsystem sei vorstellbar, bei dem eine Reintegration von
politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsebenen stattfindet. Dies wäre ein
sozialistisches Weltsystem. Das qualitativ Neue an der kapitalistischen
Weltökonomie sei ihre weltweite Ausdehnung und die Dominanz der ökonomischen
Dimension im Gegensatz zur Dominanz der politischen Macht früherer Weltsysteme[3].
Ökonomische Globalisierung als ein
grundsätzlicher Aspekt des Kapitalismus wurde auch bereits von Karl Marx und
Friedrich Engels beschrieben. Im Kommunistischen Manifest sprachen sie etwa
davon, dass sich über den Weltmarkt eine Abhängigkeit der Nationen voneinander
einstellt und dass dieser den Kapitalismus zu einem globalen System macht:
“Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat [...] den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien [...] werden verdrängt durch neue Industrien, [...] die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. [...] An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. [...] Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. [...] Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen” (Marx/Engels 1974, Band 1, S. 29f).
Die globale Ausdehnung des Kapitalismus wurde
also schon vor mehr als 150 Jahren beschrieben. An jener berühmten Stelle des
Kapitals, an der Marx die Zentralisierung und Monopolisierung des Kapitals
behandelt, die mit der kapitalistischen Produktionsweise unverträglich werde
und daher gesprengt werde, gibt er einen weiteren Hinweis auf die prinzipiell
globale Dimension des Kapitalismus. Marx spricht von der “Verschlingung aller
Völker in das Netz des Weltmarkts”, diese stelle den “internationale[n]
Charakter des kapitalistischen Regimes” dar (Marx 1867, S. 790). Auch die
Funktionsweise des Weltmarkts und die modifizierte Anwendungsweise des
Wertgesetzes auf ihn wird bei Marx beschrieben (ebd., S. 584). Die Ausdehnung
der Produktion, die das Wachstum des akkumulierten Kapitals durch immer mehr
und immer intensiver ausgepressten Mehrwert garantieren soll, sieht Marx als
der kapitalistischen Produktionsweise immanent: “Die Tendenz, den Weltmarkt zu schaffen,
ist unmittelbar im Begriff des Kapitals selbst gegeben” (Marx 1857/58, Grundrisse, S. 321) Dies führe zur “beständigen Ausdehnung des Weltmarkts”
(Marx 1894, S. 346).
Ökonomische Globalisierung und die
Durchsetzung des Kapitalismus sind untrennbar miteinander verbunden, der
Kapitalismus kann daher als grundsätzlich prozessierender und nach Ausdehnung
strebender Selbstwiderspruch gefasst werden, denn das “Bedürfnis nach einem
stets ausgedehnterem Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die
ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall
Verbindungen herstellen" (Marx/Engels 1974, Band 1, S. 29).
In der Deutschen Ideologie spricht Marx
davon, dass in der Entwicklung der Produktivkräfte „zugleich schon [...] [eine]
in weltgeschichtlichem, statt der in lokalem Dasein der Menschen vorhandne
empirische Existenz gegeben ist“ (Marx 1845/46, S. 34). Die Produktivkräfte
seien zu einer Totalität entwickelt und könnten nur „innerhalb eines
universellen Verkehrs“ (ebd., S. 68) existieren. Andererseits sei durch die
„universelle Entwicklung der Produktivkräfte ein universeller Verkehr der
Menschen gesetzt“ (ebd., S. 35). Die globale Dimension der kapitalistische
Gesetze habe eine Abhängigkeit aller von allem mit sich gebracht und so erst
die globale Dimension der Geschichte als Weltgeschichte hervorgebracht. Die
universelle Konkurrenz habe also die „Weltgeschichte [hervorgebracht], als sie
jede zivilisierte Nation und jedes Individuum darin in der Befriedigung seiner
Bedürfnisse von der ganzen Welt abhängig machte und die bisherige naturwüchsige
Ausschließlichkeit einzelner Nationen vernichtete“ (ebd., S. 60).
Auch der Kapitalexport wurde bei Marx als
Teil der internationalen Dimension des Kapitalismus bereits beschrieben und als
integraler Bestandteil des Kapitalismus erachtet. So spricht Marx etwa von
einer Verkapitalisierung eines Teil des Mehrprodukts in fremde Länder (Marx
1867, S. 639).
Auch den Zusammenhang von
Globalisierungsprozessen und der beschleunigenden Wirkung von Technologien
erkannte Marx: “Wenn einerseits mit dem Fortschritt der kapitalistischen
Produktion die Entwicklung der Transport- und Kommunikationsmittel die
Umlaufszeit für ein gegebenes Quantum Waren abkürzt, so führt derselbe
Fortschritt und die mit der Entwicklung der Transport- und Kommunikationsmittel
gegebne Möglichkeit – umgekehrt die Notwendigkeit herbei, für
immer entferntere Märkte, mit einem Wort, für den Weltmarkt zu arbeiten“ (Marx
1885, S. 254). Transport- und Kommunikationswesen seien „Waffen zur Erobrung
fremder Märkte“ (Marx 1867, S. 475). Wenn heute davon gesprochen wird, dass das
Internet die ökonomische Globalisierung vorantreibe, so verweist dies auf
nichts anderes als auf die grundsätzliche Funktion von Technologien im
Kapitalismus, die Marx bereits im 19. Jahrhundert erkannte.
Globalisierung im
postfordistischen Kapitalismus – ökonomische, politische und kulturelle Aspekte
Typisch für den postfordistischen
Kapitalismus ist nun, dass die neuen Medien und Technologien eine Beschleunigung
ökonomischer Prozesse und der Restrukturierung des Weltsystems in neuen
Qualitäten ermöglichen. Verkehrs-, Transport- und I&K-Systeme sind Medium
und Resultat der ökonomischen Globalisierung.
Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf sehen
Globalisierung als die sich durch Deregulierungsmaßnahmen ergebende Offenheit
der Nationalökonomien gegenüber dem Weltmarkt: “Aus der Sicht der
Nationalstaaten erscheinen Globalisierung und Integration in den Weltmarkt
zunächst als Offenheit gegenüber den Weltmarkttendenzen. Das ist eine Folge des
Abbaus von Schranken, die dem Markt innen und außen gesetzt worden sind. Der
Markt wird durch Deregulierung sich selbst überlassen” (Altvater/Mahnkopf 1996,
S. 22).
Harald Schumann, Ko-Autor der
populärwissenschaftlichen Arbeit “Die Globalisierungsfalle” (Martin/Schumann
1996), versteht unter Globalisierung “die transnationale, grenzüberschreitende
Integration von Unternehmen, von Märkten, von Informationsflüssen, teils sogar
von Kulturen” (Schumann 1997).
Joachim Hirsch sieht die Globalisierung in “einer radikalen Liberalisierung vor allem der Geld- und Kapitalmärkte, einer weltweit wachsenden Mobilität der Arbeitskräfte, der Verdichtung und Beschleunigung der Kommunikationsnetze, der Vereinheitlichung kultureller Muster und Konsumstandards, der wachsenden Bedeutung transnationaler Unternehmen und in einer fortschreitenden Internationalisierung der Produktion” (Hirsch 1995, S. 89) gegeben.
Wallerstein, Altvater/Mahnkopf,
Martin/Schumann und Hirsch betonen also die ökonomische Dimension der
Globalisierung. Zwei Vertreter, die ihr Augenmerk vor allem auf politische
Aspekte der Globalisierung richten, sind James Rosenau und Zygmunt Bauman.
Nach Rosenau (1990) werde die internationale Politik heute nicht mehr von Nationalstaaten gemacht, sondern die post-internationale Politik werde auch wesentlich von transnationalen Konzernen und international agierenden Organisationen geprägt. Dadurch werde die Weltpolitik polyzentrisch. Eine Unzahl von Akteuren sei inzwischen an den politischen Aushandlungsprozessen beteiligt. Die modernen Informations- und Kommunikationssysteme, so Rosenau, haben geographische und soziale Entfernungen aufgehoben und damit eine polyzentrische Weltpolitik ermöglicht.
Der postmoderne Theoretiker Zygmunt Bauman
(1997, 1998) betont, dass Globalisierung und Lokalisierung miteinander
verbunden sind (“Glokalisierung”) und dass sie zu einer Polarisierung zwischen
globalisierten Reichen und lokalisierten Armen führen. Die globalisierten Reichen,
so Bauman, leben in der Zeit, da sie den Raum überwinden können. Die
lokalisierten Armen hingegen wären an den Raum gebunden und ihre Zeit sei leer.
Die Reichen seien nicht mehr in dem Sinn von den Armen abhängig, dass sie diese
bräuchten, um noch reicher zu werden.
Schließlich werden kulturelle Faktoren ins Treffen geführt. Roland Robertson hat das
Ausmaß des Bewusstwerdens der Welt als eines singulären Platzes zum empirischen
Indikator der Weltgesellschaft gemacht (1992). Armin Nassehi schließt hier an
und spricht dann von Weltgesellschaft, “wenn sich global players in der Differenz ihrer unterschiedlichen Bezogenheit auf ein und dieselbe Welt wahrnehmen
und dies reflexiv wird” (zit.n. Beck 1997, 151). Die Selbsterfahrung der
Weltgesellschaft wird dabei als massenmedial vermittelt unterstellt.
Globalisierung bei Ulrich
Beck und Anthony Giddens
All diesen Ansätzen stehen jene gegenüber,
die mehrere Dimensionen der
Globalisierung zugleich im Visier haben. So z.B. jene von Ulrich Beck und
Anthony Giddens:
Ulrich Beck will Globalisierung ökonomisch,
ökologisch, kulturell, politisch und zivilgesellschaftlich verstehen (Beck
1997, S. 26). Von “Globalität” spricht er im Sinn einer Weltgesellschaft, in
der wir, so Beck, heute bereits in dem Sinn leben, dass sich Gruppen und Länder
nicht voneinander abschließen können, sondern sich notwendigerweise aufeinander
beziehen müssen (ebd., S. 27f). Mit Globalisierung bezeichnet er “Prozesse, in
deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale
Akteure, ihre Machtchancen, Orientierungen, Identitäten und Netzwerke
unterlaufen und querverbunden werden” (ebd., S. 28f). Beck versteht
Globalisierung also relativ allgemein als eine transnationale Vernetzung von
Akteuren.
Anthony Giddens, der mit Beck
zusammenarbeitet (wodurch sich auch die Ähnlichkeiten in ihren soziologischen
Herangehensweisen ergeben), betont, dass durch die Herstellung raum-zeitlicher
Entfernung als typischem Prozess der Moderne lokale und regionale Prozesse
durch weit entfernt stattfindendes Handeln beeinflusst werden. Globalisierung versteht er daher als “intensification of worldwide
social relations which link distant localities in such a way that local happenings
are shaped by events occuring many miles away and vice versa” (Giddens 1990, S.
64).
Giddens identifiziert mehrere Ebenen der
Globalisierung (siehe Giddens 1990, S. 70ff): Die ökonomische sei durch die
kapitalistische Weltökonomie als Produktionsweise gekennzeichnet. Firmen hätten
zwar immer eine lokale Basis, dies hindere sie aber nicht am globalen Handel und
am Versuch der weltweiten politischen Einflußnahme. Der politische Bereich der
Globalisierung werde durch das System der Nationalstaaten, die das
Gewaltmonopol für sich beanspruchen, abgedeckt. Die Akteure der globalen
politischen Ordnung seien die Nationalstaaten, jene der ökonomischen die
Unternehmen. Die dritte Dimension der Globalisierung ist für Giddens die
militärische Weltordnung. Hier spielen militärische Allianzen zwischen
Nationalstaaten eine wesentliche Rolle. Ein sich daraus ergebendes globales
bipolares Allianzsystem war ein wesentliches Moment der Blockkonfrontation.
Symptomatisch für die militärische Dimension der Globalisierung sind für
Giddens auch die Weltkriege. Die vierte Ebene stellt für ihn die internationale
Arbeitsteilung dar.
Beck und Giddens betrachten also mehrere
Ebenen der Globalisierung. Als problematisch können die sich daran
anschließenden politischen Implikationen angesehen werden. Beide wenden sich
zwar explizit gegen den Neoliberalismus im thatcheristischen und reagonomischen
Sinn, wobei Beck den Neoliberalismus als “Globalismus” und Irrtum bezeichnet
und sich Giddens auf die Suche nach einem “dritten Weg”[4]
(siehe Giddens 1999) für die Sozialdemokratie macht, der weder
“Sozialdemokratie alten Stils” noch Neoliberalismus bedeutet. Giddens und Beck
wollen weder einen neoliberalen, noch einen “altlinken” Weg gehen, landen aber
letzten Endes mit ihren politischen Vorstellungen doch sehr nahe bei der
neokonservativen Ideologie.
Giddens meint etwa, dass die Politik des Dritten Weges die Globalisierung bejahen müsse. Unerwähnt bleibt dabei jedoch, dass die ökonomische Globalisierung als ein dem Kapitalismus innewohnender Prozess durchaus ohne in nationalistischen Argumentationen zu landen in dem Sinn kritisiert werden kann, dass das globale kapitalistische Weltsystem globale Ungleichheit (im Sinn der Möglichkeit einer Verfügbarkeit über Ressourcen) und Ungerechtigkeit herstellt und damit seinen eigenen Ansprüchen im Sinn der französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) widerspricht.
Von den Widersprüchen des Kapitalismus als
wesentlichen Ursachen heutiger gesellschaftlicher Probleme ist bei Giddens und
Beck jedoch keine Rede mehr. Ganz im Gegenteil: Jene, die Leidtragende dieser
Fehlentwicklungen sind, werden zu Schuldigen gemacht. Giddens sieht als ein
zentrales Motto der “neuen” Politik: “Keine Rechte ohne Pflichten”. Daher müsse
die Arbeitslosenunterstützung an die Verpflichtung zu aktiver Arbeitssuche
gekoppelt sein. Das Sozialsystem solle die Motivation für eine solche Suche
nicht dämpfen. Der Rolle des Staates müsse von der Sozialdemokratie neu
bewertet werden, sie solle ihre “überkommenen Ansichten” grundsätzlich in Frage
stellen. Der Staat soll als “Sozialinvestor” agieren. Giddens drückt sich
vornehm aus, kaschiert aber, was andere beim Namen nennen: Zwangsarbeit und
Sozialabbau.
Als eine Antwort auf Globalisierung sieht
Ulrich Beck ein Bündnis für Bürgerarbeit (siehe Beck 1997, S. 235ff). Bisher
ehrenamtlich geleistete Arbeit müsse in Zukunft als Bürgerarbeit angesehen
werden, für die ein Bürgergeld, das nach Becks Vorstellungen in etwa die Höhe
der Sozialhilfe haben sollte, bezahlt wird. Immer mehr konservative und rechte
Parteien berufen sich auf dieses Becksche Modell der Bürgerarbeit. So heißt es
z.B. im Regierungsprogramm der FPÖ-ÖVP-Koalition in Österreich:
“Langzeitarbeitslose sollen daher verpflichtet werden, im Sozial-, Umwelt- und
Denkmalschutzbereich für sie geeignete Arbeit anzunehmen, wobei ihnen sodann
neben dem Arbeitslosengeld bzw. der Notstandshilfe ein Bonus als Bürgergeld
gewährt wird: Notstands- und Sozialhilfeempfänger erhalten als Abgeltung für
die Verrichtung von Gemeinwesenarbeit (im Gesundheits- und Pflegebereich,
Denkmalschutz, Umweltschutz, Pflege von Grünanlagen etc.) einen Zuschlag zu
ihrer Notstands- bzw. Sozialhilfe von bis zu 20 % Bonus als ”Bürgergeld”. Damit
verbunden soll die Pflicht sein, diese Arbeiten anzunehmen. [...] Die auch
heute schon gegebenen Sanktionen, wenn man angebotene Arbeit nicht annimmt,
bleiben aufrecht und sollen auf die Gemeinwesenarbeit ausgedehnt werden” (S.
19f).
Auch im Rahmen des Berichts der Kommission
für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen (1996) schlägt Ulrich
Beck vor, Erwerbsarbeit durch Bürgerarbeit zu ergänzen. BürgerarbeiterInnen
fallen demnach nicht in die sozialrechtliche Kategorie
"arbeitslos". Als wesentliche
Idee seines Modells betont Beck, “dass [...] das Unternehmerische mit der
Arbeit für das Gemeinwohl verbunden werden sollte und kann”. Die Kommission
schlägt vor, “die Voraussetzung für die Einrichtung von Bürgerarbeit zu
schaffen und zu erproben, d.h. für Formen freiwilligen sozialen Engagements
jenseits der Erwerbsarbeit [...] in inhaltlichen Themengebieten wie z. B.
Bildung, Umwelt, Gesundheit, Sterbehilfe, Betreuung von Obdachlosen,
Asylbewerbern, Lernschwachen, Kunst und Kultur” (Kommission für Zukunftsfragen
der Freistaaten Bayern und Sachsen 1996, Teil III, S. 149). Ein großer Teil der
bisher von Staat und Kommunen organisierten sozialen Tätigkeiten solle also
ausgegliedert und in der Form von Bürgerarbeit organisiert werden.
BürgerarbeiterInnen kann nach den Vorstellungen der Kommission bei
individueller Bedürftigkeit ein sogenanntes “Bürgergeld” ausbezahlt werden. Es
wird zwar betont, dass diese Arbeiten freiwillig durchgeführt werden sollten,
parallel dazu zeigt sich aber deutlich, in welche Richtung diese Vorschläge
gehen, da als ein Vorschlag im Bericht die Zwangsarbeit für
SozialhilfeempfängerInnen genannt wird.
Bürgerarbeit bedeutet nicht nur Zwangsarbeit
im neuen Gewand und eine möglichst günstige Verfügbarmachung von
Lohnarbeitenden durch den Staat, sondern auch die individuelle Schuldzuweisung
an die Leidtragenden der Fehlentwicklungen des globalen Kapitalismus sowie die
Privatisierung der ehemaligen sozialstaatlichen Tätigkeiten, die durch
neoliberale Konsolidierungsmaßnahmen weggefegt wurden. Die neokonservative Ideologie
der Betonung der Eigenverantwortung der BürgerInnen, die von der Kausalität der
kapitalistischen Logik abstrahiert und von der Verursachung gesellschaftlicher
Probleme durch gesellschaftliche Systemzusammenhänge abstrahiert, passt bei
Beck und Giddens durchwegs ins Konzept.
Dies hängt damit zusammen, dass Ulrich Beck
schon seit geraumer Zeit betont, dass die Individualisierung als ein
wesentlicher Prozess der Moderne neue Chancen biete (siehe Beck 1983, 1986). Er
argumentiert, dass die zweite Moderne mit einem Individualisierungsschub – der
Entbindung aus traditionellen Umfeldern, Milieus und sozialen Beziehungen – einhergehe.
Bis in die 70er hatten Institutionen vielfach sinnstiftenden, sicherheitsgebenden
und handlungsanleitenden Charakter. Mit der verstärkten Herauslösung der
Individuen aus Zusammenhängen wie Familie, Betrieb, Beruf, Nachbarschaft,
Kultur, Region, Arbeitsmarkt, Kirche, Verbänden, Gewerkschaften oder
Traditionen werde der/die Einzelne zunehmend für sich selbst verantwortlich und
müsse verstärkt Handlungsinitiativen setzen.
Individualisierung und Neoliberalismus
korrespondieren durch die Betonung der Eigenverantwortung. Gleichzeitig
erodieren aber die sozialen Auffangmechanismen, die im keynesianischen
Wohlfahrtsstaat realisiert waren, und explodieren die Armut sowie die
Arbeitslosigkeit. Die Politik[5]
argumentiert immer stärker mit einer individualisierenden Tendenz. Etwa seien
Arbeitslose selbst Schuld an ihrer Situation. Bekämpft werden nicht jene
Widersprüche, die Arbeitslosigkeit hervorbringen, sondern die Arbeitslosen. Der
Mainstream in Medien und Politik abstrahiert dabei quasi völlig von den marktförmigen,
strukturellen Rahmenbedingungen. Eindimensionale Kausalitäten sind dabei
schnell zu Hand sowie medial verwertbar und dementsprechend aufbereitbar, die
Widersprüche des Kapitalismus und seiner neoliberalen Politik werden hingegen
nicht thematisiert.
Beck und Giddens scheinen Ursache und Wirkung
zu vertauschen. Sie stellen nicht den Kapitalismus in Frage, der in seiner
aktuellen Phase das Ende des fordistischen Wohlfahrsstaates mit sich bringt,
sondern sehen als Lösung gesellschaftlicher Probleme “eine Zunahme der
Verpflichtungen des Einzelnen” (Giddens 1999), die sich aus der zunehmenden
Individualisierung ergebe. Der Staat wird quasi auf die Position des
Nachtwächters der Kapitalakkumulation verwiesen, der die Standortbedingungen
für das (prinzipiell) international agierende Kapital organisiert und den immer
mehr atomisierten und von jeder positiven Perspektive weit entfernten Individuen
als Aktivator in neoliberaler Manier “Hilfe zur Selbsthilfe”[6]
garantiert. Für die durch die kapitalistische Ökonomie Benachteiligten, für die
der Alltag immer mehr zu einem unmittelbaren Überlebenskampf wird, muss das
Appellieren an ihre Selbstverantwortung und Eigeninitiative durch Beck und
Giddens und in deren Gefolge durch die sich “modern” gebende europäische
Politik wie Hohn wirken.
An Analyse und Kritik des Kapitalismus
scheinen Giddens und Beck nicht interessiert zu sein. Giddens (1999) betont
gar, dass es keine Alternative zum Kapitalismus gibt. Konsequent daher auch die
Ablehnung der als “altlinks” diffamierten analytischen Kategorien des Marxismus
wie Klassenverhältnis, Ausbeutung, Mehrwert etc.
Giddens war im Wahlkampf 1997 Berater des New
Labour-Vorsitzenden Tony Blair. Und Blair setzt Giddens‘ Ideen konsequent in
politische Praxis um. New Labour prolongiert den Sparkurs der Konservativen.
Beihilfen für sozial Schwache wurden gekürzt, Studiengebühren wiedereingeführt,
Bekämpfung der Armen und Arbeitslosen durch “Workfare” an Stelle der Bekämpfung
der zugrundeliegenden Ursachen, Law and Order-Politik und Workfare statt
Welfare (“Welfare to Work”[7])
, um das “Interesse der Menschen [...], zu arbeiten” (Blair-Schröder-Papier
“Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten”, 1999) zu garantieren. New Labour
modernisiert nach rechts und die europäische Sozialdemokratie folgt unter
Applaus für Polit-Strategen wie Anthony Giddens nach. Nicht zu Unrecht ist
Giddens für Pierre Bourdieu “ein britischer Soziologe, der zum Vordenker der
neoliberalen Rechten geworden ist, bzw. der neoliberalen »Schein-Linken« Tony Blairs”
(Bourdieu 2000).
Ein Aspekt der Globalisierung, den Giddens
und Beck betonen, ist die “Weltrisikogesellschaft”. Die Moderne zeichne sich
durch eine Zunahme der Risiken aus, die alle Menschen betreffen
(Naturkatastrophen, Gefahr eines Atomkrieges, Vereinsamung, Arbeitslosigkeit
usw.). Giddens spricht von der Globalisierung des Risikos einerseits in dem
Sinn, dass die Intensität der Risiken zunimmt und andererseits in dem Sinn,
dass die Anzahl der Risiken steigt (Giddens 1990, S. 124). Die globalen Risiken
und potentiellen Katastrophen würden eine Gefahr für alle darstellen. Beck
redet in diesem Zusammenhang vom “Ende der Anderen”, da die modernen Risiken
die gesamte Menschheit betreffen und diesbezüglich keine Unterschiede bzgl.
Privilegiert/Unterprivilegiert, Arm/Reich usw. bestehen. Beck spricht von einer
“globalen Schicksalsgemeinschaft” (Beck 1997, S. 155), da alle mit den Folgen
wissenschaftlich-industrieller Entscheidungen und der Zerbrechlichkeit der
Zivilisation konfrontiert seien (ebd., S. 74). Giddens und Beck betonen, dass
kollektive Gefahren heute weiten Teilen der Öffentlichkeit bekannt sind und
dass Risiken über die Medien thematisiert werden (vgl. Beck 1997, S. 168f und
Giddens 1990, S. 125).
Wie Beck und Giddens daraus den Schluß zu
ziehen, die Weltrisikogesellschaft bedeute das Ende der Klassengesellschaft,
ist falsch. Denn Klassenantagonismen bestimmen sich nicht nur subjektiv durch
ein – zugegebenermaßen heute erodierendes bzw. sich ausdifferenzierendes –
Klassenbewusstsein, sondern vor allem auch objektiv durch den Transfer und die
Ausbeutung von Quanta lebendiger Arbeit. Mehrwertproduktion und ihre
Voraussetzung wie die Reproduktionsarbeit sind immer noch Grundkategorien der
Gesellschaft, in der wir leben. Diese ist daher noch immer eine
Klassengesellschaft.
Es fällt auf, dass Giddens (1990) bei der Behandlung der Risiken der Moderne kaum auf das globale Problem der Armut, die ungleiche globale Wohlstandsverteilung und die Tatsache, dass immer mehr Menschen in prekären Verhältnissen leben müssen, eingeht. Beck (1997) thematisiert dies zwar stärker, aber beiden ist gemeinsam, dass sie von den Risiken der Moderne sprechen und in diesem Zusammenhang vom Kapitalismus schweigen. Die Urheberschaft der kapitalistischen Wirtschaftsordnung an den globalen Problemen scheint aber immer sinnfälliger zu werden.
Anforderungen an eine Allgemeine Theorie
der Globalisierung
Nun kann festgehalten werden, dass die
verschiedenen in der Literatur vorfindlichen Herangehensweisen an die
Erkenntnis der Globalisierung, ob sie nun einseitig sind oder vielseitig, zwar
summa summarum viele Seiten des entsprechenden Phänomens beleuchten, dass sie
allesamt aber eklektisch bleiben. Es fehlt eine einheitliche Theorie der
Globalisierung, die all diese technischen und sonstigen gesellschaftlichen
Dimensionen auf den Begriff bringt.
Eine Allgemeine Theorie der Globalisierung
(zu den Grundlagen siehe Fuchs/Hofkirchner 2000), die weder reduktionistisch
noch affirmativ ist, müsste Globalisierung zunächst als einen allgemeinen
dialektischen Prozess der Menschheit fassen, der in jeder spezifischen
Gesellschaftsformation in sämtlichen Subsystemen seine Ausdrucksweise findet.
Die allgemeine Dialektik der Globalisierung zeigt ihre konkreten Ausprägungen
in jeder Gesellschaftsform in den gesellschaftlichen Subsystemen Ökonomie,
Politik und Kultur, materielle (naturale) Reproduktion, technische
Infrastruktur. Die grundsätzliche Tendenz der Globalisierung beruht auf einem
dialektischen Verhältnis von Lokalem und Übergreifendem/Globalem.
Als nächster Schritt könnten
Globalisierungsprozesse im Kapitalismus in nichtreduktionistischer Art und
Weise betrachtet werden. Dabei wären insbesonders die komplexe Vermitteltheit
von Politik, Ökonomie und Kultur sowie die grundsätzlichen Antagonismen der
kapitalistischen Gesellschaftsformation zu berücksichtigen. Bei der Ausprägung
der allgemeinen Dialektik im Kapitalismus handelt es sich also um eine antagonistische
Form. Die Entfaltung von Globalisierungsprozessen im Rahmen der Antagonismen
des Kapitalismus vermittelt heute die Verschärfung der globalen Probleme.
Als dritter Schritt könnte schließlich
geklärt werden, was das spezifisch Neue von ökonomischen, politischen,
kulturellen und technischen Globalisierungsprozessen im heutigen postfordistischen
Entwicklungsmodell des Kapitalismus darstellt (für eine nähere
Betrachtungsweise dieses Entwicklungsmodells siehe Fuchs 2001). Eine Allgemeine
Theorie der Globalisierung müsste berücksichtigen, dass Globalisierung kein
vollständig neues Phänomen ist und dass sie heute auch neue Aspekte aufweist,
die spezifisch für das postfordistische Stadium des Kapitalismus sind. Das
heutige Entwicklungsmodell dieser Gesellschaftsformation ist weder
ausschließlich das ewig Alte, wie es diverse marxistische Herangehensweisen
nahe legen, noch etwas vollständig Neues (wie in der postmodernistischen
Theorie häufig angenommen). Eine Allgemeine Theorie der Globalisierung müsste
diese Dialektik von Altem und Neuem ausreichend berücksichtigen.
Eine solche Theorie könnte einen Beitrag dazu
leisten, den Globalisierungsbegriff differenzierter als in den heute
existierenden Ansätzen zu betrachten und die politischen Implikationen, die
sich aus diesen Diskursen ergeben, aus einer neokonservativen in eine
humanistische Richtung umzuleiten. Dazu wäre es notwendig, zu erkennen, dass
neben der heutigen antagonistischen Form der Globalisierung durchwegs auch eine
am Menschen orientierte vorstellbar ist, die Maßstäbe sozialer und ökologischer
Nachhaltigkeit transportiert. Der Weg dort hin ist wiederum nur als ein
Globalisierungsprozess alternativer Entwicklungslinien vorstellbar. Notwendig
wäre dazu vor allem auch eine sozialistische Wende.
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[1] Beim hier vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine überarbeitete Version eines Teils einer umfassenderen Arbeit zur Dialektik der Globalisierung (Fuchs/Hofkirchner 2000), die im Internet unter http://cartoon.iguw.tuwien.ac.at/christian/infogestechn/globalisierung.pdf zu finden ist.
[2] In diesem Aufsatz wollen wir auf die ökologische Seite nicht weiter eingehen und es mit diesen pauschalen Bemerkungen bewenden lassen. Aus systematischen Gründen ist hier jedoch ihre Erwähnung angezeigt.
[3] Anthony Giddens und Ulrich Beck kritisieren an Wallersteins Ansatz,
dass sich sein Verständnis von Globalisierung auf eine rein ökonomische Ebene
beschränke (siehe Giddens 1990, S. 27; Beck 1997, S. 66f): Wallersteins
Argumentation sei “monokausal und ökonomisch.
Globalisierung wird einzig und ausschließlich als Institutionalisierung des
Weltmarkts bestimmt” (Beck 1997, S. 66). Wallerstein “continues to see only one dominant
institutional nexus (capitalism) as responsible for modern transformations.
World-system theory thus concentrates heavily upon economic influences”
(Giddens 1990, S. 69). Sicherlich ist Giddens und Beck
darin beizupflichten, dass die Globalisierung kein ausschließlich ökonomischer,
auch kein ausschließlich ökonomisch bedingter Prozess sei. In
einer ökonomischen Analyse der Geschichte des Kapitalismus, wie sie sich bei
Wallerstein findet, ist es allerdings verständlich, dass hier der ökonomischen
Dimension die größte Aufmerksamkeit geschenkt wird. Umso einleuchtender wird
dies angesichts der vielfach auch von anderen Autoren beschriebenen
Durchdringung aller Lebensbereiche mit ökonomischer Logik. Diese Durchdringung
kann u.E. aber niemals vollständig sein. Eine derartige Auffassung würde in einem
einfachen ökonomischen Determinismus enden. Aber eine dominante Rolle kann der
Ökonomie durchaus attestiert werden.
[4] Das Sprechen vom “dritten Weg” ist schon aus dem Grund problematisch, da die Faschisten in den 30ern ihre eigene Politik immer wieder als einen dritten Weg bezeichneten. Mussolini sprach vom Faschismus als drittem Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Auch heute ist in der Neuen Rechten immer wieder die Rede vom dritten Weg. So schreibt z.B. Peter List in den Staatsbriefen (2/1994), die im Verfassungsschutzbericht 1999 der BRD als wesentliches Presseerzeugnis des deutschen Rechtsextremismus angesehen werden, von der “nationalen Volkswirtschaft” als “Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus” und als “ein dritter Weg jenseits von Marxismus und Kapitalismus”.
[5] Die erwähnte Passage aus einem Regierungsprogramm und Becks Arbeit im Rahmen der Kommission für Zukunftsfragen sind nur zwei aus einer Reihe von Beispielen. Für weitere genügt ein Blick in die verschiedenen europäischen Regierungsprogramme.
[6] Giddens drückt dies in seiner Diktion als „positive Wohlfahrt“ aus.
[7] Dieses Programm zwingt alleinerziehende Mütter und Arbeitslose zur Aufnahme einer Arbeit in Beschäftigungsgesellschaften, einer Ausbildung oder eines subventionierten Arbeitsplatzes in der Privatwirtschaft. Der Welfare-State scheint sich heute wahrlich zu einem Warfare-State (Negri 1980) zu wandeln, der einen neoliberalen Krieg gegen Menschen führt, die in prekäre Lebensverhältnisse gepresst werden.