Die Dialektik der Globalisierung in Ökonomie, Politik, Kultur und Technik
Christian Fuchs (rhizom00@hotmail.com)
Wolfgang Hofkirchner (hofi@igw.tuwien.ac.at)
Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung, Technische Universität Wien
Überarbeitete und erweiterte Version eines Vortrages gehalten beim Jubiläumskongreß der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie (ÖGS), Wien, 20-23/09/2000
Abstract
Globalisierung als Herstellung von Globalität ist etwas, das heute in allen sozialen Bereichen, also auf der ökonomischen, politischen und kulturellen, aber auch auf der ökologischen und auf der technologischen Ebene sichtbar geworden ist und sich dort jeweils im Rahmen der Austragung von Mediation unzugänglich scheinenden Interessensgegensätzen abspielt. Die These, die wir hier vorlegen und als einen Beitrag zur Ausarbeitung einer Theorie der Globalisierung verstehen wollen, die mit dem empirischen Augenschein in Einklang steht, ist die, daß
1. Globalisierung einen allgemeinen Prozeß der Menschheitsgeschichte darstellt, der in ein dialektisches Verhältnis von Lokalem und Übergreifendem/Globalem eingebettet ist,
2. jede Form der Gesellschaft durch eine konkrete Ausprägung dieser Dialektik der Globalisierung geprägt ist und diese Ausprägung im Kapitalismus eine ist, die auf gesellschaftlichen Antagonismen basiert, und
3. die spezifische Qualität der antagonistischen Globalisierung heute ganz wesentlich darin besteht, daß die Fortexistenz humanen gesellschaftlichen Lebens gefährdet ist.
Wir betrachten nacheinander den Zustand der Globalisierung im wirtschaftlichen Bereich, im politischen Bereich, im kulturellen Bereich und im technologischen Bereich, setzen die jeweiligen Dynamiken zueinander in Beziehung und versuchen dann eine Integration, die die verschiedenen Globalisierungsaspekte auf den Begriff bringt.
1. Was heißt Globalisierung?
"Globalisierung" ist seit einigen Jahren eines der meistgebrauchten Schlagwörter in Politik und Medien. Verteufelungen und die damit oft verbundenen nationalistischen Ressentiments sind sowohl von links als auch von rechts zu beobachten. Der Rechten kommt die Globalisierungsdiskussion zu Gute, um ihren traditionellen Nationalismus im modernen Gewand wieder auferstehen zu lassen. Teile der Linken merken in ihrem antikapitalistisch motivierten Feldzug gegen die Globalisierung oft nicht, daß sie eben diesen nationalistischen Ressentiments Vorschub leisten und sich zu den besten Helfern der Rechten machen.
Andererseits ist aber vor allem aus neoliberal eingestellten Kreisen, und dazu sind im Westen heute auch große Teile der etablierten sozialdemokratischen und grünen Parteien zu rechnen, eine unkritische, fortschrittsoptimistische und kompromißlose Bejahung der Globalisierung zu hören. Die tradierten politischen Herangehensweisen seien längst überkommen, notwendig sei eine moderne Politik, die sich auf die "New Economy" einstellt. In politischen Realkategorien heißt dies zumeist, daß der letzte Rest Sozialstaat zur Disposition gestellt wird, um mit einem schlanken Staat die beste Voraussetzung für die internationale Standortkonkurrenz zu bieten.
Fragen, die bei all diesen Diskussionen oft zu kurz kommen, sind z.B.:
In der Literatur finden sich verschiedene Standpunkte.
Es gibt Globalisierungsbegriffe, die nur eine einzige gesellschaftliche Dimension der Globalisierung betonen, und solche, die mehr als nur eine Dimension betrachten. Ansätze, die sich auf eine Dimension beschränken, konzentrieren sich entweder auf technische oder auf ökologische oder auf ökonomische oder politische oder kulturelle Faktoren.
Was heute im technischen Sinne als Globalisierung angesehen wird, wurde von Schriftstellern und Wissenschaftlern vor langem vorweggenommen. Schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts ließ Nathaniel Hawthorne eine seiner Romanfiguren im "Haus der sieben Giebel" angesichts des Telegraphen den Vergleich des Globus mit einem Kopf und Gehirn anstellen. Der Paläontologe und Jesuitenpater Teilhard de Chardin betrachtete das "erstaunliche System der Land-, See- und Luftwege, der Postverbindungen, Drähte, Kabel und Ätherschwingungen, die mit jedem Tag mehr das Angesicht der Erde umspannen" als "Schaffung eines wirklichen Nervensystems der Menschheit; Erarbeitung eines gemeinsamen Bewußtseins, Verkittung der menschlichen Menge", wie er am 6. Mai 1925 geschrieben hat (Teilhard 1964, 61, 62; siehe auch 1961, 117 f.). Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs formulierte der russische Begründer der Biogeochemie, Vladimir I. Vernadskij, ein Klassiker des globalen Denkens (in Hofkirchner 1997, 51): "Das Leben der Menschheit ist, bei all seiner Verschiedenartigkeit, unteilbar geworden. Ein Ereignis, das im abgelegensten Winkel eines beliebigen Kontinents oder Ozeans vonstatten ging, zieht Folgen nach sich und hat an einer Reihe anderer Orte, überall auf der Erdoberfläche, Auswirkungen – große oder kleine. Der Telegraph, das Telefon, das Radio, die Flugzeuge, die Ballone haben die ganze Erdkugel umspannt. Die Verbindungen werden immer einfacher und schneller. Alljährlich steigt ihr Organisationsgrad... Dieser Prozeß der vollständigen Besiedlung der Biosphäre durch den Menschen ist durch den Verlauf der Geschichte des wissenschaftlichen Denkens bedingt, untrennbar verknüpft mit der Geschwindigkeit der Verbindungen, mit den Erfolgen der Fortbewegungstechnik, mit der Möglichkeit der augenblicklichen Übertragung eines Gedankens, seiner gleichzeitigen Erörterung überall auf dem Planeten." Und 1964 konstatierte Marshall McLuhan, daß wir, nachdem wir im Zeitalter der mechanischen Technologie unsere Körper in den Raum verlängert hätten, nun mit der elektrischen Technologie unser Zentralnervensystem selbst zu einer globalen Umarmung ausdehnen würden, die nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit, soweit es unseren Planeten betrifft, aufhebt (1997, 3).
Mit dem Bau der Atombombe und danach der Wasserstoffbombe und geeigneten, weitreichenden Trägerwaffen entzündete sich eine Friedensbewegung unter den Intellektuellen und WissenschaftlerInnen, der bewußt wurde, daß die Technik in Gestalt der Militärtechnik einen Stand erreicht hatte, der die Menschheit in die Lage versetzte, sich selbst mit einem Knopfdruck auszulöschen. Der globale Charakter der Entwiicklung von Wissenschaft und Technologie wurde mit den Bildern, die durch die Raumfahrt von unserm Planeten möglich wurden, ein weiteres Mal unterstrichen. Zugleich entstand das Bild vom Raumschiff Erde.
Ökologische Aspekte wurden seit Anfang der Umweltbewegung – zuerst, was die Ressourcen betrifft, und dann auf den Abfall bezogen – im planetaren Ausmaß gesehen. Es hat sich eingebürgert, Probleme, die in diesem Bereich verortet werden, als "globale" Probleme anzusprechen. Die Herstellung von Globalität ist den AutorInnen dieser Denkrichtung zufolge ein Vorgang, der der weltweiten Vernutzung und Verschmutzung der Natur geschuldet ist. Erst als im letzten Jahrzehnt das Etikett "Globalisiserung" im öffentlichen Bewußtsein zur Bezeichnung weltweiter Aktivitäten bestimmter gesellchaftlicher Akteure gebräuchlich wurde, wurde auch der Umgang mit der Umwelt in einen Zusammenhang mit diesen Prozessen gebracht und seine Wirkungen als Auswirkungen der Globalisierung faßbar (1).
Immanuel Wallerstein (1974, 1981, 1988b) betont die ökonomische Dimension und meint dabei, daß eine kapitalistische Gesellschaft niemals national beschränkt ist, sondern daß es sich beim Kapitalismus um ein Weltsystem handelt. Daher sei der Kapitalismus notwendigerweise ein globales System. Globalisierung kann in diesem Zusammenhang so verstanden werden, daß sich mit der Ausdehnung des Kapitalismus über den Globus eine weltweite Arbeitsteilung durchgesetzt hat. Wallerstein betont die Herausbildung eines Weltmarktes, der den Zweck der Profitrealisierung erfülle. Die kapitalistische Weltökonomie konstituiere sich durch Ausbeutungsverhältnisse. Die Aneignung des Mehrwerts erfolge durch kapitalistische Zentren, die periphere Räume ausbeuten. Wallerstein unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen Zentrum, Semi-Peripherie und Peripherie. Das kapitalistische Weltsystem erzeuge auf der einen Seite Reichtum und auf der anderen Armut. Kapitalismus sei niemals eine Angelegenheit der Nationalstaaten gewesen, sondern sei prinzipiell eine Weltökonomie. Das Kapital ließe sich nicht national beschränken.
Weltsysteme, so Wallerstein, habe es auch schon vor der kapitalistischen Ära gegeben. Im Gegensatz zum kapitalistischen Weltsystem hätten diese Systeme aber auf der Herrschaft imperialistischer Großreiche basiert und nur Regionen umfaßt, die vom entsprechenden Reich kontrolliert wurden. Das qualitativ Neue an der kapitalistischen Weltökonomie sei ihre weltweite Ausdehnung und die Dominanz der ökonomischen Dimension im Gegensatz zur Dominanz der politischen Macht früherer Weltsysteme (2).
Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf sehen Globalisierung als die sich durch Deregulierungsmaßnahmen ergebende Offenheit der Nationalökonomien gegenüber dem Weltmarkt: "Aus der Sicht der Nationalstaaten erscheinen Globalisierung und Integration in den Weltmarkt zunächst als Offenheit gegenüber den Weltmarkttendenzen. Das ist eine Folge des Abbaus von Schranken, die dem Markt innen und außen gesetzt worden sind. Der Markt wird durch Deregulierung sich selbst überlassen" (Altvater/Mahnkopf 1996, S. 22).
Harald Schumann, Ko-Autor der populärwissenschaftlichen Arbeit "Die Globalisierungsfalle" (Martin/Schumann 1996), versteht unter Globalisierung "die transnationale, grenzüberschreitende Integration von Unternehmen, von Märkten, von Informationsflüssen, teils sogar von Kulturen" (Schumann 1997).
Joachim Hirsch sieht die Globalisierung in "einer radikalen Liberalisierung vor allem der Geld- und Kapitalmärkte, einer weltweit wachsenden Mobilität der Arbeitskräfte, der Verdichtung und Beschleunigung der Kommunikationsnetze, der Vereinheitlichung kultureller Muster und Konsumstandards, der wachsenden Bedeutung transnationaler Unternehmen und in einer fortschreitenden Internationalisierung der Produktion" (Hirsch 1995, S. 89) gegeben.
Wallerstein, Altvater/Mahnkopf, Martin/Schumann und Hirsch betonen also die ökonomische Dimension der Globalisierung. Zwei Vertreter, die ihr Augenmerk vor allem auf politische Aspekte der Globalisierung richten, sind James Rosenau und Zygmunt Bauman. Nach Rosenau (1990) werde die internationale Politik heute nicht mehr von Nationalstaaten gemacht, sondern die post-internationale Politik werde auch wesentlich von transnationalen Konzernen und international agierenden Organisationen geprägt. Dadurch werde die Weltpolitik polyzentrisch. Eine Unzahl von Akteuren sei inzwischen an den politischen Aushandlungsprozessen beteiligt. Die modernen Informations- und Kommunikationssysteme, so Rosenau, haben geographische und soziale Entfernungen aufgehoben und damit eine polyzentrische Weltpolitik ermöglicht.
Der postmoderne Theoretiker Zygmunt Bauman (1997, 1998) betont, daß Globalisierung und Lokalisierung miteinander verbunden sind ("Glokalisierung") und daß sie zu einer Polarisierung zwischen globalisierten Reichen und lokalisierten Armen führen. Die globalisierten Reichen, so Bauman, leben in der Zeit, da sie den Raum überwinden können. Die lokalisierten Armen hingegen wären an den Raum gebunden und ihre Zeit sei leer. Die Reichen seien nicht mehr in dem Sinn von den Armen abhängig, daß sie diese bräuchten, um noch reicher zu werden.
Schließlich werden kulturelle Faktoren ins Treffen geführt. Roland Robertson hat das Ausmaß des Bewußtwerdens der Welt als eines singulären Platzes zum empirischen Indikator der Weltgesellschaft gemacht (1992). Armin Nassehi schließt hier an und spricht dann von Weltgesellschaft, "wenn sich global players in der Differenz ihrer unterschiedlichen Bezogenheit auf ein und dieselbe Welt wahrnehmen und dies reflexiv wird" (zit.n. Beck 1997, 151). Die Selbsterfahrung der Weltgesellschaft wird dabei als massenmedial vermittelt unterstellt.
All diesen Ansätzen stehen jene gegenüber, die mehrere Dimensionen der Globalisierung zugleich im Visier haben. So z.B. jene von Ulrich Beck und Anthony Giddens:
Ulrich Beck will Globalisierung ökonomisch, ökologisch, kulturell, politisch und zivilgesellschaftlich verstehen (Beck 1997, S. 26). Von "Globalität" spricht er im Sinn einer Weltgesellschaft, in der wir, so Beck, heute bereits in dem Sinn leben, daß sich Gruppen und Länder nicht voneinander abschließen können, sondern sich notwendigerweise aufeinander beziehen müssen (ebd., S. 27f). Mit Globalisierung bezeichnet er "Prozesse, in deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale Akteure, ihre Machtchancen, Orientierungen, Identitäten und Netzwerke unterlaufen und querverbunden werden" (ebd., S. 28f). Beck versteht Globalisierung also relativ allgemein als eine transnationale Vernetzung von Akteuren.
Anthony Giddens, der mit Beck zusammenarbeitet (wodurch sich auch die Ähnlichkeit ihrer soziologischen Herangehensweisen ergibt), betont, daß durch die Herstellung raum-zeitlicher Entfernung als typischem Prozeß der Moderne lokale und regionale Prozesse durch weit entfernt stattfindendes Handeln beeinflußt werden. Globalisierung versteht er daher als "intensification of worldwide social relations which link distant localities in such a way that local happenings are shaped by events occuring many miles away and vice versa" (Giddens 1990, S. 64).
Giddens identifiziert mehrere Ebenen der Globalisierung (siehe Giddens 1990, S. 70ff): Die ökonomische sei durch die kapitalistische Weltökonomie als Produktionsweise gekennzeichnet. Firmen hätten zwar immer eine lokale Basis, dies hindere sie aber nicht am globalen Handel und dem Versuch der weltweiten politischen Einflußnahme. Der politische Bereich der Globalisierung werde durch das System der Nationalstaaten, die das Gewaltmonopol für sich beanspruchen, abgedeckt. Die Akteure der globalen politischen Ordnung seien die Nationalstaaten, jene der ökonomischen die Unternehmen. Die dritte Dimension der Globalisierung ist für Giddens die militärische Weltordnung. Hier spielen militärische Allianzen zwischen Nationalstaaten eine wesentliche Rolle. Ein sich daraus ergebendes globales bipolares Allianzsystem war ein wesentliches Moment der Blockkonfrontation. Symptomatisch für die militärische Dimension der Globalisierung sind für Giddens auch die Weltkriege. Die vierte Ebene stellt bei Giddens die internationale Arbeitsteilung dar.
Beck und Giddens betrachten also mehrere Ebenen der Globalisierung. Als problematisch können die daran anschließenden politischen Implikationen angesehen werden. Beide wenden sich zwar explizit gegen den Neoliberalismus im thatcheristischen und reagonomischen Sinn, wobei Beck den Neoliberalismus als "Globalismus" und Irrtum bezeichnet und sich Giddens auf die Suche nach einem "dritten Weg" (3) (siehe Giddens 1999) für die Sozialdemokratie macht, der weder "Sozialdemokratie alten Stils" noch Neoliberalismus bedeutet. Giddens und Beck wollen weder einen neoliberalen, noch einen "altlinken" Weg gehen, landen aber letzten Endes mit ihren politischen Vorstellungen doch sehr nahe bei der neokonservativen Ideologie (4).
Ein Aspekt der Globalisierung, den Giddens und Beck betonen, ist die "Weltrisikogesellschaft". Die Moderne zeichne sich durch eine Zunahme der Risiken aus, die alle Menschen betreffen (Naturkatastrophen, Gefahr eines Atomkrieges, Vereinsamung, Arbeitslosigkeit, usw.). Giddens spricht von der Globalisierung des Risikos einerseits in dem Sinn, daß die Intensität der Risiken zunimmt und andererseits in dem Sinn, daß die Anzahl der Risiken steigt (Giddens 1990, S. 124). Die globalen Risiken und potentiellen Katastrophen würden eine Gefahr für alle darstellen. Beck redet in diesem Zusammenhang vom "Ende der Anderen", da die modernen Risiken die gesamte Menschheit betreffen und diesbezüglich keine Unterschiede bzgl. Privilegiert/Unterprivilegiert, Arm/Reich usw. bestehen. Beck spricht von einer "globalen Schicksalsgemeinschaft" (Beck 1997, S. 155), da alle mit den Folgen wissenschaftlich-industrieller Entscheidungen und der Zerbrechlichkeit der Zivilisation konfrontiert seien (ebd., S. 74). Giddens und Beck betonen, daß kollektive Gefahren heute weiten Teilen der Öffentlichkeit bekannt sind und daß Risiken über die Medien thematisiert werden (vgl. Beck 1997, S. 168f und Giddens 1990, S. 125) (5).
Nun kann festgehalten werden, daß die verschiedenen in der Literatur vorfindlichen Herangehensweisen an die Erkenntnis der Globalisierung, ob sie nun einseitig sind oder vielseitig, zwar summa summarum viele Seiten des entsprechenden Phänomens beleuchten, daß sie allesamt aber eklektisch bleiben. Es fehlt eine einheitliche Theorie der Globalisierung, die all diese technischen und sonstigen gesellschaftlichen Dimensionen auf den Begriff bringt.
Die hier angestellten Überlegungen sind ein Versuch, zur Verringerung dieses Defizits beizutragen.
Wir wollen nun diese einzelnen Dimensionen näher betrachten, die Verbindungen zu den anderen Ebenen darstellen und abschließend auf eine allgemeine Ebene der Globalisierung als grundlegender Prozeß der Menschheitsgeschichte abheben (6).
2. Ökonomische Globalisierung
2.1. Die antagonistische Dialektik der kapitalistischen Ökonomie
Fast schon täglich finden sich in den Medien Berichte über Unternehmen, die ihre Produktion in andere Länder verlagern, da sie dort günstigere Standortbedingungen vorfinden. Es drängt sich dabei die Frage auf, was das qualitativ Neue der ökonomischen Globalisierung ist. Daß internationaler Handel über den Weltmarkt betrieben wird? Daß Unternehmen im Ausland investieren? Wohl kaum, all das war seit jeher Teil des Kapitalismus.
Es kann argumentiert werden, daß die ökonomische Globalisierung eigentlich ein Mythos ist, da die Exportquoten der kapitalistischen Länder schon vor etwa hundert Jahren so hoch waren wie heute oder da etwa drei Viertel der ausländischen Direktinvestitionen der OECD-Ländern innerhalb dieses Raumes verbleiben und sich daran in den letzten 15 Jahren nicht viel verändert hat (vgl. Ofner 1997, S. 289f). Tabelle 1 zeigt dies an Hand der Verteilung der Ausländischen Direkt-Investitionen (ADI) der NAFTA-Länder und Westeuropas. Der Anteil des internationalen Handels an der Weltproduktion betrug 1950 7%, 1973 12% und 1993 15%. Werden die OECD-Länder betrachtet, so hat der durchschnittliche Anteil des Außenhandels von 1960 12,5% auf 1990 18,6% zugenommen (Krugman 1995, S. 327). Dies bedeutet zwar eine Zunahme des Welthandels, Anfang des 20. Jahrhunderts wurden jedoch bereits ähnliche Werte erreicht.
Empfängerländer |
1985 |
1992 |
NAFTA, EG, EFTA |
74 |
77 |
Südostasien |
6 |
7 |
Rest der Welt |
20 |
16 |
Tab. 1: Verteilung der ausländischen Direktinvestitionen
der NAFTA-Länder und Westeuropas (aus: Ofner 1997, S. 290)
Das Aufheben, das um die ökonomische Globalisierung gemacht wird, ist insofern verwunderlich, als der ökonomische Globalisierungsprozeß zunächst nichts Neues darzustellen, sondern der kapitalistischen Produktionsweise immanent zu sein scheint . Bereits Marx und Engels sowie die marxistische Imperialismustheorie (z.B. bei Lenin, Luxemburg, Hilferding, Bucharin) beschrieben das globale Agieren des Kapitals. Die Schaffung des Weltmarkts kann bereits als im Wesen des Kapitalismus angelegt betrachtet werden.
2.1.1. Widersprüche im Monopolkapitalismus
Karl Marx und Friedrich Engels haben keine eigene Imperialismustheorie ausgearbeitet, hatten aber sehr wohl bereits die globale Dimension des Kapitalismus beschrieben. Im Kommunistischen Manifest sprachen sie davon, daß sich über den Weltmarkt eine Abhängigkeit der Nationen voneinander einstellt und daß dieser den Kapitalismus zu einem globalen System macht:
"Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat [...] den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien [...] werden verdrängt durch neue Industrien, [...] die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. [...] An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. [...] Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. [...] Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen" (Marx/Engels 1974, Band 1, S. 29f).
Die globale Ausdehnung des Kapitalismus wurde also vor mehr als 150 Jahren beschrieben. An jener berühmten Stelle des Kapitals, an der Marx die Zentralisierung und Monopolisierung des Kapitals behandelt, die mit der kapitalistischen Produktionsweise unverträglich werde und daher gesprengt werde, gibt er einen weiteren Hinweis auf die prinzipiell globale Dimension des Kapitalismus. Marx spricht von der "Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarkts", diese stelle den "internationale[n] Charakter des kapitalistischen Regimes" dar (Marx 1867, S. 790). Auch die Funktionsweise des Weltmarkts und die modifizierte Anwendungsweise des Wertgesetzes auf ihn wird bei Marx beschrieben (ebd., S. 584). Die Ausdehnung der Produktion, die das Wachstum des akkumulierten Kapitals durch immer mehr und immer intensiver ausgepreßten Mehrwert garantieren soll, sieht Marx als der kapitalistischen Produktionsweise immanent: "Die Tendenz, den Weltmarkt zu schaffen, ist unmittelbar im Begriff des Kapitals selbst gegeben" (Marx 1857/58, Grundrisse, S. 321) Dies führe zur "beständigen Ausdehnung des Weltmarkts" (Marx 1894, S. 346).
Zu Anfang des 20. Jahrhunderts bildeten die Marxschen Analysen den Grundstein für die Entwicklung sogenannter Imperialismustheorien. Als charakteristische Merkmale des Imperialismus und daher als qualitativ neue Elemente des Kapitalismus bei dessen Eintreten in sein imperialistisches Stadium sah z.B. Rosa Luxemburg (1913) die Konzentration des Kapitals, den Ausbau der Kartelle und Trusts, den internationalen Einfluß des Bankkapitals. Der Imperialismus sei quasi ein globales Weltsystem, er erstrecke sich nämlich auf "die gesamte Welt mit ihren fünf Erdteilen und drei Weltmeeren, auf denen das internationale Kapital seine völkermordenden Minen legt, seine Wetterwinkel bereitet, seine Apokalayptischen Reiter blutiger Revolutionen und blutiger Weltkriege herumjagt" (RLGW, Band 3, S. 435f) (7).
Rosa Luxemburgbetrachtete den Imperialismus wie Lenin als die höchste und letzte Stufe des Kapitalismus an. Sie verstand die Marxsche Theorie als Zusammenbruchstheorie und vertrat die Ansicht, daß der Imperialismus zum Zusammenbruch des Kapitalismus führen müsse: Die Kapitalakkumulation benötigt bei Luxemburg nichtkapitalistische Milieus/Märkte, auf die sich die kapitalistische Produktionsweise ausdehnen kann. Diesem Prozeß sei aber durch die Erreichung der totalen Beherrschung der Weltökonomie durch den Kapitalismus eine Schranke gesetzt, bei deren Erreichen der Kapitalismus zusammenbrechen müsse. Die Realisierung des Mehrwerts und damit die Akkumulation des Kapitalismus werde dann nämlich ohne die Hilfe nichtkapitalistischer Milieus zu einem Ding der Unmöglichkeit (8).
Rudolf Hilferding (1910) sah den Monopolkapitalismus gekennzeichnet durch die Herrschaft der Kartelle und Trusts. Dies konstituiere ein neues Stadium des Kapitalismus, das von der Phase des Konkurrenzkapitalismus der kleinen Unternehmen abgegrenzt werden könne. Wie im Anschluß an ihn Lenin sah Hilferding das Finanzkapital als Bankkapital, das in industrielles Kapital verwandelt wird. Bei der Analyse der zyklischen Krisen des Kapitalismus sah Hilferding Disproportionen zwischen den industriellen Sektoren als Ursache. Er vertrat nicht Lenins Ansicht, daß das Monopolkapital die Krisen verschlimmern würde, sondern hatte die Auffassung, daß es die Krisen mildern kann.
Lenin (1916) betrachtet den Imperialismus, das monopolistische Stadium des Kapitalismus, als dessen höchste Stufe. Als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise ab 1857 sei das Bedürfnis entstanden, die Ökonomie durch die Staaten und durch Monopole sowie Kartelle zu planen. Daher hätten Staaten wie die USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich begonnen, die Weltökonomie aufzuteilen. Gleichzeitig habe sich ein Konzentrationsprozeß des Kapitals gezeigt, indem wenige Unternehmen von der Krise betroffene Unternehmen übernehmen. Das Finanzkapital als Verbindung von Industrie- und Bankkapital erlange im Imperialismus eine wesentliche Bedeutung und weltweiten Einfluß. Das Finanzkapital spiele eine bedeutende Rolle bei der imperialistischen Verwandlung der Konkurrenz in das Monopol. Bekannt geworden ist Lenins Definition des Imperialismus durch fünf Merkmale:
1. "Konzentration der Produktion und des Kapitals, die eine so hohe Entwicklungsstufe erreicht hat, daß sie Monopole schafft, die im Wirtschaftsleben die entscheidende Rolle spielen;
2. Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital und Entstehung einer Finanzoligarchie auf der Basis dieses ´Finanzkapitals´;
3. der Kapitalexport, zum Unterschied vom Warenexport, gewinnt besonders wichtige Bedeutung
4. es bilden sich internationale monopolistische Kapitalistenverbände, die die Welt unter sich teilen, und
5. die territoriale Aufteilung der Erde unter die kapitalistischen Großmächte ist beendet" (Lenin 1916, S. 270f).
Der Kapitalexport, der heute in der Form von Betriebsauslagerungen als Globalisierung durch Politik und Medien geistert, wurde also von Lenin bereits im Jahr 1916 beschrieben und stellt daher kein qualitativ neues Phänomen des Kapitalismus dar.
Die Monopolverbände der Kapitalisten (Kartelle, Syndikate, Trusts), so Lenin, beherrschten den Weltmarkt und teilten sich die Welt untereinander auf. Die entwickelten kapitalistischen Länder würden Kreditkapital ins Ausland exportieren und dafür Zinsen lukrieren. Lenin verstand den Kapitalexport vorwiegend als Export von Kreditkapital, beim heute als "Globalisierung" bezeichneten Kapitalexport steht vor allem der Export von fixem konstanten und von variablem Kapital (9) im Vordergrund. Die Ansiedlung der Produktion im Ausland spielte in Lenins Imperialismustheorie kaum eine Rolle, daher war diese nach dem 2. Weltkrieg auch nicht mehr anwendbar. Lenin argumentierte, daß das "parasitäre" Monopolkapital zu Stagnation und "Fäulnis" führe (10). Der technische Fortschritt werde künstlich aufgehalten. Die Widersprüche, Konflikte und Krisen würden immer größer, die Klassengegensätze würden sich immer mehr zuspitzen und daher sei der Imperialismus "sterbender Kapitalismus" (ebd., S. 307). Auch Lenin ist ein Vertreter der Disproportionalitätsthese. Er sieht Disproportionalitäten zwischen Monopolkapital und nichtmonopolförmigem Kapital einerseits sowie zwischen Industrie und Landwirtschaft andererseits. Im Imperialismus würden diese Ungleichmäßigkeiten zunehmen.
VertreterInnen der Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus (STAMOKAP, vgl. Heiniger/Maier 1987, Huffschmid 1969) schließen an die Imperialismustheorien an. Auch sie betonen die Monopolisierungstendenz des Kapitalismus. Der STAMOKAP sei eine besondere Phase des Spätkapitalismus (eine Phase, die quasi mit dem identisch ist, was in der Regulationsschule Fordismus genannt wird). Diese zeichne sich im ökonomischen Bereich durch die große Bedeutung einiger weniger großer Unternehmen aus. Die Unternehmen würden über eine große Marktmacht und durch den Monopolcharakter über Rentabilitätsvorteile verfügen. In der Politik seien staatliche Eingriffe in die Ökonomie typisch für den STAMOKAP (Regulation, Steuerpolitik, Subventionen, Verteilungspolitik, Sozialtransfers, Einkommenspolitik usw.). Die ökonomische Macht des Kapitals wirke in die staatliche Politik hinein, indem durch Lobbys, Bündnisse und personellen Einfluß versucht werde, die Politik des Staates zu Gunsten des Kapitals zu steuern. Der Staat wird also in der Theorie des STAMOKAP zum verlängerten Arm des Kapitals: "Über verschiedene Verflechtungen und Verbindungen zwischen Staat und Unternehmen sowie Einflüsse letzterer auf erstere wird staatliche Politik in hohem Maße durch die Interessen der führenden Unternehmen beeinflußt und gestaltet" (Huffschmid 1995). Die STAMOKAP-Theorie hob auch hervor, daß der hohe Grad an staatlich gelenkter, obwohl monopolisierter, Produktion im STAMOKAP ein Potential in Richtung der Etablierung einer sozialistischen Gesellschaft aufweise. Diese Theorie war die in der UdSSR und den RGW-Ländern offiziell vertretene Auffassung in diesen Fragen und dominierte auch die Analysen in den westlichen kommunistischen Parteien (11). Sie betonte aber weniger die globale Dimension des Kapitalismus als die nationalstaatliche Orientierung.
2.1.2. Widersprüche im Postfordismus
Aus statistischen Daten ist ersichtlich, daß der Welthandel keine wesentlich neuen Qualitäten aufweist. Globalisierung kann also nicht eine Zunahme der internationalen Handelstätigkeiten bezeichnen. Der Kapitalexport und das (notwendigerweise) globale Agieren des Kapitals wurden bereits, wie eben gezeigt, in der traditionellen marxistischen Theorie beschrieben. Was ist dann das qualitativ Neue an der ökonomischen Globalisierung im Kapitalismus von heute?
Um diese Frage beantworten zu können, ist ein Blick auf die Veränderungen notwendig, die von rezenten Theorien dem Übergang vom Fordismus zum Postfordismus zugeschrieben werden.
Die mikroelektronische Revolution leitete eine neue Entwicklungsphase der kapitalistischen Gesellschaftsformation ein. Information in ihrer systematisierten, organisierten und integrierten Form des Wissens wurde neben Kapital und Arbeit zur entscheidenden Produktivkraft.
Mit der Verwissenschaftlichung der Produktion und der immer stärkeren Zunahme der Bedeutung der Produktivkraft Wissen werden wissenschaftliche Vorleistungen der Produktion, die Schaffung von Know-How durch Forschung und die Ausbildung qualifizierter ArbeiterInnen an Universitäten immer bedeutender. Die Wissenschaft ist "unmittelbare Produktivkraft" geworden (Marx 1857/58, Grundrisse, MEW Band 42, S. 602), schafft jedoch selbst keinen Wert. Das allgemeine gesellschaftliche Wissen spiegelt sich im fixen Kapital wider. Für dessen Fortschritt und Entwicklung sorgt die Wissenschaft, die "Initiator und Leiter der industriellen Praxis" (Kowarski/Minder 1978, S. 151) ist.
Die Kopfarbeit, das Wissen als Vorbedingung der Produktion, fließt nicht in ein einziges Produkt ein und muß nicht irgendwann durch Neukauf erneuert werden wie konstantes und variables Kapital, sondern es hat einen beständigeren Charakter: Es fließt in viele Produkte gleichzeitig ein (nicht nur innerhalb eines Betriebes, sondern in vielen Betrieben gleichzeitig), obwohl es nur einmal geschaffen werden muß, und es verbraucht oder verschleißt sich dabei nicht wie andere gegenständliche Produktionsvoraussetzungen. Wissen kann zu einem sehr geringen Preis quasi unendlich vervielfältigt werden (es wird also in der Form von Kopien billig reproduziert, muß aber selbst nicht reproduziert werden) und kann in digitaler Form mittels moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (I&K-Technologien) global sehr schnell verbreitet werden.
Diese Veränderung in den Rahmenbedingungen und der Infrastruktur der Warenproduktion werden immer bedeutender: In allen Industriestaaten zeigt sich ein Trend des sektoralen Strukturwandels: Der primäre Sektor Landwirtschaft nimmt ab, der sekundäre, warenproduzierende Sektor ist rückläufig, während der Dienstleistungssektor immer größer wird.
Software als kodiertes Wissen wird nur einmal erzeugt, dies entspringt aus den spezifischen Eigenschaften des Wissens als Gut, das nicht permanent neu erschaffen werden muß. Dabei vermitteln die ProgrammiererInnen die Erzeugung von Mehrwert. Dieser Mehrwert kann aber nur dadurch Selbstzweck, also sich verwertender Wert, sein, daß das Informationsprodukt industriell vervielfältigt wird. Die Vervielfältigung ist ein eigenständiger Prozeß, der erst nach der Erzeugung der Software erfolgen kann. In diese geht das kodierte Wissen als unvergängliche, nun quasi gratis zur Verfügung stehende Basis, die nicht erneuert werden muß, ein. Es fallen hier nur mehr das variable Kapital, mit dem die VervielfältigerInnen bezahlt werden, und das konstante Kapital (Disketten, CDs, Vervielfältigungsmaschinerie, usw.) als Kosten an. Nur durch diesen industriellen Prozeß kann die Mehrwertproduktion in Form einer Rückkopplung (G’ wird zu G, damit beginnt der Zirkulationsprozeß von neuem) zum Selbstzweck (12) werden. D.h., daß die Produktion des in der Software steckenden Wissens dem eigentlichen Akkumulationsprozeß vorgelagert ist. Die Akkumulation als ständige Reinvestition, um neue Waren derselben Art, d.h. eine bestimmte Software, in immer höherer Stückzahl zu produzieren und damit immer mehr Kapital zu erheischen, benötigt einerseits die einmalige Produktion des Wissens und andererseits den permanenten industriellen Vervielfältigungsprozeß. Der Preis einer Software entspricht nicht ihrem Arbeitswert, da Wissen nur einmal erzeugt werden muß und sehr günstig vervielfältigt werden kann. Einmal erzeugtes Wissen muß nicht permanent reproduziert werden, damit es genutzt und verwertet werden kann (13). All dies gilt nicht nur für Software, sondern auch für andere Informationsprodukte wie Videos, Filme, Musik, usw.
Bei jenen Dienstleistungen, bei denen ein Informationsprodukt entsteht, handelt es sich um produktive Arbeit im Marxschen Sinn (14), da sie zur Produktion von Mehrwert dient. Bei anderen Dienstleistungen (Bedienstete, öffentliche Verwaltung, staatliche Dienstleistungen wie Gesundheit, Bildung und Wissenschaft usw.) entsteht kein Produkt, das getauscht wird. Daher handelt es sich hier um unproduktive Arbeit, bei der kein Mehrwert produziert wird. Diese Arbeit hat vielmehr jene Bedeutung, daß sie die Basis und die Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation herstellt.
Heute werden vor allem in der Computerindustrie hohe Profite erzielt. Mit Intellectual Property Rights (IPR, z.B. Patente, Urheberrechte) versuchen Softwarefirmen, die exklusive Nutzung von geschaffenem Wissen für sich zu garantieren. Ein weiterer Mechanismus, um Profit mit Software zu realisieren, ist, daß von Softwarefirmen Lizenzen zur Nutzung einer Software vergeben werden.
Es liegt in der kapitalistischen Logik begründet, daß Unternehmen dem Zwang ausgesetzt sind, permanent die Produktivität zu steigern. Es ist also ein kapitalistischer Sachzwang, daß immer mehr Mehrwert in immer kürzerer Zeit produziert werden muß. Durch die Automatisierung sind immer weniger Menschen notwendig, um den Mehrwert zu produzieren. Gleichzeitig steigt durch den verstärkten Maschineneinsatz und das tendenzielle Unnötigwerden der menschlichen Arbeitskraft der Wert des konstanten Kapitals c relativ zu dem des variablen Kapitals v an. Dies bedeutet, daß die organische Zusammensetzung des Kapitals ansteigt.
Die menschliche Arbeitskraft wird im industriellen Bereich (und nicht nur hier) immer überflüssiger. Die Ausweitung des Dienstleistungssektors kann als eine Reaktion darauf verstanden werden, als ein Versuch, die freigesetzte Arbeitskraft zu absorbieren. Eine solche Kompensation erscheint jedoch unrealistisch, da auch der Dienstleistungsbereich Automatisierungstendenzen ausgesetzt ist (z.B. Internet-Reisebüro, Internetversand, E-Commerce, Online-Bankgeschäfte, Point of Sale- und Point of Interest-Applikationen). Eine einfache Kompensation ist auch deshalb auszuschließen, weil die freigesetzen Arbeitenden sehr unwahrscheinlich gerade die Kompetenzen haben, die für neu geschaffene Arbeitsplätze notwendig sind. Dies ist eine Frage der Qualifikation. In der derzeitigen Situation gibt es vor allem neue Arbeitsplätze im hochqualifizierten techno-wissenschaftlichen Bereich (ProgrammiererInnen, SystemanalytikerInnen, Multimediajobs usw.), während unqualifizierte und niedrig qualifizierte Arbeiten Opfer der Rationalisierung sind. Durch den technologischen Fortschritt kommt es zu einem tendenziellen Ende der durch den Menschen zu leistenden Arbeit. Dies ist eine Tendenz, denn eine Vollautomatisierung ist prinzipiell unmöglich, da selbst in einer vollautomatisierten Fabrik Kontroll-, Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten durch den Menschen zu leisten sind. Eine Automatisierung sozialer Tätigkeiten stößt außerdem auf technische Grenzen und auf ethische Bedenken. Die Versprechungen von Politikern sämtlicher Lager, Arbeit zu schaffen, erscheinen angesichts der permanenten Verminderung der durch den Menschen zu leistenden Arbeit illusorisch. Das tendenzielle Ende der Arbeit – eigentlich eine positive Entwicklung – tritt innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise seit den 70ern als eine zyklusunabhängige Massenarbeitslosigkeit zutage. Eine wirklich humane Nutzung der Aufhebungstendenz der Arbeit erscheint daher erstin einer postkapitalistischen Gesellschaft realisierbar.
Es läßt sich argumentieren, daß durch die mikroelektronische Revolution die Profitraten gefallen sind. Dies verweist auf das von Marx beschriebene Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate (p = ), einer der wesentlichen Ursachen von zyklischen Krisen der kapitalistischen Produktionsweise:
Durch Akkumulation wächst das Kapital. Trotz einer solchen absoluten Zunahme kann durch den Einsatz produktiverer Maschinerie v relativ zu c abnehmen, d.h., daß die organische Zusammensetzung des Kapitals steigt. Marx erläutert den tendenziellen Fall der Profitrate (kurz: TFPR) mit folgendem Beispiel: Durch die Entwicklung der Produktivkräfte wächst c relativ und absolut, die Rate des Mehrwerts wird als konstant angenommen. Im Lauf von 5 Zeitschritten stellt sich das in Tabelle 2 ersichtliche Ergebnis ein:
Die Profitrate fällt zeitlich. ist dabei konstant, würde jedoch m anwachsen, so auch c und v. Wenn also z.B. bei i=1 c1 und v1 doppelt so groß wären, also c1 = 100 und v1 = 200, so wäre auch m1 höher, z.B. m1=200. An der Profitrate würde dies aber nichts ändern, sie wäre noch immer . Dies zeigt, daß beim TFPR v relativ zu c fällt, obwohl die Kapitalmasse durchwegs steigen kann. Wenn also durch Akkumulation das Kapital wächst, also c und v absolut, kann die organische Zusammensetzung des Kapitals trotzdem steigen, wenn c auf Grund der technisch erhöhten Produktivität schneller wächst als v.
i |
ci |
vi |
|
1 |
50 |
100 |
|
2 |
100 |
100 |
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3 |
200 |
100 |
|
4 |
300 |
100 |
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5 |
400 |
100 |
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Tab. 2: Beispiel für den tendenziellen Fall der Profitrate (Marx, 1894, S. 221)
Marx erwartete vom TFPR die Verelendung der Massen, da immer mehr Menschen aus dem Prozeß der Warenproduktion ausgeschlossen würden, wodurch die Arbeitslosigkeit und die Armut zunehmen und die dermaßen proletarisierte Bevölkerung zur sozialen Revolution übergehen und die kapitalistische Produktionsweise aufheben würde. "Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die relative Überbevölkerung oder industrielle Reservearmee. Die zur Verfügung stehende Arbeitskraft wird durch dieselben Ursachen entwickelt, wie die Expansivkraft des Kapitals. Die verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums. Je größer aber die Reserve im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die ständige Überbevölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je größer endlich die Lazarusschicht der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle, amtlich anerkannte Pauperismus. Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation" (Marx 1867, S. 581f).
Marx betonte auch, daß es Gegentendenzen zum TFPR gibt: die Löhne v können absolut gesenkt werden, es kann versucht werden, das konstante Kapital zu verbilligen, die Methoden des absoluten und des relativen Mehrwerts sind anwendbar (z.B. Intensifikation der Arbeit durch Steigerung des Exploitationsgrades der Arbeit, etwa: ), der auswärtige Handel und der Absatz von Waren über ihrem Wert (dies erhöht die Profitrate) können gegensteuern (letzteres bedingt die ständige Ausweitung des kolonialen Absatzmarktes), das fixe konstante Kapital entwertet sich unbeständig oder das Kapital wird gewaltsam (z.B. durch Krieg) entwertet. Im vierzehnten Kapitel des 3. Buches des Kapitals beschreibt Marx diese Gegentendenzen detaillierter (siehe Marx 1894, S. 242-250). Ohne solche Gegentendenzen würde der Kapitalismus zusammenbrechen. Bisher zeig(t)en sich zwar zyklische Krisen des Kapitalismus, Gegentendenzen verhindern aber den Zusammenbruch.
Der TFPR ist genauso wie die von Marx so genannte "Anarchie der Produktion", d.h. die unkoordinierte Produktion nach Profitentscheidungen fernab des tatsächlichen Bedarfes, und die Unterkonsumption, d.h. eine Störung im Warenkapital W’, das nicht mehr in G’ verwandelt werden kann (z.B. auf Grund mangelnder Nachfrage oder Überproduktion), eine Ursache von zyklischen Krisen im Kapitalismus.
Ein Argument, das immer wieder gegen den tendenziellen Fall der Profitrate vorgebracht wird, ist, daß Marx den Mehrwert als konstant annahm, daß dies in der Realität aber nicht der Fall sei und daher das Gesetz falsch sei. Die Profitrate kann auch dargestellt werden als , indem Zähler und Nenner des Bruchs durch v dividiert werden. Dadurch zeigt sich, daß die Profitrate von der Rate des Mehrwerts und der organischen Zusammensetzung des Kapitals abhängig ist. Verändern sich diese beiden Größen oder zumindest eine davon, so hat dies auch Auswirkungen auf die Profitrate. Die Tendenz fallender Profitraten kann nun folgendermaßen argumentiert werden: Werden neue Maschinen eingesetzt, um lebendige Arbeitskraft zu ersetzen, so steigt c relativ zu v. Die organische Zusammensetzung des Kapitals steigt also. Durch die Automatisierung als Form der relativen Mehrwertproduktion steigt die Produktivität, der Mehrwert kann in kürzerer Zeit produziert werden. Es ist also weniger Arbeit notwendig, um den Mehrwert zu produzieren, d.h., daß auch die Rate des Mehrwerts steigt. Es kann nun argumentiert werden, daß bei einem Automatisierungsschub durch technische Neuerungen nach einiger Zeit die Maschinennachfrage zurückgeht. Der Durchschnittsmehrwert, der in Abteilung I (Produktion von Produktionsmitteln) realisiert wird, sinkt dadurch. Dadurch steigt die (durchschnittliche) Rate des Mehrwerts relativ langsamer an als die (durchschnittliche) organische Zusammensetzung des Kapitals. Der Zähler in der obigen Darstellung der Durchschnittsprofitrate wächst also langsamer als der Nenner und die Profitrate fällt. Auf diese Art kann also eine Tendenz fallender Profitraten erklärt werden (vgl. Krüger 1986) (15).
Wenn man diesen Argumentationen folgt, dann müssen durch die "digitale Revolution" die Profitraten gefallen sein. Trifft dies zu, so ist der tendenzielle Fall der Profitrate ein wesentliches Moment der seit den 70er Jahren stattfindenden großen und kleinen ökonomischen Krisen. Der TFPR kann übrigens nur theoretisch erklärt, aber nicht empirisch verifiziert werden, da die dafür notwendigen Daten volkswirtschaftlich nicht erhoben werden. Durch erhobene statistische Daten sind maximal Approximationen möglich.
Der Boom des Dienstleistungssektors kann auch als eine Reaktion auf die fallenden Profitraten im industriellen Bereich verstanden werden. Es soll versucht werden, Profit in anderen Bereichen zu realisieren. Wenn wir davon ausgehen, daß ein Zusammenhang zwischen dem TFPR und der "digitalen Revolution" besteht, so kann gesagt werden, daß das von Marx beschriebene Gesetz eine wesentliche Rolle in der Krise des Fordismus und dem Umbruch hin zum Postfordismus gespielt hat.
Charakteristisch für die fordistische Produktion und die tayloristische Arbeitsorganisation waren die Massenproduktion und der Massenkonsum. Durch Zeit- und Bewegungsstudien wurde versucht, die Abläufe und damit die Kapitalakkumulation zu optimieren. Charakteristisch war außerdem die Trennung von planender und ausführender Tätigkeit. Der Fordismus prägte den Kapitalismus nach dem 2. Weltkrieg wesentlich. Er entfaltete seine disziplinierende Wirkung durch die Drohung mit Kündigungen, was auch immer implizierte, daß ein Ende der Segnungen des Massenkonsums bevorsteht und daher konformes Verhalten begünstigte. Parallel zum Fordismus entwickelte sich der Keynesianismus: Der Staat griff lenkend in die Wirtschaft ein, und der Wohlfahrtsstaat wurde in unterschiedlicher Intensität in den kapitalistischen Zentren aufgebaut. Er war nicht nur Ergebnis der Klassenkämpfe der Arbeiterbewegung, sondern auch Zugeständnis des Kapitals, da die Effizienz – im Sinn der Quantität des produzierten Mehrwerts – des Taylorismus und des Fordismus dadurch gesteigert werden konnte, daß durch kollektive soziale Schutzmechanismen die physische und psychische Existenz sowie die Reproduktion der Arbeitenden garantiert wurde. Charakteristisch für den Keynesianismus sind die Sozialpartnerschaft als Instrument der Befriedung der Klassenwidersprüche und als institutionalisierte Form der Kompromißfindung, die staatliche Lohnpolitik (z.B. Kollektivverträge) und die Regulation der Kapitalflüsse. Im Abkommen von Bretton Woods wurde ein fixer Wechselkurs zwischen den einzelnen nationalen Währungen und dem Dollar, der als einzige Währung weiterhin an die Goldreserven gebunden blieb, vereinbart.
Die sich nach der Krise des Fordismus herausbildende Phase des Kapitalismus kann als Ära des Postfordismus und Neoliberalismus bezeichnet werden. Der Staat zieht sich als regulierende Instanz immer stärker aus der Ökonomie zurück und vermindert durch Sozialabbau die Qualität und Quantität der Eingriffe in den sozialen Bereich. Den ungehemmten Kräften des "freien" Marktes wird freier Lauf gegeben. Die neoliberale Ökonomie und Politik gehen vom sich selbst regulierenden Markt aus. Die permanente Verschärfung der globalen Probleme im Postfordismus zeigt, daß die neoliberale Ideologie offensichtlich die Lebensverhältnisse weiter Teile der Menschheit nicht verbessert, sondern immer mehr Menschen in prekäre Lebensverhältnisse abdrängt. Die doppelt "freien" Lohnarbeitenden sind zusätzlich immer mehr frei von jeder sozialstaatlichen Absicherung. Noam Chomsky hält es für ein Charakteristikum des Neoliberalismus, daß Menschen, die in prekären Verhältnisse leben, auf sich selbst gestellt werden, während der Staat Reiche und Unternehmen finanziell unterstützt: "Staatsprotektionismus und öffentliche Subventionen für die Reichen, Marktdisziplin für die Armen. Diese Ideologie ruft nach ‘Kürzungen bei den Sozialausgaben’ und Gesundheitskosten für die Armen und Älteren, verweigert Hilfen für Kinder und kürzt die Wohlfahrtsprogramme - für die Armen. Sie verlangt ebenfalls steigenden Wohlstand für die Reichen, auf die klassische Weise: zurückhaltende fiskalische Maßnahmen und vorbehaltlose Subventionen. Das erste meint steuerliche Ausnahmen für Unternehmen und die Wohlhabenden, Abschaffung von Kapitalertragssteuern usw., das zweite meint Zuschüsse aus Steuermitteln für Investitionen in Fabriken und Betriebsanlagen, bessere Abschreibungsmöglichkeiten, Zerschlagung des Regulationsapparates" (Chomsky/Dieterich 1999, S. 30).
Pierre Bourdieu sieht den Neoliberalismus nicht als fortschrittlich, sondern als Gefahr und einen konservativen Rückschritt, der sich progressiv präsentiert: "Der Neoliberalismus gibt sich als progressive Bewegung aus, dabei ist er eine zutiefst konservative Revolution. Es ist eine Restauration, die im Mäntelchen der Neuerung auftritt. Die neoliberale Botschaft ist konservativ: Arbeitet viel, ohne Garantie und Sicherheit! Es handelt sich um einen Rückschritt hin zum Unternehmertum des 19. Jahrhunderts" (Bourdieu 2000a).
Bourdieu charakterisiert die neoliberale Politik mit drei Prinzipien, von denen diese ausgeht: "Das neo-liberale Modell basiert auf drei Prinzipien. Zuerst: die Wirtschaft ist ein vom Sozialen getrennter Bereich, in dem Naturgesetze und universelle Gesetze herrschen, die die Regierungen nicht konterkarieren sollten. Das zweite Prinzip: Der Markt ist das optimale Mittel, um die Produktion und den Austausch in demokratischen Gesellschaften auf effektive und gerechte Weise zu organisieren. Das dritte Prinzip, das mehr konjunktureller Natur ist: Die Globalisierung erfordert eine Reduzierung der öffentlichen Ausgaben, vor allem im sozialen Bereich, soziale Rechte in den Bereichen Arbeit und Sozialversicherung gelten als kostenaufwendig und dysfunktional" (Bourdieu 1999).
Wenn der TFPR eine Rolle in der Krise des Fordismus gespielt hat, so kann argumentiert werden, daß die damit einhergehende Krise der Realakkumulation eine Suche nach alternativen Märkten für die Kapitalakkumulation mit sich brachte. Der Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods bedeutete die Freigabe der Wechselkurse. Dies begünstigt wiederum die Herausbildung des Spekulationsmarkts. Die Stagnation der Profitraten führte also seit den 70ern zur Entwicklung und zum Boom des fiktiven Kapitalmarktes. Darauf verweist Robert Kurz (siehe Kurz 1997; Kurz 1999, S. 728-748):
Seit den 80er Jahren hat sich demnach die Kapitalverwertung von der realen warenförmigen Akkumulations- und Zirkulationssphäre in den spekulativen Finanzmarkt (Aktien-, Immobilien- und Devisenspekulation) in der Form von "fiktivem Kapital" (Marx) verlagert. Von "fiktivem" Kapital, so Robert Kurz, kann gesprochen werden, da dabei ein Vorgriff auf in der realen Zirkulations- und Akkumulationssphäre noch nicht entstandenes Kapital erfolgt. Dies begünstigt wiederum die Krisenhaftigkeit des Postfordismus.
Es haben sich transnationale, globale Finanz- und Spekulationsmärkte herausgebildet, die den nationalen Notenbanken auf Grund der unglaublichen Masse an global in diesen neuen Märkten zirkulierendem Kapital eine ökonomische Intervention immer unmöglicher machen.
Das Entstehen dieser Märkte kann im Kontext des Übergangs vom Fordismus zum Postfordismus erklärt werden, da der Postfordismus eine vom IWF geförderte und geforderte Strategie der Deregulierung und des Abgehens von staatlichen Interventionen in die Ökonomie mit sich brachte, um den "freien" Markt weltweit durchzusetzen. Die Freigabe der Wechselkurse und der Fall von Kapitalverkehrskontrollen nach dem Zusammenbruch des Systems von Bretton-Woods spielten wiederum eine wesentliche Rolle bei der Ermöglichung von Spekulationen.
All dies kann als notwendige Bedingung für die Selbstvermehrung von spekulativem Kapital betrachtet werden. Eine wesentliche Ursache der Weltwirtschaftskrise waren wiederum die fallenden Profitraten, die Verlagerung hin zu fiktivem Kapital kann also im Zusammenhang mit der Krise der Realakkumulation gesehen werden. Ein Großteil des Geldhandels hat nichts mit dem Warentausch zu tun, der Spekulationsmarkt wird immer wichtiger und ist auch ein entscheidender Einflußfaktor der zyklischen Krisen im Kapitalismus.
"Gerade auf diesem Sektor des ‘fiktiven’ Kapitals ist die Globalisierung am weitesten vorangeschritten. Die mikroelektronische Revolution hat finanzielle Transaktionen unabhängig von Entfernungen und Zeitzonen in ‘Echtzeit’ möglich gemacht, weil ‘körperlose’ elektronische Buchungsimpulse im Unterschied zu realen Waren und Dienstleistungen keinerlei Kapazität und Zeit für Produktion und Transport benötigen" (Kurz 1997, S. 18). Die Globalisierung und damit verbunden I&K-Systeme spielen dabei also eine wesentliche Rolle.
Der Staat verändert sich im Postfordismus in dem Sinn, daß er zum nationalen Wettbewerbsstaat wird (vgl. Hirsch 1995, S. 103-121, 139-143). Durch die neoliberale Deregulierung der Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation wird die Drohung mit der Abwanderung für Konzerne immer einfacher. Resultat davon ist ein Wettbewerb der Nationalstaaten um für das Kapital möglichst günstige Standortbedingungen. Staatliche Politik wird daher immer mehr vom Diktat der Standortpolitik geleitet. Optimale Bedingungen für das Kapital bedeuten dabei immer prekärere Verhältnisse für die Lohnarbeitenden, Armen und Marginalisierten, da sich diese Optimalität nur durch den Wettbewerb um das Dumping der Arbeitsrechte und Sozialstandards herstellen läßt.
Im Postfordimus findet ein Übergang von der standardisierten Massenproduktion zur diversifizierten Qualitätsproduktion statt. Dabei stehen die Kundenorientierung und kleine Stückzahlen mit hoher Qualität, die durch eine flexible Fertigungsmaschinerie hergestellt werden, im Vordergrund. Wesentliche Schlagworte in diesem Zusammenhang sind Lean Production, Outsourcing und Just-in-Time-Produktion.
Als das technische Paradigma des Fordismus können Auto, Radio und Fernsehen betrachtet werden, als jenes des Postfordismus der Computer und I&K-Technologien. Durch moderne Kommunikationstechnologien verändert sich auch die betriebliche Organisation zusehends, da I&K-Technologien eine Delokalisierung im Sinn der Herstellung einer raum-zeitlichen Unabhängigkeit garantieren. Die Restrukturierung des Betriebes verläuft in Richtung von enthierarchisierten und dezentralisierten Produktionseinheiten, in denen Teamarbeit eine immer wichtigere Rolle spielt.
Im Kontext des Übergangs vom Fordismus zum Postfordismus läßt sich nun auch näher bestimmen, was eigentlich unter ökonomischer Globalisierung zu verstehen ist: Es kann gesagt werden, daß die derzeitige Form der Globalisierung kein Ergebnis einer seit Jahrzehnten bewußt durchgeführten falschen Regierungspolitik ist (wie Martin und Schumann (1996) in der "Globalisierungsfalle" argumentiert haben), sondern sie kann aus der Logik und der Produktivkraftentwicklung des Kapitalismus als eine Strategie des Kapitals zur Lösung der fordistischen Krise durch die Ausnutzung internationaler Standortvorteile begriffen werden. Die Krise des Fordismus beförderte geradezu eine neoliberale Standortpolitik mit all ihren sozialen Konsequenzen. Daß es sich hier um eine bestimmte Strategie des Kapitals handelt, die sich durchsetzen kann, weil und solange ihr keine Barrieren entgegengesetzt werden, widerspieglt sich in der Diskussion über die Globalisierung in der Neigung, mit immer neuen Präfixen langfristig reformierbare Ausformungen des Kapitalismus zu unterstellen: der "Kasinokapitalismus", der "Turbokapitalismus", der "Raubtierkapitalismus" (Helmut Schmidt), der "Killerkapitalismus", der "Mafiakapitalismus", der "unzivilisierte Kapitalismus" usw.
Die Nutzung von Standortvorteilen bedeutet die Möglichkeit, den Produktionsprozeß in unabhängig voneinander abwickelbare Teile zerlegen zu können, die jeweils dezentral erledigt und von einer Zentrale aus gesteuert werden. Jeder Teilprozeß kann in einem anderen Land durchgeführt werden, in dem die Verwertungsbedingungen des Kapitals für die entsprechende Aufgabe "optimal" im Sinne eines niedrigen konstanten und variablen Anteils des Kapitals und schlechtem Arbeitsrecht sind. Die Drohung mit der Abwanderung von Betrieben kann als die Antizipation von Arbeitslosigkeit, vermindertem Wachstum und geringeren finanziellen Mitteln des Staates verstanden wurden. Dadurch entsteht im Postfordismus eine potentielle Situation der Erpreßbarkeit.
Die transnationalen Konzerne (TNK) spielen heute eine wesentliche Rolle in der Weltökonomie. Aus den rund 7.000 TNK, die in den 60ern existierten, sind heute etwa 37.000 geworden. "Ihre Gesamtverkäufe haben ein größeres Volumen als alle Welthandelsexporte zusammen" (Chomsky/Dieterich 1999, S. 44). Bei der Internationalisierung des Kapitals waren bis in die 70er Jahre vor allem die Exportstrategie und die Multinationalisierung wesentlich. Bei der Exportstrategie vertreibt eine von einer Zentrale aus kontrollierte ausländische Niederlassung eines Konzerns das entsprechende Produkt. Bei der multinationalen Strategie sind die ausländischen Niederlassungen relativ autonom und versuchen eine selbständige Kontrolle der nationalen und regionalen Märkte. Als charakteristisch für den Postfordismus können die globale und die transnationale Strategie betrachtet werden (16). Bei der globalen versucht ein Konzern, sein Produkt weltweit durchzusetzen. Die Produktion erfolgt dezentral, eine wesentliche Rolle dabei spielt die Auslagerung (Outsourcing) von Teilen des Produktionsprozesses in Regionen, die für die entsprechende Aufgabe optimale Bedingungen bieten. Die transnationale Strategie läuft darauf hinaus, daß es global verteilte Unternehmen eines Konzerns gibt, die bei der Erzeugung eines vielfältigen Produktschemas zusammenarbeiten. Jedes Unternehmen spezialisiert sich dabei auf gewisse Aspekte und konzentriert sich auf die Vermarktung des Produktprogrammes des Konzerns in der Region, in der es angesiedelt ist. Globale und transnationale Strategie sind nicht zu trennen, TNK verfolgen zumeist beide.
Die ökonomische Globalisierung kann im Zusammenhang des Übergangs vom Fordismus zum Postfordismus und vom Keynesianismus zum Neoliberalismus gesehen werden. Globalisierung bedeutet dann auch die Deregulierung von Schranken wie Schutzzöllen und Steuern sowie von sozialen Sicherungssystemen. Wird die ökonomische Globalisierung im Kontext der Einheit eines Akkumulations- und Regulationsmodells erfaßt, so bezeichnet sie nicht eine Zunahme des internationalen Warenhandels, sondern vor allem die Schaffung neuer Rahmenbedingungen für die Verwertungsprozesse des Kapitals in der Form des zunehmenden Abbaus von institutionellen Schranken und Grenzen dieser Prozesse sowie die Internationalisierung des Kapitalverhältnisses , die sich als Triadisierung (Konzentrierung auf die drei großen Wirtschaftsregionen Europa, USA und Südostasien) des Welthandels und des Kapitalexports in Form ausländischer Direktinvestitionen zeigt. Die marxistische Imperialismustheorie ist heute noch ein brauchbares Instrument, um sinnfällig zu machen, daß die ökonomische Globalisierung ein dem Kapitalismus innewohnender Prozeß ist. Das qualitativ Neue an der ökonomischen Globalisierung jedoch ist, daß es zu einer Deregulierung der im Fordismus gesetzten Schranken der Kapitalakkumulation kommt und daß sich eine Triadisierung des Welthandels einstellt. Der Weltmarkt verändert sich nicht quantitativ durch eine wesentliche Zu- oder Abnahme des Welthandels, sondern qualitativ durch einen Konzentrationsprozeß des Handels auf große ökonomische Räume, die durch Freihandelsabkommen wie die EU, NAFTA oder APEC entstanden sind. Da die ökonomische Globalisierung eben nicht ausschließlich ökonomisch zu begreifen ist, sondern Aspekte der Regulation eine wesentliche Rolle spielen, eignet sich zur Darstellung des Übergangs vom Fordismus zum Postfordismus ein Modell, das eine Phase des Kapitalismus durch eine Einheit von Akkumulations- und Regulationsmodell darzustellen versucht. Ein solcher Ansatz wird von der marxistisch inspirierten Richtung der Regulationstheorie gegangen (vgl. Aglietta 1979, Fuchs 2000b, S. 181ff, 2001a; Hirsch 1995; Lipietz 1992, S. 2 ff; Lipietz 1977, 1985, 1987, 1998).
Die ökonomische Globalisierung als dem Kapitalismus immanenter Prozeß hat einen dialektischen Charakter. Es geht dabei um das Verhältnis von Konkurrenz und Monopol. Die Tendenz zur Monopolisierung und Kapitalkonzentration kann nur auf der Basis einer Konkurrenzwirtschaft erfolgen. Gleichzeitig ist die Monopolisierung ein Mittel, um das Konkurrenzprinzip in der Weise auszunutzen, daß bestimmte Teile des Gesamtkapitals Vorteile aus dem Ruin anderer ziehen. Konkurrenz und Monopol bedingen und widersprechen einander. Ein Spezifikum der ökonomischen Globalisierung im Postfordismus besteht nun wie erwähnt darin, daß das Verhältnis von Monopol und Konkurrenz sich in dem Sinn gestaltet, daß ein qualitativ neuer Schub der Konzentration des Welthandels und des Kapitalexports eintritt.
Diese Dialektik der ökonomischen Globalisierung im Kapitalismus ist eine spezifische Ausprägung der allgemeinen Dialektik der Globalisierung, die für die Menschheit und damit für jede Gesellschaft spezifisch ist. Im Kapitalismus nimmt sie jedoch antagonistische Züge an und kann nur auf der Basis von antagonistischen Verhältnissen existieren. Bei diesen widersprüchlichen Beziehung handelt es sich z.B. um Widersprüche zwischen Klassen, zwischen Arm und Reich, zwischen Besitzenden und Besitzlosen sowie zwischen der Produktivkraftentwicklung und den Produktionsverhältnissen. Die kapitalistische Dialektik der ökonomischen Globalisierung entfaltet sich nur mit und durch diese Widersprüche. Die allgemeine Form der Dialektik findet durch die Konstitution in einer von Antagonismen geprägten Gesellschaft ihre Ausprägung in einer antagonistischen Dialektik.
2.2. Die Möglichkeit der Aufhebung ökonomischer Antagonismen im Globalisierungsprozeß
Die Dialektik der ökonomischen Globalisierung bewirkt heute – nämlich unter kapitalistischen Vorzeichen – eine Verschärfung der globalen Probleme. Sollen diese Probleme kein Hindernis für die weitere gesellschaftliche Entwickluing darstellen, so erscheint es unerläßlich, daß die bestehenden gesellschaftlichen Antagonismen aufgehoben werden, wodurch die dialektische Globalisierung in reiner Form zum Durchbruch käme.
Eine auf der Aufhebung der großen ökonomischen Widersprüche basierende Ökonomie hätte weiterhin eine globale Dimension, da eben jede Ökonomie von der allgemeinen Dialektik der Globalisierung geprägt wird. Eine solche Ökonomie wäre aber nicht notwendigerweise eine, die durch Antagonismen konstituiert wird. Ökonomisches Handeln jenseits von Konkurrenzverhältnissen, Tauschwertvergesellschaftung, Mehrwertproduktion und Profitprinzip würde dabei eine zentrale Bedeutung zukommen. Eine Assoziation freier Produzenten, die sich soldidarisch und durch Kooperation aufeinander beziehen, wäre somit vorstellbar.
Eine Vision, die von immer mehr Menschen als Reaktion auf den Neoliberalismus geteilt wird, ist eine Umkehr der Dominanzverhältnisse in dem Sinn, daß Kultur und Politik durch eine Orientierung am dialektischen Prinzip der Einheit in der Vielfalt enger zusammenrücken und die Dominanz der Ökonomie aufheben. Dabei ist aber nicht nur die vor allem in linken Kreisen immer populärer werdende Version des Neokeynesianismus in Betracht zu ziehen, vorstellbar ist auch eine Politik im Sinn der unmittelbaren Selbstbestimmung der Menschen. Eine solche Politikversion könnte als eine Form der sozialen Selbstorganisation (vgl. Fuchs 2000b, 2001a) betrachtet werden.
3. Politische Globalisierung
3.1. Die antagonistische Dialektik der Politik im kapitalistischen Weltsystem
Wir gehen davon aus, daß Politik als die institutionalisierte Form der Entscheidungsfindung in der Gesellschaft früher oder später eine globale Dimension bekommt. Dies deshalb, weileinzelne politische Einheiten in ihren Entscheidungen nicht autonom sind, sondern viele Entscheidungen von anderen Einheiten (17), die ebenfalls von diesen Fragen betroffen sind, abhängen. Eine Bezugnahme aufeinander und der Versuch, anstehende Entscheidungen mit Bezug auf außerhalb der eigenen politischen Einheit organisierte Menschen zu lösen, wird dadurch notwendig. Diese Bezugnahme muß nicht notwendigerweise eine kooperative sein, sondern kann auch militärische Formen der Auseinandersetzung umfassen.
Das moderne, auf wirtschaftlichem Gebiet hergestellte kapitalistische Weltsystem ist ein globales komplexes System, in dem viele Entscheidungen eine globale Reichweite erlangt haben. Dies heißt nicht, daß sämtliche von den anstehenden und zu lösenden Fragen Betroffenen an diesen Entscheidungen partizipieren können. Ganz im Gegenteil, es zeigt sich eine Hegemonie der westlichen Industriestaaten, und dabei insbesondere der USA, was den Einfluß auf globale politische Entscheidungen betrifft.
Das einheitliche, aber durch Antagonismen gespaltene kapitalistische Weltsystem ist auch im Politischen von antagonistischen Interessengegensätzen geprägt. Diese Gegensätze und unterschiedlichen Vorstellungen betreffen nicht nur die globale Dimension, sondern vielmehr auch grundsätzliche Interessenswidersprüche zwischen politischen Vorstellungen einzelner Klassen. Für den Kapitalismus ist dabei der ökonomisch begründete und sich in der politischen Organisationsweise fortsetzende Widerspruch zwischen Kapital und Lohnarbeit charakteristisch. Aber auch einzelne Klassen stellen keine homogenen Interessensgemeinschaften dar, sondern sind intern fragmentiert. So geht z.B. Nicos Poulantzas (1978) davon aus, daß die Klassen Fraktionen aufweisen. Erst der Staat stelle die Einheit der im Inneren zerstrittenen Kapitalisten her. Er eine die zersplitterten Kapitalfraktionen und organisiere den "Block an der Macht". Dabei handelt es sich um die hegemonialen Klassen und Klassenfraktionen. Es kann also auch von Widersprüchen und Interessenskonflikten innerhalb der Klassen gesprochen werden.
Die großen politischen Antagonismen bestehen demnach in den Interessenskonflikten zwischen verschiedenen Klassen, in den internen Konflikten von Klassenfraktionen, den globalen politischen Interessenskonflikten (z.B.zwischen unterschiedlichen Vorstellungen, in welche Richtung sich die Einheit von kapitalistischem Akkumulations- und Regulationsmodell entwickeln soll) und in den weltweiten Auseinandersetzungen zwischen den Herrschenden und den Ausgebeuteten und Unterdrückten, egal, in welchem Land sie sich befinden. Diese antagonistische Form der Dialektik ist die Ausprägung einer allgemeinen Dialektik, die sich in jeder Gesellschaft findet, unter kapitalistischen Vorzeichen. Im Zeitalter der Globalisierung äußert sich diese Dialektik in einer Veränderung verschiedener Territorien und Räume, die mit der politischen Entscheidungsfindung in den Gesellschaften verbunden sind. Exemplarisch wollen wir hier die Veränderungen in der Funktion und der Struktur des Nationalstaates und der Metropolen sowie die Entstehung eines neuen sozialen Raums, des virtuellen Raums, betrachten.
3.1.1. Die Nationalstaaten im Widerspruch
Die Entwicklung des Kapitalismus war untrennbar mit der Ausbildung des modernen Territorialstaats verbunden. Das klar national begrenzte Territorium und die Konstruktion nationaler Identitäten wurden zu Instrumenten, um die Bevölkerung zu kontrollieren und ideologisch für die Logik des Kapitals empfänglich zu machen. Die institutionellen Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation wie Gesetze, Wahlen, Verwaltung, Forschung oder repressive Apparate waren nur durch eine nationale Beschränkung des Territoriums organisierbar.
Zumindest der ökonomische Raum ist im Kapitalismus einer, der prinzipiell nur als globaler funktionieren kann. Der globale ökonomische Raum ist wesentliches Funktionscharakteristikum der kapitalistischen Produktionsweise. Der Fordismus zeichnete sich noch durch den Versuch der regulativen Beschränkung des ökonomischen Raums und der Kapitalakkumulation aus. Typisch dafür war der Versuch der Konstruktion von teilweise begrenzten Nationalökonomien durch Ein- und Ausfuhrzölle. Im Postfordismus und Neoliberalismus wird der Strukturierung des ökonomischen Raumes entsagt, durch den Freihandel und die entsprechenden Abkommen, die Räume des Freihandels konstituieren helfen (NAFTA, EU, APEC usw.), wird der Logik der unbeschränkten globalen Kapitalflüsse freies Spiel gelassen.
Marco Revelli (1999) meint, daß die Kommunikationstechnologie eine Trennung der Konzerne vom territorialen Hinterland ermöglicht. Das multinationale Unternehmen sei noch mit der territorialstaatlichen Nation verbunden gewesen, das transnationale Unternehmen sei heute hingegen eng verwoben mit einer globalen Räumlichkeit. Heute würden an einem Ort viele Normensysteme gelten, die jedoch an entfernten Punkten festgelegt werden. Bei der Ermöglichung dessen spielen die Entbettungsmechanismen der Moderne und die Herstellung von raum-zeitlicher Entfernung sozialer Beziehungen eine wesentliche Rolle.
Es wurde bereits erwähnt, daß sich der kapitalistische Staat durch die Globalisierungsprozesse der Moderne verändert. Im Postfordismus ist dabei, wie bereits gesagt, die Herausbildung des, wie er genannt wird, Nationalen Wettbewerbsstaates von Bedeutung. Die einzelnen Staaten treten miteinander in Wettbewerb um die günstigsten Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation. Jener Staat, der die Deregulierung und den Sozialabbau am meisten vorantreibt, kann mit dem Wohlwollen des internationalen Kapitals und den sich daraus ergebenden Investitionen und Betriebsansiedlungen rechnen. Die staatliche Politik konzentriert sich "zunehmend darauf, einem global immer flexibler agierenden Kapital in Konkurrenz mit anderen Staaten günstige Verwertungsvoraussetzungen zu verschaffen" (Hirsch 1995, S. 103). Durch die Möglichkeit, daß Unternehmen permanent mit ihrer Abwanderung drohen können, steht ihnen ein Mechanismus zur Verfügung, mit dem die Belegschaften und Gewerkschaften erpreßbar in der Hinsicht gemacht werden sollen, daß sie jedes Diktat des Kapitals widerstandslos akzeptieren, und mit dem die staatliche Politik zum Dumping der arbeits- und sozialrechtlichen Standards, zur Senkung der Lohnnebenkosten und der Unternehmenssteuern sowie zur Flexibiliserung der Arbeitszeit im Rahmen des internationalen Standortwettbewerbs gezwungen wird.
Der Staat verändert seine innere Organisation im Postfordismus nicht grundsätzlich, aber er greift immer weniger regulierend in die Nationalökonomie ein, was im Fordismus für die Ermöglichung des Massenproduktions- und Massenkonsummodells notwendig war. In der äußeren Dimension des Staates zeigt sich eine neue Qualität: Er wird zum nationalen Wettbewerbsstaat. Nationalstaaten beziehen sich im Postfordismus im Rahmen einer konkurrierenden Standortpolitik aufeinander. Der Staat ist heute der Nachtwächter der Kapitalakkumulation, der ideale Rahmenbedingungen dafür herstellt. Die transnationalen Konzerne sind heute die wesentlichen ökonomischen Akteure, der Einfluß der Nationalstaaten auf ökonomische Entscheidungen, die von globaler Bedeutung sind, wird immer geringer. Das Leben der Weltbevölkerung wird heute immer mehr von Entscheidungen gelenkt, die tausende Kilometer entfernt in den Schaltzentralen der transnationalen Konzerne des Weltsystems getroffen werden.
Es ist unzutreffend, wenn angenommen wird, daß der nunmehrige nationale Wettbewerb eine Schwächung oder gar das Ende des Nationalstaates bedeutet. Vielmehr läßt sich beobachten, daß der Staat sein repressives Instrumentarium im Postfordismus ausbaut und damit eine weitere Durchstaatlichung der Gesellschaft vorangetrieben wird, um die sich permanent verschärfenden sozialen Konflikte – notfalls mit Gewalt – in Zaum zu halten und die Reproduktionsfähigkeit des kapitalistischen Weltsystems nicht zu gefährden. Der Staat wird immer mehr zum Überwachungsstaat. Symptomatisch dafür sind der sogenannte Lauschangriff, die Rasterfahndung, der Ausbau der Befugnisse der Geheimdienste und der Polizei, die alle Lebensbereiche durchdringende Erfassung und Verarbeitung persönlicher und öffentlich erfaßbarer Daten (18), (Chip- und Bankomatkarten, Videoüberwachungen im öffentlichen Raum, Mautsysteme, digitaler Zahlungsverkehr, E-Commerce usw.), das Dichtmachen der Grenzen für Flüchtlinge, der mediale und staatliche Feldzug gegen die als potentielle Kriminelle konstruierten Illegalisierten, die Law-and-Order-Politik mit Strafverschärfungen und dem Ausbau des Gefängnissystems.
Bei aller Souveränitätseinbuße gegenüber außerstaatlichen Akteuren oder überstaatlichen Regionalisierungen bleibt festzuhalten: Ein Ende des Staates oder seine Schwächung durch die ökonomische Globalisierung ist zumindest insofern nicht absehbar, als die folgenden grundsätzlichen Funktionen des Staates im Kapitalismus erhalten bleiben:
3.1.2. Die Städte im Widerspruch
Die Stadt, wie wir sie heute kennen, entwickelte sich als Ort des Handels mit der Herausbildung des modernen Kapitalismus. Durch die ökonomische Globalisierung ändert sich der Stellenwert der Stadt in der Gesellschaft. Plätze, die für das Kapital attraktiv sind, müssen heute nicht notwendigerweise Städte sein, die eine entsprechende Infrastruktur bieten. Durch die Möglichkeit des Outsourcings und die Zerlegung des Produktionsprozesses in zwar voneinander abhängige, aber unabhängig voneinander herstellbare Einheiten, wird es möglich, daß an jedem beliebigen Ort der Welt produziert wird. Ausgewählt werden jene, an denen die Verwertungsbedingungen des Kapitals optimal sind. Sind die Steuern oder Arbeitskosten in New York zu hoch, so wird die Produktion eben auf die Cayman Islands oder sonstwohin verlagert. In Zukunft werden Großstädte möglicherweise nicht notwendigerweise die bedeutendsten Zentren des Handels und der Finanzwelt sein.
In der globalisierten, postfordistischen Ökonomie sind die äußeren Charakteristika einer Stadt oder eines Raumes wie Lebensweise, Kultur, Sehenswürdigkeiten und Verbauung nicht ausschlaggebend dafür, welche Rolle und welche Bedeutung die Stadt bzw. der Raum in der Weltgesellschaft einnimmt. Für das Kapital zählt einzig die Funktion, die der Ort in der Kapitalakkumulation spielen kann. Bietet er optimale Bedingungen, so werden die Investitionen nicht ausbleiben und der Aufstieg zu einer bedeutenden Region des Kapitalismus steht möglicherweise in Aussicht. Die Bedeutung mißt sich dabei jedoch vorwiegend in ökonomischen Kategorien.
Die globalen Städte wie New York, London, Tokyo, Paris, Frankfurt, Zürich, Amsterdam, Los Angeles, Sydney, São Paulo, Mexiko City und Hong Kong zeichnen sich derzeit dadurch aus, daß sie die Kommandozentralen der Kapitalakkumulation sind. Sie sind Kommandostellen in der Organisation der Weltökonomie, Marktplätze und Standorte der führenden Industrien und Produktionsräume für die Innovationen dieser Industrien (Sassen 1998, S. 180, vgl. auch Sassen 1991).
Die globalen Städte sind im Gegensatz zu unterentwickelten Regionen reich an Infrastruktur. Aber auch in diesen Städten gibt es ein Gefälle, eine Geographie mit Unterschieden von Zentralität und Marginalität. Eine globale Stadt differenziert sich also intern wiederum in zentrale und marginale Räume. Es könnte gesagt werden, daß die Weltökonomie in dem Sinn fraktalisiert und selbstähnlich wird, daß sich die Unterschiede zwischen entwickelten und unterentwickelten Räumen, jene Geographie also, die sich durch Dominanz auf der einen und Marginalität auf der anderen Seite auszeichnet, in den Städten der entwickelten Räume und Staaten reproduziert.
Die flexiblen, mobilen und hochqualifizierten Führungskräfte der Kapitalakkumulation und der ökonomischen Globalisierung, also das global agierend Management, haben ihren Lebensmittelpunkt nicht mehr notwendigerweise ausschließlich in einer Stadt oder Region, sondern in mehreren globalen Städten und/oder Regionen. Durch die modernen Vernetzungstechnologien können sie von jedem beliebigen Punkt der Erde aus jene Entscheidungen treffen, die die Kapitalakkumulation organisieren. Ihre Lebensweise hebt sich hinsichtlich Stil, Kleidung, Vorlieben, Gewohnheiten und Verhaltensweisen ganz deutlich von jenen der lokalen und regionalen Bevölkerungen ab. Der flexible Unternehmer, der in der Business-Class von einer Sitzung oder Konferenz in einer globalen Region zur nächsten eilt, bekommt von all jenen Prozessen, die das lokale Leben prägen, von der immer stärkeren Ghettoisierung weiter Teile des Globus und von den immer prekäreren Lebensverhältnissen großer Teile der Weltbevölkerung, nichts mit. Für ihn erscheint jede Region und jede Stadt tendenziell gleich, sein Leben spielt sich zu einem guten Teil zwischen den global gleich anmutenden Flughafenlounges, Hotels und Konferenzräumen ab.
Es zeigt sich, daß die Unterschiede zwischen Arm und Reich im Postfordismus immer größer werden. In den Großstädten verdeutlichten sich die Differenzen zwischen Arm und Reich seit jeher ganz klar durch die Gegebenheiten des Raumes. Die gepflegten und einen ansehnlichen Eindruck erweckenden Viertel und Businesskomplexe einerseits und die heruntergekommenen, verfallenen, ungepflegten und slumartig anmutenden Häuser und Stadtteile andererseits. Auch die Vermischung von beidem war immer deutlich ersichtlich. Durch die Verschärfung der globalen Probleme im Postfordismus driften diese Unterschiede in den Städten weiter auseinander. Eine neue Qualität dabei ist jedoch, daß versucht wird, das Leid und die Armut zu devisualisieren. Reiche Stadtteile werden immer häufiger von Polizei und privaten Sicherheitskräften abgeriegelt, eine klare Trennung und Unterscheidbarkeit zwischen Reich und Arm soll territorial hergestellt und fixiert werden. Obdachlose, Bettler, Drogensüchtige und Arme werden von gewissen Plätzen vertrieben, damit das heile Bild der Welt, das durch Medien und Kapital in der Reklame präsentiert wird, in den Zentren des Konsums für die freien KonsumentInnen, die einzig in dem Sinn frei sind, daß sie die Objekte des Konsums frei auswählen können, nicht getrübt wird. Die Armut wird in eigene Stadtteile verbannt, wo sie für Außenstehende möglichst unsichtbar gehalten werden soll und wo sie den Konsum und das permanent vermittelte Bild des Kapitalismus als bester aller Gesellschaftsformen nicht stören soll. Erst- und Drittweltverhältnisse vermischen sich in den Zentren des Kapitalismus immer deutlicher, sie werden aber auch immer intensiver voneinander abgeschottet.
3.1.3. Der virtuelle Raum im Widerspruch
Durch die weltweite Vernetzung und die dezentrale Struktur der Verknüpfung von Netzwerkknoten im Internet entsteht ein neuer technischer Raum, der virtuelle Raum. Nur ca. 1 % der Weltbevölkerung hat Zugang zum Internet, dies sind hauptsächlich weiße, männliche Amerikaner. Es kann daher argumentiert werden, daß sich die bestehenden gesellschaftlichen Macht-, Herrschafts- und Besitzverhältnisse auch im virtuellen Raum reproduzieren. Es besteht also eine Verbindung zwischen den realen sozialen, politischen und ökonomischen Räumen und dem virtuellen Raum.
Saskia Sassen (1998) argumentiert, das dezentrale Internet führe zu neuen virtuellen und real-räumlichen Zentralisierungen und Segmentierungen: Die mächtigsten und infrastrukturell weit überlegenen Räume seien die Finanzzentren des Kapitalismus wie New York, London, Tokyo, Paris, Frankfurt, Zürich, Amsterdam, Los Angeles, Sydney und Hong Kong (Sassen 1998, S. 182). Weniger entwickelte Regionen haben kaum Anteil an der angeblich "virtuellen Gemeinschaft", dies bedeute ungleiche Zugangsbedingungen und -geographien. Die virtuell dezentralen Zentralen fungieren als strategische Punkte des Weltmarktes und Marktplatz der führenden Industrien. Globale Ökonomie und globale Kommunikation können in Bezug auf das Internet somit vor allem als ein Ausdruck asymmetrischer Machtverteilung betrachtet werden.
Der virtuelle Raum ist dieser Argumentation folgend also hochgradig segmentiert in Herrschaftszentren mit vielen bedeutenden Knotenpunkten und peripheren virtuellen Punkten und in Orte, die eine untergeordnete virtuelle Rolle spielen und wenige oder keine Knotenpunkte enthalten. Es zeigt sich eine neue Geographie der Macht und Zentralität im realen und elektronischen Raum: "The sharpening inequalities in the distribution of the infrastructure for electronic space, whether private computer networks or the Net, in the conditions for access to high-powered segments and features, are all contributing to new geographies of centrality on the ground and in electronic space" (Sassen 1998, S. 178).
3.2. Die Möglichkeit der Aufhebung politischer Antagonismen im Globalisierungsprozeß
Politische Globalisierung bezeichnet nicht nur über den Nationalstaat hinausgehende, überstaatliche politische und militärische Bündnisse herrschender politischer und ökonomischer Gruppen (z.B. G8, UNO, Weltsicherheitsrat, NATO, Weltbank, IWF, OECD, WHO) mit dem Ziel, ökonomische Interessen abzusichern, sondern meint insbesondere auch die durch die soziale, kommunikative und technische Vernetzung gegebene Möglichkeit der gemeinsamen politischen Organisierung von raum-zeitlich entfernten marginalisierten und unterdrückten sozialen Gruppen.
Weltinnenpolitik ist nicht (bloßes) Aggregat der staatlichen Außenpolitiken, sondern es betreten (darüber hinaus) neue politische Akteure das Parkett der internationalen Beziehungen: die internationalen Nichtregierungsorganisationen, die Speerspitzen der neuen sozialen Bewegungen, in welchen sich die Zivilgesellschaft globalisiert. Kössler und Melber definieren diese als "ein Netzwerk von Organisationen und informellen Zusammenhängen, das geeignet ist, als Widerlager und Widerpart gegenüber dem jeweiligen Staatsapparat aufzutreten" (Kössler/Melber 1993, S. 93). Szusza Hegedus, langjährige Mitarbeiterin Alain Touraines, stellt für die 80er Jahre im Vergleich noch zu den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts einen Transnationalisierungsschub der neuen sozialen Bewegungen fest. Diese adressierten direkt planetare Belange und forderten die Problemlösung auf einem globalen Niveau heraus. Gemeint sind Bewegungen wie die für Frieden und Abrüstung, die Ökologiebewegung, die gegen die südafrikanische Apartheid oder die Kampagnen gegen den Hunger (Hegedus 1990, S. 276). Welchen Einfluß derartige Weltbürgerinitiativen ausüben können, macht Ulrich Beck am von Greenpeace 1995 ausgelösten Boykott des Ölkonzerns Shell deutlich (Beck 1997, S. 121-127).
Einseitig erscheint sowohl die Dämonisierung der Globalisierung als auch ein unkritischer Fortschrittsoptimismus, der die Augen vor ihren negativen Auswirkungen verwschließt. Die ökonomische Globalisierung des Kapitalismus, die wir derzeit in seiner postfordistischen Phase erleben, verschlechtert die Lebensverhältnisse weiter Teile der Weltbevölkerung. Die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt nicht nur zwischen Erster und Dritter Welt zu, sondern zeigt sich auch immer drastischer und intensiver in den kapitalistischen Metropolen selbst. Ein wesentlicher Aspekt der Dialektik der Globalisierung ist nun aber, daß die Globalisierung in ihrer technischen und politischen Dimension auch Chancen auf gesellschaftliche Veränderung durch die globale Vernetzung gesellschaftlicher Subjekte, die der permanenten Zunahme der Prekarisierung der Lebensverhältnisse ausgesetzt sind, bietet.
Es stimmt zwar, daß sich Macht- und Herrschaftsverhältnisse sowie gesellschaftliche Ungleichheiten im Internet als virtuelle Segmentierungen reproduzieren. Was die Partizipationschancen im Internet betrifft, treten bipolare Spaltungen zwischen Arm/Reich, Westen/Entwicklungsländer, Mann/Frau, Gebildet/Ungebildet, Mächtig/Machtlos, usw. auf. Es gibt Ungleichheiten in Bezug auf die Verteilung von notwendigen Basisressourcen und Netzwerkknoten, im Eigentum von technischen Voraussetzungen, in der Geschlechter-, Sozial-, Kompetenz- und Qualifikationsstruktur der UserInnen und im Eigentum von Waren, die über das Internet transportiert und gehandelt werden. Nichtsdestotrotz können sich Neue Soziale Bewegungen das Internet für ihre eigenen Zwecke aneignen. Es handelt sich zwar um einen herrschaftsförmigen virtuellen Raum, der durch etliche Asymmetrien gekennzeichnet ist, aber trotzdem gibt es darin, genauso wie in der realen Gesellschaft, Nischen für alternative Tätigkeiten.
Die von Antagonismen geprägte politische Globalisierung kann im Sinn von Deleuze und Guattari (1977) aber auch als die Emergenz emanzipatorischer sozialer Netzwerke verstanden werden, deren Teile gegen die prekären Lebensverhältnisse im Zeitalter des Postfordismus und des Neoliberalismus gemeinsam alternative gesellschaftliche Perspektiven entwickeln und in der Praxis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen umsetzen. So könnte eine Aufhebungsbewegung der bestehenden Verhältnisse entstehen (20).
Vernetzte, emanzipatorische soziale Bewegungen müssen nicht homogene Interessen haben und auf eine Homogenisierung ihrer Politik abzielen, um eine gemeinsame politische Perspektive zu erlangen. Sie müssen auch nicht auf ein Zulassen aller möglichen politischen Richtungen – ein anything goes – innerhalb ihres rhizomatischen Netzwerkes hinarbeiten. Vielmehr können sie einerseits die Unterschiede in ihren politischen Herangehensweisen und Vorstellungen sowie in der Ausprägung in ihren spezifischen lokalen und regionalen politischen Situation betonen und andererseits aber nichtsdestotrotz gleichzeitig eine gemeinsame Perspektive entwickeln, indem sie das Verbindende betonen, herausarbeiten und als ein Leitbild der politischen Praxis verwenden.
Die Kulturwissenschaftler Steven Best und Douglas Kellner (1997) sehen eine solche politische Position als Synthese von moderner und postmoderner Politik. Es sei eine Einheit von Herangehensweisen der "modernen Politik" wie die Betonung von Solidarität, Allianzen, Konsens, universellen Rechten und einer Makropolitik sowie von Herangehensweisen der "postmodernen Politik" wie die Betonung von Differenz, Pluralität, Multiperspektivität, Identität und einer Mikropolitik notwendig. Eine solche Dialektik von Moderne und Postmoderne könne bei der Lösung der großen politischen Probleme fruchtbar sein.
4. Kulturelle Globalisierung
4.1. Die antagonistische Dialektik der Kultur im kapitalistischen Weltsystem
Kulturen bezeichnen Lebensformen menschlicher Gemeinschaften, die für die an ihnen teilhabenden Individuen Sinn stiften und an einem unverwechselbaren Amalgam von Werten, Ideen, Einstellungen, Meinungen usw. deutlich werden. Diese Lebensformen bestehen im Stil, wie mit der Kreation eigener Ideen in den schöpferischen Meinungsstreit der Gesellschaft über das Gute, das Schöne, das Gerechte, über das Wahre und über das Nützliche eingegriffen wird, ein Stil, der dann in materiellen Werten – den sogenannten Kulturgütern – sein Resultat findet, vergegenständlicht wird und zum Ausdruck kommt.
Genauso wie die Bereiche Ökonomie und Politik entwickelt der Bereich der Kultur im Lauf der Entwicklungsgeschichte der Gesellschaften eine globale Dimension. Kulturen bestehen nicht, indem sie sich dauerhaft isolieren, sondern indem sie sich aufeinander beziehen. Dabei müssen diese Bezugnahmen nicht notwendigerweise positiven Charakter tragen, es kann sich auch um negative handeln. Beispiele dafür sind der Kolonialismus oder die Hegemonie der US-Kultur.
Zum antagonistischen Charakter des kapitalistischen Weltsystems in Ökonomie und Politik passen Antagonismen im kulturellen Bereich. Sie äußern sich im Clash des Universalismus in Form des Liberalismus bzw. Imperialismus des Westens bzw. Nordens, wie er von seinen Parteigängern bzw. seinen Gegnerinnen genannt wird, mit dem "Fundamentalismus" und mit postmodernen Ideologien, in welchen beiden Gestalten der Relativismus auftritt. Denn die Fragestellung lautet: Ist das, was mit der Globalisierung entsteht, etwas Homogenes, etwas Fragmentiertes oder etwas Emergentes und was soll es sein? Wie entwickelt sich das Verhältnis der Gesellschaften zueinander und zur Weltgesellschaft, und wie soll es sich entwickeln?
Angesichts dessen, daß sie sich wie das Viele zum Einen verhalten, kann gefragt werden: Ist das Eine das Gemeinsame des Vielen? Soll die Weltgesellschaft als gemeinsamer Nenner aus den verschiedenen Kulturen hervorgehen? Ist das Allgemeine nichts als das Gemeinsame des Besonderen und das Besondere im Kern ein Allgemeines? Oder ist eines der vielen das Eine bzw. sind die Vielen Summanden des Einen? Soll eine der vielen Kulturen zur alleinigen Bestimmungsgröße der Weltgesellschaft werden bzw. sollen alle Kulturen sich zur Weltgesellschaft aufaddieren? Ist ein Besonderes nichts als das Allgemeine bzw. dessen Konstituent und das Allgemeine bloß ein einziges Besonderes bzw. aus allen Besonderen zusammengesetzt?
Der Universalismus und der Relativismus als Antworten darauf liegen in der antagonistischen Form der Dialektik begründet, wie sie typisch für den Kapitalismus ist.
4.1.1. Die Homogenisierung (21)
Das Modell der Moderne, deren Hauptmerkmale der abendländisch-neuzeitliche Typus von Wissenschaft und Technik, die darauf beruhende industrielle und computerisierte Naturaneignung und die sich davon herleitende Einheitskultur von Kapitalismus, Demokratie und Menschenrechten sind , ist das Modell, das für den Universalismus steht Die Menschenrechtsidee, für die er auf die Barrikaden steigt, habe ihre Wurzel in der Antike, nämlich in der Naturrechtslehre der griechischen Stoa, die erstmals den Gedanken formuliert, daß alle Menschen schon allein aufgrund ihres Menschseins gleichwertig seien und deshalb gleiche Rechte hätten. Als Stationen ihrer Weiterentwicklung werden u.a. betrachtet: die vom englischen König 1215 ausgestellte Magna Charta Libertatum; die entsprechenden Ideen von Hobbes, Grotius und Locke; die Habeas-Corpus-Akte von 1679; die Bill of Rights 1689; die Unabhängigkeitserklärung der USA 1776; die Déclaration des Droits de L’Homme et du Citoyen 1789. Den Gipfel stelle ihre Kodifizierung in den von der UN-Generalversammlung "The International Bill of Human Rights" genannten Dokumenten des internationalen Menschenrechts dar, zu denen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 und die beiden Internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966, die seit 1976 in Kraft sind, gehören. Mit dem Inkrafttreten des XI. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention, aufgrund dessen geschützte Personen Menschenrechtsverletzungen vor einem ständigen Gericht, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der ein für den verurteilten Verletzerstaat verbindliches Urteil fällt, "hat heute das Individuum als Träger von Menschenrechten Völkerrechtssubjektivität erlangt und die internationale Bühne als selbständiger Akteur betreten", zumindest, was eine Region betreffe (Neuhold 1999, S. 74). "Mittlerweile ist allgemein anerkannt, daß den Menschenrechten universelle Geltung zukommt und sie nicht mehr in die inneren Angelegenheiten der Staaten fallen [...]".
Dabei verdient festgehalten zu werden, daß Kapitalismus und Menschenrechte eine widersprüchliche Einheit darstellen. denn die kapitalistische Wirtschaft stellt laufend Ungleichheit her. "Aus sich selbst heraus produziert sie einzig negative Vergesellschaftung, d.h. konkurrenzgetriebene Individualisierung, mißtrauensvolle und ängstliche Vereinzelung. Diesem im Rahmen der ökologischen Debatte so oft übersehenen sozialen Raubbau korrespondiert der ‘natürliche’" (Narr/Roth 1998, 116). Es ist daher ein Auseinanderfallen von Theorie und Praxis zu konstatieren - der Theorie einer vernünftigen Weltgesellschaft, die aus der bürgerlichen Aufklärung des 18. Jahrhunderts stammt, wo Kant 1795 in "Zum ewigen Frieden" die Vision eines Weltbürgerrechts und eines Weltfriedensbundes als Entfaltung universaler Gemeinschaftlichkeit zum globalen Republikanismus entwirft, und der Praxis der globalen Realität, der realen Globalität technisch-wirtschaftlicher Vernetzung (Richter 1992). Um mit dem kapitalistischen Wirtschaftsystem kongruent zu sein, werden die Menschenrechte als individuelle Abwehrrechte gegenüber dem Staat formuliert, damit das fertige bürgerliche Individuum mit seinem Eigentum vorausgesetzt werden kann. Senghaas weist darauf hin, daß die Idee der Menschenrechte als etwas, das alle Menschen ungeachtet ihrer konkreten Ausprägungen meint, auch etwas ist, das schrittweise gegen die eigene (europäische) Tradition der Ausgrenzungen durchgesetzt werden muß(te): "Und was ausgrenzend einsetzte, wurde nicht inklusiv, weil es von Exklusion zur Inklusion eine innere Logik gibt [...], sondern weil die Ausgeschlossenen nicht länger bereit waren, ausgeschlossen zu bleiben, sondern gleiche Rechte einforderten" (Senghaas 1998, 8 f.).
Der Universalismus changiert zwischen einem liberalen Anspruch und einem imperialen Gehabe. Auf der einen Seite verheißt er mit wirtschaftlicher Freiheit und politischer Gleichheit für alle auch soziale Solidarität, auf der anderen Seite wird er als Bedrohung kultureller Eigenständigkeit und Vielfalt wahrgenommen, als McDonaldisierung der Welt (Ritzer 1997), als Verbreitung einer Coca-Cola-Kultur über die Welt, als Amerikanisierung, als Verwestlichung, als Homogenisierung.
Er fußt auf einer monokausalen und linearen Sicht des Prozesses der Globalisierung. Weltkultur reduziert sich in dieser Betrachtungsweise auf den gemeinsamen Nenner aller in den Globalisierungsprozeß eingespannten Kulturen. D.h. das, was sie infolge der Globalisierungstendenzen an Gleichem bekommen, macht sie zum Agens und zu Partizipanten der nach diesem Muster vereinheitlichten Weltgesellschaft - eine Einheit ohne Vielfalt.
Diese Einheit ohne Vielfalt bedeutet ein homogenisierendes Überstülpen eines Kulturmodells (nämlich des westlich-kapitalistischen) über andere Kulturen. Dadurch wird ein Widerspruch konstituiert, der typisch für den Kapitalismus ist. Denn der Fundamentalismus ist diejenige Reaktion auf den Imperialismus, die den universellen Zug nur abstrakt negiert und keine über diesen hinausgehende Perspektive eröffnet.
Hier wird irgendeine Kultur, für die ganz spezifische gesellschaftliche Verhältnisse typisch sind, zum Idealbild erhoben, dem alle übrigen Kulturen nachzueifern hätten. Es wird ein Besonderes zur allgemeinen Norm erhoben. Insofern es ein Besonderes ist, das zur allgemeinen Norm erhoben wird, handelt es sich um einen Partikularismus. Insofern es aber zur allgemeinen Norm erhoben wird, handelt es sich um einen Totalitarismus. D.h. diese Form des Relativismus tritt wie der Universalismus mit dem Anspruch der Allgemeingültigkeit auf, mit dem Anspruch der Vereinheitlichung, aber einer Vereinheitlichung nach dem Muster nicht des allen Gemeinsamen, sondern irgendeines Trennenden. Die fundamentalistische Form projiziert also Unterschiede einer bestimmten Kultur auf andere Kulturen und im Falle der Einstellung zu einer Weltordnung auf alle anderen Kulturen und gibt diese wie der Universalismus als Einheit aus, als eine Einheit ohne Vielfalt.
4.1.2. Die Fragmentierung
Die Moderne-Auffassung, daß Weltgesellschaft dadurch
gekennzeichnet ist, daß der Technikeinsatz die Naturaneignung und Naturaneignung
die kulturelle Identität bestimmt, wird noch von einer zweiten Art relativistischer
Kulturauffassungen kontrastiert. Der Antimodernismus zeigt sich dabei in einem
postmodernistischen Gewand.
Hier wird jede der vielen Kulturen, die von ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen
Verhältnissen gekennzeichnet sind, als etwas angesehen, das ein Existenzrecht
und ein Recht darauf hat, frei von äußeren Einmischungen zu bleiben.
Es wird jedes Besondere zu einer Norm für sich gemacht. Insofern es ein
jedes der Vielen ist, das zur Norm gemacht wird, läßt sich von Pluralismus
sprechen. Insofern aber ein jedes zu einer Norm gemacht wird, muß von
Indifferentismus gesprochen werden. D.h. diese Form des Relativismus verzichtet
auf jeden allgemeinen Gültigkeitsanspruch, sie will nichts und niemand
vereinheitlichen. Die postmoderne Form beläßt die Unterschiede, wie
sie sind. Weltgesellschaft wäre demnach nur das Vorfindliche, die Vielfalt
ohne Einheit. In vielen Auffassungen vom derzeitigen Zustand der Weltordnung,
wo davon die Rede ist, daß nach dem Ende des Kalten Krieges die Bipolariät
durch eine Multipolarität ersetzt worden sei und wo von einer polyzentrischen
Weltpolitik gesprochen wird, klingen derartige postmoderne Ansichten an.
4.2. Die Möglichkeit der Aufhebung kultureller Antagonismen im Globalisierungsprozeß
Homogenisierung und Fragmentierung sind typische Tendenzen der kulturellen Entwicklung im kapitalistischen Weltsystem und bringen einen grundsätzlichen Antagonismus zum Ausdruck: Es ist unmöglich, daß sämtliche Kulturen in friedlicher Eintracht unseren Planeten bevölkern, solange es einigen unter ihnen eingestiftet ist, sich zum Hegemon über die anderen zu erheben. Dies bedeutet gleichzeitig nicht, daß eine Abkopplung der Kulturen zielführend sei, sondern vielmehr, daß eine Einheit nur unter Aufhebung der großen gesellschaftlichen Antagonismen möglich wird.
Eine Auffassung von der Einheit der Weltgesellschaft in der Vielfalt menschlicher Selbstverwirklichung, die jenseits des Modells der Moderne und jenseits der Gegenmodelle zur Moderne angesiedelt ist, reflektiert gleichwohl die Moderne, indem sie nach dem sucht, was fortsetzbar und fortsetzungsbedürftig ist, und nach dem, was unterbrechbar und unterbrechungsbedürftig ist. Damit entwirft sie das Bild einer anderen, einer zweiten Moderne, die sich von der ersten durch gewisse Merkmale unterscheidet, die mit der ersten aber auch über gewisse andere Merkmale verbunden ist.
Reichen die Wurzeln kosmopolitischen Denkens, das die ganze Welt als Heimstatt des Menschen betrachtet, bis ins antike Griechenland zurück - "der Kyniker Diogenes gilt als der erste, der auf die Frage, woher er stamme, die Antwort gab, er sei Kosmopolit, ein Bürger der Welt, um sich von den engstirnig-kleinräumigen Streitereien der Poleis zu distanzieren" -, so scheint heute die Stunde gekommen, in der das Denken von der Wirklichkeit eingeholt wird. "Transnationale Ortspolygamie, das Verheiratetsein mit mehreren Orten, die verschiedenen Welten zugehören: das ist das Einfallstor der Globalität im eigenen Leben, führt zur Globalisierung der Biographie", wie Ulrich Beck am Beispiel einer 84jährigen Dame ausführt, die in Tutzung am Starnberger See wohnt, aber auch in Kenia zu Hause ist, wo sie mehrere Monate des Jahres zubringt (Beck 1997, S. 129).
Die Einheit ohne Vielfalt wie im Universalismus und wie im Partikularismus und die Vielfalt ohne Einheit wie im Pluralismus sind Bilder der kulturellen Weltordnung, die weder mit der Realität übereinstimmen noch wünschenswerte Zukünfte ausmalen. Ökonomen wie Ethnologinnen, Soziologen wie Anthropologinnen halten den beschworenen Tendenzen zur weltweiten Verflachung durch Homogeniserung wie zur Auflösung ins Hier und Jetzt durch Fragmentierung das Faktum entgegen, daß Globalisierung unterschiedlich wirkt, nämlich je nach Kontext, in den sie eingebettet wird, unterschiedliche Wirkungen hervorruft, jedenfalls aber zu Mischformen führen kann, zu Hybriden, Melangen, Kreolisierungen - von "Hybridization" und vom "Melange-Effekt" spricht z.B. Pieterse (1993), "Kreolisierung" ist vom Ethnologen Ulf Hannerz (1992) in die Debatte eingeworfen worden (siehe auch Joana Breidenbach und Ina Zukrigl 1998) -, in denen das Allgemeine und das Besondere neue Verbindungen eingehen. (Kulturelle) Globalisierung erweise sich damit als ein hochgradig dialektischer Prozeß (Breidenbach/Zukrigl 1998), in dem die folgenden Dialektiken erkannt werden können (Beck 1997, S. 92-95): die zwischen Standardisierung auf globaler Ebene und der Betonung der lokalen Identität, die zwischen erzwungener Einbindung in neu entstehende transnationale Gemeinschaften und der Herauslösung aus überkommenen, durch die geographische Nähe bestimmten sozialen Zusammenhängen; die zwischen Konzentration und Zentralisierung und Dezentralisierung auf allen Ebenen des Sozialen, die zwischen Konflikt durch Spaltungen und Ausgleich durch das Erzeugen neuer Gemeinsamkeiten. Das Lokale und das Globale schlössen einander nicht aus. Deshalb hat Robertson die Wortverbindung von "Globalisierung" und "Lokalisierung" zur Charakterisierung dieses Prozesses vorgeschlagen: "Glokalisierung" (Robertson 1992).
Der Denkfigur nach vertreten diese Positionen eine faktische "Einheit in der Vielfalt", die als mögliche auch gesollt werden kann. Im Unterschied zum kulturellen Universalismus, der das Universale in den Überlappungen verschiedener Kulturen sieht (Kulturschmelze), und im Unterschied zum Kulturrelativismus, für den es kein einigendes Band zwischen einander fremden, aber entweder einander über- und unterlegenen und daher vereinnahmenden und vereinnahmten oder miteinander sich als gleichberechtigt behaupten wollenden Kulturen gibt (Kulturkampf), ist es eine Dialektik von Allgemeinem und Besonderem, die in diesem Denken das Verhältnis des Einen zum Vielen bestimmt. Das Eine ist das Allgemeine, das im Besonderen existiert, aber im Besonderen nicht aufgeht. Das Viele ist das Besondere des Allgemeinen, das aber im Allgemeinen nicht aufgeht. Allgemeines und Besonderes haben einander wechselseitig zur Voraussetzung, und doch können sie nicht aufeinander zurückgeführt werden. Jedes von ihnen bewahrt eine gewisse Eigenständigkeit. Der Prozeß ihrer gegenseitigen Beeinflussung ist ein Wechselspiel von Integration und Differenzierung. Die Integration ist die Herausbildung des Einen, ein Prozeß, der vom Besonderen zum Allgemeinen verläuft, eine Verallgemeinerung, die ein neues Allgemeines erzeugt, das in sich das Viele zusammenfaßt. Die Differenzierung ist die Erweiterung des Vielen, ein Prozeß, der vom Allgemeinen zum Besonderen gerichtet ist, eine Besonderung, die ein neues Besonderes produziert, das aus dem Einen heraus sich auffächert. Das neue Allgemeine wie das neue Besondere sind Qualitätssprünge, die auf Emergenz und Dominanz in einem selbstorganisierenden Zyklus verweisen.
Die Glokalisierung ist demnach sowohl ein Prozeß der Integration als auch ein Prozeß der Differenzierung, das Entstehen einer einzigen Allgemeinheit und das Entstehen vieler Besonderheiten zugleich. Das eine Allgemeine, das Universale, entsteht durch das Aufeinandertreffen und Miteinander-in-Beziehung-Treten der vielen Besonderen, des Partikularen im Plural, die ihrerseits aus den Ermöglichungen und Einschränkungen hervorgehen, die das Allgemeine bereithält. Die Weltgesellschaft emergiert aus der Interaktion der Kulturen der Welt, eine Kultur wird unter der Dominanz der Weltgesellschaft zur Geburt von Neuem.
Es ist dieser letzte Prozeß der Beeinflussung der lokalen Kulturen vom Globalen und der Hervorbringung von vorher nicht Dagewesenem, der in der ethnographischen Diskussion betont wird. Die indigenen Kulturen müssen nicht einfach willenlos okzidentale Kulturelemente rezipieren, sondern können sie höchst unterschiedlich interpretieren und mit ihnen auf vielfältige Weise umgehen. "Das Spektrum reicht von Widerstand über kreative Aneignung bis hin zu unkritischer Übernahme" (Breidenbach/Zukrigl 1998, S. 15). Betten sie sie in ihren Kontext ein, gestalten sie sie um, dann kommt es eben zu etwas Drittem. Beispiele gibt es genug.
Joana Breidenbach und Ina Zukrigl (1998, S. 20f.) zitieren die Arbeit der Medienwissenschaftlerin Marie Gillespie (1995): "Anfang der neunziger Jahre fesselte die australische Seifenoper Neighbours die asiatischen Jugendlichen im West-Londoner Stadtteil Southall. Die Kinder der Einwanderer aus dem Punjab verfolgten mit Begeisterung das Leben der Bewohner der fiktiven Ramsey Street [...] Doch was faszinierte die Jugendlichen? Die australischen Lebensverhältnisse per se wurden nicht als erstrebenswert angesehen. Ebenso wenig identifizierten sich die jungen britischen Asiaten direkt mit den Protagonisten der Serie. Was das Leben in Ramsey Street mit ihrem eigenen Leben in Southall verband, waren vielmehr die dichten sozialen und familiären Netze in beiden Gemeinschaften, durch die ein hoher Grad an Kontrolle, insbesondere über die Mädchen, ausgeübt wurde. In Southall waren es vor allem Mütter und ältere Tanten, die den Klatsch anheizten und das Verhalten der Jugendlichen auf Schritt und Tritt verfolgten und kommentierten. Diese rigide Kontrolle wurde von vielen Einwandererkindern in London, die auf der Suche nach ihrer Identität als britische Asiaten waren und die traditionellen Lebensmuster ihrer Eltern nicht übernehmen wollten, als beengend und bedrohlich erlebt. In Neighbours sahen die Jugendlichen, wie ihre fiktiven australischen Altersgenossen mit Klatsch, elterlicher Autorität und Generationskonflikten umgingen. In ihrem Freundeskreis konnten die jungen asiatischen Briten Probleme wie Gewalt in der Familie oder romantische Beziehungen nicht direkt ansprechen, ohne gegen izzat, die Familienehre zu verstoßen. In den Diskussionen über das Verhalten der australischen Protagonisten kamen diese tabuisierten Themen jedoch indirekt zur Sprache, und die Jugendlichen waren in der Lage, ihre eigenen Standpunkte zu artikulieren".
"Es scheint mir sehr aufschlußreich", erzählt Wolfgang Welsch in einem Interview (Pongs 1999, S. 253), "was Stephen Greenblatt über die Rezeption von Videotechnologie in Bali geschrieben hat. Man möchte ja annehmen, daß gerade die Verbreitung westlicher Technologie eine Vereinheitlichung bewirkt, und zwar nicht nur auf der Ebene der Instrumente, sondern auch auf der der Inhalte. Greenblatt aber fand heraus, daß die Verwendung der westlichen Technologie in Bali in einem Stil erfolgt, den wir nie erwartet hätten, sie wird sozusagen eingebaut in die alten Stammesriten der Balinesen und dient deren Wiederbelebung. Greenblatt kommt zu dem überraschenden Urteil, daß wir Eurozentriker kein schlechtes Gewissen haben müssen. Die Balinesen machen einen sehr fröhlichen Gebrauch von den westlichen ‘Spielzeugen’, die sie sich auf ihre Weise aneignen, ohne sich um die westliche Standardverwendung zu kümmern."
Auf das Verhältnis von Kultur und Gesellschaft, das durch ein Aufeinandereingehen, ein gegenseitiges Respektieren, ein wechselweises Geben und Nehmen auch normativ gefaßt werden kann, paßt der Term "Aushandeln", um diesen neuen Umgang zu bezeichnen. Dadurch ändert sich auch der erhoffte Charakter der Weltgesellschaft. Sie soll nicht bloß multikulturell sein, auch nicht bloß mit mehr und mehr interkulturellen Beziehungen ausgestattet werden. Der Philosoph Wolfgang Welsch prägte den Ausdruck "Transkulturalität", womit er meint (Pongs 1999, 243), "daß die kulturelle Formation der Individuen und damit auch die Struktur der Gesellschaft weltweit immer mehr von nationalen Formationen unabhängig wird."
5. Globalisierung in Ökonomie, Politik und Kultur im Wechselspiel
Wird davon ausgegangen, daß jede Gesellschaft aus den Subsystemen Ökonomie, Politik und Kultur besteht, so ist das Ganze dabei im Sinn eines emergenten Verständnisses mehr als die Summe seiner Teile. Die Teilsysteme sind weder vollständig determiniert (von den anderen Teilsystemen bzw. dem Ganzen) noch vollständig autonom. Sie haben eine relative Autonomie in dem Sinn, daß sich zwar spezifisches Handeln in einem Subsystem ausprägen kann, dieses jedoch niemals unabhängig von jenen Prozessen ist, die in anderen gesellschaftlichen Subsystemen stattfinden. Die Teilsysteme stehen in einem wechselseitigen Artikulationsverhältnis in dem Sinn, das Ursachen, die ihren Ursprung in der Dynamik eines gesellschaftlichen Teilsystems finden, Wirkungen in anderen Teilsystemen auslösen können. Dabei kann jedoch nicht im Sinn einer mechanistischen Kausalitätsauffassung davon angenommen werden, daß jeder Wirkung eindeutig eine Ursache zugeordnet werden kann und umgekehrt. Vielmehr handelt es sich um eine komplexe Form der Kausalität: Eine Ursache kann verschiedene Wirkungen haben und eine Wirkung verschiedene Ursachen.
Ökonomie, Politik und Kultur stehen somit in jeder Gesellschaft in wechselseitigen Verhältnissen. Für die kapitalistische Gesellschaft ist es nun typisch, daß die Wirkungen, die von der Ökonomie ausgehen, jene dominieren, die auf die Ökonomie zurückwirken (22).
Betrachten wir den Prozeß der ökonomischen Globalisierung im Postfordismus, so fällt auf, daß sich durch den neuen Globalisierungsschub die Dominanz der Ökonomie weiter verstärkt. Dies äußerst sich insbesondere darin, daß der Neoliberalismus jeder Form der Regulation, wie sie im Keynesianismus Gang und Gäbe war, um das Massenkonsum- und Massenproduktionsmodell überhaupt zu ermöglichen, eine Absage erteilt. Diese Deregulierung ist aber etwas, das über den Staat, nämlich über seine Organe, über politische Parteien, über Wahlen, vermittelt umgesetzt wird. Der postfordistische Staat wird heute immer stärker zum Nationalen Wettbewerbsstaat.
Das Politische und das Kulturelle können aber vom Ökonomischen niemals vollständig determiniert werden. Vielmehr wirken sie auf das ökonomische System zurück und können dadurch auch Veränderungen in der Ökonomie auslösen. Daher ist es auch möglich, daß Widersprüche, die sich im politischen oder kulturellen Bereich manifestieren, auf das Ökonomische zurückwirken und die Krisenhaftigkeit und Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Ökonomie verstärken. Ein Beispiel dafür nennt Immanuel Wallerstein (2000): Die Zugeständnisse der Kapitalisten an die Arbeitenden seien im Fordismus notwendig gewesen, um die Kapitalakkumulation reibungslos zu garantieren. Diese politischen Zugeständnisse (vor allem die Erhöhung der Löhne), die den Klassenkampf in Grenzen hielten, seien allerdings einer von mehreren Gründen für den Fall der Profitraten (23). Dies erscheint einsichtig, da durch einen Anstieg des variablen Kapitals bei Konstanz von Mehrwert und konstantem Kapital die Profitrate fallen muß (wobei in dieser vereinfachten Darstellung die dem tendenziellen Fall entgegenwirkenden Ursachen jedoch unberücksichtigt bleiben). Ein politisches Zugeständnis hatte hier also eine Rückwirkung auf den ökonomischen Bereich.
Im Bereich der Kultur finden die postfordistischen kapitalistischen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse ihre Fortsetzung in hegemonialen Verhältnissen, die im Gewand universalistischer Ideologie auftreten. Sie konstituieren einen kulturellen Antagonismus, der zur Folge hat, daß es im Kapitalismus unmöglich ist, daß alle Kulturen gleichberechtigt an den Reichtümern teilhaben.
Die Aufhebungsmöglichkeit dieses kulturellen Antagonismus liegt darin begründet, daß Kultur eben nicht vollständig von der Ökonomie bestimmt wird. Kultur könnte wie Politik auf den ökonomischen Bereich zurückwirken, um eine Umkehr der Dominanzverhältnisse zu bewirken.
Es geht also um die Etablierung neuer Formen der Globalisierung in Ökonomie, Kultur und Politik, die mit humanistischen Idealen im Einklang stehen. Die allgemeine Dialektik, die sämtlichen gesellschaftlichen Teilsystemen zugrundeliegt, könnte in neuen Formen der Globalisierung Ausdruck finden, die jene bestehenden Formen aufheben, die durch die großen gesellschaftlichen Antagonismen des Kapitalismus geprägt sind.
6. Technische Globalisierung
6.1. Die antagonistische Dialektik der Technik im Kapitalismus
Globale Prozesse und die Veränderung von Raum und Zeit durch I&K-Systeme stehen offensichtlich in einem Zusammenhang. Das Verhältnis von Technik und Globalisierung spielt sich im wechselseitigen Verhältnis zwischen Technik und Gesellschaft ab. Die wesentliche Frage dabei ist, ob die moderne Technik Ursache der Globalisierung ist oder Wirkung. Die Einnahme einer dialektischen Position hilft dabei, monokausale Erklärungsweisen wie die des Technikdeterminismus und des Sozialkonstruktivismus zu vermeiden. Unsere Grundthese lautet diesbezüglich, daß I&K-Systeme sowohl Medium als auch Resultat der ökonomischen, politischen und kulturellen Globalisierung sind.
"Technik" ist eine Kategorie, die auf einer anderen Ebene angesiedelt ist als "Ökonomie", "Politik" oder "Kultur". Gesellschaft, die sich aus Ökonomie, Politik und Kultur konstituiert, ist der Technik immer vorgelagert in dem Sinn, daß Technik nur im sozialen, d.h. öknonomischen, politischen, kulturellen Kontext existiert und nur in solchen sozialen Prozessen hervorgebracht werden kann. Technik kann aber eine Eigendynamik erlangen, die bei ihrem Einsatz unvorhersehbare Auswirkungen auf die Gesellschaft zur Folge hat. Technik ist daher ein Medium und Resultat ökonomischer, politischer und kultureller Prozesse.
Gesellschaftliche Probleme entspringen nicht der Technik (allein). Sie werden vielmehr vermittelt, z.B. verstärkt, durch die kapitalistische Anwendung der Technik. Über die Dialektik des wechselseitigen Verhältnisses von Technik und kapitalistischer Gesellschaft und den daraus entspringenden Problemen wußte bereits Marx: "Die von der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie untrennbaren Widersprüche und Antagonismen existieren nicht, weil sie nicht aus der Maschinerie selbst erwachsen, sondern aus ihrer kapitalistischen Anwendung!" (Marx 1867, S. 465). Technikentwicklung ist unerläßlich für die Reproduktion des Kapitalismus durch Kapitalakkumulation und (re-)produziert kapitalistische Widersprüche. Technik als die zweckmäßig orientierte Einheit der Mittel, Verfahren, Fertigkeiten und Prozesse, die notwendig sind, um definierte Ziele zu erreichen, steht in jeder Gesellschaft in einem wechselseitigen Verhältnis mit der Gesellschaft. Sie ist daher wechselseitig vermittelt mit den Antagonismen des Kapitalismus in Ökonomie, Kultur und Politik. Sie ist Medium und Resultat dieser Widersprüche.
Im Kapitalismus besteht der Hauptsinn der Technik in der effektiven Organisation der Kapitalakkumulation in Form des technischen Produktionsmittels. Technik dient nicht mehr den Menschen zur Erleicherung ihres Daseins und ihrer Auseinandersetzung mit der Natur, sondern der effektiven Produktion von Mehrwert, die zur Ausbeutung der Arbeitenden durch das Kapital führt. Sie ist im Kapitalismus Mittel zur Produktion von Mehrwert und dadurch in die Widersprüchlichkeit des Kapitalismus eingebunden.
6.1.1. Technik als Medium der Globalisierung
Auf der einen Seite ermöglichen I&K-Systeme durch die Herstellung von raum-zeitlicher Entfernung den Einfluß lokaler Prozesse auf das weltweite Geschehen und umgekehrt. Dadurch stellen sich sowohl eine räumliche als auch eine zeitliche Unabhängigkeit ein. Daher können die modernen Informations- und Kommunikationssysteme als Medium der Globalisierung bezeichnet werden. Sie ermöglichen und vereinfachen durch die Beschleunigung der globalen Kommunikation die Beschleunigung der Vernetzung in Weltwirtschaft, Weltpolitik und Weltkultur. Die schnelle und weltweite Übertragung von Daten wird durch I&K-Systeme effizient gestaltet, und eine rasche und unmittelbare globale Kommunikation kann durch sie stattfinden. Sie sind also nicht ausschließlich Medium der ökonomischen Globalisierung, sondern auch eines der politischen und kulturellen.
Gérard Raulet (1988) bezeichnet die Schaffung räumlicher Unabhängigkeit als Delokalisierung. Dies hat zur Folge, daß alle Orte von jedem anderen gleichermaßen erreichbar sind. Die Delokalisierung schaffe auch eine zeitliche Unabhängigkeit, bei der es kein Vorher und Nachher mehr gibt:
"In den neuen Kommunikationsnetzen gleichen sich alle Orte einander an und werden insofern austauschbar, als sie im Prinzip alle von jedem x-beliebigen unter ihnen aus gleichermaßen erreichbar sind, der seinerseits weder einen Ausgangs-, noch einen bevorzugten Endpunkt darstellt. [...] Die Delokalisierung betrifft jedoch nicht nur die Position im Raum, sondern auch die in der Zeit. So gibt es im Falle der digitalen Bilder kein Vorher und Nachher mehr" (Raulet 1988, S. 286f).
In ähnlicher Weise betont Paul Virilio (1990), daß es das wesentliche Moment des Computers ist, daß er eine Zeit- und Ortsunabhängigkeit herstellt. Durch die Annäherung an die Lichtgeschwindigkeit werde der Ort unbedeutend. Dadurch gehe auch die Zeitdifferenz zwischen dem Auftauchen eines Bedürfnisses und dessen Befriedigung gegen Null. Damit werde der Stillstand zur ultimativen Beschleunigung, zum rasenden Stillstand (Virilio 1992). Es wird dabei zum Ausdruck gebracht, daß durch moderne I&K-Systeme die Körper prinzipiell stillstehen könnten und durch den vernetzten Datentransport trotzdem jeden Punkt und jede Bewegung im Raum wahrnehmen können: Die "neuesten Techniken der häuslichen Interaktivität (24) und der Telepräsenz [...] [fixieren] die Persönlichkeit eines Individuums [...] [Dies führt zur] Erfindung eines Bewegungsvermögens auf der Stelle, die die Mobilität im Raum ersetzt; [...] [So entsteht] eine letzte Bewegungslosigkeit [...], eine durch und durch relativistische Bewegungslosigkeit" (Virilio 1992, S. 150f).
Anthony Giddens spricht in diesem Zusammenhang von der Entbettung (Disembedding) als einem wesentlichen Prozeß der Moderne. Unter Entbettung versteht er die raum-zeitliche Entfernung von sozialen Beziehungen. Sie gehe einher mit einem Prozeß der Wiedereinbettung (Reembedding), bei dem die ausgelagerten sozialen Beziehungen wieder an die lokalen (zeitlichen und örtlichen) Gegebenheiten angepaßt werden. Die Entbettung versteht Giddens als "Herausheben sozialer Beziehungen aus ortsgebundenen Interaktionszusammenhängen und ihre unbegrenzte Raum-Zeit-Spannen übergreifende Umstrukturierung" (Giddens 1995, S. 33).
Als ein Beispiel dafür nennt Giddens, daß Verwandte in der Moderne oft durch die Entbettung örtlich voneinander weit entfernt leben. Moderne Transport- und Kommunikationsmittel ermöglichen aber das Reembedding in dem Sinn, daß der kommunikative Kontakt und Besuche jederzeit möglich sind. Ein anderes Beispiel für das Verhältnis von Dis- und Reembedding ist der Zusammenhang von Globalem und Lokalem. Durch die Entbettung werden lokale Angelegenheiten global erfahrbar. Andererseits drückt sich Globales im Lokalen in dem Sinn aus, daß globale Geschehnisse auf lokale Prozesse zurückwirken und diese beeinflussen. Über das Fernsehen oder heute auch über das Internet beeinflußt das Weltgeschehen das alltägliche Handeln der Menschen. Medien, Fernsehen und Zeitungen machen uns mit weit entfernten Sachverhalten vertraut. Damit ist auch der Zusammenhang von Globalisierung, I&K-Systemen und Entbettung verdeutlicht: I&K-Systeme ermöglichen die Herstellung raum-zeitlicher Entfernung (z.B. von Produktionsstandorten, FreundInnen, verwandtschaftlichen oder Liebes-Beziehungen usw.). Sie stellen also einerseits Entfernung her, andererseits helfen sie mit, den Prozeß des Reembeddings in dem Sinn zu ermöglichen, daß sie die hergestellte raum-zeitliche Entfernung durch die kommunikative Verbindung über Raum und Zeit hinweg aufheben.
Der Prozeß der Entbettung wurde bereits von Karl Polanyi (1978) beschrieben. Darunter versteht er den für die Moderne typischen Prozeß der Herauslösung aus traditionalen Verhältnissen. Der Tausch von Produkten werde ersetzt durch den Warentausch, es komme quasi zur Kommodifizierung aller Lebensbereiche.
Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf (1996) (25) sehen die ökonomische Globalisierung als Prozeß der Entbettung, da hierbei die Ökonomie aus den gesellschaftlichen Bindungen, der nationalstaatlichen Verankerung, herausgelöst werde. Die Entbettung der Wirtschaft aus der Gesellschaft sei nur ein Aspekt der Verdopplung der Gesellschaft in Gesellschaft und Staat (Marx), was zur Herausbildung der Nationalstaaten und schließlich zum internationalen System der Nationalstaaten führte. Aspekte der Entbettung der Wirtschaft aus der Gesellschaft sind die Herausbildung des Geldes als allgemeines Äquivalent des Tausches, welches das globale Finanzsystem ermöglicht (26), sowie der Weltmarkt, das Weltgeld und schließlich die ökonomische Globalisierung. Die Kommodifizierung erfasse das gesamte globale System, daher wird von "disembedding global" (Altvater/Mahnkopf 1996, S. 114) gesprochen, also einer sich weltweit zeigenden Entbettung. Die Entbettung sei eine dem Kapitalismus eigene Tendenz. Sie zeige sich auch durch die Herausbildung eines globalen Zeit- und Raumregimes, der Weltzeit (vgl. ebd., S. 40). Dadurch ändere sich auch das Verhältnis von Stadt und Land. Die räumliche Reichweite des menschlichen Handelns dehne sich auf den gesamten Globus aus, während sich zugleich die Zeiten des Handelns komprimieren. Dies sei vor allem auch durch die Ersetzung der biotischen durch die fossilen und nuklearen Energien ermöglicht worden. Im Fordismus habe sich die Entbettung durch die globale Vereinheitlichung der kulturellen Muster der gesellschaftlichen Verständigung (z.B. einheitliche Muster des Konsums, des Freizeitverhaltens, usw.) gezeigt.
Globalisierung, so Altvater und Mahnkopf, ist immer mit einer Lokalisierung verbunden. Daher könne von "Glokalisierung" gesprochen werden (ebd., S. 28). "Die Globalisierung [...] hat die andere Seite der notwendigen Anpassung mit dem Ziel der Erzeugung von wettbewerbsfähigen Produktionsbedingungen "vor Ort", am "Platze". Somit wäre es am angemessensten, die Widersprüchlichkeit von globalem Wettbewerb und lokaler (bzw. regionaler) Wettbewerbsfähigkeit als eine Beziehung der "Artikulation" von globalen und lokalen Verhältnissen zu erfassen. Daher handelt es sich bei den modernen Tendenzen der Weltgesellschaft eher um "Glokalisierung" als um Globalisierung" (ebd., S. 30). Auch Roland Robertson (1992) betont, daß Globalisierung und Lokalisierung dialektisch miteinander verbunden sind. Globalisierung bedeute nicht nur eine Delokalisierung, sondern auch eine Relokalisierung. In der Ära der Globalisierung würde das Lokale besonders betont werden. Eine globale Produktion sei eigentlich gar nicht möglich, da jedes Unternehmen lokale Bindungen benötige, um überhaupt existieren zu können. Durch die Globalisierung würden lokale Kulturen aufeinandertreffen, die sich dadurch verändern. Für die kulturelle Globalisierung prägt er daher den Begriff Glokalisierung.
Auch Manuel Castells (1989, 1996) betont die durch I&K-Technologien vermittelte Auflösung von räumlichen und zeitlichen Distanzen im Space of Flows. Die gesellschaftliche Evolution zeichne sich durch die Einheit der Entwicklung eines ökonomischen (Produktionsweise) und eines technischen Modells (Entwicklungsweise) aus (vgl. Castells 1989, S. 10-12). Die derzeitige Entwicklungsweise sei die informationelle Entwicklungsweise (Informational Mode of Devolopment), die das informationstechnologische Paradigma konstituiere (vgl. Castells 1996, S. 60-65). Resultate davon seien neue Geographien und eine Netzwerklogik. Wesentliches Moment dieser Logik ist bei Castells der Raum der Flüsse (Space of Flows). Dieser besitzt für Castells eine technische (Kreislauf elektronischer Impulse, die die technologische Infrastruktur des Netzwerks bilden), eine geographische (Topologie des Raumes, die sich durch Knoten und Zentren auszeichnet) und eine soziale Ebene (räumliche Organisation der Elite des Managements, die das Netzwerk benutzt).
Im Space of Flows zeigt sich nun für Castells die Aufhebung von raum-zeitlicher Entfernung. Er zeichne sich nämlich durch die zeitlose Zeit und den ortslosen Raum aus. Der Raum der Flüsse löst die sequentielle zeitliche Organisation durch die Herstellung einer Gleichzeitigkeit auf: "Timeless time [...] occurs when the characteristics of a given context, namely, the informational paradigm and the network society, induce systemic perturbation in the sequential order of phenomena performed in that context" (Castells 1996, S. 464). "The space of flows [...] dissolves time by disordering the sequence of events and making them simultaneous" (ebd., S. 467).
Genauso wie die zeitliche löst sich die räumliche Distanz im Space of Flows auf: "The more organizations depend, ultimately, upon flows and networks, the less they are influenced by the social context associated with the places of their location" (Castells 1989, S. 169). Der Space of Flows, so Castells, sei die dominante soziale Logik in der Netzwerkgesellschaft. Da die Menschen jedoch im realen physikalischen Raum leben (im Space of Places), zeige sich eine Schizophrenie der Räume, die einen Verlust des Selbst der Individuen bedeute, der sich wiederum in Versuchen der Wiederfindung der eigenen Identität ausdrücke, die charakteristisch für das informationelle Zeitalter seien (Castells 1997). Damit verbunden sei die zunehmende Bedeutung der Neuen Sozialen Bewegungen.
6.1.2. Technik als Resultat der Globalisierung
Andererseits sind I&K-Systeme nicht nur Medium der Globalisierung, sondern auch deren Resultat. Im Abschnitt über die ökonomische Globalisierung wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Technik eine wesentliche Rolle in der Krise des Fordismus spielte. Es liegt in der Logik des Kapitalismus begründet, daß die Produktivität permanent gesteigert werden muß. Die Kapitalakkumulation muß ständig durch die Entwicklung neuer Technologien besser und optimaler organisiert werden. Ständig neue Automatisierungsschübe sind daher eine logische Konsequenz der kapitalistischen Produktionsweise. Um die Kapitalakkumulation optimal zu organisieren, sind ständig produktivere Maschinen und neue Technologien notwendig. Daher kann auch argumentiert werden, daß I&K-Systeme und die vernetzenden Technologien nicht zufällig entstanden sind, sondern sich nur durchsetzen konnten, da sie sich auf die Organisation des Kapitalismus positiv auswirken und diesen in dem Sinn bereichern, daß sie die Internationalisierung des Kapitals vereinfachen. In diesem Sinn können die neuen Technologien auch als Resultat der Globalisierung verstanden werden. Sie bedingen als Medium einerseits die Globalisierung, sind also eine von deren Voraussetzungen. Andererseits ist die Globalisierung, wie wir gesehen haben, ein dem Kapitalismus innewohnender Prozeß. Die Internationalisierung des Kapitals, also die notwendigerweise vorhandene globale Dimension des Kapitalismus, benötigt für ihre effiziente Gestaltung entsprechende Verkehrsformen. Die Entwicklung und vor allem die globale Durchsetzung von Schiffahrt, Eisenbahn, Telegraf, Telefon, Funk und Fernsehen, Auto, Flugzeug, Computer und letzten Endes von I&K-Systemen erscheint daher logisch als das Resultat der internationalen Dimension des Kapitalismus (27). Der Informatisierung der Gesellschaft, dem Einsatz des Computers in der Wirtschaft, kommt dabei die Rolle zu, auf Investitionen zu beruhen, die nicht nur – was bisher jede Technologie in der Geschichte des Kapitalismus auszeichnete – Arbeitskräfte einsparen, sondern zugleich arbeit- und kapitalsparend sind und damit für die Unternehmen einen Ausweg aus den Krisenerscheinungen der 70er/80er Jahre des 20. Jahrhunderts geboten haben (siehe Fleissner u.a., Kap. 7 u. 8).
6.2. Die Möglichkeit der Aufhebung technischer Antagonismen im Globalisierungsprozeß
Technik steht in einem wechselseitigen Verhältnis mit der Gesellschaft. Dadurch ist sie in die Dynamik der Entstehung von kapitalistischen Widersprüchen in Ökonomie, Politik und Kultur eingebunden. Sie ist Medium und Resultat der ökonomischen Globalisierung der Moderne und der damit verbundenen gesellschaftlichen Antagonismen.
Sie darf aber weder vollständig dämonisiert noch vollständig fortschrittsoptimistisch betrachtet werden.
Sind moderne I&K-Systeme Medium und Resultat der Globalisierung, so nehmen sie beim Ausbau der Dominanz des Ökonomischen über das Politische und das Kulturelle, bei der Verschärfung der globalen Probleme und bei der Prekarisierung der Lebensverhältnisse weiter Teile der Weltbevölkerung eine zentrale Rolle als Verstärker dieser Prozesse ein.
Gleichzeitig ist mit der modernen Technik aber auch eine Möglichkeit gegeben, die sich eine Aufhebungsbewegung, die eine Position der Einheit in der Vielfalt vertritt, zunutze machen kann. Global bestehende Antagonismen eines globalen kapitalistischen Weltsystems können nur durch eine globale vernetzte Kooperation aufgehoben werden. Moderne Technik trägt dazu bei, daß sich die globalen Probleme intensivieren. Gleichzeitig ist sie aber nicht nur Teil des Problems, sondern muß auch Teil der Lösungsstrategien und der sich daraus ergebenden Synthese sein.
Die globalen Probleme sind eine qualitativ neue Dimension der kapitalistischen Moderne. Wir befinden uns heute an einem Bifurkationspunkt, an dem sich mehrere Möglichkeiten eröffnen: Die weitere Notstandsverwaltung des kapitalistischen Weltsystems und damit das riskante Spiel mit der Gefahr des Endes der Menschheit. Oder aber die qualitative gesellschaftliche Veränderung in einer globalen Dimension, die die der Krisen- und Problemhaftigkeit des Kapitalismus zu Grunde liegenden gesellschaftlichen Antagonismen beseitigt.
7. Globalisierung in Technik und Gesellschaft im Wechselspiel
Verkehrs-, Transport- und I&K-Systeme sind Medium und Resultat der ökonomischen Globalisierung. Es wurde eben gezeigt, daß der Prozeß der Globalisierung des Kapitalismus, also die Internationalisierung des Kapitals, immer effizienter werden muß und daher die Entwicklung neuer Technologien benötigt. I&K-Systeme sind daher Resultat der ökonomischen Globalisierung. Andererseits ermöglichen sie die Herstellung der raum-zeitlichen Entfernung von Produktionsstandorten und Teilprozessen der Produktion. Eine Zerlegung des Produktionsprozesses in kleine Einheiten, die jeweils von Subunternehmen oder Zulieferern in jenen Regionen ausgeführt werden können, wo die Rahmenbedingungen der spezifischen Aufgabe für das Kapital optimal sind (d.h. schlechtes Arbeitsrecht, niedrige Arbeitskosten und Sozialstandards, unbedeutende Rolle der Gewerkschaften, keine Bedrohung durch Arbeitskämpfe usw.). Moderne Informations- und Kommunikationssysteme sind also auch ein Medium der ökonomischen Globalisierung, sie sind die Basis für die Restrukturierung von Betrieben hin zu dezentralen und vernetzten Einheiten. Sie beschleunigen die diversifizierte Qualitätsproduktion, die sich voll nach den individuellen Kundenwünschen ausrichtet. Eine Produktion zum Zeitpunkt der Nachfrage wird tendenziell durch die Vermittlung des Bedürfnisses in Echtzeit an die Produktionseinheiten möglich. Durch das Internet wird auch der Einkauf beschleunigt. Der Boom des E-Commerce ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß durch die Dazwischenschaltung eines technischen Mediums der Einkauf bequem und schnell von zu Hause aus erfolgen kann.
In der Analyse der Rolle, die Technik bei der ökonomischen Globalisierung spielt, wurde dem dialektischen Verhältnis von Technik und Globalisierung bisher nicht ausreichend Rechnung getragen. Allzu oft wird betont, daß Technik entweder ausschließlich nur Medium oder ausschließlich nur Resultat der ökonomischen Globalisierung ist, nicht jedoch beides gleichzeitig.
Joachim Hirsch betont z.B. nur die Rolle der Technik als Voraussetzung der ökonomischen Globalisierung: "Seine entscheidende Dimension gewinnt der neue Schub der Internationalisierung des Kapitals dadurch, daß es durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien möglich geworden ist, verschiedene Unternehmungsaktivitäten in bisher nicht bekanntem Umfang räumlich zu zerlegen" (Hirsch 1995, S. 89). Ähnlich Anthony Giddens (1990), der vor allem die Auswirkungen der Kommunikationstechnologie auf alle Aspekte der Globalisierung betont (vgl. Giddens 1990, S. 76ff). Er betont zwar den globalisierenden Effekt der Medien ("the globalising impact of media", ebd., S. 77), nicht aber den mediatisierenden Effekt der ökonomischen Globalisierung, die die Produktion neuer Medien und Technologien der kapitalistischen Logik entsprechend benötigt und daher hervorruft. Auch Altvater und Mahnkopf (1996) sehen in den vernetzenden Technologien lediglich eine Voraussetzung der Globalisierung: "Die Verschmelzung von Telekommunikation und Computern stellt eine ebenso elementare Voraussetzung für die Globalisierung der Ökonomie dar, wie die Eisenbahn eine Voraussetzung für die Herausbildung nationaler (und internationaler) Märkte im Prozeß der Industrialisierung gewesen ist" (Altvater/Mahnkopf 1996, S. 284).
Eine wichtige ökonomische Wirkung ist die Veränderung der Betriebsweise, der internen Unternehmensorganisation. Durch den Einsatz moderner Technologien kommt es zur Enthierarchisierung und Dezentralisierung moderner Unternehmen. Dies betrifft nicht nur, wie bereits mehrfach erwähnt, die Reorganisation des Produktionsprozesses, sondern auch die interne Unternehmensorganisation. Durch die Herstellung raum-zeitlicher Unabhängigkeit mit Hilfe von I&K-Technologien wird es z.B. bei der Telearbeit möglich, daß Arbeitende von jedem beliebigen Ort aus ihre Tätigkeiten verrichten. Das Ausmaß der Telearbeit wird allerdings i.A. überschätzt. Im Zusammenhang mit dieser betrieblichen Restrukturierung steht auch die Flexibilisierung der Organisationsstruktur. Durch die Vernetzung können Arbeitsteams das Wissen anderer nutzen, für alle Teams und Mitarbeiter nutzbare Datenbanken werden eingesetzt. Die Vernetzung, wie sie sich z.B. bei der Spinnennetzorganisation (jedes Team/jeder Mitarbeiter ist mit jeder anderen Einheit vernetzt, graphentheoretisch gesprochen ergibt sich also eine Vollstruktur) zeigt, wirkt dezentralisierend, entbürokratisierend und enthierarchisierend. Sie bewirkt außerdem eine Flexibilisierung der Abläufe. Neue Arbeitsformen wie die teilautonomen Arbeitsgruppen werden durch die technische und damit soziale sowie kommunikative Vernetzung in Unternehmen gefördert. I&K-Systeme verkürzen dabei die Kommunikationswege und sie ermöglichen einen schnelleren Zugriff auf Wissen sowie eine schnellere und effizientere Verteilung von Informationen.
Telekooperationssysteme, d.h. CSCW-Applikationen, verhelfen zu einem gleichzeitigen und kooperativen Arbeiten an weit voneinander entfernten Orten. Sie unterstützen die räumliche und örtliche Dezentralisierung von und in Unternehmen. Im allgemeinen wird davon ausgegangen, daß diese technischen Systeme die Handlungs- und Entscheidungsspielräume der Arbeitenden erweitern und daß die Fähigkeit zur Problemlösung durch diese betrieblichen Restrukturierungsprozesse erweitert wird.
Die Bewertungen des partizipativen Managements, das die Eigenverantwortung der Arbeitenden betont und ihnen erweiterte Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten bieten will, und der virtuellen Organisation fallen unterschiedlich aus. Ina Wagner (1993) meint, daß der dezentralisierende Einsatz von Computer- und I&K-Technologien in Organisationen durch die Veränderung der Rolle des mittleren Managements starre Hierarchien aufbrechen helfe und daher ein mehr an Macht für die Arbeitenden bringe. "Je mehr an computergestützten Steuerungsmechanismen auf dezentraler Ebene zur Verfügung steht, desto geringer wird der Bedarf nach auf höheren Hierarchieebenen angesiedeltem Managementwissen und nach direkter Intervention" (Wagner 1993, S. 20). Das durch die Vernetzung veränderte Informationsmanagement bedrohe das Informationsmonopol des Managements.
Klaus Fuchs-Kittowski (2001) nennt als Vorteile der virtuellen Organisation für die Arbeitenden, daß es zu einer Demokratisierung des Wissens und einer Erhöhung der Bildung, Kreativität sowie der Lernfähigkeit komme, daß die MitarbeiterInnen soziale Kompetenzen aufbauen und daß breite Bedingungen zur Persönlichkeitsentwicklung geschaffen werden. All dies widerspreche dem tayloristischen Menschenbild. Als Humanist müsse man sich von vornherein gegen Monotonie in der Arbeit und gegen überspitzte tayloristische Arbeitsteilung und hierarchische Machtstrukturen wenden. Es sei aber nicht von vornherein vorauszusetzen, daß computerunterstützte Gruppenarbeit und Telekooperationssysteme zur Humanisierung der Arbeit beitragen, da sich die Arbeitenden durch die neuen Anforderungen überfordert fühlen können.
Annette Schlemm (1999) sieht in der virtuellen Unternehmensorganisation eine Keimform und eine Antizipation einer postkapitalistischen Gesellschaft: "Die sog. `Virtuellen Unternehmen’ sind geradezu Keimformen für zukünftige ‘Assoziationen’ (28) in einer neuen Gesellschaftsordnung. [...] Entfremdende Arbeitsteilung wird zu einem großen Teil aufgehoben, das Durchschauen der Komplexität wird von den Arbeitenden jetzt direkt gefordert. Wenn die Arbeitenden ‘unternehmerische Fähigkeiten’ entwickeln müssen, um effektiv arbeiten zu können, können sie auch eher die Gesellschaft durchschauen lernen als in ihrer bisherigen Rolle als ‘Rädchen im Getriebe’" (Schlemm 1999, S. 114f). Virtuelle Unternehmen seien also "Keimformen der Assoziation freier Produzenten" (ebd., S. 162).
Die Kritik an diesen positiven Bewertungen der Virtuellen Unternehmen und des partizipativen Managements (siehe z.B. Fuchs 2000a, 2001b) geht von der Analyse des Kapitalismus als Klassengesellschaft und der Fragestellung nach den Möglichkeiten der realen Verbesserung und Humanisierung der Situation der Arbeitenden aus. Solche Argumentationen meinen, daß die neuen Arbeitsformen nicht eine Ausweitung der Macht, sondern der Ohnmacht der Arbeitenden bedeuten. Es läßt sich argumentieren, daß vor allem hochqualifizierte und hochbezahlte Arbeitende (wie z.B. IT-EntwicklerInnen) als Reaktion auf das partizipative Management eine Identifikation mit dem Betrieb, Motivation, Selbstdisziplinierung, Mehrleistung durch Internalisierung der Corporate Identity usw. tatsächlich umsetzen. Die neuen Arbeitsformen bedeuten also eine individuelle Besserstellung für Teile der Arbeitenden.
Gleichzeitig kommt es aber zu einer permanenten Ausweitung der prekären Arbeitsverhältnisse. Die Argumentation lautet dann, daß nicht von einer Erhöhung des Machtpotentials der Arbeitenden gesprochen werden kann, wenn es zur Besserstellung einiger atomisierter Hochqualifizierter kommt, sondern nur dann, wenn es eine globale Verbesserung der Lebensverhältnisse der Arbeitenden gibt. Im Kapitalismus bedeute jedoch die Verbesserung der Situation der einen die Zunahme des Leids der anderen. Da jene Arbeitenden, die auf das partizipative Management positiv reagieren, herrschende Interessen und Ziele internalisieren würden, käme es zu einer Spaltung der gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse nach Besserstellung für alle Unterdrückten und zu einer Verdeckung und Leugnung der Klassenwidersprüche. Die höher Qualifizierten hätten durchwegs ein Potential zu ihrer eigenen individuellen Besserstellung, diese stehe jedoch im Widerspruch zur Besserstellung der gesamten Arbeiterklasse.
Dieser kritischen Argumentation folgen Mike Parker und Jane Slaughter (1988), die meinen, daß das Teamkonzept für die Arbeitenden eine raffiniertere Form der Ausbeutung bedeute und daß sie dadurch zu willigen KomplizInnen ihrer eigenen Ausbeutung gemacht würden. Eine ähnliche Kritik an der Teamarbeit kommt auch von Jeremy Rifkin (1995): "Viel ist gesagt und geschrieben worden über Qualitätszirkel, Teamarbeit und mehr Mitbestimmung am Arbeitsplatz. Nur wenig ist dagegen gesagt oder geschrieben worden über die wachsende Anspruchslosigkeit der Arbeit, die zunehmende Geschwindigkeit der Produktion, die steigende Belastung oder die neuen Formen des sanften Zwangs und der subtilen Einschüchterung, mit denen die Beschäftigten in die postfordistische Produktion eingepaßt werden. [...] Oft verläßt sich das Management darauf, daß die Teams ihre Mitglieder disziplinieren. Mitarbeiterkomitees üben Druck auf unwillige oder langsame Kollegen aus. [...] Das führt dazu, daß die Arbeiter sich gegenseitig unter Druck setzen, stets zur Arbeit zu kommen" (Rifkin 1995, S. 128f).
Es kann zwar argumentiert werden, daß Teamarbeit, Virtuelle Organisation und partizipatives Management eine Ende der Klassengesellschaft bedeuten, da das Klassenbewußtsein immer stärker verloren geht und eine Homogenisierung der Interessen von Kapital und Arbeit im Geist hergestellt wird. Einer solchen Argumentation kann aber mit Adorno (1970) entgegengehalten werden, daß auch bei einem fehlenden Klassenbewußtsein nicht auf die Nichtexistenz von Klassen geschlossen werden kann. Das Klassenverhältnis zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitenden ist also vielmehr ein objektives denn ein subjektives Verhältnis. Es zeichne sich durch ein ökonomisches Verhältnis zwischen Ausbeutenden und Ausbeutern aus. Der Kapitalismus ist daher Klassengesellschaft wie eh und je. Die Produktionsverhältnisse würden den Gegensatz zwischen ausbeutenden Kapitalisten und ausgebeuteten Lohnarbeitenden "prekär konservieren" (Adorno 1970, S. 144).
Bereits Herbert Marcuse (1967) beschreibt eine Tendenz dazu, daß in einigen Betrieben die Arbeitenden ein ernsthaftes Interesse am Betrieb zeigen (vgl. Marcuse 1967, S. 49-51). Er betonte, daß im Kapitalismus die Individualität der Menschen unterdrückt und ein eindimensionales Denken und Bewußtsein hergestellt werde. Diese Gleichschaltung und Manipulation schränke das Bewußtsein ein und halte die potentiellen gesellschaftlichen Subjekte ohnmächtig. Diese Bestimmung des Bewußtseins folgt aber bei Marcuse keiner einfachen deterministischen Logik, da er sehr wohl davon ausgeht, daß es durchwegs Kräfte gibt, die "die Gesellschaft sprengen können" (Marcuse 1967, S. 17).
Die neuen Technologien spielen nicht zuletzt eine Rolle bei der Prägung der Geschlechterverhältnisse (29). Maria Mies (1996) betont, daß die Restrukturierung des Kapitalismus dazu führt, daß ein formaler Sektor der Industrie entsteht, in dem zumeist Männer in gut bezahlten Arbeitsverhältnissen zu finden sind, und ein informeller Sektor mit schlechtbezahlten und prekären Arbeitsverhältnissen (Teilzeitarbeit, Heimarbeit, Vertragsarbeit, Hausarbeit etc.). Menschen, die im informellen Sektor arbeiten, seien wie Hausfrauen, sie seien eine Quelle unkontrollierter und unbeschränkter Ausbeutung. Diese Informalisierung und Prekarisierung immer weiterer Teile der Arbeitsverhältnisse, also die Verallgemeinerung der unfreien und marginalisierten Hausfrauenarbeit, wird als "Hausfrauisierung" bezeichnet (siehe Mies 1996, S. 26-28). Ziel der Hausfrauisierung sei die Einsparung von Arbeitskosten.
Claudia von Werlhof meint, daß die Hausfrau nicht doppelt "frei" sei wie der Lohnarbeiter, sondern unfrei, da sie nicht Ort und Art ihrer Arbeit wählen kann und an Wohnung, Mann und Kinder gebunden ist (Bennholdt-Thomsen/Mies/Werlhof 1992, S. 123). Als eine wesentliche Funktion der Frau im Kapitalismus gilt, daß sie als Gebärmaschine betrachtet wird, die MehrwertproduzentInnen hervorbringt (ebd., S. 127f).
Mies argumentiert, daß die Frauen in der Ersten und der Dritten Welt dadurch verbunden sind, daß der Kapitalismus beide braucht, um existieren zu können. Die Frauen in den Kolonien als billige Produzentinnen, jene in den Metropolen als Konsumptions-Spezialistinnen, "denn ohne Konsumption oder Kauf der Waren keine Realisierung des Mehrwerts" (Mies 1996, S. 158). "Während die Konsumentin-Hausfrau im Westen zunehmend unbezahlte Arbeit verrichten muß, um die Realisierungskosten des Kapitals zu senken, muß die Produzentin-Hausfrau in den Kolonien mehr und mehr unbezahlte Arbeit verrichten, um die Produktionskosten zu senken" (ebd., S. 160).
Durch die Kürzungen der Staatsausgaben für die soziale Wohlfahrt, so Maria Mies, würden die Bedingungen, mit denen große Teile der unterentwickelten Welt konfrontiert sind, in die Zentren des Kapitalismus zurückkehren. Frauen seien am härtesten durch diese Kürzungen sowie die technische Rationalisierung und Flexibilisierung der Arbeit betroffen. Sie bilden die Mehrheit der "Neuen Armen" in den westlichen Staaten. Frauen seien die optimale Arbeitskraft für den kapitalistischen Akkumulationsprozeß, da sie weltweit nicht als Lohnarbeitende gelten, sondern als Hausfrauen (auch dann, wenn sie lohnarbeiten, da sie auch in diesem Fall wie Hausfrauen angesehen werden und daher geringer entlohnt werden als Männer), die als prinzipiell weniger wert gilt als die Lohnarbeit.
In den 70ern habe das Kapital erkannt, daß arbeitsintensive Produktionsprozesse in die heutigen Kolonien, die Entwicklungsländer, günstig exportiert werden können. Industrieanlagen werden in diese Länder verschoben, und die ArbeiterInnen in der "Dritten Welt" mit ihrem niedrigen Lohnniveau produzieren die Verbrauchsgüter für die Massen in den westlichen Ländern. Vor allem arbeitsintensive Industrien, in denen die Automatisierung noch nicht weit vorangeschritten war, seien verlegt worden (z.B. Textil-, Kleidungs-, Elektronik- und Spielwarenindustrie).
Die Technologie spiele bei der neuen internationalen Arbeitsteilung, der ökonomischen Globalisierung und der weltweiten Hausfrauisierung folgende Rolle: "Die sogenannte dritte technologische Revolution, die Computer-‘Revolution’, die sich auf die Entwicklung von Halbleitern und Mikroprozessoren stützt, wurde durch die Verlegung vor allem amerikanischer und japanischer Firmen nach Südost-Asien sowie durch die Überausbeutung asiatischer Frauen ermöglicht, die bis zu 80 Prozent der Arbeitskräfte in diesen Elektronikindustrien stellen" (Mies 1996, S. 143). Die ökonomische Globalisierung und die dritte industrielle Revolution seien also überhaupt nur durch die Ausbeutung von Frauen in der Dritten Welt möglich (vgl. ebd., S. 171f).
Auch Donna Haraway (1995) betont den Zusammenhang von Globalisierung, Technik und Hausfrauisierung: Auf jene Veränderung des Kapitalismus, die durch Begriffe und Metaphern wie Informationsgesellschaft, Wissensgesellschaft (Stehr), Data Highway (Clinton/Gore), Cyberspace (Gibson), digitale Stadt/Telepolis, globales Dorf (McLuhan), virtuelle Gemeinschaft (Rheingold), postindustrielle Gesellschaft (Bell) oder virtuelle Gesellschaft (Bühl) bezeichnet wird, nimmt Haraway mit ihrer analytischen Kategorie "Informatik der Herrschaft" Bezug: "Die konkrete Situation von Frauen ist ihre Integration/Ausbeutung in ein weltweites System der Produktion/Reproduktion und Kommunikation, das als Informatik der Herrschaft bezeichnet wird. Haushalt, Arbeitsplatz, Markt, öffentliche Sphäre, sogar der Körper - alles kann in nahezu unbegrenzter, vielgestaltiger Weise aufgelöst und verschaltet werden" (Haraway 1995, S. 51).
Vor allem die Kommunikations- und Biotechnologien seien jene Werkzeuge, die weltweit neue gesellschaftliche Verhältnisse für Frauen erzwingen. Die Mikroelektronik sei beispielsweise die Basis militärischer Macht, multinationaler Konzerne, moderner Staaten, politischer Prozesse oder der Arbeitsüberwachung. Durch die Mikroelektronik werde Arbeit zu Robotik, Fortpflanzung zu Gen- und Reproduktionstechnologien und Geist zu Künstlicher Intelligenz (vgl. Haraway 1995, S. 53). In den Bereichen der Biologie und der Kommunikationswissenschaft zeige sich eben auch jene Veränderung, die Haraway durch die Cyborgmetapher beschreiben will: Das Verschwimmen der Grenze zwischen Mensch und Maschine durch Gentechnologie, KI, Virtualisierung sowie Cyber-Technologien. Frauen befänden sich in einem "integrierten Schaltkreis", einer Welt, die durch Wissenschaft und moderne Technologien grundsätzlich umstrukturiert wird.
Diese technologischen und damit verbunden gesellschaftlichen Veränderungen schaffen, so Haraway, eine neue ArbeiterInnenklasse. Die neue Situation könne in Anlehnung an die Hausfrauisierung mit dem Begriff "Hausarbeitsökonomie" beschrieben werden. Schlechte Arbeitsverhältnisse, in denen sich früher vor allem Frauen befanden, seien nun weltweit zu finden. Hausarbeitsökonomie bezeichnet "eine weitreichende Umstrukturierung der Arbeitsverhältnisse, in der diese in einem umfassenden Sinn die Charakteristika der vormals tatsächlich nur von Frauen ausgeübten Tätigkeiten annehmen" (Haraway 1995, S. 55). Prekäre Arbeitsverhältnisse (Teilzeitjobs, Zeitarbeit, geringfügige Beschäftigung usw.), die Deregulierung der Arbeitszeit, immer mehr Arbeit für immer weniger Geld, Dequalifizierung, Anstieg von Arbeitslosigkeit und Armut, die Verschärfung der Kluft zwischen Arm und Reich sowohl innerhalb der sogenannten "1. Welt" als auch zwischen dieser und der "3. Welt" sind neoliberale Realitäten. Darauf verweist Haraway mit der Kategorie "Hausarbeitsökonomie": Soziale Ungleichheit betraf füher vorwiegend Frauen, heute sind immer mehr Menschen damit konfrontiert. Das heißt aber nicht, daß es keine Armut unter Frauen mehr gibt, sondern nur, daß die Anzahl jener Menschen, die in prekären sozialen Verhältnissen leben müssen, stetig steigt.
Die Hausarbeitsökonomie sei die internationale Organisationsstruktur des Kapitalismus und werde durch die neuen Technologien ermöglicht, aber nicht verursacht. Die neue Situation zeichne sich durch den Zusammenbruch des Wohlfahrtsstaates aus. Damit verbunden sei eine "Intensivierung der Anforderungen an Frauen, ihr tägliches Leben, das der Männer, der Kinder und der Alten aufrechtzuerhalten" (Haraway 1995, S. 55).
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß bestimmte Richtungen des Feminismus die Ansicht vertreten, daß die technische Vernetzung die Auslagerung von Produktionsprozessen in die dritte Welt ermöglichen, was zu einer Globalisierung und Verallgemeinerung der prekären Verhältnisse, denen Frauen ausgesetzt sind, beitrage. Die Hausfrauisierung sei also eng mit der ökonomischen und technischen Globalisierung verknüpft.
8. Die Dialektik der Globalisierung
Unsere bisherigen Ausführungen haben die gesellschaftlichen Dimensionen und die technische Dimension der Globalisierung nacheinander und im gegenseitigen Zusammenhang betrachtet. Der Versuch ihrer Zusammenschau muß allerdings noch um ein wesentliches Moment ergänzt werden.
Wir haben bereits angedeutet, daß u.E. jeder Dimension eine geschichtliche Tendenz zur Globalisierung innewohnt – der Ökonomie, Politik, Kultur, aber auch der Technik – und beschrieben, daß alle diese Tendenzen unter den gegebenen Bedingungen einen antagonistischen Charakter angenommen haben – den eines unüberbrückbar scheinenden Gegensatzes zwischen Monopol und Konkurrenz, zwischen den Orten, an denen die essentiellen Entscheidungen getroffen werden, und jenen, wo das nicht der Fall ist, zwischen Vereinheitlichung der Lebensweisen und deren Zerfall, und zwischen den sozialen Prozessen der Technikanwendung mit ihren Folgewirkungen und solchen der Technikgenese, allesamt Gegensätze, mit denen gesellschaftliche Interessen einhergehen, die in der strukturellen Verfaßtheit der Gesellschaft(en) verankert sind. Diese Tendenz zur Globalisierung und ihr antagonistischer Charakter sind gleichwohl auseinanderzuhalten. Das eine halten wir für historisch notwendig, das andere für kontingent, das eine für einen allgemeinen Zug der Menschwerdung und Vergesellschaftung, das andere für die besondere Gestalt, in der dieser erscheint.
Daß es zur Globalisierung in allen hier betrachteten Dimensionen (und ganz wesentlich auch in der hier außer Acht gelassenen Dimension der Beziehung zur Natur) gekommen ist, läßt sich zunächst mit dem Hinweis auf deren enge Verflochtenheit und mit dem Aufweis einer treibenden Kraft, die zur Globalität drängt, in zumindest einer der Dimensionen plausibel machen. Im Bereich der Ökonomie ist mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise diese Kraft benannt, die zur Herstellung eines einzigen Weltmarktes führt, und deren dominanter Einfluß auf Staat und Politik, Kultur und Ideologie wie auf die Situation der Umwelt wie auf den technischen Fortschritt ist augenscheinlich. Der Einfluß der Ökonomie läßt sich allerdings viel weiter zurückverfolgen. Und ein Trend in Richtung Ausgreifen und Überschreiten der unmittelbaren Zusammenhänge im Ökonomischen selbst ist – bei aller Langsamkeit, verglichen mit der heutigen Beschleunigung dieser Prozesse – schon vor der industriellen Revolution ab der neolithischen agrarischen Revolution der Seßhaftwerdung auszumachen, ja vielleicht sogar ab der Produktionsweise der Wildbeuter, die Landstriche und Ökotope durchstreiften und auf der Suche nach weniger überjagten oder bessere Beute versprechenden Gebieten neue Räume erschlossen. Wie auch immer: Mit dem punktuellen Auftreten des Menschen auf der Erde setzte ein Prozeß seiner sukzessiven Verbreitung auf dem Planeten ein, an dessen Grenzen wir heute stoßen, die Verwandlung der archaiischen Gemeinschaften in von außen gesehen integrierte und nach innen differenzierte Gesellschaften findet ihre Fortsetzung in einem derart hohen Grad der Vernetzung der verschiedenen Gesellschaften untereinander, daß die Herausbildung einer Weltgesellschaft in allen Dimensionen, mit einer Weltwirtschaft, Welt(innen)politik, Weltkultur, ein und derselben weltweiten Umwelt und ein und derselben weltweiten Technologie, auf der Tagesordnung steht. Es ist dieser weltgeschichtliche und die über die Geschichte der Menschheit hinausgehende Geschichte unseres Planeten betreffende Vorgang, der das Fundament für die aktuellen, "Globalisierung" genannten Vorgänge bildet, deren Bezeichnung sich deshalb anbietet, weil klar wird, daß hier quantitative Veränderungen großen Ausmaßes eine qualitative Veränderung erheischen. Diese qualitative Veränderung besteht in der Herstellung der Globalität und im Eintritt ins globale Zeitalter. Vernadskij (Hofkirchner 1997) paraphrasierend, kann formuliert werden, daß genauso, wie die Entwicklung der Biosphäre einen Punkt erreicht hat, an dem sie die Geosphäre so weit durchdrungen hat, daß sie ihr ein charakteristisches Aussehen verliehen hat, nun die Durchdringung der Biosphäre mit der im Zuge der Anthropogenese entstandenen Soziosphäre einen Punkt erreicht, an dem die Entwicklung der Soziosphäre die der Biosphäre unseres Planeten zu prägen beginnt. Systemtheoretisch gesprochen, ist dieser Punkt dann erreicht, wenn die vielen Gesellschaften, die die Erdoberfläche bevölkern und die als Systeme betrachtet werden können – als soziale Systeme, die sich von anderen evolutionären Systemen unterscheiden, die alle ihre je eigene Entwicklungsgeschichte haben und sich durch eine andersartige Struktur und andersartige Funktionen auszeichnen –, derartige Beziehungen zueinander aufbauen, daß aus ihrem wechselseitigen Verhalten ein von ihnen gebildetes, übergeordnetes System hervorgeht, dessen Teilsysteme sie dann darstellen.
Mit dem Auftreten der sogenannten globalen Probleme, die sich den Interessensantagonismen verdanken, kann dieser Punkt als erreicht gelten. Denn mit der Existenz von Hunger, Elend und Tod in den armen Teilen der Erde und nicht nur dort, industriell-agrikultureller Verwüstungen und der Atombombe haben die Unbeständigkeit und Unausgewogenheit im Bereich der Gesellschaft insgesamt – der Soziosphäre – , die Empfindlichkeit und Endlichkeit im Bereich der gesellschaftlichen Naturbeziehungen – der Ökosphäre – und die Zerstörungskraft und Störanfälligkeit im Bereich der technischen Organisation der Gesellschaft – der Technosphäre – ein planetares Ausmaß angenommen. Globale Probleme betreffen die ganze Menschheit als Objekt, da sie deren Fortbestand aufs Spiel setzen, und globale Lösungen fordern die ganze Menschheit als Subjekt, da sie die Problemlösungskapazität einzelner Abteilungen der Menschheit übersteigen.
Den Interessensantagonismen verdanken sie sich deshalb, weil die Friktionen in den Bereichen der Sozio-, der Öko- und der Technosphäre Frustrationen geschuldet sind, die Individuen widerfahren, die sich in einer Gesellschaft selbst verwirklichen wollen, in der die Entwicklung der einen zu Lasten der Entwicklung der anderen geht (zum Folgenden siehe Tab. 3). Diese Schranken der Selbstverwirklichung gehen unter den Bedingungen kapitalistischen Wirtschaftens auf die Institution des Privateigentums an Produktionsmitteln zurück. Dieses Privateigentum bedeutet Inklusion durch Exklusion in die Umstände des eigenen Lebens entscheidenden ökonomischen, politischen, kulturellen Verhältnissen, in Naturverhältnissen, in Technikverhältnissen. Während es für die einen den Einschluß in selbstverantwortliche Wirtschaftstätigkeiten bedeutet, bedeutet es für die anderen den Ausschluß aus diesen, was entfremdete Arbeit, durch Geschlechterrollen bestimmte Arbeit, Arbeitslosigkeit heißen mag. Während es auf der eine Seite den Einschluß in politische Entscheidungsprozesse bedeutet, die die Verwertungsbedingungen des Kapitals garantieren helfen, bedeutet es auf der anderen Seite den Ausschluß aus diesen für die weniger und Ohnmächtigen. Während die einen am gesellschaftlich herrschenden Pool gemeinsamer Werte partizipieren, die für sie Sinn machen, bleiben andere von ihnen ausgeschlossen. Während die einen die Natur als Quelle von Gratisdiensten vernutzen und als Senke für gesellschaftliche Exkremente verschmutzen, werden die anderen von der Erhaltung der natürlichen Grundlagen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen. Und während die einen die technischen Mittel zur Erlangung ihrer bornierten Ziele einsetzen können, verkehrt sich die Technik für die anderen in reinen Selbstzweck, dem sie ausgeliefert sind.
Unter den Bedingungen der Globalisierung nimmt der antagonistische Widerspruch des Kapitalismus die Form einer unversöhnlich scheinenden Entgegensetzung von Netz und Identität an, ein Begriffspaar, das Manuel Castells (1989, 1996, 1997) geprägt hat: Die kapitalistische Gesellschaft erscheint als eine vernetzte Gesellschaft, der gegenüber die Individuen, die Gruppen, die Ethnien usw. ihr Selbst behaupten oder wiederfinden müssen. In der Weltwirtschaft sind es die "Multis", die ein weit verzweigtes Netz von Einflüssen aufrecht erhalten, denen die übrigen Wirtschaftsteibenden und sonstigen wirtschaftlich Abhängigen unterliegen, in der Weltpolitik die überstaatlichen Netzwerke, an die Staaten Souveränitätsrechte abtreten, in der Weltkultur die christlich-abendländischen und hauptsächlich US-amerikanischen Werte, die sich wie ein Netz über die traditionalen und indigenen Lebensweisen breiten. Die Natur erscheint als ein vernetztes System, in dem kleine Eingriffe große Fernwirkungen oder Spätfolgen nach sich ziehen können. Und die Technik tritt den Menschen als ein undurchschaubares und unbeherrschbares Netzwerk gegenüber.
Wiederum systemtheoretisch gewendet, ist die in der Beziehung von Individuum und Gesellschaft grundsätzlich angelegte Möglichkeit der Externalisierung von Handlungsfolgen unter kapitalistischen Bedingungen Wirklichkeit und unter den Bedingungen der Globalisierung für die Aufrechterhaltung eines jeden gesellschaftlichen Systems kontraproduktiv geworden, da die ursprünglich ohne Rücksicht aufeinander agierenden, nunmehr aber interdependenten Systeme nur mehr als Teilsysteme eines größeren Ganzen funktionieren können und damit das, was sie externalisieren, für den Gesamtzusammenhang zu etwas Internem wird.
soziale Systeme |
im Kapitalismus |
am Übergang zum globalen Zeitalter |
|
gesellschaftlich |
Gegensatz von Individuum und Gesellschaft bei |
in Gestalt des Antagonismus zwischen Selbstverwirklichung und Privateigentum wie |
in Gestalt des Antagonismus zwischen Identität und Netz wie |
ökonomisch |
der Produktion, Distribution und Konsumtion der Lebensbedingungen |
ProduzentInnen und Kapital |
nationalen Wirtschaftsakteuren und transnationalen Konzernen |
politisch |
der Entscheidungsfindung |
"Zivilgesellschaft" und der Regulierung der Rahmenbedingungen für die Verwertung des Kapitals |
nationalen politischen Akteuren und überstaatlichen Vereinigungen |
kulturell |
der Sinnstiftung |
Lebenswelt/-weise und der vom Kapital geforderten Ideologie der wissenschaftlich-technischen Zivilisation |
nationalen kulturellen Akteuren und westlichem Hegemonismus |
natural |
der Reproduktion der Umwelt |
Gesellschaft und Umwelt als Quelle von Gratisdiensten |
nationalen Gesellschaften und einer vernetzten Umwelt |
technologisch |
der Herstellung und Verwendung künstlicher Mittel |
Gesellschaft und Technik als scheinbarer Selbstzweck |
nationalen Gesellschaften und einer vernetzten Technologie |
systemisch |
mit dem möglichen Resultat externer Effekte |
mit dem Resultat externer Effekte |
mit dem Resultat externer Effekte, die dysfunktional werden |
Tab.3.:Antagonismen als Basis der Dialektik der Globalisierung in Kapitalismus und postfordistischem Kapitalismus
Diese Interna bedrohen objektiv den Fortbestand der planetaren Soziosphäre und ihrer humanen Teilsysteme. Die Ausschaltung der Bedrohung erfordert die Beilegung der Antagonismen, die die Inklusion und Exklusion der gesellschaftlichen Subjekte in die Prozesse der Gestaltung der Gesellschaft bestimmen. Dazu bedarf es Einsicht, einsichtsvoller Absprache und absprachengemäßen Handelns seitens der Subjekte.
Der Antagonismus zwischen der vernetzten Gesellschaft, der vernetzten Umwelt, der vernetzten Technik, die das Eine verkörpern, und den Subjekten der Gesellschaft, die das Viele verkörpern, ist aufhebbar. Aufgehoben wird er allerdings nicht durch eine Reduktion des Vielen auf das Eine (siehe Tab. 4), das Aufgehen der Besonderheiten im Uniformen, auch nicht umgekehrt durch eine Übertragung des Vielen auf das Eine und schon gar nicht durch eine Trennung zwischen dem Einen und dem Vielen, beides Leugnungen des Gemeinsamen, also weder durch eine "Konfliktlösung" ausschließlich zugunsten einer der beiden Seiten, des Netzes oder der Identität, noch durch eine zuungunsten beider Seiten (30). Die Prozesse der Globalisierung und der Wiedereinbettung ins Lokale lassen sich nur dann "versöhnen", wenn beide "gewinnen" und sie wie das Allgemeine und das Besondere aufeinander bezogen werden. Das Allgemeine ist die Vernetzung, die ihres kapitalistischen Vorzeichens entledigt wird, das Besondere ist die Vielfalt der Wirtschaftsweisen, der Weisen der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten, der Lebensweisen, der Art und Weise des Umgangs mit den lebensunterstützenden Systemen der Umwelt und der Handhabung der technischen Instrumente, eine Vielfalt, die sich nicht mehr gegen Vereinnahmungen durch Sonderinteressen verwahren muß, eine Vielfalt, die sich nur dort ihre Grenze setzt, wo sie mit der Wahrung des Allgemeinwohls unverträglich wird.
Eines |
Vieles |
|
Reduktion |
hinreichende Bedingung |
abgeleitetes Resultat |
Projektion |
abgeleitetes Resultat |
hinreichende Bedingung |
Disjunktisierung |
unabhängige Bedingungen |
|
Dialektik |
Allgemeines |
Besonderes |
Tab. 4.: Mögliche Verhältnisse des Einen und des
Vielen. Die dialektische Einheit in der Vielfalt ist eine
Aufhebungsmöglichkeit der kapitalistischen Antagonismen
Zum Abschluß wollen wir unsere Erörterungen zu folgenden Thesen zusammenfassen:
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Anmerkungen:
(1) In diesem Aufsatz wollen wir auf die ökologische Seite nicht weiter eingehen und es mit diesen pauschalen Bemerkungen bewenden lassen. Aus systematischen Gründen ist hier jedoch ihre Erwähnung angezeigt. Zurück
(2) Anthony Giddens und Ulrich Beck kritisieren
an Wallersteins Ansatz, daß sich sein Verständnis von Globalisierung
auf eine rein ökonomische Ebene beschränke (siehe Giddens 1990, S.
27; Beck 1997, S. 66f): Wallersteins Argumentation sei "monokausal und
ökonomisch. Globalisierung wird einzig und ausschließlich als
Institutionalisierung des Weltmarkts bestimmt" (Beck 1997, S. 66). Wallerstein
"continues to see only one dominant institutional nexus (capitalism) as
responsible for modern transformations. World-system theory thus concentrates
heavily upon economic influences" (Giddens 1990, S. 69).
Sicherlich ist Giddens und Beck darin beizupflichten, daß die Globalisierung kein ausschließlich ökonomischer, auch kein ausschließlich ökonomisch bedingter Prozeß sei. In einer ökonomischen Analyse der Geschichte des Kapitalismus, wie sie sich bei Wallerstein findet, ist es allerdings verständlich, daß hier der ökonomischen Dimension die größte Aufmerksamkeit geschenkt wird. Umso einleuchtender wird dies angesichts der vielfach auch von anderen Autoren beschriebenen Durchdringung aller Lebensbereiche mit ökonomischer Logik. Diese Durchdringung kann u.E. aber niemals vollständig sein. Eine derartige Auffassung würde in einem einfachen ökonomischen Determinismus enden. Aber eine dominante Rolle kann der Ökonomie durchaus attestiert werden. Zurück
(3) Das Sprechen vom "dritten Weg" ist schon aus dem Grund problematisch, da die Faschisten in den 30ern ihre eigene Politik immer wieder als einen dritten Weg bezeichneten. Mussolini sprach vom Faschismus als drittem Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Auch heute ist in der Neuen Rechten immer wieder die Rede vom dritten Weg. So schreibt z.B. Peter List in den Staatsbriefen (2/1994), die im Verfassungsschutzbericht 1999 der BRD als wesentliches Presseerzeugnis des deutschen Rechtsextremismus angesehen werden, von der "nationalen Volkswirtschaft" als "Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus" und als "ein dritter Weg jenseits von Marxismus und Kapitalismus". Zurück
(4) Giddens meint, daß die Politik des Dritten Weges die Globalisierung bejahen müsse. Unerwähnt bleibt dabei jedoch, daß die ökonomische Globalisierung als ein dem Kapitalismus innewohnender Prozeß durchaus ohne in nationalistischen Argumentationen zu landen in dem Sinn kritisiert werden kann, daß das globale kapitalistische Weltsystem globale Ungleichheit (im Sinn der Möglichkeit einer Verfügbarkeit über Ressourcen) und Ungerechtigkeit herstellt und damit seinen eigenen Ansprüchen im Sinn der französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) widerspricht.
Vom Kapitalismus als einer wesentlichen Ursache heutiger gesellschaftlicher Probleme ist bei Giddens und Beck jedoch keine Rede mehr. Ganz im Gegenteil: Jene, die Leidtragende dieser Fehlentwicklungen sind, werden zu Schuldigen gemacht. Giddens sieht als ein zentrales Motto der "neuen" Politik: "Keine Rechte ohne Pflichten". Daher müsse die Arbeitslosenunterstützung an die Verpflichtung zu aktiver Arbeitssuche gekoppelt sein. Das Sozialsystem solle die Motivation für eine solche Suche nicht dämpfen. Der Rolle des Staates müsse von der Sozialdemokratie neu bewertet werden, sie solle ihre "überkommenen Ansichten" grundsätzlich in Frage stellen. Der Staat soll als "Sozialinvestor" agieren. Giddens drückt sich vornehm aus, kaschiert aber, was andere beim Namen nennen: Zwangsarbeit und Sozialabbau.
Als eine Antwort auf Globalisierung sieht Ulrich Beck ein Bündnis für Bürgerarbeit (siehe Beck 1997, S. 235ff). Bisher ehrenamtlich geleistete Arbeit müsse in Zukunft als Bürgerarbeit angesehen werden, für die ein Bürgergeld, das nach Becks Vorstellungen in etwa die Höhe der Sozialhilfe haben sollte, bezahlt wird. Immer mehr konservative und rechte Parteien berufen sich auf dieses Becksche Modell der Bürgerarbeit. So heißt es z.B. im Regierungsprogramm der FPÖ-ÖVP-Koalition: "Langzeitarbeitslose sollen daher verpflichtet werden, im Sozial-, Umwelt- und Denkmalschutzbereich für sie geeignete Arbeit anzunehmen, wobei ihnen sodann neben dem Arbeitslosengeld bzw. der Notstandshilfe ein Bonus als Bürgergeld gewährt wird: Notstands- und Sozialhilfeempfänger erhalten als Abgeltung für die Verrichtung von Gemeinwesenarbeit (im Gesundheits- und Pflegebereich, Denkmalschutz, Umweltschutz, Pflege von Grünanlagen etc.) einen Zuschlag zu ihrer Notstands- bzw. Sozialhilfe von bis zu 20 % Bonus als "Bürgergeld". Damit verbunden soll die Pflicht sein, diese Arbeiten anzunehmen. [...] Die auch heute schon gegebenen Sanktionen, wenn man angebotene Arbeit nicht annimmt, bleiben aufrecht und sollen auf die Gemeinwesenarbeit ausgedehnt werden" (S. 19f).
Auch im Rahmen des Berichts der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen (1996) schlägt Ulrich Beck vor, Erwerbsarbeit durch Bürgerarbeit zu ergänzen. BürgerarbeiterInnen fallen demnach nicht in die sozialrechtliche Kategorie "arbeitslos". Als wesentliche Idee seines Modells betont Beck, "daß [...] das Unternehmerische mit der Arbeit für das Gemeinwohl verbunden werden sollte und kann". Die Kommission schlägt vor, "die Voraussetzung für die Einrichtung von Bürgerarbeit zu schaffen und zu erproben, d.h. für Formen freiwilligen sozialen Engagements jenseits der Erwerbsarbeit [...] in inhaltlichen Themengebieten wie z. B. Bildung, Umwelt, Gesundheit, Sterbehilfe, Betreuung von Obdachlosen, Asylbewerbern, Lernschwachen, Kunst und Kultur" (Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen 1996, Teil III, S. 149). Ein großer Teil der bisher von Staat und Kommunen organisierten sozialen Tätigkeiten solle also ausgegliedert werden und in der Form von Bürgerarbeit organisiert werden. BürgerarbeiterInnen kann nach den Vorstellungen der Kommission bei individueller Bedürftigkeit ein sogenanntes "Bürgergeld" ausbezahlt werden. Es wird zwar betont, daß diese Arbeiten freiwillig durchgeführt werden sollten, parallel dazu zeigt sich aber deutlich, in welche Richtung diese Vorschläge gehen, da als ein Vorschlag im Bericht die Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger genannt wird.
Bürgerarbeit bedeutet nicht nur Zwangsarbeit im neuen Gewand und eine möglichst günstige Verfügbarmachung von Lohnarbeitenden durch den Staat, sondern auch die individuelle Schuldzuweisung an die Leidtragenden der Fehlentwicklungen des globalen Kapitalismus sowie die Privatisierung der ehemaligen sozialstaatlichen Tätigkeiten, die durch neoliberale Konsolidierungsmaßnahmen weggefegt wurden. Die neoliberale Ideologie der Betonung der Eigenverantwortung der BürgerInnen, die von der Kausalität der kapitalistischen Logik abstrahiert und von der Verursachung gesellschaftlicher Probleme durch gesellschaftliche Systemzusammenhänge abstrahiert, paßt bei Beck und Giddens durchwegs ins Konzept.
Das hängt damit zusammen, daß Ulrich Beck schon seit geraumer Zeit betont, daß die Individualisierung als ein wesentlicher Prozeß der Moderne eine Chance darstelle (siehe Beck 1983, 1986). Er argumentiert, daß die zweite Moderne mit einem Individualisierungsschub, der Entbindung aus traditionellen Umfeldern, Milieus und sozialen Beziehungen, einhergehe. Bis in die 70er hatten Institutionen vielfach sinnstiftenden, sicherheitsgebenden und handlungsanleitenden Charakter. Mit der verstärkten Herauslösung der Individuen aus Zusammenhängen wie Familie, Betrieb, Beruf, Nachbarschaft, Kultur, Region, Arbeitsmarkt, Kirche, Verbänden, Gewerkschaften oder Traditionen werde der/die Einzelne zunehmend für sich selbst verantwortlich und müsse verstärkt Handlungsinitiativen setzen.
Individualisierung und Neoliberalismus korrespondieren durch die Betonung der Eigenverantwortung. Gleichzeitig erodieren aber die sozialen Auffangmechanismen, die im keynesianischen Wohlfahrtsstaat realisiert waren, und explodieren die Armut sowie die Arbeitslosigkeit. Die Politik argumentiert immer stärker mit einer individualisierenden Tendenz. Etwa seien Arbeitslose selbst Schuld an ihrer Situation. Bekämpft wird nicht die Arbeitslosigkeit, sondern werden die Arbeitslosen. Der Mainstream der Medien und der Politik abstrahiert dabei quasi völlig von den marktförmigen, strukturellen Rahmenbedingungen. Eindimensionale Kausalitäten sind schnell zur Hand und medial verwertbar und aufbereitbar, die Widersprüche des Kapitalismus und seiner neoliberalen Politik werden hingegen nicht thematisiert.
Beck und Giddens scheinen Ursache und Wirkung zu vertauschen. Sie stellen nicht den Kapitalismus in Frage, der in seiner aktuellen Phase das Ende des fordistischen Wohlfahrsstaates mit sich bringt, sondern sehen als Lösung gesellschaftlicher Probleme "eine Zunahme der Verpflichtungen des Einzelnen" (Giddens 1999), die sich aus der zunehmenden Individualisierung ergebe. Der Staat wird quasi auf die Position des Nachtwächters der Kapitalakkumulation verwiesen, der die Standortbedingungen für das (prinzipiell) international agierende Kapital organisiert und den immer mehr atomisierten und von jeder positiven Perspektive weit entfernten Individuen als Aktivator in neoliberaler Manier "Hilfe zur Selbsthilfe" garantiert. Für die durch die kapitalistische Ökonomie Benachteiligten, für die der Alltag immer mehr zu einem unmittelbaren Überlebenskampf wird, muß das Appellieren an ihre Selbstverantwortung und Eigeninitiative durch Beck und Giddens und in deren Gefolge durch die sich "modern" gebende europäische Politik wie Hohn wirken.
An Analyse und Kritik des Kapitalismus scheinen Giddens und Beck nicht interessiert zu sein. Giddens (1999) betont gar, daß es keine Alternative zum Kapitalismus gibt. Konsequent daher auch die Ablehnung der als "altlinks" diffamierten analytischen Kategorien des Marxismus wie Klassenverhältnis, Ausbeutung, Mehrwert etc.
Giddens war im Wahlkampf 1997 Berater des New Labour-Vorsitzenden
Tony Blair. Und Blair setzt Giddens‘ Ideen konsequent in politische Praxis um.
New Labour prolongiert den Sparkurs der Konservativen. Beihilfen für sozial
Schwache wurden gekürzt, Studiengebühren wiedereingeführt, Bekämpfung
der Armen und Arbeitslosen durch "Workfare" an Stelle der Bekämpfung
der zugrundeliegenden Ursachen, Law and Order-Politik und Workfare statt Welfare
("Welfare to Work") , um das "Interesse der Menschen [...], zu
arbeiten" (Blair-Schröder-Papier "Der Weg nach vorne für
Europas Sozialdemokraten", 1999) zu garantieren. New Labour modernisiert
nach rechts und die europäische Sozialdemokratie folgt unter Applaus für
Polit-Strategen wie Anthony Giddens nach. Nicht zu Unrecht ist Giddens für
Pierre Bourdieu "ein britischer Soziologe, der zum Vordenker der neoliberalen
Rechten geworden ist, bzw. der neoliberalen »Schein-Linken« Tony Blairs"
(Bourdieu 2000b).
Zurück
(5) Es fällt auf, daß Giddens (1990) bei der Behandlung der Risiken der Moderne kaum auf das globale Problem der Armut, die ungleiche globale Wohlstandsverteilung und die Tatsache, daß immer mehr Menschen in prekären Verhältnissen leben müssen, eingeht. Beck (1997) thematisiert dies zwar stärker, aber beiden ist gemeinsam, daß sie von den Risiken der Moderne sprechen und in diesem Zusammenhang vom Kapitalismus schweigen. Die Urheberschaft der kapitalistischen Wirtschaftsordnung an den globalen Problemen scheint aber immer sinnfälliger zu werden. Zurück
(6) Auch Beck und Giddens betonen zwar mehrere Dimensionen der Globalisierung, was dabei jedoch fehlt, ist eine Darstellung der Globalisierung als allgemeiner dialektischer Prozeß der Menschheitsgeschichte, der seine Ausprägung in jeder Gesellschaft seine Ausprägungen in Ökonomie, Politik und Kultur findet. Zurück
(7) Rosa Luxemburg (1913) betonte in ihrer
Imperialismustheorie nicht nur, daß Imperialismus bedeute, daß der
Kapitalismus immer weitere Gebiete erfaßt, sondern auch, daß trotz
der ständigen Ausdehnung der kapitalistischen Produktionsweise und damit
des Lohnarbeitsverhältnisses die Nicht-Lohnarbeit eine wesentliche Rolle
im Kapitalismus spiele. Sie meinte, daß der Prozeß der ursprünglichen
Akkumulation im entfalteten Kapitalismus nicht abgeschlossen sei, sondern andauere.
Marx hätte davon gesprochen, daß in der "ursprünglichen
Akkumulation" der Mehrwert durch Gewaltandrohung ausgepreßt wurde
und die Menschen mit eben diesen Methoden in die Lohnarbeit gezwungen wurden
(Enteignung des Landvolkes von Grund und Boden, gewaltsame Verwandlung der Landbevölkerung
in Industrieproletariat). Erst später sei an diese Stelle das Konstrukt
des doppelt "freien" Lohnarbeiters getreten, der "frei"
(d.h. gezwungen) ist, seine einzige Ware, die Arbeitskraft, auf den Arbeitsmarkt
zu tragen, und der frei ist von den Produkten, die er herstellt. Luxemburg spricht
von nichtkapitalistischen Milieus und Schichten und meint damit Bereiche, in
denen die Arbeitenden keine doppelt freien Lohnarbeitenden sind. Sie vertritt
die Ansicht, daß der Kapitalismus immer wieder nichtkapitalistische Milieus
produziert, damit die Akkumulation des Kapitals überhaupt funktionieren
kann. Luxemburg war eine Vertreterin der Disproportionalitätsthese, die
davon ausgeht, daß die zyklischen kapitalistischen Krisen durch Disproportionen
zwischen verschiedenen Sektoren der Industrie entstehen. Sie argumentierte,
daß ein relativ immer größer werdender Anteil des Mehrwerts
als Nachfrage nach Produktionsmitteln in Abteilung I (Produktion von Produktionsmitteln)
fließe und ein relativ immer kleiner werdender Teil als Nachfrage nach
Konsumgütern in Abteilung II (Produktion von Konsumtionsmitteln). Dadurch
entstehe eine Disproportionalität zwischen den Abteilungen I und II, die
nur durch den Tauschhandel mit dem nichtkapitalistischen Milieu gelöst
werden könne.
Zurück
(8) Im marxistischen Feminismus wurde die Milieutheorie Rosa Luxemburgs aufgegriffen und die Hausarbeit, die als Reproduktionsarbeit die Reproduktion von Arbeitenden und Kapitalismus garantiert, als Milieubereich interpretiert. Der marxistische Feminismus propagiert, daß die billige oder umsonst geleistete Arbeit von Frauen wesentlich zur Generierung von Mehrwert, der Basis des Profits und des Kapitalismus, beiträgt. Es wird also versucht, eine Beziehung zwischen Frauenunterdrückung und Kapitalismus herzustellen. Hausarbeit kann mit Bezug auf Luxemburg als Milieu interpretiert werden, der Haushalt und die Familie können als Kolonie angesehen werden. "In den Industrieländern sind die Hausfrauen die idealtypischen Subsistenzproduzenten und Nichtlohnarbeiter, in den ehemaligen Kolonien sind es hauptsächlich Frauen und Bauern. Gemeinsam ist beiden, daß die Ausbeutung und Überausbeutung ihrer Arbeit nicht unmittelbar durch das Lohnverhältnis geschieht, sondern durch andere Zwänge, und daß ihre Arbeit die Basis darstellt, auf der die Ausbeutung der sogenannten Lohnsklaven erst stattfinden kann" (Bennholdt-Thomsen/Mies/Werlhof 1992, S. 107, vgl. auch Mies 1996, S. 46-53). Demnach braucht die kapitalistische Produktionsweise für ihr Wachstum die Ausbeutung von Kolonien wie Frauen, anderen Völkern und der Natur. Zurück
(9) Unter konstantem Kapital c ist der Wert der Produktionsmittel, der Rohmaterialien, Hilfsstoffe und Arbeitsmittel im Produktionsprozeß zu verstehen. Es verändert seine Wertgröße in der Produktion nicht. Das variable Kapital v ist der Wert der Arbeitskraft, der der produzierten Ware zugesetzt wird. "Der in Arbeitskraft umgesetzte Teil des Kapitals verändert dagegen seinen Wert im Produktionsprozeß. Er reproduziert sein eigenes Äquivalent und einen Überschuß darüber, Mehrwert, der selbst wechseln, größer oder kleiner sein kann" (Marx 1867, S. 162). Das konstante Kapital c teilt sich in zwei Teile auf: In das zirkulierende konstante Kapital czirk, dies ist der Wert der benötigten Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffe und Halbfertigwaren. Und in das fixe konstante Kapital cfix, dabei handelt es sich um den Wertteil der benötigten Maschinen, Gebäude und Ausrüstungsgegenstände. czirk und v stellen gemeinsam das zirkulierende oder flüssige Kapital dar: Sie übertragen ihren Wert vollständig auf das Produkt, müssen beständig reproduziert, d.h. neu angekauft, werden. Das zirkulierende Kapital geht nicht stofflich in das Produkt ein, aber sein Wert wird zum Teil des Produktwerts. Das fixe Kapital cfix hingegen kann viele Umschläge des Kapitals überdauern. Zurück
(10) Die biologistische Ausdrucksweise kann
als problematisch angesehen werden. Vor allem heute, wo der Feldzug gegen das
global agierende Finanz- und Spekulationskapital (oftmals auch von links) tendenziell
antisemitische Züge annimmt.
Zurück
(11) In der Staatsableitungsdebatte der 70er
Jahre und von der Regulationstheorie wurde an dieser Ansicht kritisiert, daß
es sich um einen Ökonomismus handle, der nicht berücksichtige, daß
das monopolistische Kapital selbst intern fraktioniert sei und z.T. unterschiedliche
Interessen verfolge. Der Staat werde zum Überbauphänomen degradiert,
besitze in Wahrheit jedoch eine eigene Dynamik, die mit dem ökonomischen
System in Beziehung stehe. Eine weitere Kritik an der STAMOKAP-Theorie war,
daß sie die Internationalisierung der Produktion im Rahmen ihrer Theorie
nicht erklären könne, da sie "von einer historischen Phase des
national orientierten (oder "fordistischen") Kapitalismus" (Huffschmid
1995) ausging.
Wesentlich für den Mehrwert ist, daß
er Selbstzweck ist, d.h. daß er sich verwertender Wert ist: Ein Teil des
Mehrwerts verbleibt in der Zirkulation, wird wieder zum Ausgangspunkt des Akkumulationsprozesses
in der Form von Geldkapital G, das reinvestiert wird. "Die Zirkulation
des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts
existiert nur innerhalb dieser stets erneuten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals
ist daher maßlos" (Marx 1867, S. 167).
Zurück
(12) Wesentlich für den Mehrwert ist, daß er Selbstzweck ist, d.h. daß er sich verwertender Wert ist: Ein Teil des Mehrwerts verbleibt in der Zirkulation, wird wieder zum Ausgangspunkt des Akkumulationsprozesses in der Form von Geldkapital G, das reinvestiert wird. "Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos" (Marx 1867, S. 167). Zurück
(13) Hier sehen wir vom Prozeß der Obsoletisierung alten Wissens durch neues Wissen ab. Die Obsoletierung ist die einzige Form der Entwertung des Wissens. Es verschleißt also nur "moralisch" (Marx), nicht jedoch durch seinen Gebrauch und Nichtgebrauch. Zurück
(14) Produktive Arbeit wird bei Marx folgendermaßen näher bestimmt: "Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient" (Marx 1867, S. 532). Für Marx ist produktive Arbeit mehrwertschaffende Arbeit, die sich unmittelbar mit Kapital austauscht. Unproduktive Arbeit tauscht sich hingegen gegen Revenue aus, sie verzehrt eine Revenue und schafft keinen Mehrwert (vgl. MEW Band 26, Theorien über den Mehrwert, S.126ff). Die Revenue ist jener Teil des Mehrwerts, "der vom Kapitalisten periodisch verzehrt oder zu seinem Konsumtionsfonds geschlagen wird" (Marx 1867, S. 618). Zurück
(15) Krüger meint, daß die Wachstumsrate der Rate des Mehrwerts langfristig nicht größer als die Wachstumsrate des konstanten Kapitals sein kann. Trifft dies zu, so fällt die Profitrate (vgl. Krüger 1986, S. 64 und 216f). Zurück
(16) Siehe für die folgende Unterteilung in Exportstrategie, multinationale, globale und transnationale Strategie Hirsch-Kreinsen (1996) S. 12f. Zurück
(17) In der kapitalistischen Moderne sind diese Einheiten Bündnisse, Nationalstaaten, Regionen und Kommunen. Zurück
(18) Eine Erfassung solcher Daten in dem Ausmaß, wie es derzeit in den meisten westlichen Staaten passiert, impliziert immer auch den potentiellen Abgleich sowie die mögliche Verknüpfung und damit den Ausbau der Überwachungsmaschinerie. Dies ist unabhängig davon, ob eine solche Vorgehensweise tatsächlich offiziell oder inoffiziell in Betracht gezogen oder auch tatsächlich durchgeführt wird. Zurück
(19) In Bezug auf die Rolle des Staates hinsichtlich der Reproduktion des Kapitalismus gibt es zwei unterschiedliche Positionen: Die eine geht davon aus, daß der Staat regulativ eingreift, wenn der Reproduktionsprozeß des Kapitals versagt und unterbrochen wird (z.B. Altvater 1972, 1973), die andere meint, daß der Staat die Funktion habe, die Bedingungen für die Selbstreproduktion des Kapitals herzustellen (z.B. Hirsch 1974b). Es wird also von der zweiten Position eine Selbstreproduktionsfähigkeit des Kapitalismus unterstellt, dessen Rahmenbedingungen der Staat organisiert. Die erste Ansicht geht hingegen davon aus, daß der Staat dann in die Reproduktion eingreift, wenn die Konkurrenz versagt, um den Reproduktionsprozeß des Kapitals zu garantieren. Zurück
(20) In Fuchs (2000b, 2001a) wurde die Herausbildung emanzipatorischer sozialer Netzwerke, die mit Gilles Deleuze und Félix Guattari als Rhizome angesehen werden können, näher untersucht und in den theoretischen Rahmen der Selbstorganisationstheorie gestellt.
Alexa Mohl (1992) definiert ein emanzipatorisches Subjekt folgendermaßen: "Ein emanzipatorisches Subjekt ist [...] nach Marx dadurch gekennzeichnet, daß es ein Bewußtsein, Bedürfnisse, Fähigkeiten und Kräfte besitzt, die über die Lebensbedingungen der bestehenden Gesellschaft hinausweisen, und daß es diese Eigenschaften in praktischen Kämpfen manifestiert, in Kämpfen, deren Form den Charakter der gesellschaftlichen Lebenspraxis, wie sie die bürgerlichen Verhältnisse ausgeprägt haben, überwindet" (Mohl 1992, S. 73).
Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß soziale Bewegungen automatisch einen emanzipatorischen Charakter haben. Soziale Bewegungen als potentiell emanzipatorische Subjekte können emanzipatorische Bedürfnisse und Fähigkeiten, gesellschaftskritisches Bewußtsein, eine gesellschaftskritische Praxis und Organisationsformen der Selbstorganisation und der Autonomie entwickeln, dies sind jedoch nicht automatisch ihre Eigenschaften. Manche dieser Bewegungen weisen einige dieser Charakteristika auf (eine basisdemokratische Organisationsform, also Autonomie und Selbstorganisation, ist sogar häufig zu finden), jedoch auch dies macht sie noch nicht notwendigerweise zum emanzipatorischen Subjekt.
Wenn sich soziale Bewegungen vernetzen und eine gemeinsame politische Praxis entwickeln, so handelt es sich dabei noch nicht notwendigerweise um ein emanzipatorisches soziales Netzwerk, ein Rhizom. Damit von einem Rhizom gesprochen werden kann, müssen nämlich mehrere Bedingungen erfüllt sein.
1. Prinzip der Konnexion: Jeder Punkt eines Rhizoms kann und muß mit jedem anderen verbunden werden. Elemente, die dabei miteinander verknüpft sind, können z.B. "politische, ökonomische und biologische Kettenglieder" sein, "semiotische Kettenteile, Machtorganisationen, Ereignisse in Kunst, Wissenschaft und gesellschaftlichen Kämpfen" (Deleuze/Guattari 1977, S. 12).
Die Punkte/Elemente eines solchen sozialen Netzwerks sind soziale Bewegungen. Deleuze und Guattari erwähnen sogar explizit, daß es sich bei den Punkten um Phänomene aus gesellschaftlichen Kämpfen handeln kann. Dieses Rhizom wird eigentlich dadurch geformt, daß sich soziale Bewegungen aufeinander beziehen, sie haben eine gemeinsame Wirklichkeitskonstruktion, auf Basis derer sie kooperieren, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Es kann die Ansicht vertreten werden, daß es sich nur dann um ein emanzipatorisches soziales Netzwerk handeln kann, wenn jedes Element mit jedem anderen verbunden ist, da eine Eigenschaft eines emanzipatorischen Subjekts seine Autonomie ist. D.h., daß es sich seine Regeln, Normen, Werte selbst organisiert und ohne Fremdbestimmung schafft. Dabei sind eine symmetrische Machtverteilung und eine gerechte Verteilung der Ressourcen, die zur Partizipation bei der Entscheidungsfindung notwendig sind, Voraussetzungen.
Die Organisationsweise eines rhizomatischen sozialen Netzwerks antizipiert eine zukünftige Gesellschaft, in der jene unterdrückerischen Kategorien aufgehoben sind, gegen die sich die sozialen Bewegungen wenden, die sich in diesem Rhizom organisieren. Es handelt sich um eine Gesellschaft, in der die Entscheidungsfindung in derselben basisdemokratischen Weise vor sich geht, in der diese sozialen Bewegungen bereits unter den bestehenden Verhältnissen miteinander umgehen.
Ein derartiges soziales Rhizom hat einen emanzipatorischen Charakter. Dieser Charakter ist geradezu eine notwendige Bedingung, damit im Rahmen eines sozialen Netzwerks von einem Rhizom gesprochen werden kann. Bilden sich neue Hierarchien, Machtzentren, Zwänge oder Zentren in so einem Netzwerk, so kann nicht mehr von einem Rhizom gesprochen werden, da der dezentrale und antihierarchische Charakter verlorengeht, der durch die Bedingung eines Rhizoms, daß jedes Element mit jedem anderen in gleichberechtigeter Weise verbunden werden kann und muß, gegeben sein muß.
2. Prinzip der Heterogenität: Die Elemente des Rhizoms können nach den verschiedensten Codierungsarten miteinander verknüpft sein. Das Rhizom ist nicht hierarchisch und zentral organisiert wie eine Baumstruktur, sondern hat eine antihierarchische und dezentrale Form.
Die Elemente eines Rhizoms können auf verschiedene Arten miteinander verknüpft sein. Was bedeutet eine solche Verknüpfung? Die sozialen Bewegungen beziehen sich im Rahmen sozialer Beziehungen in der Form sozialer Interaktionen aufeinander. Ein Kommunikations- und Austauschprozeß über Probleme, Ziele, Mittel, soziale Informationen usw. muß stattfinden, ansonsten kann sich kein soziales Netzwerk bilden. Bei diesen Kommunikations- und Entscheidungsvorgängen muß die dezentrale und nichthierarchische Form aufrechterhalten bleiben, die aus Prinzip 1 folgt, damit von einem Rhizom gesprochen werden kann.
Diese Vorgänge können auf verschiedene Weise realisiert werden, beispielsweise durch Treffen oder über das Internet. Letzteres bietet den Vorteil, daß relativ schnell über Newsgroups, E-Mail und Mailinglisten Infos verbreitet werden können. Auch Diskussionen und Entscheidungsfindungen sind über das Internet möglich. In sozialen Rhizomen, die eine weltweite Ausdehnung haben (wie z.B. Peoples’ Global Action oder die Solidaritätsbewegung mit den Zapatistas), können Face-to-Face-Meetings nur äußerst selten stattfinden. Computer Mediated Communication (CMC) ist daher eine Möglichkeit, um globale Widerstandsnetzwerke zu organisieren. Dabei können sich neue soziale Bewegungen den antihierarchischen und dezentralen Charakter des Netzes, seine Schnelligkeit, Interaktivität und die Möglichkeit zur polydirektionalen Kommunikation zu Nutze machen. Und dies ist möglich, obwohl es sich beim Internet auf Grund der Ungleichheiten und virtuellen Segmentierungen, die sich darin reproduzieren, um kein Rhizom handelt.
3. Prinzip der Vielheit: Wesentlich im Rhizom sind nicht die Punkte, sondern die Linien, die sie verbinden. "Vielheiten werden durch das Außen definiert: durch die abstrakte Linie, die Flucht- oder Deterritorialisierungslinie, auf der sie sich verändern, indem sie sich mit anderen verbinden. Der Konsistenzplan (Raster) ist das Außen aller Vielheiten" (ebd., S. 15).
Deleuze und Guattari unterscheiden drei Formen von Linien: Linien molarer Segmentarität, Linien molekularer Segmentierung und abstrakte Fluchtlinien. Die erste Form der Linie schafft Segmentaritäten, sich bipolar gegenüberstehende Milieus (das sind widersprüchliche Verhältnisse/Spaltungen zwischen z.B. Reich/Arm, Nord/Süd, Zentrum/Peripherie, Kapital/Lohnarbeit, Mann/Frau, InländerIn/AusländerIn, Heterosexuelle/Ho-mosexuelle, Arbeitende/Arbeitslose, Weiß/Schwarz, Erwachsen/Jung, UmweltzerstörerIn/UmweltschützerIn, MilitaristInnen/PazifistInnen (entspricht Krieg/Frieden), RassistIn/AntirassistIn, KapitalistIn/AntikapitalistIn, zwischen Menschen, die als dünn, schön, "normal" oder intelligent gelten einerseits und solchen, die als dick, häßlich, "abnormal" oder dumm gelten andererseits usw.). Die Milieus werden quasi binär codiert. Die Fluchtlinie führt zu einem Ende der Segmentaritäten. Die molaren Linien schaffen die großen gesellschaftlichen Bipolaritäten, benötigen jedoch auch Linien, die auf einer mikroskopischen, persönlichen Ebene arbeiten. Dies sind die molekularen Linien.
Fluchtlinien sind also ein wesentliches Moment eines Rhizoms. Sie sind jene Teile des Rhizoms, die die molaren/segmentarisierenden Linien aufbrechen wollen. Nichtsdestotrotz besteht die Gefahr, daß die alten oder neue Segmentaritäten festgeschrieben werden.
Jede soziale Bewegung, die Teil eines emanzipatorischen sozialen Netzwerks ist, kann als Plateau angesehen werden. Plateaus sind die Elemente eines Rhizoms und werden über Linien verbunden. Bei den Linien, also den Verbindungen zwischen Elementen, handelt es sich um kommunikative Linien, die über Medien wie die Sprache oder das Internet vermittelt werden können. Die einzelnen Plateaus verfolgen Fluchtlinien, um bestehende Segmentaritäten in der Gesellschaft aufzuheben. Es besteht dabei immer die Gefahr, daß die eigene Bewegung zerschlagen wird oder nicht mehr länger aufrechtzuerhalten ist. Damit droht eine Reterritorialisierung, eine Verhärtung der bestehenden Linien. Die Aufhebungsbewegung, die sich gegen eine molare Linie richtet, wird dadurch geschwächt. Rhizomatische soziale Netzwerke können sich um einzelne oder mehrere Fluchtlinien gruppieren. Eine gemeinsame Flucht bedeutet ein stärkeres Widerstandspotential. Eine Zerstörung oder Reterritorialisierung durch Kräfte, die in Opposition zu jenen Zielen stehen, die das Rhizom verfolgt, wird so erschwert
4. Prinzip des asignifikanten Bruchs: Ein Rhizom kann an jeder beliebigen Stelle zerstört werden, es wuchert entlang seiner eigenen oder entlang anderer Linien weiter.
Zur Zerstörung von Teilen eines sozialen Widerstandsnetzwerkes kann es kommen, wenn einzelne soziale Bewegungen mit der Politik, die das Rhizom macht, unzufrieden sind und daher aussteigen oder wenn ein Element zerstört oder aufgelöst wird. Das Prinzip der Konnexion sollte dafür sorgen, daß sämtliche Teile des Rhizoms an Entscheidungsfindungen im gleichen Ausmaß partizipieren können, indem inklusive soziale Informationen durch Kooperation hervorgebracht werden. Dies sollte eine wesentliche Bedingung für die Zufriedenheit aller mit der politischen Arbeit im und des Rhizoms sein. Nichtsdestotrotz kann es vorkommen, daß Teile unzufrieden sind und aussteigen. Das Rhizom wird dadurch möglicherweise geschwächt, es kann aber in den meisten Fällen weiter existieren. Tatsächlich ist ein permanentes Kommen und Gehen, eine Vergrößerung und Verkleinerung der Rhizomstruktur, möglich, indem zusätzliche soziale Bewegungen sich dem Netzwerk anschließen oder Elemente aus dem Netzwerk ausscheiden.
Emanzipatorische soziale Rhizome können auch einen temporär beschränkten Charakter haben. Wird ein gewisses Ziel erreicht bzw. nicht erreicht oder ist ein bestimmtes Ereignis eingetreten, so löst es sich wieder auf. Solche Rhizome organisieren z.B. Demonstrationen oder Veranstaltungen. Löst sich das Rhizom auf, so muß dies nicht notwendigerweise eine Reterritorialisierung durch unterdrückende Kräfte bedeuten, sondern neue Rhizome können aus dem alten hervorgehen und spontan auftreten. Eine temporäre Beschränktheit der Existenz von Rhizomen macht eine Unterwanderung und Zerstörung durch feindlich gesinnte Kräfte tatsächlich schwieriger.
5. und 6. Prinzip der Kartographie und Prinzip der Dekalkomonie (=Verfahren, Abziehbilder herzustellen): Ein Rhizom ist eine Karte und keine Kopie. Eine Kopie wie ein Baum ist hierarchisch aufgebaut, eine Strukturform setzt sich immer weiter fort (z.B. wenn jedes Element genau zwei Nachfolger hat), sie wird quasi kopiert. Eine Karte hingegen hat keinen hierarchischen Aufbau, sie hat im Gegensatz zur Kopie viele Eingänge, eine Kopie läuft immer "auf das Gleiche" hinaus. Das Rhizom negiert also quasi die Reduktion auf einfache Teile. Es kann versucht werden, Kopien einer Karte herzustellen. Diese sind jedoch keine genauen Reproduktionen, sondern Verfälschungen. In einer Karte verläuft der Informationsfluß antihierarchisch.
Eine notwendige Bedingung des antihierarchischen und dezentralen Charakters eines sozialen Netzwerkes, das sich aus sozialen Bewegungen zusammensetzt, ist sein emanzipatorischer Charakter in der Form inklusiver sozialer Informationen.
Will sich eine neue Person oder soziale Bewegung dem Netzwerk anschließen, so kann sie sich potentiell an jedes einzelne Plateau wenden. Es gibt keine zentrale Befehlsgewalt, die alleine über eine neue Aufnahmen entscheiden kann. Erfolgt die Kommunikation über das Internet, so ist eine derartige dezentrale Kontaktaufnahme umso einfacher. Wenn nicht, so muß sich das potentiell neue Plateau im Rhizom in den meisten Fällen an eine Bewegung wenden, die sich in örtlicher Nähe befindet. Dezentrale Kommunikationsformen können hingegen mehrere Eingänge zur Verfügung stellen.
Nochmals erwähnt werden soll, daß das Internet selbst kein Rhizom ist, daß es aber ein Medium ist, daß dazu beitragen kann, daß Dezentralität und Enthierarchisiertheit in einem emanzipatorischen, rhizomatischen sozialen Netzwerk hergestellt und aufrechterhalten werden, indem seine positiven Eigenschaften genutzt werden. Dies ist trotz virtuellen Segmentaritäten möglich. Das Rhizom selbst hat aber einen sozialen Charakter und keinen technischen. Es handelt sich um die permanente Herstellung sozialer Beziehungen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Das Internet als technische Ebene kann dabei einen Vermittlungscharakter einnehmen. Es ist nicht automatisch ein Medium emanzipatorischer Vernetzung, kann aber zu einem solchen gemacht werden.
Es kann nicht nur wechselseitige Verstärkungsprozesse, also Rückkopplungen, zwischen rhizomatischen sozialen Bewegungen geben, sondern auch zwischen Rhizomen. Ein Rhizom wird dabei zum Plateau, dem Element eines Rhizoms. Rhizome interagieren dann so miteinander und verstärken sich derart, daß ein neues Rhizom emergiert, ein Meta-Rhizom. Rhizome in einem Rhizom, Rhizome in einem Rhizom von Rhizomen, usw., ein selbstähnlicher Charakter einer solchen Struktur ist möglich. Real wären dies komplexe Netzwerke von sozialen Bewegungen, die sich nicht nur auf einzelne Linien beschränken, sondern sich auf eine Fülle gesellschaftlicher Linien und die dadurch definierten bipolaren Verhältnisse und Segmentaritäten beziehen. In einer derartigen Struktur besteht eine Menge subversiver Fluchtlinien, die zur Emergenz einer qualitativ neuen Fluchtlinie aus dem Kapitalismus führen können. Diese bezieht sich dann nicht auf Einzelfragen, sondern könnte eine umfassende Aufhebungsbewegung bedeuten, die auf die Veränderung des Charakters der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse gerichtet ist.
In diesem Zusammenhang gewinnt die Frage nach einer intellektuellen
Avantgarde einen neuen Stellenwert. Da Rhizome und Meta-Rhizome nicht automatisch
über ein emanzipatorisches Bewußtsein verfügen, das über
den Kapitalismus hinausweist, scheint intellektuellen Avantgarden – ganz im
Gegensatz zu den Praktiken mit Sendungsbewußtsein und Führungsanspruch
ausgestatteter marxistisch-leninistischer Parteien etwa – die unverzichtbare
Rolle eines Auslösers zuzufallen, der die Bildung von emanzipatorischen
Rhizomen und Meta-Rhizomen triggert und potentiell emanzipatorische Subjekte
in tatsächlich emanzipatorische Subjekte verwandelt, die ihre Probleme
als jene anderer und diejenigen anderer als ihre eigenen begreifen. Die intellektuelle
Avantgarde führt somit eine Veränderung der Gesellschaft nicht an,
sondern gibt nur den Anstoß dazu.
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(21) Zur Unterscheidung der Formen der kulturellen Globalisierung siehe auch Hofkirchner (2000b). Zurück
(22) Dies ist kein Verständnis im Sinn des klassischen Historischen Materialismus, der davon ausgeht, daß die Ökonomie in letzter Instanz andere gesellschaftliche Bereiche determiniert. Um mechanistische Kausalitäten zu vermeiden, gehen wir aber eben nicht von einer Determination, sondern von einem Dominanzverhältnis aus. Ein solches kann niemals vollständig sein, da es immer gegenwirkende Ursachen gibt, die jedoch unterschiedliche Intensitäten annehmen. Vereinfacht gesagt gehen wir also davon aus, daß im Kapitalismus die Wirkungen der Ökonomie auf die Politik und die Kultur stärker sind als die umgekehrten Wirkungen. Zurück
(23) "Die staatlichen Wohlfahrtsprogramme waren der Preis dafür, daß die ‘gefährlichen Klassen’ im Zaum gehalten wurden und der Klassenkampf innerhalb bestimmter Grenzen blieb. [...] Dabei beziehen sich die Forderungen auf drei Hauptgebiete: Erziehung, Gesundheitswesen und lebenslanges Individualeinkommen [...] Das führte in fast allen Ländern zu einer wachsenden Steuerquote, die der Kapitalakkumulation ernsthaft abträglich ist" (Wallerstein 2000). Zurück
(24) Unter häuslicher Interaktivität ist "der zunehmende Verlust der Beziehung zur äußeren Welt" (Virilio 1992, S. 122) zu verstehen. Zurück
(25) siehe vor allem Altvater/Mahnkopf (1996), S. 109-129. Zurück
(26) "Nun erst stellt sich das Geld als ein hervorragend geeignetes Instrument, als ein Genius heraus, nicht nur entfernte Zeiten und Räume zu verbinden und dortige jeweilige Interessen durch Arbitrage zu vermitteln, sondern überhaupt die Zeit- und Raum-Koordinaten neu zu organisieren. Während Warenbesitzer noch zum Tausch ihrer Waren zeitlich und räumlich präsent sein müssen, ist dies bei Geldbeziehungen überflüssig geworden" (Altvater/Mahnkopf 1996, S. 132). Zurück
(27) IngenieurInnen und ErfinderInnen arbeiten nicht losgelöst von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, sie bringen nicht zufällig technische Innovationen hervor. Sie interessieren sich zwar nicht dafür, daß ihre Erfindungen und ihre Arbeit eine wesentliche Basis der Kapitalakkumulation sind, sondern akzeptieren diese Struktur und ihre eigene Aufgabe kritiklos (Ullrich 1979, S. 134f). Aber ihre dienende Haltung und ihr Streben nach Anerkennung kommt dem Kapital in dem Sinn zu Gute, daß es jene technischen Neuerungen fördert, die die Kapitalakkumulation und die Internationalisierung des Kapitals effizienter gestalten helfen. Auch Ernst Bloch (1959) betont, daß eine Erfindung nicht einfach so entsteht, sondern daß sie erschaffen wird, um bestehende Bedürfnisse zu befriedigen. Selbst dann, wenn ein Erfinder annimmt, er erfinde nur für sich selbst, handle er in Bezug auf gesellschaftliche Bedürfnisse. Die Bilder der Erfinder entstünden durch gesellschaftlichen Auftrag. Das Bild des autonom nach Eigeninteressen agierenden Forschers, das z.B. von Rammert (1993) vermittelt wird, wird etwas getrübt, wenn bedacht wird, daß WissenschaftlerInnen und ForscherInnen nach Reputation in der Öffentlichkeit und innerhalb der Scientific Community streben. Daher kann angenommen werden, daß die Mehrheit der IngenieurInnen sich bei der Entwicklung neuer Ideen an den Marktchancen und der Unterstützung durch das Kapital orientieren. Die Marktfähigkeit und das Verwertungsinteresse stellen übergeordnete Interessen dar, auf die sich mehrere Akteure, die in die Technikgenese involviert sind, beziehen. Die Interessen von Staat, Forschung und Kapital sind nicht so divergent, wie oftmals angenommen wird. Die IngenieurInnen und ErfinderInnen internalisieren die herrschende kapitalistische Logik weitgehend, auch wenn dieser Prozeß niemals vollständig sein kann. Dies zeigt sich z.B. auch an der Tatsache, daß die Thematisierung techniksoziologischer und gesellschaftskritischer Aspekte in den Ingenieurwissenschaften immer noch ein erbärmliches Randphänomen darstellt. Zurück
(28) Damit ist eine kommunistische Gesellschaftsordnung im Sinn von Marx gemeint, in der die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist. Zurück
(29) Zur Rolle der Technik im marxistischen und postmodernistischen Feminismus sowie zur Kritik der postmodernistischen Herangehensweise siehe Fuchs (2001b). Zurück
(30) Zur methodologischen Unterscheidung zwischen Reduktionismus, Projektionismus, Dualismus und Dialektik siehe Hofkirchner (2000a). Diese Unterscheidung liegt unseren Überlegungen zur Globalisierung zu Grunde und manifestiert sich auch in Tabelle 4. Zurück