Christian Fuchs: Ein Beispiel für technikpolitische Fragen: Die Regulation des digitalen Zahlungsverkehrs
Technikpolitik setzt sich mit Fragen der gesetzlichen Regulation des Einsatzes von Technologien auseinander. Sie versucht, unter Anlegung ihrer eigenen Bewertungskriterien eine Umgangsweise mit möglichen Folgewirkungen zu finden. Die Prioritäten, die dabei gesetzt werden, sind abhängig von den jeweilig dominierenden politischen Vorstellungen des Gesetzgebers. Um zu verdeutlichen, welche Unzahl an Regulationsfragen sich stellt, betrachten wir als Beispiel die Regulation von E-Commerce und elektronischem Zahlungsverkehr.
Mit der Virtualisierung und Digitalisierung des Geldes werden Finanztransaktionen immens beschleunigt. Geld wird damit in Sekundenschnelle um den Globus gejagt. Immer wieder ist die Idee zu hören, daß es in Zukunft kein Geldausgabemonopol der Nationalbanken geben sollte, sondern daß private Unternehmen eigenes Geld in Umlauf setzen können sollen. Bedenken die dagegen geäußert werden, sind, daß dadurch die Stabilität der Nationalökonomien gefährdet sein könnten, daß es privatwirtschaftliche Geldmonopole geben könnte und daß die Gefahr ökonomischer Krisen höher wären. Zentralbanken haben nicht nur ein Emissionsmonopol, sondern stabilisieren auch das Preisniveau, indem sie die ausgegebene Geldmenge kontrollieren.
Eine Frage der Gesetzgebung ist es daher, wie die Ausgabe von digitalem Geld reguliert werden soll. Es gibt mehrere Alternativen: das digitale Geld an nationale Währungen mit einem jeweiligen Nationalbankmonopol binden, die freie Ausgabe eigener Währungen durch private Firmen oder eine eigene allgemeine Internetwährung, für die es eine eigene internationale Zentralbank gibt.
Durch die Immaterialisierung des Geldes wird Geldwäsche möglicherweise erleichtert. Trotz aller Sicherheitsaspekte sind elektronische Transaktionen niemals fälschungssicher. Die Gefahren der Manipulation, der Fälschung oder des Diebstahls von digitalem Geld oder von elektronischen Transaktionen sind also immer gegeben. Fragen die sich stellen sind: Kann digitales Geld illegal dupliziert werden ("digitale Geldpresse")? Können Sicherheitsmechanismen durchbrochen werden und z.B. dadurch Geld auf Chipkarten geladen werden? Besteht die Gefahr, daß Inhaber von digitalem Geld öfters mit denselben Münzen bezahlen? Besteht die Gefahr des Angriffes auf und der Zerstörung von digitalem Geld (Viren usw.)? Können Empfänger von Kreditkarteninformationen diese mißbrauchen? Der Regulationsaspekt dabei ist, ob und wie sich die Staaten überlegen, neue strafrechtliche Tatbestände für diese Fälle zu schaffen.
Ein weiterer Aspekt des digitalen Zahlungsverkehrs ist jener der Überwachung. Wenn die ausgebende Bank Infos darüber hat, wer welche digitalen Münzen besitzt und Transaktionen protokolliert, so besteht die Gefahr, daß Konsumentenprofile angelegt werden. Problematisch ist, wenn sichtbar und nachvollziehbar wird, wer was kauft und damit individuelle Profile von Konsumgewohnheiten angelegt werden können. Eine weitere Gefahr ist, daß private Daten (Name, Adresse, was wird gekauft, Kreditkartennummern usw.) bei einem Versand dieser Daten über das Netz abgehört werden können. Trotz aller technischen Sicherheitsvorkehrungen ist vollständige Sicherheit niemals erreichbar. Und es zeigt sich z.B. noch immer, daß im E-Commerce unsichere Kreditkartentransaktionen gängig sind. Der Staat ist mit folgendem Dilemma konfrontiert: Wenn er das Recht auf Anonymität auf den elektronischen Zahlungsverkehr vollständig ausweitet und entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen schafft, die jede Form der Überwachung unterbinden sollen, so begünstigt dies möglicherweise das, was als "virtuelle Kriminalität" bezeichnet wird. Umgekehrt unterminiert jedoch eine staatliche Überwachung des elektronischen Zahlungsverkehrs und der digitalen Kommunikation das Recht auf Anonymität. Die Möglichkeiten, die der Staat hat, sind, daß er versucht, vollständige, teilweise oder gar keine Anonymität zu garantieren. Genau dasselbe Problem stellt sich bei der Frage, ob Kryptographieverfahren mit asymmetrischen Schlüsseln erlaubt oder verboten werden sollen. Die USA betrachten z.B. komplexe Verschlüsselungsverfahren als militärische Waffe und verbieten daher den Export der Algorithmen. In Frankreich ist Kryptographie grundsätzlich verboten, der Export von Verschlüsselungsverfahren ist erlaubt. Bei der Regulation von Verschlüsselungsverfahren gibt es grundsätzlich vier Möglichkeiten:
1. generelles Verschlüsselungsverbot, von dem nur der militärische Bereich ausgenommen wird
2. schwache Kryptographieverfahren werden erlaubt
3. Key-escrow oder Key-recovery Systeme: Verschlüsselung ist in diesem Fall nur möglich, wenn die verwendeten Schlüssel bei einem vertrauenswürdigen Dritten (Trusted Third Party) hinterlegt werden, der im Fall strafrechtlicher Verfolgung die Schlüssel an die ermittelnden Behörden weitergibt
4. Es erfolgt keinerlei gesetzliche Beschränkung des Einsatzes von Kryptographieverfahren
Durch die Beschleunigung von Transaktionen mittels der Virtualisierung des Geldes werden Finanzspekulationen vereinfacht. Diese können wiederum zu ökonomischen Krisen und Destabilisierungen beitragen. Die Frage, die sich für die Politik stellt, ist, ob dem freien Markt freier Lauf gegeben werden soll oder ob z.B. eine Spekulationssteuer (wie der vieldiskutierte Vorschlag der Tobin Tax) eingeführt werden soll.
Bei allen gesetzgeberischen Fragen, die grenzüberschreitende Transaktionen, Manipulationen, Fälschungen, Datendiebstahl usw. betreffen, stellt sich immer die grundsätzliche Frage: Welche Gesetzgebung ist zuständig bzw. soll zuständig sein? Prinzipiell gibt es beim E-Commerce mehrere Möglichkeiten: Es gelten die rechtlichen Rahmenbedingungen des Landes, in dem sich der Verkäufer befindet; oder jene des Landes, in dem sich der Server des Verkäufers befindet; oder es wird eine vereinheitlichte internationale Gesetzgebung für E-Commerce geschaffen. Ein konkretes Beispiel dabei ist die Frage, ob es ein internationales Datenschutzgesetz geben soll oder ob versucht werden soll, die jeweiligen nationalen Standards anzuwenden.
Eine weitere wesentliche Frage ist jene der steuerrechtlichen Aspekte. Soll es eine eigene Steuergesetzgebung für E-Commerce geben oder soll der digitale Handel nur wenig oder gar nicht besteuert werden. Jene, die letzterer Argumentation folgen, meinen, daß durch die Steuervorteile ein E-Commerce-Boom einsetzen würde und sich insgesamt ökonomische Vorteile ergeben (solche Zielsetzungen waren z.B. 1998 bei der Verabschiedung des US Internet Tax Freedom Act eine wesentliche Überlegung). Dem entgegengesetzte Argumentationen lauten, daß es eine zusätzliche Online-Steuer geben sollte (z.B. eine Bitsteuer für jedes übertragene Bit). Die Frage ist also die nach zusätzlicher, gleicher (wie bei nichtvirtuellen Produkten) oder keiner Besteuerung des elektronischen Zahlungsverkehrs. Eine weitere Frage ist, ob es sich bei E-Commerce um eine Dienstleistung handelt oder um den Verkauf von Produkten, da in vielen Ländern die Steuersätze für Produkte und Dienstleistungen unterschiedlich sind.
Ein weiteres Problem ist jenes des Vertragsabschlusses: Verträge müssen von Käufer und Verkäufer unterschrieben werden. Beim E-Commerce wurde bisher per Mausklick durch den Käufer unterschrieben. Dies stellt jedoch im Grunde genommen keinen rechtskräftigen Vertragsabschluß dar. Ob hinter dem Anbieter oder dem Käufer wirklich die Firma oder Person steht, als die sie sich ausgibt, konnte daher beim Vertragsabschluß im Internet bisher nicht nachgeprüft werden, die Beteiligten sind also auf das Vertrauen in ihr Gegenüber angewiesen. Dieses Problem soll erst die digitale Signatur lösen, bei der jede Person von einer unabhängigen Zertifizierungsstelle einen verschlüsselten Code erhält, mit der man nachprüfen kann, um wen es sich wirklich handelt. Die Schaffung von Signaturgesetzen und die Einrichtung von Zertifizierungsstellen ist eine politische Frage der Regulation von E-Commerce. Eine Frage, die sich dabei stellt, ist, ob diese Zertifizierungsstellen staatlich, privat oder Institutionen mit einer staatlichen Lizenz sein sollen.