Christian Fuchs - Die Megamaschine bei Lewis Mumford

Lewis Mumford (1974) geht davon aus, daß der Mensch der Maschine verfallen sei. Er möchte herausfinden, warum dies der Fall sei. Er unterscheidet zwischen der vielseitigen, "demokratischen" Polytechnik, wie sie für ihn in den mittelalterlichen Städten idealtypisch zu finden ist, und der autoritären Monotechnik, die die Megamaschine auszeichnet. Mit dem Übergang von der Polytechnik zur Monotechnik sei ein Verlust an Wissen verbunden, da das handwerkliche Wissen nicht mehr von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden.

Im Königtum von Mesopotamien und Ägypten sei im 3. Jahrtausend v. Chr. die Megamaschine entstanden. Dies sei eine Maschine mit menschlichen Bestandteilen, die durch Zwangsmechanismen zusammengehalten wird. Der Glaube an den Sonnengott und daran, daß der König sein Vertreter auf der Erde sei, sowie die Priesterklasse seien Voraussetzungen der Megamaschine. Weitere Teile seien die Bürokratie und die Militärmaschine, die durch ihre Zwangsgewalt Befehle durchsetzen, sowie die Arbeitsmaschine, die für Arbeitszwang und Arbeitsteilung sorgt. Die Produktion, die durch die Megamaschine garantiert werde, habe zu Überschüssen geführt, die in Speichern gelagert wurden.

Im Spätmittelalter sieht Mumford eine Wiederkehr des Sonnegottes. Eingeleitet werde dies durch den Aufstieg des heliozentrischen Weltbildes. In weiterer Folge setzt sich das mechanistische Weltbild durch: Es umfaßt z.B. den Reduktionismus als wissenschaftliche Methode, den Empirismus, den Determinismus und den blinden Glauben an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt. Die Wissenschaft, so Mumford, wurde zur neuen Priesterklasse einer neuen Megamaschine. Wesentlich für die Megamaschine sei nun der Kapitalismus, der das ökonomische Handeln auf den Profit orientiere. Die Arbeitsmaschine bedient sich nun nicht mehr der Gewalt, um den Mensch zur Arbeit zu zwingen, sondern dem Zwang, den Lebensunterhalt zu verdienen. Marx spricht reflektierter davon, daß in der sogenannten "ursprünglichen Akkumulation" der Mehrwert durch Gewaltandrohung ausgepreßt wurde und die Menschen mit eben diesen Methoden in die Lohnarbeit gezwungen wurden (Enteignung des Landvolkes von Grund und Boden, gewaltsame Verwandlung der Landbevölkerung in Industrieproletariat). Erst später sei an diese Stelle das Konstrukt des doppelt "freien" Lohnarbeiters getreten, der "frei" (d.h. gezwungen) ist, seine einzige Ware, die Arbeitskraft, auf den Arbeitsmarkt zu schmeißen und der frei ist von den Produkten, die er herstellt (d.h.: sie gehören ihm nicht).

Die neue Megamaschine bestehe nicht nur aus Menschen, sondern auch aus mechanischen und elektronischen Bestandteilen. Im Pyramidenzeitalter habe die Megamaschine Wohlstand gebracht, heute sei durch sie das Überleben der menschlichen Rasse bedroht. Einerseits durch die Atombombe, andererseits durch das unkritisch fortschrittsoptimistische, mechanistische Weltbild, das die Menschen versklave.

An die Stelle des mechanistischen Weltbild müßte für Mumford ein "organisches" treten, in dem nicht mehr die Maschine im Mittelpunkt steht, sondern der Mensch. Die Megamaschine, so Mumford, kann nicht durch Massenpropaganda gestürzt werden, dies nütze ihr nur. Sinnvoll seien nur Aktionen von Einzelnen oder kleinen Gruppen. Diese seien die Basis der Aufhebung der Megamaschine.

Früher habe die Megamaschine ihre Interessen mit Gewalt durchgesetzt, heute mit Macht (z.B. durch den Wohlfahrtsstaat). Die Rekonstruktion der Megamaschine in der Moderne sei nur durch einen Machtkomplex möglich gewesen, durch eine Konstellation von Kräften, Interessen und Motiven.

Mumford anthropmorphisiert die Technik: Bei ihm ist Technik nicht mehr etwas, das vom Menschen zur Erreichung bestimmter Zwecke und Interessen geschaffen wird, sondern der Mensch ist selbst Teil der Technik. Sie ist nicht mehr ein vom Menschen hervorgebrachtes Subsystem der Gesellschaft, sondern der Mensch ist Teil der Technik. Das eigentliche Ganze, nämlich die Gesellschaft, wird zum Subsystem der Maschine. Die tatsächlichen Relationen erscheinen hier verkehrt.

Mumfords Konzept der Megamaschine ist technikdeterministisch und technikpessimistisch: Die Technologien sind Teil der Megamaschine, die die Menschen beherrscht. Nicht der Mensch herrscht bei Mumford über den Menschen, sondern die Megamaschine, diese Mischung aus Mensch und Technologien, über den Menschen. Die Herrschaft wird entpersonalisiert, Alternativen zu dem äußerst pessimistisch gesehenen Einsatz der Technik erscheinen bestenfalls als kryptische Andeutungen, als "organisches Weltbild". Ein positiver Technikeinsatz, der dem Menschen das Leben erleichtern könnte und nichtsdestotrotz einen nachhaltigen Umgang mit der Natur bieten könnte, zieht Mumford nicht in Betracht.

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