Christian Fuchs - Technik als Gestell bei Martin Heidegger

Eine Weise der Entbergung

Für Heidegger ist Technik eine Weise des Entbergens. Mit "entbergen" ist gemeint: etwas hervorbringen oder etwas zum Vorschein bringen. Das Wesen der modernen Technologie sei, daß sie etwas entberge, daß sich nicht selbst hervorbringen kann. Sie wird benutzt, um die Natur zu beherrschen, sie zu bearbeiten und sie dem Menschen nutzbar zu machen. Entbergungen liegen z.B. vor, wenn der Mensch Rohstoffe fördert.

Das griechische "techne" im Sinn von hervorbringen sei eine Weise des Entbergens. In ihr geschehe Wahrheit ("alatheia"). Unter Technik versteht Heidegger das Hervorbringen von Nichtanwesendem ins Anwesende. Dazu gehören z.B. Erkenntnis, Experiment genauso wie die Bearbeitung von Natur, die Erzeugung von Produkten, das Aufstellen von Theorien, das Sammeln von neuen Einfällen und Ideen, usw.

Die Entbergung generiere Erkenntnis und Wahrheit. Ein Experiment kann z.B. als Form des stellenden Entbergens verstanden werden. Da Technik eine Weise des Entbergens ist, generiert Technik wissenschaftliche Erkenntnis.

Das Stellen

Die Technik, so Heidegger, fordert die Natur heraus. Sie stellt die Natur. Ein wesentliches Charakteristikum der modernen Technik sei das Stellen im Sinn der Herausforderung. Das Herausfordern sei ebenfalls eine Weise des Entbergens. Durch das herausfordernde Stellen entstehe etwas, das Bestand hat. Dies sei dann kein Gegen-Stand mehr (steht dem Menschen nicht mehr entgegen).

Moderne Technik als das Gestell

Wenn der Mensch etwas zu Entbergendes stellt/herausfordert, damit es Bestand hat, dann spricht Heidegger vom Gestell:

"Wir nennen jetzt jenen herausfordernden Anspruch, der den Menschen dahin ersammelt, das Sichentbergende als Bestand zu bestellen - das Ge-stell."
"Ge-stell heißt das Versammelnde jenes Stellens, das den Menschen stellt, d. h. herausfordert, das Wirkliche in der Weise des Bestellens als Bestand zu entbergen. Ge-stell heißt die Weise des Entbergens, die im Wesen der modernen Technik waltet und selber nichts Technisches ist. Zum Technischen gehört dagegen alles, was wir als Gestänge und Geschiebe und Gerüste kennen und was Bestandstück dessen ist, was man Montage nennt." (Heidegger, 1962).

Mit Gestell meint Heidegger das in der Weise der technischen Herausforderung Versammelnde. Das Gestell sei das Wesen der modernen Technik.

Technikpessimismus

Das Gestell verstelle dem Menschen den Zugang zu Wahrheit und Erkenntnis. So wie die moderne Technik die Natur (das Gestellte) in den Dienst stelle, sei diese als Bestand nur mehr eine reine Ressource. Technischer Fortschritt führe in die Seinsvergessenheit, in der die Bedingungen des Seins und nichttechnische Weisen des Entbergens/der Erkenntnis wie künstlerische Tätigkeit vergessen werden. Zum Problem werde die moderne Technik dann, wenn sie als einzige Weise des Entbergens gesehen werde.

Technik sei vollendete Metaphysik und daher vollendete Seinsvergessenheit. Diese Seinsvergessenheit bedeute die höchste Gefahr, die Gefahr universeller Vernichtung. Aus dieser Situation gibt es für Heidegger keinen Weg heraus, keine Überwindung und keine Aufhebung. Moral sei dabei auch keine verbleibende Option.

Die moderne Technik ist für Heidegger die höchste Gefahr, da sie das, was ist, in Herstellbares und jederzeit Verfügbares verwandle. In der Moderne sei Technik Einheit von techne (im Sinn des Herstellens) und logos (Wissen). Es komme also zu einer Totalisierung des Technisch-Werdens der Welt. In der Moderne wird für Heidegger die Technik zur alleinigen Weise des Hervorbringens und Entbergens. Technik beherrsche die Gesellschaft ("die Herrschaft des Wesens der modernen Technik").

Im Vortrag "Die Kehre" geht Heidegger weg vom Technikpessimismus und betont, daß in der modernen Technik als Weise des Entbergens auch das "Rettende" vorhanden sei. Das einzige, das die Menschen für Heidegger in der Situation höchster Gefahr haben, ist das Bewußtsein der Gefahr. Dies ermögliche eine Kehre in dem Sinn, das die Wahrheit, die durch das Gestell verstellt werden, zurückkehre: "Im Wesen der Gefahr verbirgt sich darum die Möglichkeit einer Kehre, in der die Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet, daß mit dieser Kehre die Wahrheit des Wesens des Seins in das Seiende eigens einkehrt".

Das Sein, das Seiende und das Nichts

Moderne Technik ist für Heidegger vollendete Metaphysik, dies bedeute Seinsvergessenheit. Das Sein und das Seiende spielt in Heideggers Philosophie eine wesentliche Rolle: Die wesentliche Grundfrage der Metaphysik sei die Frage nach dem Sein des Seienden. Das Seiende sei nicht einfach all das, was ist (wovon wir reden und was wir sind). Die Frage nach dem Sein des Seienden stelle sich, da es nicht selbstverständlich ist, daß Seiendes ist. Es könnte ja auch sein, daß statt dem Seienden Nichts ist. Für Heidegger stellt sich also die Frage: Warum ist Seiendes? Das Sein ist bei Heidegger Nichts, sonst wäre es Seiendes. Und das Sein ist auch nicht ohne Seiendes. Sein umfaßt also Nichts und Seiendes. Durch das Entbergen wird aus dem Nichts (dem Verborgenen) Seiendes. Durch das Entbergen entsteht für Heidegger Erkenntnis und Wahrheit.

Durch die Seinsvergessenheit stoße das Sein das Nichts ab. Sein wird dadurch zu einem Bleibenden. Es hat Bestand. Die moderne Technik spielt dabei die Rolle, daß sie das Seiende aus der Verborgenheit (die das Nichts beinhaltet) in den Bestand herausfordernden Stellens transformiere. Sie ist Gestell.

Fazit

Technik ist für Heidegger eine Weise des Entbergens. Sie schafft Erkenntnis und bringt neue Ideen hervor. Die moderne Technik sieht Heidegger äußerst pessimistisch: Sie sei das Gestell und es bestehe die Gefahr der Vernichtung durch die Technik, da sie den Mensch beherrsche. Sie werde zur einzigen Weise des Entbergens. Das Problem sei also eine Technisierung der Gesellschaft und aller Lebensbereiche. Dies erinnert an Technisierung der Lebenswelt bei Habermas. Heideggers Technikbegriff ist sowohl technikdeterministisch als auch technikpessimistisch. Sein Interesse gilt nicht möglichen Interessen und Herrschaftsformen, die mit Hilfe der Technik durchgesetzt werden sollen, sondern einzig einer abstrakten Technikphilosophie des Seins ohne der Berücksichtigung personaler Herrschaftsverhältnisse. Konkrete soziale Beziehungen spielen bei Heidegger keine Rolle, er beklagt einzig die von ihm angenommene Dekadenz der Moderne und der Technik.

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