"Information und Selbstorganisation" - Eine Rezension von Christian Fuchs

Auf den ersten Blick mögen die Beiträge in diesem Reader etwas disziplinarisch fragmentiert und zusammenhangslos erscheinen. Informations- und Selbstorganisationsprozesse und deren Zusammenhang werden von den Autoren in physikalischen, biologischen, soziologischen und Computer-Systemen untersucht. Daß dies im Hinblick auf die Emergenz von Information in der Evolution von Systemen durchwegs einen sinnstiftenden Zusammenhang leistet, erläutert Wolfgang Hofkirchner:

Das Capurrosche Trilemma besagt, daß ein Informatiosbegriff, der in allen wissenschaftlichen Disziplinen dasselbe, etwas ähnliches oder jeweils etwas anderes bedeute, zwangsläufig scheitern müsse. Davon ausgehend propagiert Hofkirchner einen einheitlichen Begriff der Information, gar eine in Bezug auf die Einzeldisziplinen vereinheitlichte Theorie der Information, die eine Basis für die Lösung der globalen Probleme der Informationsgesellschaft sein soll. Die Selbstorganisationstheorie ermöglicht mit dem Begriff der Emergenz die Erklärung des Auftauchens von neuen Eigenschaften eines Systems, die nicht auf die Teile reduziert werden können. Dieses emergentische Umschlagen von Quantität in Qualität könne sich ein einheitlicher Informationsbegriff zunutze machen. "[Es] müßte ein Begriff gefunden werden, der flexibel genug ist, daß er auf der einen Seite zwar einen Inhalt besitzt, den alle einzelwissenschaftlichen Beschäftigungen mit dem Informationsgeschehen gemeinsam bearbeiten, weil er sich auf Charakteristika bezieht, die sich in den verschiedenen Manifestationen der Information wiederholen, und daß er aber auf der anderen Seite einen für die jeweilige Disziplin einmaligen Inhalt umfaßt, einen, der die einzigartigen Züge des konkreten Informationsgeschehens reflektiert" (S. 73).

Hofkirchner nimmt dann eine Unterscheidung in dissipative (selbständernd), autopoietische (selbständernd, selbsterhaltend) und re-kreative (selbständernd, selbsterhaltend, selbstschaffend) Systeme und in Mikroebene (Elemente, Relationen), Makroebene (Verhalten) und Mesoebene (Zustand) eines Systems vor. Letztere drei Begrifflichkeiten werden dann gekoppelt an die semiotischen Informationsdimensionen: Die Mikroebene entspricht der Syntaktik, die Mesoebene der Semantik und die Makroebene der Pragmatik. Es erfolgt jedoch keine allgemeine, nähere Spezifizierung der systemtheoretischen Ebenen in den drei unterschiedenen Systemarten, sondern eben nur eine spezielle für den Prozeß der Informationsgenerierung. Sie ist aber durchwegs von Bedeutung, da es beispielsweise eine wesentlich Frage ist, was als die Elemente eines sozialen Systems (bei Hofkirchner also einem re-kreativen System) sind. Luhmann erachtet als solche Kommunikationen und soziale Handlungen, womit er die sozialen Akteure in die Systemumwelt verbannt, während Maturana - verkürzt gesagt - soziale Systeme als Netzwerke von Interaktionen zwischen autopoietischen sozialen Akteuren sieht. Maturana erachtet soziale Systeme übrigens nicht als autopoietische Systeme.

Als Informationsprozesse sieht Wolfgang Hofkirchner in dissipativen Systemen die Musterbildung (Widerspiegelung), in autopoietischen Systemen die Erzeugung von Symbolen und die darauf aufbauende Zuweisung von Bedeutung und in re-kreativen Systemen das Sammeln von Daten, darauf aufbauend das Erwerben von Wissen und darauf aufbauend die Erlangung von Weisheit. "Weisheit - das ist die richtige Anleitung und Anweisung zum Handeln entsprechend der Zielsetzungen des Guten und des Schönen" (S. 89). Daten, Wissen und Weisheit also als Konzepte sozialer Information. Weisheit ist sicherlich eine kontroversielle Konzeption, manche sehen sie auch als "ideologisch", angesichts der globalen Probleme stellt sich jedoch die Frage, inwiefern eine "weise" Umgangsweise der Gesellschaft nicht wirklich nötig wäre.

Eine Stärke des Readers ist die "Dekonstruktion" des im gesellschaftlichen Mainstream vorherrschenden technikreduktionistischen Informationsbegriffes mit Beschränkung auf die Shannonschen Begrifflichkeiten. Es handelt sich hier um einen Reduktionismus, der ein Verständnis von Technik und Gesellschaft als autonome Einheiten nahelegt, was wiederum eine Sichtweise von Technik als Instrument der Profitmaximierung mit sich bringt. Dies zeigt ja beispielsweise die weitgehende (allgemeine) Zentrierung der Verwendung des Begriffes "Informationsgesellschaft" auf kommerzielle Anwendungen von I&K-Systemen und das Außerachtlassen sozialer Aspekte. Frank Hartmann kritisiert diesen Reduktionismus, sieht Information als einen "Fetisch der postmodernen Gesellschaft" (S. 17), beschäftigt sich mit dem semiotischen Kommunikationsmodell und betont die Kontextabhängigkeit von Informationsprozessen.

Patrick Fiegl wendet das Modell von Shannon/Weaver auf die Erkenntnistheorie an: Er propagiert den Erkenntnisprozeß als einen Prozeß der Informationsübertragung. Dabei gibt es keine Informationsquelle, aber viele Kanäle. Der Reproduktion der Nachricht des Senders durch den Empfänger (=Empfang) bei Shannon/Weaver entspricht hier die Repräsentation des Erkenntnisgegenstandes durch das Subjekt der Erkenntnis.

Michael Vogler argumentiert, daß der Entstehung von Neuem immer Kommunikation vorausgehe. Er sieht Kommunikation als ein dynamisches Prinzip der Evolution, das die Entstehung von Neuem in allen Bereichen der Welt determiniere. Diese folge einem allgemeinen Muster mit 3 Voraussetzungen:

"Es bestehen annähernd gleiche Voraussetzungen, es kommt zwischen den Teilnehmern zu einem Verständigungsprozeß und es sind schließlich Folgen zu erkennen. Diese waren vorher nicht vorhanden. Ein sich verständigendes Ganzes ist mehr als die Summe seiner Teile" (S. 53).

Frank Schweitzer verwendet eine Unterscheidung von struktureller Information (Information, die mit einer bestimmten Struktur zu einer bestimmten Zeit gegeben ist), pragmatischer Information (ist minimal, wenn Information entweder vollständig bekannt oder vollständig unbekannt ist) und funktionaler Information (Information, die bei der Interpretation struktureller Information hilft). Darauf baut er ein Modell computergraphischer Agenten auf, in dem er das Entstehen eines kollektiven Gedächtnisses, emergenter Wege und der "Versklavung" der Agenten durch das kollektive Gedächtnis in dem Sinne, daß letzteres erstere bevorzugt auf vorhandene Wege schickt, was die Etablierung neuer Wege erschwert, erläutert. Analogien zu gesellschaftlichen Informationsräumen, die durch Herrschaft strukturiert sind, fallen mir dabei auf.

Ein computergraphisches Modell entwickeln auch Peter und Gregor Fleissner: Ein blinder Springer soll eine Barriere mit zufällig gewählter Breite überspringen, ein Sprecher sieht das Hindernis, kann seine Breite feststellen und kann dem Springer Laute zurufen. Der Springer kann die gehörten Laute "mit bestimmter Wahrscheinlichkeit mit seiner ‘Entscheidung’, wie weit er springt, verknüpfen" (S. 329). Ein erfolgreicher Sprung erhöht die Verknüpfungswahrscheinlichkeit zwischen gehörtem Laut und der Sprungweite beim Springer und zwischen wahrgenommener Barrierenbreite und geäußertem Laut beim Sprecher. "Nach einigen -zig Versuchen ‘lernt’ der Springer jedoch, auf den speziellen Zuruf des Sprechers korrekt zu springen, der Sprecher ‘lernt’, die jeweilige Barrierenbreite mit einem jeweils dazugehörigen Sprachlaut zu bezeichnen, der sich im Lauf der Zeit nicht mehr ändert" (S. 333). Das Ergebnis zeigt sehr schön ein allgemeines Prinzip der Selbstorganisation: Die Nichtvorhersagbarkeit des Zeitpunktes des Eintretens und bestimmter Aspekte von Prozessen, die jedoch vorhersehbaren Gesetzen folgen: Der Zufall bestimmt die Zuordnung der Sprungweiten mit Lauten, vorhersehbare Gesetze sind in jeder Simulation das "Gleichbleiben" der Zuordnung nach einer nichtvorhersehbaren Anzahl von Versuchen und ein erfolgreiches Springen.

Gerhard Grössing spricht von "Paradoxalem Umkippen" als einem Phänomen des fundamentalen Wechsels in der Informationsorganisation eines Systems, der so etwas wie ein Phasenübergang ist. "Eine bis in ein Extrem getriebene Strategie unter wohldefinierten Grundannahmen führt aufgrund ihrer eigenen Praxis zur Etablierung der den Grundannahmen konträr entgegengesetzten Annahmen" (S. 374): Als Beispiel nennt er Machtverlust oder Systemimplosion als ein Resultat von ständig gesteigerter Planung und Kontrolle.

Norbert Fenzl propagiert den Begriff des "Wirkungsfeldes": "Das Wirkungsfeld eines offenen Systems ist die für die Aufrechterhaltung seiner systemspezifischen Selbstorganisation relevante Umwelt, die mit der Struktur des Systems rückgekoppelt ist" (S. 109). Darauf aufbauend beschreibt er Informationsprozesse in und zwischen physikalischen Systemen: Er geht dabei aus von 2 abiotischen Systemen mit strukturellen Informationen. "Die Summe aller im Wirkungsfeld gesetzten Signale" (S. 131) wird dabei als potentielle Information des entsprechenden Systems bezeichnet. Fenzl beschreibt die Entstehung eines Kanals zwischen den beiden Systemen, der die Signale beider Systeme enthält. Über ihn kommt es zur Aktualisierung der strukturellen Systeminformationen.

Günther Ellersdorfer kritisiert die Reduktion aller Verhaltensmuster eines Lebewesens auf die genetische Information im molekularbiologischen Mainstream. Er propagiert selbstorganisierte, epigenetische Netzwerke: "Ein gegebenes Netzwerk mit N Genen kann theoretisch einen von 2N Zuständen annehmen. Diese Zustände repräsentieren alle möglichen Kombinationen von ein- bzw. ausgeschalteten Genen." (S.192) Ein solches Netzwerk nimmt eine durch Selbstorganisation entstehende spontane Ordnung zu jeweiligen Zeitpunkten an. Jeweils aktuelle Information emergiert. Die Epigenesis begreift die Zelle als "ein komplexes adaptives System und nicht bloß wie eine Fabrikshalle, in der Roboter-Genmaschinen nach einem genauen Produktionsplan Fertigbauteile linear-mechanistisch erzeugen" (S. 199). "Epigenetische Netzwerke zeigen Mechanismen, die den zellulären Informationsgehalt, aber nicht die genetische Information verändern" (S. 200). Darwin propagierte die Evolution komplexer Systeme als Akkumulation von Mutationen, die sich durch Selektion an neue Umweltbedingungen anpassen. Ellersdorfer nennt Beispiele explosionsartiger Evolution und propagiert daher ein "Zusammenwirken von Selektion und Selbstorganisationsprozessen" (S. 206). "Was im Laufe der Evolution selektiert wird, sind nicht nur die Eigenschaften bestimmter Genprodukte, sondern auch die Fähigkeit zur Ausbildung unterschiedlicher emergenter Eigenschaften".

Hans Wassermann verwendet die Begriffe Datenraum (ein Ort, wo Information syntaktisch vorliegt), Zustandsraum (ein Ort, wo sie semantisch vorliegt) und Aktionsraum (ein Ort, wo sie pragmatisch existiert). In Betrieben haben diese Räume folgende Bedeutung: "Die Signalebene ist permanenten Veränderungen durch eigene und Aktivitäten anderer unterworfen. Sie ist Ziel von Beobachtungen und des Suchens. Der Datenraum ist gekennzeichnet durch das geeignete Instrumentarium, das gewährleistet, Signale zu empfangen. In ihm findet Musterbildung und Selektion statt. Neue Empfangsmethoden ermöglichen auch, den Datenraum qualitativ zu ändern. Aus einer Fülle von Signalen, die das System ständig bombardieren, müssen die relevanten gefiltert werden. [...] Die Aktivitäten im Zustandsraum - er bildet den Kontext bei der Informationsaufnahme - können durch verbesserte Ausbildung, durch neue Methoden und Werkzeuge gestaltet und verbessert werden. Die Vorgänge im Aktionsraum hängen unmittelbar mit dem Zustandsraum zusammen. Auch sie können mit ähnlichen Mitteln gestaltet werden" (S. 310).

Gottfried Stockinger meint, daß Systeme, die sich im Gleichgewicht befinden, keine Information besitzen. Information entstehe, wenn ein Zustand durch zufällige Fluktuationen instabil werde und sich so von anderen abhebe. Diese neue "Mutante" könne das Systemverhalten ändern, aber auch untauglich sein. Solche Informationsstrukturen haben also bei Stockinger eine Veränderungsfähigkeit ("Mutagenität"). Er verwendet biologische Konzepte: "Survival ‘ist eine Gegebenheit, die sich durch relative Populationszahlen ausdrückt und im Experiment messen läßt’. [...] ‘Fittest ist durch eine Wertfunktion bestimmt [...]’. Diese Wertefunktion kann als ‘Funktionstüchtigkeit’, wieder zurückführbar auf ‘Informationsgehalt’, gesehen werden. [...] In der molekularbiologischen Selektion bedeutet diese Bewertungsfunktion eine Fokussierung auf eine dominante Sequenz, den Wildtyp, bzw. auf ein dominantes Sequenzenensemble, die Quasispezies. [...] Es passierte die Entdeckung, daß der Wildtyp eigentlich nur eine Dominanz ‘vorspiegelt’, in Wirklichkeit es sich aber um ein Ensemble, um eine Menge oder Masse von vorher als ‘neutral’ bezeichneten Mutanten handelt, die sehr wohl, in ihrer Quantität, Gesamtabweichungen liefern und daher das System ‘mitsteuern’" (S. 278f). Bei sozialen Systemen sei lange Zeit zwischen intellektueller und physischer Arbeitsleistung getrennt worden. Die "bewertete Arbeitsleistung" sei wenigen "Wildtypen" zugeschrieben worden, die Masse der "Mutanten" galt als versklavt. Die "wildtypisierte Minderheit" habe sehr wohl gewußt, daß die Arbeitsleistung der "Mutanten" die eigentliche "bewertete Arbeitsleistung" sei, sie habe dies aber verschleiert und reprimiert. Stockinger führt eine direkte Anwendung dieser biologischen Begrifflichkeiten auf soziale Sachverhalte durch: "Soziologisch kann der Wildtyp als vorherrschend kopierter Lebensstil, etwa ‘The American Way of Life’, gesehen werden. Eine soziologische ‘Quasispezies’ entspricht dann der bunten Vielfalt der Lebensstile" (S. 280).

Stockinger beschreibt dann die Entstehung eines neuen, vorteilhaften "Gesellschaftsensembles":

Das herrschende soziale System werde mit Abweichungen kopiert, diese "Mutanten" würden höhere Populationen erfassen und so entstünden neue Lebensstile. Als wertvoll erkannte "Mutanten" würden dann viel häufiger auftreten, Randgruppen würden zunehmend akzeptiert und integriert. "Die Periode der ‘Alleinherrschaft’ eines dominanten Führungssystems geht zu Ende. [...] Die "Machtfrage" wird neu gestellt." (S. 282). An der entstehenden Gesellschaft seien "alle funktionstüchtigen, d.h. informationstechnisch fitten, sozialen Gruppen beteiligt". Und dann entstünde eine heile Welt, die pluralistisch, entideologisiert, dezentral und ohne Entfremdung sei, die eine selbstorganisierte Gesellschaftsstruktur aufweise und in der kollektive politische Entscheidungsfindung mit Hilfe moderner Kommunikationstechnologien möglich sei.

Gottfried Stockingers biologistischer Fehlschluß, der naturwissenschaftliche Konzepte direkt auf die Gesellschaft überträgt, muß zwangsläufig scheitern, da soziale Systeme neue emergente Eigenschaften aufweisen, die sich bei biotischen Systemen nicht finden lassen. Eine solche Eigenschaft ist beispielsweise die Möglichkeit von zielgerichtetem, kollektiven Handeln und von Verständigung auf gemeinsame Ziele.

Stockinger geht scheinbar davon aus, daß diese Abweichergruppen einfach so als "wertvoll" erkannt werden und daß Herrschaftsinstitutionen ihre Macht freiwillig abgeben und keine Repression, Widerstände, Gegenstrategien oder Manipulationen auffahren. In dieser Analyse/Theorie fehlt mir der Aspekt von Herrschaftsinteressen, der Methoden ihrer Durchsetzung/Verteidigung und die Tatsache ihrer Fetischisierung.

"Survival of the fittest" bedeutet bei Stockinger, daß gewisse Lebensstile, die als "wertvoll" erkannt werden, "überleben". Ich lehne es ab, "Survival of the fittest" als wünschenswertes Prinzip in gesellschaftlicher Theorie oder Praxis zu akzeptieren, da damit immer auch impliziert wird, daß die, die nicht stark genug sind, eben nicht überleben und daß es sich dabei um ein Naturgesetz handelt. Im Kapitalismus überlebt oftmals der "Stärkere": Der Obdachlose verreckt auf der Straße, während andere Kapital akkumulieren. Das eine ist so, weil das andere so ist. Das heißt aber nicht, daß es unabänderlich immer so sein muß. Der "Stärkere" überlebt, da der "Schwächere" nicht überlebt. Es ist aber sehr wohl möglich, daß alle gleichstark werden und daß alle überleben, wenn eine Gleichverteilung des Wohlstandes erreicht werden kann. Das Gelten des Prinzips des Überleben des Stärkeren schließt jedoch diese Gleichverteilung aus, da dann Konkurrenz und nicht Kooperation und Solidarität wesentliche Prinzipien sind. Es darf nicht so sein, daß - wie hier propagiert - die fittesten Lebensformen überleben, sondern es ist möglich, daß alle ihr Leben so formen können, wie sie es wollen - nicht nur dann, wenn sie fit genug sind - und daß alle diese Formen überleben können. Der hier verfolgte Ansatz schließt das Überleben der Schwachen in der Gesellschaft, der Minderheiten und Ränder - also jener, die oftmals nicht als "wertvoll" gelten -möglicherweise aus. Lebensstil und Lebensform sind oftmals nicht nach eigener Entscheidung freiwillig und selbst gewählt, sondern der Zufall und die Realität sowie Zwänge der Gesellschaft spielen eine Rolle. Ein Obdachloser entscheidet sich z.B. nicht für diese für ihn "neue Art der Lebensform", sondern er wird dazu gezwungen. "Survival of the fittest" und "komplexe Vielfalt" schließen sich eigentlich gegenseitig aus, da ersteres Ausschluß bedeutet.

Die Beobachtung, daß soziale Bewegungen/Lebensformen oft erst dann akzeptiert werden, wenn sie Mainstream in dem Sinne, daß sich viele Menschen dafür entscheiden, daran teilzunehmen, werden, halte ich für durchwegs richtig, sie ist aber nicht verallgemeinerbar, da z.B. im "Mainstream der Minderheiten" (Vgl. Tom Holert/Mark Terkessidis (Hg.), Mainstream der Minderheiten) die Interessen von Minderheiten in dem Sinne akzeptiert werden, daß sie kapitalisiert werden und daß daraus kulturindustrielle Nischen entstehen. Biologistische Verallgemeinerungen mit Begriffen, die das Ableben von Lebensformen implizieren, halte ich hier nicht für angebracht. Und unter Lebensform können eben nicht nur Bewegungen oder Subkulturen wie Hippies, Punks, RaverInnen, Kommunen oder sonstwas verstanden werden, sondern auch die VerliererInnen unserer Gesellschaft.

Fazit: Insgesamt gesehen eröffnet der Reader neue Perspektiven gegen den Mainstreaminformationsreduktionismus und gegen "die Tendenz der wissenschaftlichen Zersplitterung" (Peter Fleissner im Vorwort).

Norbert Fenzl, Wolfgang Hofkirchner, Gottfried Stockinger (Hg.)
Information und Selbstorganisation - Annäherungen an eine vereinheitlichte Theorie der Information
Studien Verlag, Innsbruck-Wien, 1998

 

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