Ein einheitlicher Informationsbegriff für eine einheitliche Informationswissenschaft

Christian Fuchs (rhizom00@hotmail.com)
Wolfgang Hofkirchner (hofi@igw.tuwien.ac.at)
Technische Universität Wien, Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung

Abstract

Die Bedeutung von Information im Sinn des lateinischen "informare" als Gestaltung und Formung ist heute fast vergessen. Eine evolutionäre Theorie, die Information und Selbstorganisation in einem gemeinsamen Ansatz vereint, revitalisiert dieses Verständnis, indem sie dem Technikreduktionismus und der Verdinglichung in der Informatik entgegenwirkt. Weiters kann sie angesichts der globalen Probleme, die Überlebensprobleme der Menschheit sind, zu einem Verständnis der der geschichtlichen Entwicklung im Sinn einer sozialen Systemgestaltung beitragen.

Es wird eine Einteilung von Informationsbegriffen vorgestellt, die als eine Kategorie reduktionistische Informationsbegriffe umfaßt, die Information als Ding betrachten, das in allen Systemen und Kontexten das gleiche bedeutet. Eine andere Kategorie stellen antisynonymische Informationsbegriffe dar, die davon ausgehen, daß Systeme die Eigenschaft haben, Information autonom, unabhängig von ihrer Umwelt, erzeugen zu können. Dabei kann ein projektionistischer Analogismus identifiziert werden, der vom Informationsgeschehen eines Systems auf das Informationsgeschehen anderer Systeme schließt, und eine dualistische/pluralistische Äquivokation, die unüberbrückbare Unterschiede im Informationsgeschehen unterschiedlicher Systemtypen propagiert. Die dritte Kategorie stellen dialektische Ansätze dar, die davon ausgehen, daß Information in verschiedenen Systemarten sowohl gleiches als auch unterschiedliches bedeutet.

Der Informationsbegriff der heutigen Informatik ist vom Shannonschen Entropiebegriff geprägt, der Information rein syntaktisch und quantitativ faßt und daher semantische, pragmatische sowie qualitative Aspekte ausblendet.

Für Norbert Wiener ist Information Negentropie, ein Maß für Ordnung. Gregory Bateson faßt Information als Differenz, die eine Differenz in einem System produziert.

C.F. von Weizsäcker faßt Information als die Anzahl der Uralternativen in einer bestimmten Situation. Dabei geht er von binären, letzten Alternativen aus, bei denen in Entscheidungssituationen eine von zwei Möglichkeiten ausgewählt wird. Auch er versucht, Information zu quantifizieren, und es werden qualitative Aspekte vernachlässigt.

Die Entwicklung der Selbstorganisationstheorie erlaubt einen neuen Blick auf Information. Niklas Luhmann faßt Information in seiner Theorie selbstreferentieller Systeme als Teil des Kommunikationsprozesses: Information beinhalte einen Unterschied vom bereits Bekanntem. Und dieser Unterschied löse kognitive Strukturveränderung aus, d.h. mental wird ein Unterschied zur alten Struktur hergestellt. Information gilt ihm als rein kommunikatives Element, die Existenz von Information in verschiedenen Systemarten wird negiert.

Hermann Haken und Maria Krell-Haken versuchen eine Synthese von Informationskonzept und Synergetik und sehen Information so, daß ein Übertragunsvorgang verschiedene Endzustände bewirken könne. Die Existenz mehrerer Attraktoren sei dabei also anzunehmen. Das Ergebnis ist ein anthropomorphistischer Ansatz, der die Evolution von Information negiert.

Die Semiotik im Sinne Peirces und Morris&rsquo ist die Basis mehrerer moderner Verständnisse von Information, die Konzepte der Information und Selbstorganisation vereinen wollen. Die Cybersemiotik Søren Briers orientiert sich an der Peirceschen Semiose und an Luhmanns Autopoiesiskonzept. Ziel ist die Verknüpfung von Semiotik und Kybernetik zweiter Ordnung.

Ein evolutionäres Informationsverständnis stammt von Klaus Fuchs-Kittowski, der Information als Trias von Form (Syntax), Inhalt (Semantik) und Wirkung (Pragmatik) faßt. Information entsteht dabei intern in einem Prozeß von Abbildung (Abbildung von äußeren Einwirkungen auf innere Syntaxstrukturen), Interpretation (Bedeutung, Bildung der Semantik) und Bewertung (durch Verhalten kann sich Pragmatik manifestieren).

Auch wir vertreten ein dialektisches Konzept der Information, das semiotische Erkenntnisse und eine noch zu entwickelnde Theorie evolutionärer Systeme integriert. Es wird von der Existenz unterschiedlicher Organisationsebenen mit jeweils emergenten Bedeutungsinhalten der Information ausgegangen. Zentrale Begriffe dabei sind Daten, Wissen und Weisheit als semiotische Aspekte individueller Information und soziale Information.

Derartige evolutionäre Ansätze wirken dem verdinglichenden Informationsbegriff in der Informatik, anderen Wissenschaften und dem Alltagsdenken entgegen und bilden Schritte zu einer Vereinheitlichten Theorie der Information, die eine interdisziplinäre Kommunikation erlaubt, Basis einer einheitlichen Informationswissenschaft ist und in letzter Konsequenz eine Umgangsweise mit den globalen Problemen im Sinn einer sozialen Systemgestaltung erlaubt.

 

1. Der Informationsbegriff

Noch gibt es aber keinen einheitlichen, von der Mehrheit der Wissenschaftstreibenden anerkannten Informationsbegriff. Übereinstimmung scheint es hingegen darin zu geben (siehe Tab. 1), von Informationsprozessen in der Gesellschaft grundsätzlich auf drei Gebieten zu sprechen:

1. auf dem Gebiet des Erkenntnisgewinns und der Ideenproduktion durch gesellschaftliche Subjekte (Kognition),

2. auf dem Gebiet des Austauschs von Erkenntnissen und des Verkehrs gesellschaftlicher Subjekte über Ideen (Kommunikation) und

3. auf dem Gebiet gemeinsamer Aktionen, zu deren Durchführung die gesellschaftlichen Subjekte Erkenntnisse und Ideen in Einklang bringen müssen (Kooperation).



Tab. 1: Informationsbegriffe

Der ingenieurwissenschaftliche Bias der Informatik, der kultur-/geisteswissenschaftliche Touch der verschiedenen Gesellschaftswissenschaften, die sich Informationsprozesse zum Thema machen, und der gesamthafte Charakter einer integrativen informationswissenschaftlichen Sicht treten in den Antworten zutage, die auf die Fragen nach dem Zustandekommen der Kognition, der Kommunikation und der Kooperation gegeben werden.

Die Antworten müssen sich dabei einer logischen Situation stellen, die anderswo das "Capurrosche Trilemma" getauft worden ist (Fleissner, Hofkirchner 1995). Capurro sieht drei Möglichkeiten, den Informationsbegriff zu fassen, die allerdings allesamt nicht zufrieden stellen können: Entweder bedeutet der Informationsbegriff in allen Wissensbereichen

Nichtsdestotrotz erfreuen sich die Varianten der Synonymie, des Analogismus und der Äquivokation einer großen Anhängerschaft.

Information als Ding. Der noch am meisten verbreitete Fall eines synonymischen Informationsbegriffs ist die Vorstellung, Information sei ein Ding. Dieses Ding sei in allen Kontexten gleichartig, ob es sich nun um Vorgänge der humanen Kognition, der Humankommunikation, der humanen Kooperation oder um Vorgänge in nichtmenschlichen Bereichen handle &ndash Vorgänge, die an oder mit diesem Ding Information ablaufen. Bei der Kognition wird demnach Information aufgenommen und verarbeitet, bei der Kommunikation übertragen und bei der Kooperation gespeichert, abgerufen, verteilt, verwertet. Dies ist ein objektivistischer Informationsbegriff, der seine technikwissenschaftliche Herkunft nicht verleugnen kann.


Information als Eigenschaft. Die von soziologischen, psychologischen, sprachwissenschaftlichen u.a. Lehren inspirierte eindrucksvolle Gegenposition zum dinghaften Begriff der Synonymie ist die Vorstellung, daß gewisse Systeme die Eigenschaft haben, aus sich heraus "Information" erzeugen zu können. Das im deutschen Sprachraum bekannteste Exempel für eine derartige Auffassung, die eine Nähe zur erkenntnistheoretischen Strömung des sog. radikalen Konstruktivismus aufweist, stammt vom deutschen Soziologen Niklas Luhmann. Danach enthalte die Umwelt keine Information. Information sei nicht etwas, was darauf warte, erfaßt zu werden. Sie könne auch nicht übertragen werden. Zur Information komme es nur dann, wenn in einem System innere Restrukturierungen vorgehen. Die eigenen inneren Zustände würden aufgrund der eigenen inneren Zustände verändert. Deshalb heißen solche Systeme selbstreferentielle Systeme. Dies ist ein subjektivistischer Standpunkt.
Der Unterschied zwischen der Position des Analogismus und der, daß Äquivokationen vorlägen, besteht darin, ob von der Existenz eines bestimmt gearteten Informationsgeschehens bei den einen Systemen auf die Existenz eines gleichgearteten Informationsgeschehens bei anderen Systemen geschlossen wird oder ob die Annahme eines nicht-überbrückbaren Unterschieds dies verhindert. Relevant wird diese Differenzierung beispielsweise bei Fragestellungen wie: Können Computer denken? Haben Tiere Bewußtsein?

Information als Verhältnis. Das Capurrosche Trilemma kann freilich nicht aufgelöst werden, solange an der Tradition der formalen Logik festgehalten wird. In der dialektischen Tradition gelten allerdings Gegensätze nicht als starr und Dinge und Eigenschaften und Relationen als ineinander überführbar (siehe z.B. bei Ujomov 1965).

Ein vereinheitlichter Informationsbegriff ist denkmöglich. Um weder an der Suche nach einer Weltformel scheitern zu müssen noch mit der subjektiven Beliebigkeit der Projektionen zwischen den unterschiedlichsten Gebieten jeden allgemeingültigen Anspruch aufgeben zu müssen noch im Fachidiotentum weiter dahin vegetieren zu müssen, braucht es eines Begriffs, der flexibel genug ist, um auf der einen Seite einen Inhalt zu besitzen, den alle konkreten Beschäftigungen mit dem Informationsgeschehen gemeinsam thematisieren, weil er sich auf Charakteristika bezieht, die sich in den verschiedenen Manifestationen der Information wiederholen, und um auf der anderen Seite einen für die jeweilige Untersuchung einmaligen Inhalt mit zu umfassen, einen, der die einzigartigen Züge des konkreten Informationsgeschehens reflektiert, sodaß die in den verschiedenen Einzelwissenschaften gebrauchten Begriffe vergleichbar wie unterscheidbar werden, weil und indem sie Gleiches wie den Unterschied beinhalten. Gesucht ist also ein einheitlicher Informationsbegriff, der Allgemeines und Besonderes miteinander vermittelt &ndash das Allgemeine als die gesetzmäßigen, notwendigen Bestimmungen jeglichen Informationsgeschehens und das Besondere als diejenigen Bestimmungen, die bei der konkreten Erscheinungsform hinzutreten und die unverwechselbaren Eigentümlichkeiten des je nach Gegenstandsbereich variierenden Informationsgeschehens ausmachen, wobei Allgemeines und Besonderes mit der Betrachtungsebene variieren.

Ein Begriff, der sich die Dialektik von Allgemeinem und Besonderem zu eigen macht, kann die trilemmatische Situation aufbrechen. Und er behandelt die objektive Seite und die subjektive Seite des Informationsgeschehens nicht als getrennt, sondern als zusammengehörige, aufeinander hinweisende und aufeinander angewiesene Gegensätze. Die Dialektik von Subjekt und Objekt besagt hier, daß Information immer nur in einem Verhältnis des Subjekts zum Objekt existiert, daß Information zwar immer im Subjekt entsteht, daß Information immer aber auch eines Objekts bedarf. So werden die Informationserzeugung im Subjekt und die diesen Prozeß auslösende Rolle des Objekts in der Kognition, Kommunikation und Kooperation als miteinander vermittelbar vorgestellt.

Der Begriff "Information" kommt vom lateinischen "informatio", das so viel wie "Vorstellung" einerseits und "Erläuterung" andererseits bedeutet. Das Verb "informare" hatte im Lateinischen mehrere Sinngehalte:

formen, gestalten

jemanden unterrichten, durch Unterweisung bilden

etwas schildern

sich etwas denken

In unserer heutigen kapitalistischen Gesellschaft, in der Wissen als eine systematisierte, organisierte und integrierte Form der Information eine wesentliche Produktivkraft darstellt und die als Informationsgesellschaft bezeichnet werden kann, ist vor allem die verdinglichte Information im Gespräch. Information als Ware wurde zu einem neuen Fetisch der bürgerlichen Gesellschaft: Ein Verständnis von Information als soziale Kategorie im Sinne der Formung und bewußten Gestaltung der Gesellschaft wird bestenfalls auf einem Nebenschauplatz der Gesellschaft gepflegt. Vorherrschend ist ein technischer Reduktionismus, dem es vorwiegend um die profit- und warenförmige Herangehensweise an Wissen und Information in Form der lukrativen Nutzung von I&K-Technologien und Computertechnologie geht.

Im deutschen Sprachraum ist Information im Sinn von Gestaltung weitgehend unbekannt, da im 15. Jahrhundert vor allem Information im Sinn des lateinischen "informare" als "belehren" und "schildern" in den Sprachgebrauch übertragen wurde. "informare" als "formen, eine Gestalt geben" blieb weitgehend unberücksichtigt.

Im Zeitalter der Industriegesellschaft diffundierte der Informationsbegriff aus dem Lateinischen in die Nationalsprachen und erhielt einen alltagssprachlichen Inhalt, der nicht mehr alle mittelalterlichen Bedeutungen umfaßte. In pädagogischer Hinsicht trat mit dem Aufkommen der neuzeitlichen Philosophie und Wissenschaft die humanistische Seite der Information als Bildung der Menschen zum Schönen und Guten gegenüber der rationalistischen Seite zurück, die den intellektuellen Vorgang der Mitteilung von Wissen betonte. Im juristischen Bereich wurde der Begriff gebraucht, um die Ermittlung von Wissen zu kennzeichnen.
Damit war der Boden bereitet für die schließliche Verarmung der Begriffsbedeutung von der Bezeichnung für den Vorgang der Wissensmitteilung und Wissensermittlung auf die alleinige Bezeichnung dessen, was da mitgeteilt oder ermittelt wird.

Diese Entleerung des Informationsbegriffs hat mit seiner Verkürzung zur Charakterisierung all dessen, was nachrichtentechnisch übertragbar ist, also zum Synonym für die "Nachricht", dazu geführt, daß er etwas bezeichnet, was vormals dem Begriff der Botschaft (aggelia) vorbehalten war. Wurde Botschaften anfänglich himmlische Herkunft unterstellt, die in einem vertikalen Prozeß von Götterboten und Engeln auf die Erde herab überbracht wurden, so sind sie nun verweltlicht worden. Sie werden in einem horizontal aufgefaßten Austausch zwischen den Menschen, zwischen Menschen und Maschinen und nicht zuletzt zwischen und in den Maschinen selber vorgestellt.

Angesichts der globalen Probleme, die inzwischen zu Überlebensproblemen der Menschheit geworden sind, erscheint eine grundsätzliche gesellschaftliche Richtungsänderung, die einen Umgang mit diesen Problemen liefern kann, notwendig. Eine deterministische Steuerung der geschichtlichen und damit der menschlichen sowie sozialen Evolution erscheint angesichts des Scheiterns gesellschaftlicher Steuerungsparadigmen immer unwahrscheinlicher. Angesichts der Erkenntnisse der Selbstorganisationstheorie, die zeigen, daß kleine Ursachen große Wirkungen haben können, und daß bijektive und somit lineare Ursache-Wirkungs-Relationen nur in einfachen, mechanischen Systemen möglich sind, während in komplexen Systemen Ursachen viele Wirkungen und Wirkungen viele Ursachen haben können, erscheint eine derartige Lenkung immer unrealistischer. Nichtsdestotrotz wäre es jedoch möglich, die Evolution bewußt zu gestalten, indem der menschlichen Entwicklung im Rahmen einer sozialen Systemgestaltung bewußt eine Richtung gegeben wird. B.H. Banathy bringt die Notwendigkeit einer sozialen Systemgestaltung zu einer bewußten, nichtdeterministischen evolutionären Richtungsgebung folgendermaßen auf den Punkt: "Faced with a massive evolutionary transformation, with a change in the nature of change itself, we must recognize that incremental adaptations or restructuring of our existing systems are not working for us. We must realize that we have to transform our systems [...] The mechanism for this kind of change is social systems design applied on a broad and comprehensive scale. To be able to accomplish this, however, we individually and collectively have to develop competence in design so that we can begin to give direction to our evolution" (Banathy 1996).

Evolution sollte dabei nicht als der Fortgang der Entwicklung durch das Überleben der Stärkeren angesehen werden, sondern als Transformation und Wandel von Systemen, d.h. ihrer Elemente, Strukturen, Zustände ihres Verhaltens. In diesem Sinn kann die Definition in der Enzyklopädie der Kybernetik gesehen werden, in der Evolution als "the accumulative transformation of systems undergoing irreversible changes" (Francois 1997) gefaßt wird

Eine bewußte Gestaltung der Informationsgesellschaft hieße somit eine Neuinterpretation der vergessenen Bedeutung des lateinischen "informare" als "formen" und "gestalten". Ein wissenschaftlich fundiertes Verständnis von Information fehlt. Eine einheitliche Theorie der Information könnte einer Neuinterpretation Rechnung tragen und an der Schaffung von Weisheit beteiligt sein, die eine neue Gesellschaft braucht, um in die Lage zu kommen, die Herausforderungen, die aus ihrer eigenen Entwicklung erwachsen, zu bewältigen.

Nach dieser Taxonomie verschiedener Informationsbegriffe sollen im folgenden einige Vorstellungen davon, was Information sein könnte, diskutiert werden. Dabei wird der Bezug zur Einteilung in reduktionistische (Synonymie), projektionistische (Analogismus), dualistische (Äquivokation) und dialektische (Vermittlung von Gegensätzen) Informationsbegriffe hergestellt.

2. Das semiotische Informationsmodell (1938)

Als Vorvater der Semiotik gilt Charles S. Peirce (siehe Peirce 1991): Kennzeichnend für Zeichen ("Repräsentamen") sieht er eine triadische Beziehung von Repräsentamen - Objekt - Interpretant. Ein Repräsentamen ist fähig einen Interpretanten dahingehend zu bestimmen, daß dieses in der selben triadischen Relation steht, in der es selbst steht. Der Interpretant kann also an die Stelle des Repräsentamen treten und wiederum als Repräsentamen agierend einen weiteren Interpretanten bestimmen. Dies ist ein potentiell endloser Prozeß, der als Semiose bezeichnet wird. In der triadischen Struktur und im semiotischen Netz entsteht die Bedeutung eines Zeichens. Drei Relationen werden in Betracht gezogen: Repräsentamen - Repräsentamen, Repräsentamen - Objekt, Repräsentamen - Interpretant. Aufbauend darauf, daß jede Relation in einer von drei Arten vorliegen kann (potentiell, tatsächlich - d.h. in einem gewissen Augenblick - oder in Gesetzesform - d.h. auch in Zukunft), identifiziert Peirce zehn Typen von Zeichen.

C.W. Morris erarbeitete ein semiotisches Informationsmodell, bei dem er drei Zeichenebenen unterscheidet (vgl. Morris 1972):

1. Die Syntax, die auf Beziehungen zwischen Zeichen verweist. Wesentlich sind dabei Regeln, die zulässige und auf einer semantischen Ebene verständliche Zeichenketten durch Kombination einzelner Zeichen entstehen läßt.

2. Die Semantik, die sich mit Beziehungen zwischen Zeichen und den Objekten, die sie symbolisieren, beschäftigt. Hier steht die Bedeutung der Zeichen im Vordergrund.

3. Die dritte Ebene ist die Pragmatik, die auf die Beziehungen zwischen Zeichen und ihren BenutzerInnen eingeht. Dabei spielt beispielsweise das individuelle Verständnis von Zeichen eine Rolle.

Information ist auch immer kontextabhängig, Zeichen (auch dieselben) können in unterschiedlichen technischen, sprachlichen, ästhetischen, sexuellen, kulturellen, ... Kontexten unterschiedliche Bedeutungen haben (vgl. Hartmann 1998). Letztere sind auch immer von individuellen Auffassungen und Interpretationen abhängig.

Die Semiotik ermöglicht einerseits eine Kritik reduktionistischer Informationsbegriffe, die Information auf eine syntaktische Ebene einschränken und daher die semantische sowie pragmatische Ebene außer Acht lassen. Andererseits kann sie als Basis der Schaffung einer Vereinheitlichten Theorie der Information durch die Verknüpfung der Semiotik mit der Kybernetik 2. Ordnung gesehen werden (vgl. das von uns vertretene evolutionäre Konzept der Information in Abschnitt 6.4. sowie den Cybersemiotik-Ansatz Søren Briers in Abschnitt 6.3.). Ein semiotischer Ansatz kann &ndash nach entsprechender Adaptierung und Redefinition &ndash als eine Basis einer dialektischen und vereinheitlichten Informationskonzeption betrachtet werden, die Gegensätze vermittelt und damit in evolutionären Systemen gleiche und verschiedene Aspekte von Information identifizieren kann.

3. Der nachrichtentechnische Informationsbegriff von Shannon und Weaver (1949)

Im Mainstream der Informatik wird Information vorwiegend im nachrichtentechnischen Sinn von Claude E. Shannon und Warren Weaver (Shannon, Weaver 1949) verstanden. Das entsprechende Informationsmodell, das aus den 40er-Jahren stammt, faßt Information auf einer rein syntaktischen Ebene mit ihrer Übertragung als wesentliches Moment.


Abb. 1: Informationsübertagungsmodell nach Shannon und Weaver

Der Übertragungsvorgang wird dabei in mehrere Teile zerlegt:

In diesem Modell wird versucht, den Informationsgehalt einer Nachricht zu quantifizieren. Eine Nachricht verringert Unsicherheit beim Empfänger: Der Erhalt beseitigt die Unsicherheit, um welche syntaktischen Kombinationen es sich handeln wird. Das Shannonsche quantitative Informationsmaß ist die Entropie einer Nachricht, die eine mittlere Unsicherheit der Vorhersage des Eintreffens einer Nachricht einer bestimmten Länge angibt. Die Entropie ist ein Maß für die Unsicherheit auf der Seite des Empfängers, daß er eine Nachricht mit einer gewissen Länge erhält. Je mehr Zeichen der Sender zur Verfügung hat, desto größer ist die Entropie, d.h. die Ungewißheit seitens des Empfängers.

Jedes potentiell auftretende Zeichen (bei der digitalen Kommunikation 0 oder 1) wird dazu mit einer Auftrittswahrscheinlichkeit belegt. Mathematisch kann dies so ausgedrückt werden, daß jedes Zeichen xi mit einer Auftrittswahrscheinlichkeit pi belegt wird. Der Informationsgehalt eines einzelnen Zeichens ist gegeben als . Sind n Zeichen vorhanden und die Auftrittswahrscheinlichkeit ist gleich verteilt, so ergibt sich für den Informationsgehalt: . Ist eine Nachricht der Länge m gegeben, so wird die Entropie H, d.h. der mittlere Informationsgehalt der Nachricht, folgendermaßen berechnet:

Dieses nachrichtentechnische Modell reduziert Information auf eine rein syntaktische Ebene, der inhaltliche Aspekte eines Zeichens, d.h. seine Bedeutung, wird explizit ausgeklammert. Es kann z.B. nicht erfaßt werden, ob eine Nachricht für ein Individuum sinnvoll, sinnlos, wertvoll, wertlos, wahr, falsch, nützlich, unnützlich, angenehm, unangenehm, usw. ist und ob und welche Anschlußreaktionen ausgelöst werden. Auch unterschiedliche Bedeutungen von Zeichen können in einem rein syntaktischen Modell nicht behandelt werden. Ein altes ägyptisches Schriftzeichen hat i.d.R. sehr wenig Bedeutung, da ich es nicht verstehen kann, während es für eine/n Archäologin/Archäologen wesentlich neue Einsichten liefern kann. Es steht auch ein Verständnis dahinter, daß Information reduktionistisch in kleinste Teilchen (z.B. 1 Bit) zerlegbar ist und sich eine Nachricht aus der Summe dieser Teile zusammensetzt. Ein emergenzphilosophisches Verständnis hingegen sieht die Bedeutung eines Satzes oder der Kombination mehrerer Symbole als neue Qualität, die nicht auf die einzelnen Satzteile reduziert werden kann. Roland Barthes (1974) beispielsweise analysiert Mythen als Aussagen, bei denen der Sinn der verwendeten Symbole in den Hintergrund tritt, während durch das Zusammenwirken der Symbole eine neue Bedeutung kreiert wird, die im Vordergrund steht. Diese neue Bedeutung vermittelt mehr als das getrennte Betrachten der einzelnen Symbole, sie emergiert aus deren Zusammenspiel.

Der Mainstream der Informatik ist mit einem doppelten Reduktionismus konfrontiert: Einerseits werden die gesellschaftlichen Bezüge, d.h. das wechselseitige Verhältnis von Technik und Gesellschaft, permanent ausgeblendet. Andererseits wird die I&K-Technologie immer mehr zum vorherrschenden wissenschaftlichen Objekt der Informatik. Und dies gilt auch für jene Bereiche wie Computer Supported Cooperative Work (CSCW), Human Computer Interaction und diverse techniksoziologische Ansätze, die gesellschaftliche Aspekte der Informatik explizit miteinbeziehen. Angebrachter erschiene uns vielmehr ein erweitertes Verständnis, das Informatik nicht ausschließlich als Computer Science faßt, sondern vielmehr eine informationswissenschaftliche Perspektive (Information Science) einnimmt. Darunter wäre nicht die ursprüngliche Bedeutung von Informationswissenschaft als Bibliothekswissenschaft zu verstehen, sondern eine evolutionäre, dialektische und interdisziplinäre Herangehensweise, die einen vereinheitlichten Informationsbegriff in Betracht zieht, der Information in verschiedenen Systemen sowie die damit verbundenen qualitativen Unterschiede und Transformationen faßt.

Seit der Etablierung der "Informationstheorie" wird "Information" weitgehend mit "Nachricht" gleichgesetzt, nämlich mit dem, was in Shannons Kanalmodell übertragen wird. Diese Verdinglichung der Information kann daher als eine Variante der Synonymie angesehen werden. Dieses Verständnis geht davon aus, daß Information in allen Systemen das gleiche bedeutet: Es wird nahegelegt, daß sie in allen Kontexten als Nachricht auftritt.

Das Modell Shannons und Weavers hat in der wissenschaftlichen Praxis der Informatik heute zwar keinen zentralen Anwendungsaspekt, nichtsdestotrotz ist es symptomatisch für das verdinglichende Selbstverständnis der meisten Bereiche dieser Disziplin, die eine dialektische Herangehensweise an den Informationsbegriff ausschließen, indem sie sich ausschließlich mit der Entwicklung der Computer- und Informationstechnologie und den Auswirkungen von deren Anwendungen beschäftigen.

 

4. Kybernetik und Information (1948-1962)

Die klassische Kybernetik (Kybernetik I genannt) entstand in den 40er-Jahren und war ingenieursorientiert. Es ging um die Planung und Konstruktion mechanistischer Systeme wie Raketensteuerungen oder Computer. Im Mittelpunkt standen Steuerung, Kontrolle, negative Rückkopplungen und die Erhaltung von Gleichgewichtszuständen. Ihr bedeutendster Vertreter war Norbert Wiener. Er ging davon aus, daß Kognition bei Menschen und Maschinen gleich funktioniert, d.h. das Gehirn funktioniere wie ein Computer. Das Gehirn wurde als eine Maschine angesehen, die durch mathematische und logische Funktionen erklärbar ist (vgl. Wiener 1961). In Bezug auf den Informationsbegriff ging Wiener davon aus, daß der Informationsgehalt eines Systems mit seinem Organisationsgrad steigt, d.h.: Je stärker ein System organisiert ist, desto mehr Information enthält es. Information wird als Negentropie (dem Gegenteil von Entropie), als Maß der Ordnung gefaßt. Energie, Materie und Information sind für Wiener die drei wesentlichen Größen der Natur.

Dieser Informationsbegriff ist mit den Auffassungen von Shannon und Weizsäcker insofern vergleichbar, da auch hier kritisiert werden kann, daß es sich um ein rein quantitatives Maß handelt, daß qualitative, semantische und pragmatische Aspekte ausklammert.

Gregory Bateson faßt Information als Differenz, die eine Differenz in einem System produziert: "Was wir tatsächlich mit Information meinen - die elementare Informationseinheit -, ist ein Unterschied, der einen Unterschied ausmacht" (Bateson 1985, S. 582). Dies ist so zu verstehen, daß sich Dinge in der realen Welt von anderen unterscheiden. Werden gewisse Ausschnitte der Realität wahrgenommen, so wird kognitiv ein Unterschied produziert, indem quasi eine Auswahl getroffen wird, was wie wahrgenommen wird. Kognition ist ein selektiver Prozeß in Bezug auf die Außenwelt. Menschen können nach Bateson denken und handeln, ersteres passiere auf Grund von im Gehirn konstruierten Bildern der Umwelt. Empfangene Abbildungen nennt Bateson "Daten oder Informationen" (S. 584) Handeln orientiert sich demnach an diesen Daten. Über die Sprache können Daten benannt werden, dies sei ein wesentlicher Unterschied zu anderen Lebewesen (Vgl. S. 85, wo ein erfundener Dialog zwischen Tochter und Vater zu finden ist: "T: Welches sind die wirklich großen Unterschiede zwischen Menschen und Tieren? V: Na, Intellekt, Sprache, Werkzeuge."). Konstruktionen sind individuumsspezifisch, daher ist "alle Erfahrung subjektiv" (S. 42). Auch "Zwecksetzung und Instrumentalismus" erscheinen Bateson als spezifisch menschlich. Menschen können also zweckrational handeln, d.h. Ziele identifizieren und versuchen, sie über Mittel zu erreichen.

Bateson spricht von zwei verschiedenen Kommunikationsarten, digitaler und analoger. Bei erster handelt es sich um sprachliche Kommunikation. Sprache sei digital, "in der digitalen Kommunikation [werden] eine Anzahl von rein konventionellen Zeichen - 1, 2, 3, X, Y und so weiter - nach Regeln herumgeschoben [...], die man Algorithmus nennt." (S. 479). Analog hingegen seien Ausdruckssignale und Parasprache, wie z.B. Körperbewegungen, Zögern, Gesichtsausdruck, Stimmlage etc. "In der analogen Kommunikation werden jedoch reale Größen verwendet, und sie entsprechen realen Größen im Gegenstandsbereich des Diskurses" (ebd.). Bateson reduziert die menschliche Sprache auf eine informatische Syntax, "Algorithmus" und "digital" werden direkt aus der Informatik übernommen. Sprache bedeutet jedoch nicht nur Syntax, sondern auch Semantik und Pragmatik, sie ist mit dem menschlichen Denken und Handeln untrennbar verbunden. Menschliche Kommunikation wird damit auf maschinelles Niveau reduziert. Bateson meint, daß Kommunikation niemals rein verbal ist, es gibt immer auch nonverbale Anteile, die kommunikativen Inhalt haben. Daher ist es nach Watzlawick unmöglich, nicht zu kommunizieren. Wenn beispielsweise jemand ablehnend seine Hände verschränkt, so vermittelt uns dies etwas. Kommunikation ermöglicht wechselseitige Bezugnahmen, die Koordination von Handlung.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß Bateson Information als selektive Abbildungen der Realität faßt und Kommunikation in der Form informatischer Begrifflichkeiten faßt. Damit reduziert er menschliche Kognition und Kommunikation im Sinne der Kybernetik I auf ein maschinelles Niveau. Wir haben es hier mit einem analogistischen Informationsbegriff zu tun, bei dem Kategorien aus der Informatik durch Analogieschlüsse in die Soziologie und Kommunikationswissenschaften projiziert werden. Die Antisynonymie von Batesons Konzept zeigt sich daran, daß er beim Informationsgeschehen in Systemen die Eigenschaft von Systemen betont, Differenzen zu produzieren.

Heinz von Foerster gilt als der Begründer der Selbstorganisationstheorie (siehe Foerster/Zopf 1962). Damit leitete er den Übergang von der Kybernetik I zur Kybernetik II ein. Information ist für ihn etwas rein kognitives, in der Umwelt eines Menschen finde sich keine Information. Förster ist auch ein Vertreter des radikalen Konstruktivismus, der davon ausgeht, daß es keine objektive Realität gibt, sondern daß jedes Individuum seine eigene Realität auf autonome Weise konstruiert. Die Realität werde nicht auf die kognitive Struktur abgebildet, sondern sie sei eine subjektive Konstruktion. Damit gilt aus dieser Sichtweise Information als eine kognitive Konstruktion. Foersters Auffassung ist ein Beispiel für einen antisynonymischen Informationsbegriff, da davon ausgegangen wird, daß kognitive Systeme die Eigenschaft haben, Information autonom zu erzeugen.

Der radikale Konstruktivismus muß sich mit Recht die Kritik, daß er gesellschaftliche Bedingungen ausblendet, gefallen lassen. Werden Wirklichkeit, Erkenntnis und Kognition als eine reine Konstruktion unseres Gehirns aufgefaßt, so wird von real existierenden gesellschaftlichen Zwängen, Manipulationen und Herrschaftsmechanismen abstrahiert. All dies sind jedoch wesentliche Prinzipien der kapitalistischen Gesellschaft.

 

5. Die Urtheorie C.F. v. Weizsäckers (um 1970)

Carl Friedrich von Weizsäcker entwickelte in den 60ern und 70ern eine Theorie, die davon ausgeht, daß alle Objekte der Welt aus sogenannten "Urobjekten" aufgebaut sind. Eine Ur oder Uralternative ist eine elementare Entscheidung, d.h. es kann eindeutig mit ja oder nein entschieden werden, eine binäre Codierung mit 0 oder 1 ist möglich. "Alle Objekte bestehen aus letzten Objekten mit n=2. Ich nenne diese Objekte Urobjekte und ihre Alternativen Uralternativen" (Weizsäcker 1974, S. 269).

Die Information eines Ereignisses kann dabei als die Anzahl der einfachen Alternativen, die durch das Eintreten des Ereignisses entschieden werden, betrachtet werden. Als Information faßt Weizsäcker also die Anzahl der Uralternativen in einer bestimmten Situation. Die Anzahl der Urobjekte nehme zeitlich zu, Evolution bedeute daher das Wachstum potentieller Information. Anders ausgedrückt: Evolution sei die "Vermehrung der Menge an Form" (Weizsäcker 1973, S. 24). Potentielle Information bezeichnet dabei den Raum der existierenden Uralternativen. Wenn Information potentiell existiert, so heißt dies noch nicht, daß sie irgendwann zu einem zukünftigen Zeitpunkt auch realisiert wird, indem eine Entscheidung entsprechend getroffen wird.

Ein konkretes Objekt zeichnet sich für Weizsäcker durch Materie und Form aus. Energie sei das Vermögen, Materie zu bewegen (Weizsäcker 1974, S. 344). Information sei ein "Maß der Menge an Form" (Weizsäcker 1974, S. 347). Wenn die Information eines Ereignisses also die Anzahl seiner unentschiedenen Uralternativen bezeichnet, so drücken die Uralternativen die Form des Ereignisses aus. Man kann jeweils die Form eines Ereignisses, also seine potentielle Information, wissen. Formen sind also Kombinationen von Uralternativen. Je weniger über das tatsächliche Eintreten gewisser Alternativen (also ihrer Realisierung als 0=nein oder 1=ja) bei einem gewissen Ereignis bekannt ist, desto größer ist die Information des Ereignisses.

Die zwei wesentlichen Thesen Weizsäckers lauten:

1. "Information ist nur, was verstanden wird" (Weizsäcker 1974, S. 351)

2. "Information ist nur, was Information erzeugt" (Weizsäcker 1974, S. 352)

Die zweite These verweist auf Weizsäckers Evolutionsbegriff, der von einem Anwachsen der Information im Laufe der Evolution ausgeht.

Weiters gelte: Materie ist Form, Bewegung ist Form, Masse ist Information, Energie ist Information (Weizsäcker 1974, S. 361).

Die Entropie ist das thermodynamische Maß der Unordnung. Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik nimmt im Laufe der Evolution die Entropie ab, d.h. daß Ordnung aufgebaut wird. In einem offenen System (d.h. Energie wird importiert und exportiert) gilt demnach also:
D.h., daß die Entropie S in einem offenen System im Laufe der zeitlichen Entwicklung abnimmt, Ordnung baut sich auf bzw. Unordnung sich ab. Weizsäcker vertritt jedoch die Meinung, daß die Entropie im Laufe der Evolution wächst: "Gestaltentwicklung selbst [ist] eine Entropievermehrung" (Weizsäcker 1985, S. 177). Entropie faßt er dabei so, daß ein gestaltarmer Zustand wenig Entropie hat und ein gestaltreicher viel Entropie. D.h., wenn die Anzahl der Uralternativen eines Ereignisses gering/hoch ist, so ist seine Entropie gering/hoch. Da Evolution die Vermehrung der Menge an Form (d.h. Gestalt) bedeute, müßte die Entropie mit der Gestaltenfülle im Laufe der Evolution zunehmen.

Die Shannonsche Informationstheorie eignet sich für die technische Informatik insofern, da in sehr einfacher Weise von einem binären Zeichenvorrat (0,1) ausgegangen werden kann. Eine binäre Codierung zeigt sich auch bei Weizsäcker in dem Sinn, daß eine Uralternative eine von zwei Werten annehmen kann. Das Shannonsche Informationsmaß gibt die mittlere Unsicherheit der Vorhersage des Eintreffens einer Nachricht einer bestimmten Länge an. Das Weizsäckersche Informationsmaß gibt die Anzahl der Uralternativen in einer gewissen Situation an. Für beide Modelle gilt: Je größer die Gewißheit, desto kleiner ist der Informationsgehalt. Im Extremfall heißt dies: Ist die Nachricht vor dem Senden beim Empfänger bekannt, so ist die Entropie im Shannonschen Modell gleich null. Ist bei einer Entscheidung im Weizsäckerschen Modell im voraus klar, wie sämtliche Uralternativen entschieden werden, so sind es keine Alternativen mehr, sie werden für die Situation irrelevant und der Informationsgehalt wird gleich null. Auf beide Modelle trifft die Kritik zu, daß sie Information auf ein quantitatives Maß reduzieren, daß sich auf einer rein syntaktisches Ebene bewegt und semantische sowie pragmatische Aspekte außer Acht läßt. Die Syntax des Weizsäckerschen Modells besteht darin, daß er die gesamte Welt aus Uralternativen (Zeichen) aufbaut, die in der Form von Relationen in Entscheidungssituationen miteinander in Verbindung gebracht werden.

Ein quantitativer Informationsbegriff ist die Basis eines Informationsverständnisses, in dem Information hauptsächlich verdinglicht gefaßt wird. Dies wiederum trägt zur Fetischierung und Warenförmigkeit der Information bei. Die Informationskonzepte von Shannon/Weaver und Weizsäcker sowie die vorherrschende Verdinglichung zeigen, daß eine Wissenschaft der Information die qualitativen, semantischen und pragmatischen Aspekte von Information berücksichtigen sollte, um einen technischen oder physikalischen Reduktionismus zu vermeiden.

Es scheint naheliegend, Weizsäckers Modell als Variante der Synonymie zu qualifizieren, weil der Informationsgehalt eines Objekts auf "letzte Objekte" (Uren) reduziert werden kann. In dieser verdinglichten Vorstellung scheint kein Platz zu sein für emergente Bedeutungsinhalte wie in einem dialektischen und evolutionären Informationsmodell. Allerdings lassen sich die Uren statt als physikalische Objekte auch als ideele Objekte interpretieren, und dann wäre Weizsäckers Theorie eine logizistische Anthropomophisierung und würde unter das Analogiedenken fallen.

 

6. Information und Selbstorganisation (ca. 1986 bis heute)

Seit den 60igern wurde die Idee der Selbstorganisation in verschiedenen Disziplinen angewendet: Im Bereich der Physik und Chemie sind Ilya Prigogine und Hermann Haken wesentliche Vertreter. Prigogine beschäftigt sich mit der Emergenz makroskopischer Strukturen in dissipativen Systemen, die sich fernab des thermischen Gleichgewichtes befinden (siehe Nicolis, Prigogine 1989). Haken begründete die Synergetik, für die Ordnung, die aus Chaos entsteht, und das Versklavungsprinzip wesentlich sind (siehe Haken 1978, 1983). Manfred Eigen hat die Emergenz von Materie in einem Hyperzyklus autokatalytischer Reaktionen beschrieben (siehe Eigen, Schuster 1979). Humberto Maturana und Francisco Varela haben die Idee von lebenden Systemen als autopoietischen, die sich selbst reproduzieren und aufrechterhalten, propagiert (siehe Maturana, Varela 1984). Indem sie das Gehirn als strukturell an seine Umwelt gekoppelt beschrieben, haben sie eine Grundlage für den radikalen Konstruktivismus geliefert. Dabei wird davon ausgegangen, daß Perturbationen aus der Umwelt Veränderungen der kognitiven Struktur auslösen, aber nicht determinieren können. Niklas Luhmann hat versucht, das autopoietische Konzept in der Soziologie anzuwenden, indem er soziale Systeme als selbstreferentiell faßt (siehe Luhmann 1984). Information sieht Luhmann dabei als Kommunikation.

6.1. Information als Kommunikation bei Niklas Luhmann (1984)

Ein zentraler Begriff bei Luhmann ist die Selbstreferenz: Soziale Systeme reproduzieren demnach ihre Elemente mittels dieser Elemente selbst. Das System konstituiert also permanent seine Teile und damit sich selbst. Als Elemente gelten dabei Kommunikationen, nicht wie in anderen soziologischen Theorien Individuen.

Die Soziologie sollte unserer Meinung nach problemorientiert sein und versuchen, konkrete gesellschaftliche Probleme deutend zu verstehen und ursächlich zu erklären. Im Zeitalter der ökonomischen Globalisierung und des Neoliberalismus sind dies beispielsweise die ökologische Krise, die sich weltweit verschärfenden Unterschiede zwischen Arm und Reich, die ungleiche Wohlstandsverteilung und die damit verbundenen Probleme von Rassismus, Nationalismus und intra- und interstaatlichen Konflikten. Dies erfordert aber einen klar individuumsorientierten Handlungs- und Gesellschaftsbegriff, da die Kausalzusammenhänge der globalen Probleme sowohl in Ursache als auch in Wirkung untrennbar mit der Rolle von Individuen als soziale Akteure gekoppelt sind. Werden jedoch Kommunikationen als die Elemente sozialer Systeme begriffen und die Menschen auf "Sensoren in der Umwelt" (Luhmann 1984, S. 558) reduziert, so ist dies unmöglich. Derartige Kritik und individuumszentrierte Theorien sozialer Systeme tut Luhmann als "alteuropäisch" und "humanistische Tradition" ab. Das, was MarxistInnen die Bürgerlichkeit und die Profitorientierung - allerdings einigermaßen reflektierter und theoretisch fundiert - als Kritikformel, ist Luhmann die Leerformel des "alteuropäischen Humanismus". Daß ein problemorientierter Ansatz nicht wünschenswert ist, gibt Luhmann unumwunden zu: "Die Theorie, deren Ausarbeitung wir beginnen, [...] verfolgt keinen 'social problems'-Ansatz an Hand von Stabilitätsgefährdungen oder Devianzen, exponentiellen Entwicklungen oder Kriminalität. [...] Es geht nicht um ein Anerkennungs- und Heilungsinstrument, [...] sondern zunächst und vor allem um ein analytisches Interesse" (S. 162). Dies ist die beste Basis für die Funktionalisierbarkeit einer Theorie, deren Zentrierung auf Stabilisierung von bestehenden Verhältnissen und den Ausschluß sozialer Veränderung und sozialen Wandels.

Als Gesellschaft bezeichnet Luhmann das umfassendste soziale System, das keine Umwelt mehr hat. Damit kommt er zum Begriff der "Weltgesellschaft".

Kommunikation faßt er als eine 3fache Selektion: Eine Selektion von Information (Was soll mitgeteilt werden?) und Mitteilung (Was wird mitgeteilt?) und sowie eine Annahmeselektion (Was kommt beim Empfänger an? Wird alles verstanden?). Information wird also kommunikativ gefaßt. Im Sinne von Bateson definiert Luhmann Information als "nichts anderes als ein Ereignis, das eine Verknüpfung von Differenzen bewirkt - a difference that makes a difference" (Luhmann 1984, S. 112). Information gilt also als eine Selektion aus mehreren Möglichkeiten, als die Herstellung von Differenz. Information als Unterschied, der einen Unterschied macht, kann bei Luhmann so verstanden werden, daß er der Meinung ist, daß Information einen Neuigkeitswert haben muß, sonst handle es sich um keine Information. Information beinhaltet also einen Unterschied vom bereits Bekanntem. Und dieser Unterschied löst kognitive Strukturveränderung aus, d.h. mental wird ein Unterschied zur alten Struktur hergestellt.

Luhmann wandte sich gegen die Verdinglichung von Information, indem er betonte, daß Information kein Ding sei, sondern Teil eines kommunikativen Prozesses. An der Übertragungsmetapher kritisiert er, daß sie impliziere, daß etwas vom Sender an den Empfänger abgegeben wird. Dies sei aber nicht der Fall, da der Sender nichts verliere, sondern etwas mitteile (siehe Luhmann 1984, S. 193f).

Es wurde bereits in Abschnitt 1 darauf hingewiesen, daß Luhmanns Informationsverständnis ein Beispiel für einen antisynonymischen Informationsbegriff ist, da er davon ausgeht, daß kognitive Systeme die Eigenschaft haben, Information unabhängig von ihrer Umwelt zu erzeugen.

An Luhmanns Informationsverständnis kann kritisiert werden, daß er Information nicht evolutionär, sondern rein kommunikativ faßt. Eine Vereinheitlichte Theorie der Information benötigt jedoch ein evolutionäres und dialektisches Verständnis der Information, das von der Existenz von Information in verschiedenen Systemarten in gleicher und gleichzeitig unterschiedlicher Form vorgeht. D.h., daß eine Emergenz neuer Bedeutungsinhalte von Information aus Alten in evolutionären Systemen propagiert wird.

6.2. Information in der Synergetik (1988)

Hermann Haken und Maria Haken-Krell waren zwei der ersten, die sich mit dem Zusammenhang von Information und Selbstorganisation in biologischen Systemen auseinandersetzen (Haken/Haken-Krell 1995, Haken 1987, 1988).. Die dabei zum Tragen kommende Synergetik behandelt die spontane Entstehung von Strukturen.

Haken und Haken-Krell setzen sich mit dem Shannonschen Informationsmodell auseinander und erwähnen, daß dabei die Übermittlung von Information die Beseitigung von Unsicherheit bedeutet. Information fassen sie so, daß ein Übertragunsvorgang verschiedene Endzustände bewirken könne. Die Existenz mehrerer Attraktoren sei also anzunehmen. Durch Fluktuationen könne die Information in dem Sinn vergrößert werden, daß mehrere Attraktoren generiert werden. Sie fassen Information als relative Wichtigkeit. Dabei sei die Information der übertragenen Botschaft (i0) von der Information, die zu den Attraktoren gehört (i1), zu unterscheiden. Gilt i1 < i0, so werde Information vernichtet. Bei i1 = i0 bleibe die Information gleich, bei i1 > i0 werde Information erzeugt (vgl. Haken/Haken-Krell 1995, S. 50ff).

Ein wesentliches Beispiel, das in der Synergetik immer wieder genannt wird, ist die Selbstorganisation im Laser: Haken 1987 gibt eine nichtmathematische Beschreibung der Funktionsweise eines Lasers. Betrachten wir den Aufbau eines Lasers in Abbildung 2. Er besteht aus einem aktiven Medium, das sich zwischen 2 Spiegeln befindet. Dieses Medium kann entweder ein Gas sein, das durch eine durch die Stromzufuhr verursachte elektrische Gasentladung zum Strahlen angeregt wird, oder ein Kristall, der durch eine Blitzlampe gepumpt wird. Als Kristall eignet sich z.B. ein Rubin, in dem sich Chromionen befinden. In den durch die Blitze angeregten Kristallatomen ändert je ein Elektron seine Bahn, es springt von einer inneren auf eine äußere und nimmt dabei Energie von der Blitzlampe auf. Das Elektron kommt jedoch wieder spontan auf seine innere Bahn zurück und gibt dabei die zuvor aufgenommene Energie in Form der Aussendung einer Lichtwelle wieder ab.


Abb. 2: Aufbau eines Lasers

Die Kristallatome senden wegen der Anregung, die sich aufgrund der Blitze, die die Lampe ständig abgibt, Lichtwellen aus. Die beiden Spiegel reflektieren das Licht immer wieder. Lichtwellen, die in der Länge des Kristalls verlaufen, bleiben sehr lang im Kristall, andere verlassen ihn schnell und sind für den Aufbau des Laserstrahls nicht weiter relevant. Jedes angeregte Kristallatom sendet somit eine Lichtwelle aus, es entsteht zunächst ein Durcheinander von Lichtwellen, die Lichtwellen verhalten sich chaotisch. Eine Lichtwelle kann andere Atome treffen und sie zwingen, ihr eigenes Licht zu verstärken. Hat eine Lichtwelle eine gewisse Amplitude erreicht, so entsteht plötzlich Ordnung: "Die Elektronen der einzelnen Atome fangen an, kohärent miteinander zu schwingen, und das Lichtfeld selbst besteht aus einem praktisch unendlich langen Wellenzug." (Haken 1987, S. 138). D.h., daß eine geordnete Lichtwelle, der Laserstrahl, entsteht. Eine Lichtwelle zwingt also die Elektronen der Kristallatome Energie an sie abzugeben und sie somit zu verstärken und sie ordnet damit die Lichtwellen. "In der Fachsprache der Synergetik dient die Lichtwelle als Ordner, der die Bewegungen der einzelnen Elektronen versklavt." (Haken 1987, S. 139).

In Haken/Haken-Krell 1995 wird versucht, diesen selbstorganisierten Prozeß als Informationsprozeß zu interpretieren (siehe S. 55f):

Die angeregten Atome können elementare Information, nämlich Lichtwellen, aussenden. Bei der Verstärkung einer Lichtwelle kommt es somit zur Verstärkung des Informationsflusses. Es kommt zu einem Wettstreit verschiedener Signale, eine einzelne Welle versklavt die anderen. Sie "informiert die einzelnen Atome, wie sie im Takt zu schwingen haben. Die kohärente Welle (das überlebende Signal) übernimmt also, anthropomorph ausgedrückt, eine neuartige Aufgabe. Diese kohärente Welle, der Ordnungsparameter, wirkt jetzt als &lsquoInformator&rsquo, indem er die einzelnen Atome informiert. Zugleich informiert er aber auch die Umwelt in Form des kohärenten Lichts über den inneren Zustand des Lasers" ([HakenHaken-Krell1989], S. 55).

Wenn in einem Modell davon gesprochen wird, daß eine Welle Teilchen informieren kann und diese quasi in der Form reagieren oder "antworten", daß sie die Information der Lichtwelle verstärken, was zum Aufbau eines einzigen Laserstrahls mit hoher Information führt, so stellt dies einen anthropomorphistischen Fehlschluß dar. Es wird versucht, ausgehend von einem sozialen Informationskonzept Parallelen zu dissipativen Informationsprozessen herzustellen. Die Komplexitätsniveaus sozialer und dissipativer Systeme sind jedoch grundverschieden, eine direkte Übertragung des Kommunikationskonzeptes ohne Verallgemeinerung Sozialwissenschaft in die Naturwissenschaft muß scheitern (genauso eine direkte Übertragung in umgekehrter Richtung).

Dieses synergetische Informationskonzept kann als ein Beispiel für einen synonymischen Informationsbegriff verstanden werden: Information wird von Haken und Haken-Krell im Sinn von Shannon als Nachricht verstanden. In dieser verdinglichten Form habe sie daher in allen Systemen dieselbe Bedeutung.

6.3. Cybersemiotik (seit Mitte 90er-Jahre)

Søren Brier möchte den Informationsbegriff auf alle autopoietischen Systeme anwenden. Eine Informationswissenschaft könne durch die Verbindung der Kybernetik zweiter Ordnung (Förster, Selbstorganisation, usw.) mit der Semiotik im Sinne von Peirce (siehe Abschnitt 3 dieser Arbeit) geschaffen werden. Dies nennt er "Cybersemiotik" (siehe Brier 1995, 1996). Wie wir gesehen haben geht Peirce (siehe Peirce 1991) von einer triadischen Struktur aus: Zeichen - Objekt - Interpretant. Ein Zeichen bezieht sich auf ein Objekt und hat einen Interpretanten, der einen Zusammenhang zwischen Zeichen herstellt. Unter Interpretant wird nicht eine Person, sondern die Interpretation eines Zeichens in einem bestimmten Zusammenhang verstanden. Ein Zeichen ist ein dynamischer Prozeß, die Bedeutung emergiert aus einem dynamischen sozialen Netzwerk. Die Interpretation eines Zeichens ist niemals beendet, sondern ein endloser Prozeß, da es permanente Auslegungen gibt. Es ist auch der Fall, daß das Zeichen einer Triade zum Objekt einer anderen Triade wird. Dieses Prozessieren beschreibt also einen endlosen dynamischen Prozeß, Peirce spricht von der Existenz eines semiotisches Netzes und von der "unendlichen Semiose". Bedeutung entstehe im semiotischen Netz der Gesellschaft.

Foerster, Maturana und Varela sehen Selbstorganisation so, daß sie in geschlossenen, sich selbst reproduzierenden Systemen auftritt, die keine objektive Information aus ihrer Umwelt als Stimulus für eine Antwort erhalten. Hingegen seien kognitive Systeme strukturell an die Umwelt gekoppelt, d.h. daß Perturbationen aus der Umwelt interne Veränderungen auslösen können. Information wird daher als etwas betrachtet, das innerhalb eines Organismus entsteht. Maturana drückt dies so aus, daß Information eine Differenz ist, die innerhalb eines autopoietischen Systems durch eine Perturbation aus der Umwelt entsteht. Diese Informationskonzeption kritisiert Brier dahingehend, daß er meint, es könne nicht von vollständig geschlossenen Systemen ausgegangen werden. Autopoietische Systeme seien teilweise geschlossen, eine teilweise unabhängige äußere Realität existiere sehr wohl.

Foerster und Maturana haben es, so Brier, nicht geschafft, eine allgemeine Theorie der Autopoiesis zu entwickeln, die eine psychologische und soziale Theorie von Bedeutung und Kommunikation sei. Daher bezieht sich Brier auf Luhmann, der drei Arten autopoietischer Systeme unterscheidet und qualitative Unterschiede betont: biologische Systeme (Zellen, Gehirn, Organismen), psychologische Systeme und soziale Systeme. Es sei fruchtbar, eine derart gefaßte Theorie der Autopoiesis mit der Semiotik im Sinne Peirces zu verbinden, um die Cybersemiotik zu schaffen.

Brier argumentiert, daß Menschen und Tiere in selbstorganisierten Umwelten leben. Zeichen und die Bedeutung, die sie erlangen, seien so organisiert, daß Zeichen Eigenwerte, d.h. strukturelle Kopplungen, und damit ihre eigene Umwelt herstellen. Bei Menschen würden Zeichen durch Kommunikation im semiotischen Netz zu Sprache organisiert. Dies sei ein Ansatz zur Beschreibung der Generierung von Bedeutung (Brier 1995).

In Brier 1996 werden vier Arten von Information unterschieden: Diese ergeben sich aus der Kombination von Information als Entität bzw. Prozeß einerseits und Information als unangreifbar bzw. greifbar (d.h. verdinglicht) andererseits. Bei Information als unangreifbarer Entität handle es sich um Wissensstrukturen, bei Information als unangreifbarem Prozeß um Kognition (die bedeutungsgenerierende Interpretation von Zeichen durch Partizipation im semiotischen Netz der Gesellschaft), bei Information als greifbarer Entität um Dokumente (diese seien nur potentielle Informationen, die erst interpretiert werden müssen) und bei Information als greifbarem Prozeß um einen Interpretationsprozeß auf Basis eines Dokuments.

Eine Verknüpfung von Kybernetik zweiter Ordnung und Semiotik kann als brauchbarer Ansatz auf dem Weg zu einer einheitlichen Theorie der Information betrachtet werden. Briers Cybersemiotik erscheint daher als ein Schritt in die richtige Richtung.

6.4. Ein evolutionäres Verständnis von Information (seit Mitte 90er-Jahre)

Die in Abschnitt 1 vorgestellte Einteilung von Informationsbegriffen umfaßt als eine Kategorie reduktionistische Informationsbegriffe, die Information als Ding betrachten, das in allen Systemen und Kontexten das gleiche bedeutet. Eine andere Kategorie stellen antisynonymische Informationsbegriffe dar, die davon ausgehen, daß Systeme die Eigenschaft haben, Information autonom, also unabhängig von ihrer Umwelt, zu erzeugen. Dabei wurde ein projektionistischer Analogismus identifiziert, der vom Informationsgeschehen eines Systems auf das Informationsgeschehen anderer Systeme schließt, und eine dualistische/pluralistische Äquivokation, die unüberbrückbare Unterschiede im Informationsgeschehen von verschiedenen Systemtypen propagiert. Die dritte Kategorie stellen dialektische Ansätze dar, die davon ausgehen daß Information in verschiedenen Systemarten sowohl gleiches als auch unterschiedliches bedeutet. Ein derartiges Verständnis soll nun vorgestellt werden. Im Rahmen des evolutionären Informationsverständnis steht der Begriff der "Evolution" nicht in der Darwinschen Tradition, sondern wird kyberentisch gefaßt als die Veränderung von Systemen, deren Elemente, Strukturen, Zustände und Verhaltensweisen.

Einen wesentlichen Beitrag für einen dialektischen und evolutionären Informationsbegriff hat Klaus Fuchs-Kittowski geleistet:

Er spricht sich gegen eine Verdinglichung der Information aus und betont, daß erst von Information gesprochen werden kann, wenn eine Bedeutung vorliegt.

Er unterscheidet drei Arten von Systemen: physionomische (unorganisiert, ohne Information, physikalische und chemische Systeme), Funktionssysteme (organisiert, Information existiert) und Aktionssysteme (selbstorganisierend, erzeugen Information und Werte selbst). Erst auf der Ebene lebender Systeme sei es möglich, daß syntaktische Abbildungen (Strukturveränderungen durch äußere Einwirkungen) semantisch interpretiert werden. Daher könne in physikalischen und chemischen Systemen nicht von Information gesprochen werden. Sie seien auch keine selbstorganisierenden, sondern selbststruktiererende Systeme. Im physikalischen Bereich bestehe Information nur als Potenz, sei aber noch nicht realisiert, da nicht interpretiert.

Information werde in der Informatik permanent auf eine rein syntaktische Ebene reduziert, tatsächlich könne jedoch nur von Information gesprochen werden, wenn Syntax (=Inhalt), Semantik (Struktur, Form) und Pragmatik (Funktion, Wirkung) vorhanden sind. "Die Kybernetik (erster Stufe, nach H. von Foerster) und die technische Informatik setzen die Information immer schon voraus. Will man das Wesen der Information erfassen, muß man auch nach ihrer Entstehung fragen" (Fuchs-Kittowski/Heinrich/Rolf 1999, S. 339). Für die Informatik sei derzeit nur die Informationsverarbeitung, nicht jedoch die Informationsentstehung wichtig.

"Informationserzeugung, -erhaltung und -nutzung erfolgt in qualitativ verschiedenen und sich wechselseitig bedingenden Prozeßstufen: Formung/Abbildung, Bedeutung und Bewertung. [...] Auf keiner dieser Ebenen läßt sich das Informationsphänomen allein auf den Abbildungs- bzw. Syntaxaspekt reduzieren. Information erweist sich auf den verschiedenen Ebenen der Organisation lebender Systeme als Resultat des Bedingungszusammenhanges von Form, Inhalt und Wirkung" (Fuchs-Kittowski 1999).

Einige wesentliche Thesen Fuchs-Kittowskis lauten (nach Fuchs-Kittowski 1999):

Tabelle 1 gibt einen Überblick über die verschiedenen Arten von Information, die Fuchs-Kittowski unterscheidet. Dabei fällt die jeweilige Einheit von Form, Inhalt und Wirkung auf.

Charakteristika der Information

FORM (SYNTAX)

Abbildung

Struktur

räumliche Form der Existenz

INHALT (SEMANTIK)

Interpretation

Bedeutung

zeitliche Form der Existenz (Gleichzeitigkeit/Ganzhei)

WIRKUNG (PRAGMATIK)

Bewertung

Verhalten

räumliche und zeitliche Existenz

Ebenen der Organisation

     

MAKROMOLEKÜLE

Anordnung von Molekülen (z.B. DNA) Interaktion in einem molekularen Interpreta-tionssystem Funktionalisierung der Moleküle mit Selektion und Überleben des Angepaßten

NERVENSYSTEM

Anordnung von Nervenzellen und Impulsmustern im Gehirn mentale und Gefühlsstruk-turen als unteilbare Qualität - fixierte Programme Kontrolle des Verhaltens

AUSSENWELT-BEWUSSTSEIN

Anordnung von Objekten in der Umwelt Wahrnehmung von Objekten als unteilbare Qualitäten Deutung der Umwelt

GESELLSCHAFT-LICHES BEWUSSTSEIN

Anordnung von Zeichen und Symbolen der Sprache, auch digital gespeichert Interpretation von Lautsignalen und ausgewählten Sprachsymbolen (soziale Inhalte der Sprache) Wissen (Bildung), soziale Strategie und Verhalten, auch Mensch-Computer-Interaktion

SELBSTBEWUSSTSEIN

Anordnung von mentalen Zeichen und Symbolen in Metastrukturen, Vergegenständlichung in gesellschaftlichen Strukturen, Werkzeugen, Software Interpretation der mentalen Zeichen und Symbole mittels Autokommunikation Bestimmung des eigenen Verhaltens und Bildung von Werten

Tab. 1: Prozeßstufen zur Erzeugung, Nutzung und Erhaltung von Information bei Klaus Fuchs-Kittowski (nach Fuchs-Kittowski/Rosenthal 1998, S. 168)

Einige erklärende Anmerkungen dazu (nach Fuchs-Kittowski/Rosenthal 1998, S. 174ff): Bei Makromolekülen kommt es, so Fuchs-Kittowski, zur Interpretation der syntaktischen Struktur der DNA durch die Proteine.

Im Nervensystem werden nach dieser Theorie Programme und Reaktionsweisen aktiv, die die aus der Umwelt eintreffenden Signale auswerten und ihnen eine Bedeutung zuordnen. Diese Information wird in sinnvolle Verhaltensweisen umgesetzt.

Das Außenweltbewußtsein bezieht sich auch Gehirnaktivitäten. Aus der Umwelt kommende Signale werden mit Bedeutungen belegt und können bewertet werden.

Beim gesellschaftlichen Bewußtsein ist die Sprache wesentlich. Sie erzeugt ein Verständnis in einer Interaktion zwischen dem Gesagten und dem bereits bekannten Vorverständnis. Diese Ebene ermöglicht individuelles Bewußtsein und ist die Grundlage sozialer Kommunikation. In sozialen Systemen unterscheidet Fuchs-Kittowski zwischen Daten, Information und Wissen: Daten sind syntaktische, formalisierte Darstellungsformen sozialer Information. Dadurch wird Information maschinell verarbeitbar, übertragbar und verteilbar. Werden Daten zweckorientiert interpretiert, so entsteht eine semantische Information. Dies ist die Basis für bestimmte Verhaltensweisen. Auf dieser pragmatischen Ebene gilt nun Wissen als kontext- und zweckbezogene Information.

Zum Selbstbewußtsein sei angemerkt, daß gesellschaftliches Bewußtsein sich nur über das Bewußtsein der Individuen realisieren läßt. Gesellschaftliche Werte gelten hier als pragmatischer Informationsaspekt.

Ausgehend von Klaus Fuchs-Kittowskis Grundauffassungen propagieren auch wir eine evolutionäre und dialektische Konzeption von Information (siehe Fleissner/Hofkirchner 1995, Hofkirchner 1998a, 1998b, 1999a, 1999b, Fuchs/Hofkirchner 1999, Fuchs 2000). Ein solches Verständnis zeigt, daß die Komplexität von Systemen im Lauf der Evolution zugenommen hat. Wir betrachten dissipative, autopoietische und soziale Systeme als jene wichtigen emergenten Organisationsebenen, die bisher durch Evolution aufgetaucht sind. Soziale Systeme sind komplexer als autopoietische, autopoietische komplexer als dissipative. Bereits die Komplexität letzterer kann nicht durch eine mechanistische Kausalität beschrieben werden, die versucht, jede Wirkung auf eine Ursache zu reduzieren. Durch die Anwendung der Theorie der Selbstorganisation haben wir es hier vielmehr auf allen Organisationsstufen mit mehrdimensionalen Formen der Kausalität zu tun: Eine Wirkung kann viele Ursachen haben und eine Ursache viele Wirkungen.

Durch die Verbindung einer Theorie evolutionärer Systeme und semiotischen Aspekten scheint die Etablierung einer Vereinheitlichten Theorie der Information (Unified Theory of Information, UTI) möglich. Dabei ist es notwendig, die Emergenzphilosophie zu verwenden: Diese sieht das Alte und die Teile als notwendige, aber nicht als hinreichende, Bedingung für die Emergenz des Neuen und des Ganzen. Emergente Eigenschaften und Qualitäten wie das Neue und das Ganze sind nicht reduzierbar auf die vorhergehenden Ereignisse oder darunterliegenden Ebenen. Das Ganze ist also mehr als die Summe seiner Teile. Die Emergenzphilosophie verdeutlicht auch die Idee, daß das Neue und das Ganze nach ihrer Emergenz eine Rückwirkung auf die Entitäten und Eigenschaften, aus denen sie emergiert sind, haben. Es kann dabei gesagt werden, daß die makroskopische Ebene die mikroskopische determiniert. Aber niemals vollständig, denn ein gewisser Grad an Autonomie bleibt immer erhalten.

Die Idee der Emergenz wird durch die Theorie der Selbstorganisation transportiert, da letztere sich mit der Emergenz makroskopischer Strukturen aus wechselwirkenden mikroskopischen Teilen beschäftigt. Ein Beispiel für die Emergenz von Ordnung aus Chaos sind die Bénard-Zellen: In einer speziellen Flüssigkeit emergiert spontan ein makroskopisches Muster durch die Wechselwirkungen der Flüssigkeitsteilchen, sobald ein kritischer Wert der Temperaturdifferenz, der das System ausgesetzt ist, überschritten wird. Eine kleine Fluktuation (ein einzelnes Teilchen verläßt seine stationäre Position) verstärkt sich, die Teilchen beginnen, sich zu bewegen und das System befindet sich fernab seines thermischen Gleichgewichts. Die Flüssigkeitsteilchen ordnen sich in Rollenformen an, verschiedene konzentrische Muster erscheinen. Eines dieser Muster "versklavt" die anderen, es ordnet das System und seine Form bestimmt die makroskopische Struktur. Solche Prozesse der Emergenz charakterisieren Selbstorganisation in dissipativen Systemen als das spontane Auftauchen von Ordnung auf einer makroskopischen Ebene.

Emergente Evolution beschäftigt sich mit emergenten Qualitäten von Systemen, die bei evolutionären Übergängen von einer Organisationsebene zu einer höheren auftreten. Eine wichtige Frage bei der Verknüpfung einer Theorie evolutionärer Systeme und der Emergenzphilosophie ist: Welche emergenten Eigenschaften unterscheiden höhere Organisationsebenen von niedrigeren?

Für eine Vereinheitlichte Theorie der Information (Unified Theory of Information &ndash UTI) bedeutet die Verknüpfung von Emergenzphilosophie, Informationskonzeption, evolutionärer Systemtheorie und Selbstorganisationstheorie, daß wir mindestens drei evolutionäre Organisationsebenen unterscheiden können, die als verschiedene Arten selbstorganisierender Systeme betrachtet werden: Dissipative, autopoietische und soziale Systeme. Die Qualitäten einer höheren Ebene emergieren aus der jeweils darunterliegenden Ebene. Für eine UTI scheint eine dialektische Konzeption der Information möglich, indem Aspekte von Information identifiziert werden, die allgemein auf alle drei Arten von Systemen zutreffen, und indem gleichzeitig Aspekte betrachtet werden, die speziell auf das jeweilige System zutreffen. Wird also Information in zwei aufeinander evolutionär aufbauenden Systemen betrachtet, so werden wir Aspekte, d.h. Bedeutungsinhalte der Information, finden, die auf beide Systeme im gleichen Ausmaß zutreffen. Und das komplexere System, das hierarchisch höher steht und sich durch emergente Qualitäten auszeichnet, wird spezielle, emergente Aspekte der Information aufweisen, die auf der darunterliegenden Organisationsstufe nicht zu finden sind.

Der Kern einer UTI muß ein Konzept der Information darstellen, das flexibel genug ist, um zwei Funktionen zu erfüllen: Es muß sich auf die verschiedenen Manifestationen von Information beziehen und daher alle wissenschaftlichen Disziplinen befähigen, ein gemeinsames Konzept zu benutzen. Gleichzeitig muß es präzise genug sein, um die einzigartigen Bedürfnisse jedes Wissenschaftszweiges zu erfüllen. Das Allgemeine und das Spezielle sollten daher in Form einer Dialektik von Gleichheit und Verschiedenheit vereinbart werden - das Allgemeine als bestimmende Regel aller Formen von Information, das Spezielle als jene Charakteristika, die die verschiedenen Arten von Information voneinander unterscheiden.

Ein Zeichen kann als Produkt eines Informationsprozesses betrachtet werden. Ein Informationsprozeß tritt auf, sobald sich ein System selbst organisiert, d.h., immer dann, wenn ein neues System emergiert oder neue Qualitäten in Struktur, Zustand oder Verhalten eines Systems emergieren. In so einem Fall wird Information produziert, sie wird im System eingebettet und kann Zeichen genannt werden.

In Hofkirchner 1999b wurde argumentiert, daß die Emergenz von Mustern in dissipativen Systemen (z.B. bei den Bénard-Zellen) die einfachste Form der Zeichenproduktion ist. Dies kann als ein Prozeß der Widerspiegelung in dem Sinn bezeichnet werden, daß es zur Veränderung des Inneren eines Materiebereiches unter dem Einfluß von äußeren Umgebungsbedingungen kommt. Klaus Fuchs-Kittowski vertrat in Fuchs-Kittowski 1976 die Meinung, daß Information eine abgebildete Wirkung in organisierten Systemen ist: "Während physikalische Objekte der direkten und unmittelbaren Wirkung ausgesetzt sind, die die Umgebung auf sie ausübt, verfügt ein organisiertes System über die spezifische Fähigkeit, diese Wirkungen zunächst abzubilden und auf diese Weise in systeminterne, in Form von Funktionen auftretende Wirkungen umzusetzen. Die abgebildete Wirkung tritt als Information in Erscheinung" (Fuchs-Kittowski/Kaiser/Tschirschwitz/Wenzlaff 1976, S. 50f).

Heute spricht Fuchs-Kittowski von In-Formung: "Mit In-Formung (Abbildung) wird die Fähigkeit eines Systems charakterisiert, äußere Einwirkungen durch innere Strukturveränderungen zu &lsquoreproduzieren&rsquo und auf sie entsprechend der inneren Systembedingungen spezifisch zu reagieren" (Fuchs-Kittowski/Rosenthal 1998, S. 172).

Ein selbstorganisierendes System bestimmt selbst, welche Wirkung hin es auf eine Ursache, einen Auslöser/eine Fluktuation in seiner Umwelt, hin zeigt, es spiegelt die Ursache in einer von ihm selbst bestimmten Art und Weise wider. In dissipativen (d.h. physikalisch-chemischen) Systemen sieht der Informationsprozeß nun folgendermaßen aus: Das Umweltereignis, das den Anstoß zum Ordnungsaufbau gibt, wird gleichzeitig zu einem Signal für die Auslösung eines Informationsprozesses, in dem ein Muster gebildet wird, das wiederum als Signal für andere Systeme in der Umwelt dienen mag. Es handelt sich hier also um die Musterbildung als Widerspiegelungsprozeß in dissipativen Systemen. Information hat hier einen rein syntaktischen Charakter.

Dissipative Strukturen, die sich durch "einen Anstoß von außen selber generieren, [...] können von uns als Information interpretiert werden, insoweit sie als verselbständigtes Resultat eines Selbstorganisationsprozesses wie ein Zeichen auf etwas anderes verweisen und nicht für sich selbst stehen, aber sie werden vom jeweiligen System noch nicht selber interpretiert und mit Bedeutung versehen" (Fleissner/Hofkirchner 1995).

In autopoietischen, also lebenden, Systemen sind die Strukturen nicht mehr einfache Muster, sondern etwas, das Bedeutung für das entsprechende System hat. Dieses Etwas wird Symbol genannt. Daher wird Zeichenproduktion auf dieser Evolutionsebene von der Musterbildung zur Symbolbildung. Wahrnehmungen werden durch Perturbationen aus der Umwelt ausgelöst, die eine Beziehung zur kognitiven Struktur eines Individuums herstellen. Auf Grund der strukturellen Kopplung zwischen Umwelt und autopoietischen System können die Perturbationen die Wahrnehmungen auslösen, aber nicht determinieren. Es können Symbole aus Wahrnehmungen emergieren. Diese Symbole beinhalten eine Semantik/Bedeutung. Autopoietische Systeme geben Wahrnehmungen eine Bedeutung, sie interpretieren sie. Diese selbst-reproduzierenden Systeme zeigen Antworten auf Stimuli aus der Umwelt. Durch Wahrnehmung und Reaktion sind sie fähig, sich an die Umwelt anzupassen.

Als individuelle Information können Werte, Normen, Regeln, Meinungen, Ideen, Glaube, usw. einer einzelnen Person bezeichnet werden (Fuchs/Hofkirchner 1999). Der Prozeß der Konstitution und Differenzierung individueller Information kann in Form eines hierarchischen Modells dargestellt werden (siehe Abbildung 3). Dabei wird Information von niedrigeren zu höheren Ebenen transformiert.


Abb. 3.: Der Prozeß der Konstitution und Differenzierung individueller Information (siehe Hofkirchner 1999a)

Beim Wahrnehmungsprozeß (Perzeption) werden Signale aus der Umwelt empfangen (Rezeption). Das Zusammenbringen von Signalen zu einer Sichtweise der Umwelt wird als "Konzeption" bezeichnet. Eindrücke entstehen und ein neues Ganzes genannt "Daten" emergiert. Aktuelle Daten sind die Basis für die nächste Wahrnehmung.

Die Daten werden auf der nächsten Ebene interpretiert, es wird ihnen eine Bedeutung gegeben. Zu Beginn wird von einem bestimmten Wissen, d.h. einer aktuellen kognitiven Wissensstruktur, ausgegangen. Dies ist die Basis für die Emergenz neuen Wissens. Das kognitive System (das aktuelle Wissen) wird auf die Realität projiziert, d.h. Wissen wird auf die eine Ebene darunterliegenden Daten angewendet (=Projektion). Bei der Introjektion werden die Daten so interpretiert, daß neues Wissen emergiert, Realität wird in das System eingebracht/introjiziert. Die zweite Ebene ist jene des Wissens und der Tatbestände, die einem Individuum real erscheinen.

Auf der dritten Stufe wird das Wissen evaluiert, individuelle Information emergiert und wird differenziert. Individuelle Information wird hier auch als individuelle Weisheit bezeichnet. Der Evaluationsprozeß beginnt mit einer Situation, in der eine Entscheidung getroffen werden muß. Bei der Deskription wird auf der Basis der bestehenden individuellen Information nach Lösungen gesucht. D.h., es liegt eine Situation vor, in der eine Entscheidung getroffen werden muß. Diese Situation verweist auf die zweite Ebene, jene des Wissens. Das Individuum kann sie also durch für es geltende Tatsachen beschreiben. Bei der Preskription wird eine Entscheidung getroffen, es kommt zur Emergenz neuer individueller Information

Die drei Ebenen des Modells können auf die semiotischen Dimensionen abgebildet werden: Wenn ein neues System, eine neue Struktur, ein neuer Zustand oder ein neues Verhalten sich auf Altes bezieht, so wird eine Beziehung zwischen Zeichen (alten und neuen) hergestellt. Das neue Zeichen kann nicht auf die alten reduziert werden, aber es ist dennoch abhängig von ihnen. Wir können dies als die syntaktische Zeichendimension sehen. Wenn eine Beziehung zur Umwelt eines Systems hergestellt wird, so beziehen sich auch die Zeichen eines Systems auf die Außenwelt. In so einem Fall repräsentiert das Zeichen etwas außerhalb des Systems, das Zeichen erlangt Bedeutung. Dies ist die semantische Zeichendimension. Wenn eine Beziehung zwischen einem Zeichen und den Zielen eines Systems hergestellt wird, können wir von der pragmatischen Zeichendimension sprechen.

Die Zeichenbeziehungen sind ineinander gekapselt: Die innerste ist die Zeichen-Zeichen-Relation (Syntax), die in die Zeichen-Zeichen-Objekt-Relation eingebettet ist (Semantik), die wiederum Teil der Zeichen-Zeichen-Objekt-Subjekt-Relation ist (Pragmatik).

In Bezug auf individuelle Information kann gesagt werden, daß auf der ersten Ebene neue Daten (=Wahrnehmungen) auf der Basis bereits bekannter Daten durch die Wahrnehmung von Signalen emergieren. Eine Beziehung zwischen alten und neuen Daten, also Zeichen, wird hergestellt. Daher ist dies der syntaktische Aspekt der Konstitution und Differenzierung individueller Information.

Auf der zweiten Ebene werden die Wahrnehmungen interpretiert, der Zustand des Systems ändert sich und ein anderes Zeichen - neues Wissen - emergiert. Dieses Zeichen bezieht sich auf das Objekt der Kognition - die Umwelt des interpretierenden Individuums. Eine Zeichen-Zeichen-Objekt-Beziehung wird also hergestellt, wir finden den semantischen Aspekt auf dieser Ebene des Modells.

Auf der dritten Ebene werden Entscheidungen auf der Basis bereits existierender individueller Weisheit und von Wissen getroffen. Dadurch kann neue individuelle Information emergieren. Eine Beziehung mit den Handlungen, Entscheidungen und Problemen des Subjekts der Kognition wird hergestellt. Wir haben es hier also mit einer Zeichen-Zeichen-Objekt-Subjekt-Relation zu tun, daher können wir vom pragmatischen Aspekt des Modells sprechen.

Individuelle Information ist die erste Form von Information in sozialen Systemen. Bei der zweiten handelt es sich um soziale Information:

Soziale Inklusionen bezeichnen neue Eigenschaften eines beobachteten sozialen Systems, über die sich die Elemente dieses Systems kollektiv bewußt sind und die ihren Sitz nicht in diesen Elementen, sondern in der strukturell über die Elemente relationierten Gesamtheit haben. Sie werden in einem kollektiven Prozeß hervorgebracht und sind emergente Eigenschaften sozialer Systeme. Sie entstehen durch soziale Kooperation: Soziale Kooperation ist eine soziale Beziehung, in der die wechselseitigen Bezugnahmen der Akteure, jeden/jede davon dazu befähigt, einen Vorteil aus der Situation zu gewinnen. Durch Kooperation können Individuen Ziele erreichen, die sie alleine nicht erreichen könnten. Auch dies ist eine Form der Emergenz.

Soziale Exklusionen bezeichnen neue Eigenschaften eines beobachteten sozialen Systems, über die sich die Elemente dieses Systems kollektiv bewußt sind und die ihren Sitz nicht in diesen Elementen, sondern in der strukturell über die Elemente relationierten Gesamtheit haben. Sie werden im Gegensatz zu sozialen Inklusionen nicht kollektiv konstituiert, sondern über Teilsysteme, die sich in sozialen Hierarchien höher befinden, oder von außen und reflektieren Herrschaftsverhältnisse in sozialen Systemen. Diese Teilsysteme haben mehr Macht als andere, üben Herrschaft über andere aus und können Vorteile nutzen, die sich für sie aus ihrer höheren Position in sozialen Hierarchien ergeben. Soziale Exklusionen entstehen durch soziale Konkurrenz:

Diese kann als soziale Beziehung gesehen werden, in der die sozialen Interaktionen und die Macht- und Herrschaftsverhältnisse einige Individuen oder Teilsysteme dazu befähigen, Vorteile auf Kosten anderer zu gewinnen. Letztere müssen mit Nachteilen und negativen Konsequenzen, die sich aus dieser Situation ergeben, umgehen.

Soziale Information bezeichnet Strukturen wie soziale Normen, Gesetze, soziale Werte und Regeln (wobei diese nicht notwendigerweise in kodifizierter Form vorliegen müssen, also mittels einer materiell-stofflichen Basis, sondern auch aus Traditionen oder Gewohnheiten entstanden und unkodifiziert sein können), die durch das Zusammenwirken mehrerer Individuen entstanden sind.

Bei sozialer Information kann es sich um eine soziale Inklusion oder um eine soziale Exklusion handeln. Bringen ALLE Elemente eines sozialen Systems, die von der Anwendung der entstehenden sozialen Information betroffen sind, diese gemeinsam durch Wechselwirkungen hervor und hat jedes beteiligte Individuum dieselben Möglichkeiten und Mittel, um die entstehende Informationsstruktur in seinem eigenen Sinn zu beeinflussen, so handelt es bei der entstehenden makroskopischen Struktur um inklusive soziale Information. Diese Art der sozialen Information entsteht durch soziale Kooperation der betroffenen Individuen. Sie wird als emergente Eigenschaft eines sozialen Systems kollektiv von den beteiligten und betroffenen Individuen durch einen Selbstorganisationsprozeß hervorgebracht.

Selbstorganisation bedeutet dabei, daß die von entstehenden Strukturen betroffenen Individuen Eintreten, Form, Verlauf sowie das Ergebnis dieses Prozesses selbst bestimmen und gestalten können und durch mikroskopische Wechselwirkungen untereinander makroskopische Strukturen hervorbringen.

Wird soziale Information nicht kollektiv von den Betroffenen konstituiert, sondern von einem in einer sozialen Hierarchie höher stehenden Teilsystem eines sozialen Systems oder von außen, so handelt es sich bei der entstehenden Struktur um eine soziale Exklusion. Exklusive soziale Information ist eine neue, emergente Eigenschaft eines sozialen Systems, die in der Form sozialer Exklusionen konstituiert wird und Herrschaftsverhältnisse des Systems widerspiegelt. Sie entsteht durch soziale Konkurrenz und wird durch Teilsysteme konstituiert, die mehr Macht haben als andere, Herrschaft über diese ausüben und über Vorteile verfügen, die sich aus ihrer höheren Position in sozialen Hierarchien ergeben.

Es kann nicht davon gesprochen werden, daß exklusive soziale Information durch Selbstorganisation entsteht, da nicht sämtliche von der Struktur betroffenen Individuen Eintreten, Form, Verlauf und Ergebnis des Konstituierungsprozesses mitbestimmen, sondern Herrschaftsstrukturen zum Tragen kommen.

In dissipativen Systemen kann Selbstorganisation als die spontane Emergenz von Mustern aus Wechselwirkungen der Systemteile betrachtet werden, nachdem eine gewisse Schranke eines Kontrollparameters überschritten wurde und es zur Verstärkung von Fluktuationen kam. Wir argumentieren im Sinn emergenter Evolution, daß neue Systemqualitäten im Lauf der Evolution emergieren. Daher sind soziale Systeme komplexer als dissipative und autopoietische, und Selbstorganisation kann nicht genau dieselbe Bedeutung in sozialen Systemen haben wie in weniger komplexen Systemen. Neue Systemqualitäten haben sowohl gemeinsame als auch verschiedene Bedeutungsinhalte mit alten Qualitäten auf weniger komplexen Organisationsebenen. Daher finden wir auf unteren Stufen eine breitere Bedeutung von Selbstorganisation als auf oberen. Auf oberen Ebenen wird diese Bedeutung immer spezieller, da die Komplexität zunimmt. Daher wird hier für ein Konzept sozialer Selbstorganisation im Rahmen sozialer Information argumentiert, daß nicht nur die Beziehungen von Elementen, sondern auch die Qualitäten dieser Beziehungen betrachtet. Daher müssen Klassen-, Macht- und Herrschaftsverhältnisse miteinbezogen werden. Dies resultiert in einem speziellen Verständnis sozialer Selbstorganisation, daß Selbstbestimmung und Selbstgestaltung betont.

Eine Hierarchie beinhaltet eine prioritätsgeordnete Reihenfolge, die stufenförmig aufgebaut ist. Individuen, die sich in der Hierarchie weiter oben befinden, verfügen über mehr Macht als jene, die sich weiter unten befinden. Hierarchien zeichnen sich durch asymmetrische Machtverteilungen aus. Solche ungleichen Verteilungen werden i.d.R. repressiv durch Zwangsmittel abgesichert, dies ist der spezifische Charakter von Herrschaftsverhältnissen. Soziale Information und Klassen-, Macht- sowie Herrschaftsverhältnisse stehen in einem engen Zusammenhang:

Die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft ist u.a. gekennzeichnet durch antagonistische Klassenverhältnisse. Dies sind Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse. Im Postfordismus können nun folgende Klassenverhältnisse identifiziert werden, durch deren Existenz der Kapitalismus seine permanente Reproduktion ermöglicht: Kapital und Lohnarbeit stehen sich in einem Klassenverhältnis gegenüber, da die Arbeitenden unbezahlte Mehrarbeit lesen. Die Verwertung des Wertes, d.h. die Selbstzweckhaftigkeit des Wertes, die dazu führt, daß im Rahmen der Kapitalakkumulation immer mehr Mehrwert produziert und Kapital akkumuliert wird, ist der zentrale Mechanismus der Reproduktion des Kapitalismus. Die zumeist weiblichen Reproduktionsarbeitenden werden im Rahmen von patriarchalen Produktionsweisen (zumeist im Rahmen der Familie) von Kapital und Männern ausgebeutet, da sie unbezahlte oder niedrig bezahlte Arbeit leisten, ohne die der Kapitalismus nicht existieren könnte, da er die Reproduktion seines Ausbeutungsmaterials nur dadurch erreichen kann, daß dieses im Rahmen von häuslichen Produktionsweisen Hausarbeitende ausbeutet.

Die immer kleiner werdende Zahl der KernarbeiterInnen (zur Unterscheidung von Kernarbeitenden und peripheren Arbeitenden siehe Atkinson (1984, S. 14ff) und Atkinson/Gregory (1986, S. 14)) kann ihre Vollzeitarbeitsverhältnisse im Postfordismus nur dadurch aufrecht erhalten, daß das Kapital dafür sagt, daß die Arbeitsverhältnisse der peripheren ArbeiterInnen (geringfügige Beschäftigung, Teilzeitarbeit, Leiharbeit, Zeitarbeit, befristete Beschäftigungsverhältnisse, Heimarbeit, Saisonarbeit, Werkvertragsregelungen, neue Selbständigkeit) immer schlechter werden.

Es zeigt sich heute im Kapitalismus nicht nur eine Massenarbeitslosigkeit, sondern auch eine Prekärisierung der Lebensverhältnisse immer größerer Teile der Weltbevölkerung. Dies betrifft heute nicht nur die „Dritte Welt" (was schlimm genug wäre), sondern es bilden sich auch immer mehr periphere Räume in den Metropolen des kapitalistischen Weltsystems aus. Die neokonservative Deregulierung führt nicht nur zur Ausbildung „neuer Arbeitsverhältnisse", sondern auch zur Verschlechterung der sozialen Situation der sich darin findenden doppelt „freien" Lohnarbeitenden. Es kann gesagt werden, daß periphere Arbeitsverhältnisse heute verstärkt einen prekären Charakter annehmen (Möller 1990). Das Neue dieser Arbeitsverhältnisse ist das ewig Alte: Die relative Schlechterstellung der Lohnarbeitenden zu Gunsten des Kapitals.

Die überausgebeuteten peripheren ArbeiterInnen stellen eine eigene Klasse da, die durch das Kapital ausgebeutet wird. An diesem Herrschaftsverhältnis beteiligen sich die KernarbeiterInnen häufig dadurch, daß sie der Spaltung der Arbeitenden Vorschub leisten und ihren eigenen Vorteil auf Kosten anderer verfolgen. Von einer Solidarität zwischen Arbeitenden kann daher heute keine Rede sein.

Arbeitende in rassistischen Produktionsverhältnissen werden ebenfalls durch das Kapital überausgebeutet. Mit Überausbeutung ist gemeint, daß das Kapital periphere, patriarchale und rassistische Verhältnisse (Kolonien der ursprünglichen Akkumulation) schafft, um unter deregulierten Arbeitsbedingungen und unter Minimierung des variablen Kapitalanteils ein Maximum an Mehrwert auszupressen. KernarbeiterInnen, periphere ArbeiterInnen und Arbeitslose beteiligen sich häufig an der Aufrechterhaltung rassistischer Herrschaftsverhältnisse, da sie hoffen, dadurch ihre eigene relativ bessere Situation aufrechtzuerhalten. Daher stellen rassistisch Ausgebeutete eine eigene Klasse dar, die in einem Ausbeutungsverhältnis zu Kapital und anderen FördererInnen des Rassismus steht.

Ein weiteres Klassenverhältnis besteht zwischen Zentrum und Peripherie, da einerseits über den Weltmarkt Armut in der "Dritten Welt" generiert wird und andererseits der Kapitalexport dazu führt, daß Mehrwert in den peripheren Räumen produziert wird, der ins Zentrum zurückfließt.

Der Kapitalismus benötigt Milieus ursprünglicher Akkumulation, die überausgebeutet oder ausgeschlossen werden, damit die Kapitalakkumulation funktionieren kann und der Kapitalismus seine Reproduktionsfähigkeit garantieren kann. Als solche Milieus können die patriarchale und die rassistische Produktionsweise, die Peripherie ("Dritte Welt") und die peripheren ArbeiterInnen betrachtet werden.

Diese Klassenverhältnisse sind geprägt durch asymmetrische Machtverteilungen und Herrschaftsförmigkeit. Die asymmetrische Machtverteilung als asymmetrische Verfügbarkeit über einflußreiche Mittel zeigt sich auch in ungleichen Verteilungen der Verfügbarkeit von Information. Mächtigere verfügen i.d.R. über mehr Information und Wissen und spielen bei der Konstitution sozialer Information eine dominante Rolle. "Informationsmonopole sind Machtmonopole. Sie sind zu brechen, wenn eine humane Gesellschaft erreicht werden soll" (Hörz 1993, S. 122).

Macht wird in unserer bestehenden Gesellschaft zu einem guten Teil über den bevorzugten Zugang herrschender Klassen zu Wissen und sozialen Informationen und durch einen Ausschluß anderer von diesen Zugängen und Mitbestimmungen aufrechterhalten. Dieser Ausschluß nimmt bei seiner Durchsetzung die Form von Zwangsmitteln an. Auch bei solchen Zwangsmitteln kann es sich um soziale Information handeln, da Gesetze eine disziplinierende Wirkung haben sollen, die Normabweichungen minimieren. In einem solchen Fall werden Gesetze als Disziplinen in der Form exklusiver sozialer Information von Herrschenden konstituiert. Dies ist auch durchwegs in der Repräsentativdemokratie der Fall, da sich die Mitbestimmung des Großteils der Betroffenen von sozialer Information auf Entscheidungsmechanismen in der Form von regelmäßig stattfindenen Wahlen reduziert. Solche Entscheidungen ändern möglicherweise die Zusammensetzung jener Gruppe, die soziale Informationen (meist in Gesetzesform) durch nichtselbstorganisierte Prozesse als soziale Exklusionen hervorbringen.

Im Rahmen von Klassenverhältnissen wird soziale Information produziert. Typisch für die kapitalistische Gesellschaft ist nun nicht nur die Existenz von Klassen an sich, sondern auch, daß die Produktion sozialer Information im Rahmen dieser antagonistischen Verhältnisse nicht-selbstorganisierend und exklusiv erfolgt. Dies ist typisch für Klassenverhältnisse. Das totalitäre Element der Marktwirtschaft besteht darin, daß Zwang und Fremdbestimmung als Selbstverständlichkeiten naturalisiert werden. Kategorien wie Tausch, Lohnarbeit, Kommodifizierung sämtlicher Lebensbereiche und Konsumzwang sind aber eben nicht selbstverständlich, sondern nur typisch für den Kapitalismus.

Unsere westliche Welt, die politisch durch die Repräsentativdemokratie und ökonomisch durch den Kapitalismus geprägt ist, basiert in beiden Bereichen (und auch in anderen wie z.B. dem privaten) auf Klassenverhältnissen, asymmetrischen Machtbeziehungen und Herrschaftsförmigkeit. Dies schafft einflußreichere und einflußlosere Klassen. Erstere haben einen privilegierten Zugang zu Information in der Form von Wissen und konstituieren soziale Informationen durch nicht-selbstorganisierte Prozesse, die sich über die Mehrzahl der Betroffenen hinwegsetzen. Daher handelt es sich bei diesen sozialen Informationen um soziale Exklusionen. Die einflußloseren Klassen haben einen eingeschränkten Zugang zu Information in der Form von Wissen und zum Konstitutionsprozeß sozialer Information. Ihre politische Mitbestimmung reduziert sich zumeist auf Volksbefragungen, bei denen die Fragen als soziale Exklusionen vorgegeben werden, und auf Wahlen, die die gesellschaftlichen Machtasymmetrien maximal auf andere Personen umverteilen.

Die Gesetze, die in repräsentativ verfaßten Staaten gemacht werden, sind Formen sozialer Information. Für alle Formen der Repräsentativdemokratie, die in Betracht gezogen werden können (parlamentarische Demokratie, Präsidialdemokratie, Konkurrenzdemokratie, Konkordanzdemokratie) gilt, daß die Repräsentation dazu führt, daß die politische Selbstorganisation der Menschen auf ein Minimum reduziert wird. Der Wille des Volkes beschränkt sich auf Wahlen, die alle paar Jahre stattfinden. Dazwischen haben die RepräsentantInnen quasi eine Vorgangsweise zur Verfügung, mit der sie losgelöst vom Volk Entscheidungen treffen können, die für dieses jedoch verbindlich sind. Nach einigen Jahren ist zwar eine politische Richtungsveränderung der bestimmenden Kräfte durch Wahlen möglich, dies ändert jedoch nichts an der prinzipiellen und fast vollständigen Delegation der politischen Entscheidungskompetenz der Menschen an eine oligarchische Gruppe. In der Repräsentativdemokratie entstehen politische Informationen (im wesentlichen Gesetze, also eine Form sozialer Information) somit in der Form sozialer Exklusionen.

Doppelter Sinn der asymmetrischen Machtverteilung in der Politik bedeutet in der Repräsentativdemokratie: 1. Die politischen Akteure (und dazu sind sämtliche WählerInnen zu zählen) werden in zwei Klassen geteilt: WählerInnen und Gewählte. Dabei vereinigen die Gewählten während der Gesetzgebungsperiode die politische Macht nahezu ausschließlich auf sich. Es entsteht als ein Teilsystem innerhalb eines sozialen Systems, das mächtiger ist als ein anderes. 2. Innerhalb der Gewählten gibt es wiederum Machtasymmetrien und Hierarchien, die sich aus der Repräsentation herleiten: Es entstehen abermals unterschiedlich mächtige Teilsysteme, in der Regel handelt es sich dabei um Regierung/Opposition oder parlamentarische Mehrheit/parlamentarische Minderheit.

Wenn soziale Selbstorganisation bedeutet, daß die von den entstehenden Gesetzen betroffenen Individuen Eintreten, Form, Verlauf sowie das Ergebnis des Entstehungsprozesses selbst bestimmen und gestalten können, so kann nicht davon gesprochen werden, daß die Repräsentativdemokratie ein politisches System ist, daß die Selbstorganisation der Menschen fördert. Im Gegenteil, sie verfügt über einen sehr geringen Grad sozialer Selbstorganisation.

Kapitalismus und moderne Repräsentativdemokratie können nicht als sozial selbstorganisierend in oben genanntem Sinn bezeichnet werden, da sie auf Fremdbestimmung basieren. Soziale Selbstorganisation muß hingegen eine inklusive und selbstbestimmte Konstitution sozialer Information miteinschließen.

Das Verhältnis von individueller und sozialer Information hat seinen Ausgangspunkt darin, daß die Signale in Abbildung 3 Ausgangspunkt der Konstitution und Differenzierung individueller Information sind. Diese Signale können sich auf Objekte unserer Natur und Umwelt beziehen und somit auch auf soziale Information. Die Art dieses Verhältnisses ist wiederum eine epistemologische Frage, in der das Problem auftaucht, ob Erkenntnis Konstruktion, Widerspiegelung oder die dialektische Vereinbarung von beidem ist.

Die beiden diskutierten evolutionären Informationsverständnisse bedeuten eine neue Auffassung der Informatik als Informationswissenschaft, das weggeht vom technikreduktionistischen Informationsbegriff, der Information nachrichtentechnisch rein syntaktisch faßt und für den die Informationsentstehung kein Thema ist. Hier werden hingegen syntaktische, semantische und pragmatische Aspekte der Information betont, Information wird mit Selbstorganisation in Verbindung gebracht und damit erfolgt eine Rückbesinnung auf das lateinische in-formare im Sinne der Formung von Ordnung, Strukturen, Systemen und Prozessen. Der heute vorherrschenden Verdinglichung von Information wird ein Verständnis entgegengehalten, daß die evolutionäre Entwicklung von Systemen und die damit einhergehenden Transformationen von Information berücksichtigt.

Die beiden Ansätze unterscheiden sich darin, daß Klaus Fuchs-Kittowski Information als eine Einheit von Syntax, Semantik und Pragmatik auffaßt, in der das gleichzeitige Vorliegen aller drei Aspekte notwendig ist, um etwas als Information qualifizieren zu können. Da in physikalischen und chemischen Systemen von Bedeutung keine Rede sein kann, wird davon ausgegangen, daß es in diesen Systemen auch keine Information gibt. Diese "physionomischen" Systeme werden nicht als selbstorganisierend, sondern als selbststrukturierend bezeichnet. Wir gehen davon aus, daß es auch in physikalischen Systemen Information gibt. Syntaktische Aspekte reichen demnach aus, um von Informationsgenerierung in selbstorganisierten Systemen zu sprechen. Es wird ein evolutionäres Modell propagiert, in dem dissipative, autopoietische und soziale Systeme auseinander hervorgegangen sind. Auch Syntax, Semantik und Pragmatik der Informationsprozesse entwickeln sich dabei einem dialektischen Verständnis gemäß so, daß auf frühen Entwicklungsstufen noch undifferenziert auftritt, was auf späteren immer weiter entfaltet wird: In dissipativen Systemen fallen die syntaktischen Aspekte mit den semantischen und pragmatischen ineins, in autopoietischen differenziert sich die Bedeutungsebene (Semantik) heraus und in sozialen Systemen die Pragmatik.

Nichtsdestotrotz haben beide Ansätze eine gemeinsame Perspektive, indem sie versuchen, Aspekte von Information, Selbstorganisation und Evolution zu vereinen, um eine interdisziplinäre, vereinheitlichte Theorie der Information (UTI) zu schaffen, die dem vorherrschenden Technikreduktionismus und der Verdinglichung in der Informatik entgegenwirkt und eine Kommunikationsbasis für die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen schafft.

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