Christian Fuchs: Der Feminismus Donna Haraways und die materialistisch-feministische Kritik der Postmoderne
1. Donna Haraways postmoderner Feminismus
Cyborgs jenseits von Mensch und Maschine
Donna Haraway verwendet das Bild des Cyborgs: "Cyborgs sind kybernetische Organismen, Hybride aus Maschine und Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie der Fiktion" (Haraway 1995a, S. 33). Cyborgs sind also Mischungen aus Maschinen und Menschen, die es derzeit tatsächlich und in Vorstellungen oder Zukunftsvisionen gibt. Dies deutet auch bereits Haraways Faible für Science Fiction an. In der Science Fiction gibt es unzählige Cyborgs, beispielsweise die Borgs bei Star Trek. Derzeit käme es beispielsweise in Militär, Medizin oder in der Form von Cybersex zur Überschreitung der Grenze zwischen Mensch und Maschine:
Der Virtual Reality-Operationssaal ist zwar noch nicht Standard, aber es gibt immer mehr Versuche, Operationen derart computerunterstützt durchzuführen, daß der Chirurg eine Cyberbrille am Kopf hat, durch die ihm spezielle Patientendaten, die vom Rechner erhoben werden, zur Verfügung gestellt werden. Dadurch soll der Eingriff erleichtert werden.
"Beim Frauenhofer-Institut in Darmstadt wird z.B. eine chirurgische Ausbildung am künstlichen Knie vorgenommen. Mit Hilfe eines VR-Trainingssystems können angehende Chirurgen Knie-Untersuchungen üben. Der Rechner zeigt die momentane Position der chirurgischen Instrumente im Knie an. [...] Virtual Reality, Vernetzung und Digitalisierung sind auch in der High-Tech-Medizin die zentralen Schlüsselwörter. [...] Der Operationssaal der Zukunft könnte einer elektronischen Schaltzentrale gleichen, jeder chirurgische Eingriff wird dann mit umfassenden Patientendaten abgestimmt, die der Rechner liefert" (Bühl 1997, S. 177f).
Haraway erwähnt immer wieder, daß der moderne Krieg eine "Cyberorgie" (Haraway 1995a, S. 34) sei. Dies zeige sich z.B. an Hand von C³I (Command-Control-Communication-Computers-Intelligence). Haraways Cyborg-Manifest ist in englischer Originalfassung 1985 entstanden. Inzwischen wird von C4I (Command-Control-Communication-Computers-Intelligence) gesprochen. Command and control (C²) meint dabei Mechanismen der Führung und Kontrolle, die den Einsatz des Militärs im Kriegsfall steuern. Dazu gehört z.B. eine hierarchische Organisation, um Befehle weiterzuleiten. Communication (C³) bezeichnet die Nachrichtenübertragung zwischen Kommandozentralen und Einheiten. Es wird versucht, möglichst genaue Informationen über gegnerische Ziele, Organisation, Ausrüstung, Geographie des Kriegsschauplatzes, Ziele der Zerstörung, usw. zu erheben. Diese Aufgabe erfüllt die Nachrichtenbeschaffung (Intelligence) - C³I. Mit Computereinsatz (Computers, C4I) wird versucht, die militärische Zerstörungskraft und Kommunikation so effizient wie möglich zu gestalten.
Der Golfkrieg 1991, also die Aktion "Desert Storm", wird allgemein als der erste virtuelle Krieg gesehen, da "die US-amerikanischen Piloten zuvor an dreidimensionalen Computergrafiken übten, die das zu überfliegende Gelände wiedergaben. Die Computergrafiken wurden anhand von Satellitenbildern erstellt und bei Nachtflügen auf Sichtgeräten eingeblendet" (Bühl 1997, S. 168). Der Welt wurden per CNN Radaraufnahmen und feuerwerksartig anmutende Luftaufnahmen gezeigt, die den Eindruck erwecken sollten, es handle sich hier um einen Hochtechnologiekrieg, in dem es keine zivilen Opfer mehr gibt. Bilder der Zerstörung und des Leides wurden konsequent negiert. Erst einige Zeit später wurde klar, daß dies bewußte Täuschungsmanöver waren und daß die Zerstörungskraft des virtuellen Krieges zahllose zivile Opfer zu Folge hatte. Vom "Kollateralschaden" war im Kosovokrieg die Rede, als ein NATO-Bomber einen Flüchtlingskonvoi bombardierte und etliche Menschen dabei ums Leben kamen. All dies wirft die Frage auf, ob der virtuelle Krieg, der sich immer mehr an die Situation annähert, daß der Pilot in seinem Kampfjet eine Virtual Reality-Situation simuliert bekommt, die der Außenwelt exakt gleicht, zur Vermeidung ziviler Opfer und Zerstörungen beiträgt oder ob jeder Krieg nicht derart zu qualifizieren ist, daß Zerstörung ohne Rücksichtnahme das Hauptziel ist und daher C4I und Cyberwarfare genutzt werden, um das Zerstörungsausmaß zu maximieren.
Überwindung von Gender-Grenzen durch Cyborgs
Cyborgs überwinden Grenzen. Nicht nur (wie bereits erläutert) die Grenze zwischen Mensch/Tier/Organismus einerseits und Maschine andererseits, sondern auch jene zwischen Mensch und Tier werde immer durchlässiger, indem z.B. die Tierrechtsbewegung die Verbundenheit von Mensch und Tier betone (Haraway 1995a, S. 36f).
Auch die Grenze zwischen Physikalischem und Nichtphysikalischem werde immer unschärfer, da moderne Maschinen vorwiegend mikroelektronische Geräte seien, die immer kleiner werden. Das Physikalische sei daher allgegenwärtig, werde aber immer unsichtbarer. Dies nennt Haraway "Miniaturisierung" (siehe ebd., S. 38f).
Mit der Cyborgmetapher versucht Haraway Veränderungen in unserer Gesellschaft zu beschreiben und Vorstellungen über die Zukunft zu entwickeln. Dazu gehört die Vorstellung, daß Cyborgs "Geschöpfe in einer Post-Gender-Welt" (Haraway 1995a, S. 35) sind. Es geht ihr also um die Auflösung der Grenze zwischen Mann und Frau, da unter den herrschenden Bedingungen das Geschlecht (Gender) eine Kategorie ist, entlang derer sich Ungleichheiten manifestieren. Es geht ihr also um eine Vision, in der diese Ungleichheiten, die Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen zu Folge haben, aufgehoben sind.
Verhältnis und Kritik verschiedener Strömungen des Feminismus
Es ist üblich, den Feminismus in mehrere Strömungen einzuteilen: Die Grundidee des bürgerlichen/liberalen Feminismus ist die angestrebte Gleichheit von Mann und Frau. Er versucht diese Gleichheit innerhalb des bestehenden Gesellschaftssystems durch Reformen durchzusetzen. Der radikale Feminismus (Vertreterinnen sind z.B. Catherine McKinnon oder Andrea Dworykinare) betont die Verschiedenheit von Mann und Frau und daß der einzige Weg aus der männlichen Herrschaft über Frauen eine Separation sei. Der marxistische Feminismus begreift die Unterdrückung von Frauen als Bestandteil des Kapitalismus, der auf Ausbeutung und Klassenunterschieden basiere. Nur eine revolutionäre Veränderung, die sich gegen den Kapitalismus stellt, sei als Basis einer Gesellschaft ohne Frauenunterdrückung möglich. Der postmoderne Feminismus beschäftigt sich vorwiegend mit der sozialen Konstruktion von Gender sowie mit sich verändernden Identitäten und kulturellen Kategorien, die Frauen betreffen. Donna Haraway wird i.A. als postmoderne Vertreterin des Feminismus gesehen.
Sie meint, daß sie in ihrem Cyborg-Manifest versucht, "einen ironischen, politischen Mythos zu entwickeln, der Feminismus, Sozialismus und Materialismus die Treue hält" (Haraway 1995a, S. 33). Diese Treue gleiche jedoch eher der Blasphemie als der reinen Lehre. Dies kann so verstanden werden, daß sie sich als eine Kritikerin des traditionellen Dogmatismus des Marxismus-Leninismus, der sich auch im materialistischen Feminismus manifestierte, versteht und daß sie sich aber einer marxistischen Tradition verbunden fühlt. Jedoch einer, für die Marx und Engels keine Heiligen sind und "Das Kapital" sowie das "Kommunistische Manifest" nicht als Evangelium unkritisch rezipiert werden. Sie betont auch "die Notwendigkeit von Solidarität" (ebd.), und: "Blasphemie ist nicht Apostasis" (ebd., Apostasis=Abfall vom Glauben).
Haraway spricht von einer "Krise der politischen Identität" (Haraway 1995a, S. 41). Beispielsweise ist die Identität von vielen politischen Menschen als Linke, MarxistInnen, SozialistInnen, KommunistInnen, usw. nach dem Umbruch im Osten brüchig geworden, da der Kapitalismus als historischer Sieger und daher als einzig akzeptable Gesellschaftsform gilt. Diese Identitätskrisen führen nach Haraway zu Segmentierungen in der Linken und im Feminismus, gemeinsame Perspektiven und Identitäten oder eine Einheit der FeministInnen seien immer undenkbarer. Es sei aber in der derzeitigen politischen Situation immer notwendiger, daß eine politische Einheit hergestellt werden könne.
Der sozialistische/marxistische/materialistische Feminismus übernimmt Marx Analyse, daß die Lohnarbeit den Kapitalismus als ausbeuterische Klassengesellschaft konstituiere, da sie entfremdete Arbeit darstelle, in der der Arbeiter von seinem Produkt getrennt wird und als Produzent von Mehrwert vom Kapitalisten ausgebeutet wird. "In getreuer Töchterlichkeit schritt der sozialistische Feminismus voran und übernahm die grundlegenden analytischen Strategien des Marxismus. Die wichtigste Errungenschaft sowohl marxistischer als auch sozialistischer Feministinnen war die Ausdehnung des Arbeitsbegriffes auf die Tätigkeiten (einiger) Frauen, auch wenn die Lohnarbeit einer erweiterten Sicht auf Arbeit im kapitalistischen Patriarchat untergeordnet wurde" (Haraway 1995a, S. 44f). Die Arbeit von Frauen als Mütter sei damit als Reproduktionsarbeit in die marxistische Analyse aufgenommen worden.
Donna Haraway kritisiert am Marxismus dessen "Unvermögen, diejenigen Tätigkeiten von Frauen zu historisieren, die nicht für Lohnarbeit in Frage kommen" (Haraway 1995b, S. 77).
Die radikale Feministin Catherine MacKinnon betonte, daß eine vom Marxismus verschiedene Strategie, die nicht vorwiegend die Klassenstruktur betrachtet, im Feminismus notwendig sei. Ihre Theorie sei eine "Theorie des Bewußtseins", in der Feminismus als die Bewußtmachung weiblicher Erfahrungen mit der Unterdrückung durch Männern, sexueller Gewalt, usw. gilt. Eine Frau existiere nicht als Subjekt, sondern nur als das Objekt sexueller Aneignung durch Männer, sie werde durch männliches Begehren konstituiert.
Haraway kritisiert an MacKinnon, daß diese totalisierend andere Sichtweisen der Rolle von Frauen in der Gesellschaft nicht gelten lasse, indem sie sagt, die Erfahrung von Frauen bestünde ausschließlich darin, Produkt männlicher Begierde zu sein. Andere Erfahrungen betrachte sie nicht als gültig (siehe Haraway 1995a, S. 46).
Donna Haraway bemängelt am marxistischen und am radikalen Feminismus, daß beide die Unterdrückung von Frauen an Hand grundlegender Kategorien (Klasse, Lohnarbeit und Entfremdung beim marxistischen Feminismus; Sexualität, sexuelle Aneignung und die sexuelle Rolle von Frauen im radikalen Feminismus) betreiben und totalisierend andere Kategorien ausschließen. "Das peinliche Schweigen über Rasse bei weißen, radikalen und sozialistischen Feministinnen war eine entscheidende, verheerende politische Konsequenz davon" (ebd., S. 47). Eine politische Einheit sei damit ausgeschlossen, sondern die Abgrenzung und Betonung von Differenzen zu anderen stünden im Feminismus im Vordergrund.
Informatik der Herrschaft
Donna Haraway plädiert für eine politische, feministische Einheit. Dazu sei es notwendig, die Veränderung von Klasse, Rasse und Gender in unserer Gesellschaft zu analysieren.
Sie beschreibt den Übergang des fordistischen Kapitalismus, der auf Massenproduktion- und Massenkonsum sowie dem Wohlfahrsstaat basierte, zum postfordistischen Kapitalismus, der durch Schlagworte wie Informationsgesellschaft, Dienstleistungsgesellschaft, Neoliberalismus, diversifizierte Qualitätsproduktion (kundenorientierte Fertigung mit kleinen Stückzahlen, hoher Qualität und flexibler Produktionsweise - Just-in-Time-Production, Lean Management) oder nationaler Wettbewerbsstaat (Vgl. Hirsch 1995, Hirsch 1998) charakterisiert werden kann.
Unter den wesentlichen Veränderungen, die sie auflistet (siehe Haraway 1995a, S. 48f), findet sich der Übergang von der tayloristischen Arbeitsorganisation in der Fabrik (Massenproduktion, Fließband, Optimierung der Abläufe durch Zeit- und Bewegungsstudien) zur "globalen Fabrik" und zum "elektronischen Dorf", von der Lohnarbeit zur Robotik (womit die zunehmende Computerisierung und Automatisierung von Produktionsabläufen beschrieben ist) und vom Geist zur Künstlichen Intelligenz (dies zeigt die zunehmende Bedeutung der KI z.B. in Virtual Reality-Anwendungen, die stetig in alle Bereiche der Gesellschaft diffundieren).
Der kommerzielle Aufstieg des Internets in den 90ern hat deutlich gemacht, daß die weltweite Vernetzung die Möglichkeit globaler Kommunikation bietet und daß die Globalisierung der Kommunikation Medium und Resultat der ökonomischen Globalisierung ist.
Auf jene Veränderung des Kapitalismus, die durch Begriffe und Metaphern wie Informationsgesellschaft, Wissensgesellschaft (Stehr), Data Highway (Clinton/Gore), Cyberspace (Gibson), digitale Stadt/Telepolis, globales Dorf (McLuhan), virtuelle Gemeinschaft (Rheingold), postindustrielle Gesellschaft (Bell) oder virtuelle Gesellschaft (Bühl) bezeichnet wird, nimmt Haraway mit ihrer analytischen Kategorie "Informatik der Herrschaft" Bezug: "Die konkrete Situation von Frauen ist ihre Integration/Ausbeutung in ein weltweites System der Produktion/Reproduktion und Kommunikation, das als Informatik der Herrschaft bezeichnet wird. Haushalt, Arbeitsplatz, Markt, öffentliche Sphäre, sogar der Körper - alles kann in nahezu unbegrenzter, vielgestaltiger Weise aufgelöst und verschaltet werden" (Haraway 1995a, S. 51).
Vor allem die Kommunikations- und Biotechnologien seien jene Werkzeuge, die weltweit neue gesellschaftliche Verhältnisse für Frauen erzwingen. Die Mikroelektronik sei beispielsweise die Basis militärischer Macht, multinationaler Konzerne, moderner Staaten, politischer Prozesse oder der Arbeitsüberwachung. Durch die Mikroelektronik werde Arbeit zu Robotik, Fortpflanzung zu Gen- und Reproduktionstechnologien und Geist zu Künstlicher Intelligenz (vgl. Haraway 1995a, S. 53). In den Bereichen der Biologie und der Kommunikationswissenschaft zeige sich eben auch jene Veränderung, die Haraway durch die Cyborgmetapher beschreiben will: Das Verschwimmen der Grenze zwischen Mensch und Maschine durch Gentechnologie, KI, Virtualisierung sowie Cyber-Technologien.
Frauen befänden sich in einem "integrierten Schaltkreis", einer Welt, die durch Wissenschaft und moderne Technologien grundsätzlich umstrukturiert wird.
Diese technologischen und damit verbunden gesellschaftlichen Veränderungen schaffen, so Haraway, eine neue ArbeiterInnenklasse. Die neue Situation könne mit dem Begriff "Hausarbeitsökonomie" beschrieben werden. Schlechte Arbeitsverhältnisse, in denen sich früher vor allem Frauen befanden, seien nun weltweit zu finden. Hausarbeitsökonomie bezeichnet "eine weitreichende Umstrukturierung der Arbeitsverhältnisse, in der diese in einem umfassenden Sinn die Charakteristika der vormals tatsächlich nur von Frauen ausgeübten Tätigkeiten annehmen" (Haraway 1995a, S. 55). Prekäre Arbeitsverhältnisse (Teilzeitjobs, Zeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, usw.), die Deregulierung der Arbeitszeit, immer mehr Arbeit für immer weniger Geld, Dequalifizierung, Anstieg von Arbeitslosigkeit und Armut, die Verschärfung der Kluft zwischen Arm und Reich sowohl innerhalb der sogenannten "1. Welt" als auch zwischen dieser und der "3. Welt" sind neoliberale Realitäten. Darauf verweist Haraway mit der Kategorie "Hausarbeitsökonomie": Soziale Ungleichheit betraf füher vorwiegend Frauen, heute sind immer mehr Menschen damit konfrontiert. Das heißt aber nicht, daß es keine Armut unter Frauen mehr gibt, sondern nur, daß die Anzahl jener Menschen, die in prekären sozialen Verhältnissen leben müssen, stetig steigt.
Die Hausarbeitsökonomie sei die internationale Organisationsstruktur des Kapitalismus und werde durch die neuen Technologien ermöglicht, aber nicht verursacht. Die neue Situation zeichne sich durch den Zusammenbruch des Wohlfahrtsstaates aus. Damit verbunden sei eine "Intensivierung der Anforderungen an Frauen, ihr tägliches Leben, das der Männer, der Kinder und der Alten aufrechtzuerhalten" (Haraway 1995a, S. 55).
Immer mehr schwarze Frauen in den USA seien zwar berufstätig, dies bedeute jedoch quasi keinen Fortschritt, sondern eine Zunahme der erzwungenen Armut unter Schwarzen trotz Erwerbsarbeit. Eine große politische Gefahr sieht sie in einer Sozialstruktur, in der die Mehrheit der Frauen und Männer - vor allem aber Schwarze - mit Arbeitslosigkeit, Machtlosigkeit und einem hochtechnologischen Repressionsapparat konfrontiert sind.
Die westliche Welt sei durch Dualismen gekennzeichnet, wobei jeweils eine Seite Herrscher und die andere Knecht sei: "Die wichtigsten dieser problematischen Dualismen sind Selbst/Andere, Geist/Körper, Kultur/Natur, männlich/weiblich, zivilisiert/primitiv, Realität/Erscheinung, Ganzes/Teil, HandlungsträgerIn/Ressource, SchöpferIn/Geschöpf, aktiv/passiv, richtig/falsch, Wahrheit/Illusion, total/partiell, Gott/Mensch" (Haraway 1995a, S. 67). Mit einem Dualismus von Selbst/Andere werde die Herrschaft über Frauen, Farbige, Natur, ArbeiterInnen und Tiere legitimiert, da die Herrschaft über Menschen, die als anders gelten, als selbstverständlich und legitim gilt. Der/Die Cyborg helfe mit, all diese Dualismen aufzulösen.
Im Kampf gegen die Zunahme der Ungleichheiten seien, so Haraway, "gender- und rassenübergreifende Allianzen" (Haraway 1995a, S. 57) und "neue Formen solidarischer Einheit über die Grenzen von Rasse, Gender und Klasse hinweg" (Haraway 1995a, S. 61) notwendig. Begeistert ist sie z.B. von schwarzen Feministinnen, die ihre Identität und Unterdrückung sowohl als Frauen als auch als Schwarze betonen ("women of color"). Eine Vernetzung des politischen Widerstandes sei notwendig.
SciFi-Ästhetik
In vielen Science Fiction-Filmen oder -Romanen gibt es Charaktere oder Lebewesen, die kein eindeutiges Geschlecht haben, eine Mischung aus Mensch/Maschine, Tier/Maschine oder Mensch/Tier sind. "Die feministische Science Fiction ist bevölkert von Cyborgs, die den Status von Mann oder Frau, Mensch, Artefakt, Rassenzugehörigkeit, individueller Identität oder Körper sehr fragwürdig erscheinen lassen" (Haraway 1995a, S. 68).
Donna Haraway verbindet mit der Metapher des Cyborgs und ihrer Begeisterung für Science Fiction die Vision einer Welt ohne Gender, in der das Geschlecht keine Rolle mehr spielt und in der es keine Unterdrückung von Frauen mehr gibt: "Die Cyborg-Monster der feministischen Science-Fiction definieren politische Möglichkeiten und Grenzen, die sich stark von den profanen Fiktionen &lsquoMann&rsquo und &lsquoFrau&rsquo unterscheiden. [...] utopischen Traum, die Hoffnung auf eine monströse Welt ohne Gender" (Haraway 1995a, S. 71).
Als Beispiele für Texte, mit denen Haraway quasi eine Post-Gender-Cyborg-Romantik verbindet, nennt sie "The Ship Who Sang" von Anne McCaffrey, "Gaia" von John Varley, "The Adventures of Alyx of the Female Man" von Joanna Russ, "Superluminal" von Vonda McIntyre oder "Sister Outsider" von Audre Lorde. "The Ship Who Sang" ist beispielsweise die Geschichte einer Cyborg, die aus einer Maschine und dem Gehirn eines Mädchens besteht, das nach der Geburt schwer behindert war.
Dekonstruktivismus
Donna Haraway meint in Haraway 1995b, daß sie Wahrheitsansprüche der Wissenschaft dekonstruieren wollte und daher den sozialen Konstruktivismus verwendete. Andererseits sei auch die herrschaftskritische Tradition des Marxismus für sie von Bedeutung gewesen. Sie meint, daß sie auch in dem Sinn objektiv sei, daß sie eine bessere Welt für Frauen möchte. Das Problem dabei sei, einerseits die historischen Objektivitätsansprüche der Wissenschaft zu dekonstruieren, aber andererseits den eigenen feministischen Objektivitätsanspruch aufrechtzuerhalten. Deshalb sei ein neuer Objektivitätsbegriff notwendig.
Dies müsse ein Begriff sein, der "den Standpunkt der Unterworfenen" einnimmt und "eine Perspektive aus der Position der weniger Mächtigen" (Haraway 1995b, S. 83) sei. "Unterworfene Standpunkte werden bevorzugt, weil sie angemessenere, nachhaltigere, objektivere, transformierendere Darstellungen der Welt zu versprechen scheinen" (Haraway 1995b, S. 84). Totalisierung sowie die Betonung einer einzigen Sichtweise und Ablehnung anderer Sichtweisen (dies wirft sie dem radikalen und dem marxistischen Feminismus vor) seien der falsche Weg, notwendig seien politische Solidaritätsnetzwerke, "heterogene Vielheiten" (ebd., S. 86) und die "Verknüpfung partialer Sichtweisen und innehaltender Stimmen zu einer kollektiven Subjektposition" (ebd., S. 91).
Dem Konstruktivismus bleibt Haraway treu, die Widerspiegelungstheorie ist für sie keine gangbare epistemologische Argumentationsweise: "Situiertes Wissen erfordert, daß das Wissensobjekt als Akteur und Agent vorgestellt wird und nicht als Leinwand oder Grundlage oder Ressource und schließlich niemals als Knecht eines Herrn" (Haraway 1995b, S. 93). Mit Leinwand verweist sie auf eine Projektion von Normen, Werten und Regeln. Gegen die Möglichkeit einer solchen Widerspiegelung spricht sie sich aus.
Mit "situiertem Wissen" meint Haraway, daß Wissen von Forschenden nur in Bezug auf deren politische Position gebildet werden kann. Sie sieht also feministisches Wissen als eine Kategorie, die nur möglich ist, wenn sie sich auf gesellschaftspolitische Veränderungen bezieht.
Zusammenfassung
Ich möchte die wesentlichen Thesen des "Manifest für Cyborgs" zusammenfassen:
Die feministische Science Fiction liefert Erzählungen, die Basis für eine Vision einer zukünftigen Cyborg-Gesellschaft ohne Gender sein können, in der es also keine Grenzen und Unterschiede zwischen Mann und Frau und somit auch keine Frauenunterdrückung gibt. Die Arbeit Haraways kann als Vermischung von Theorie und Fiktion gesehen werden.
Der marxistische Feminismus und seine Kritik der Postmoderne
Marxismus
Der Marxismus versteht gesellschaftliche Ungleichheiten als immanente Bestandteile des Kapitalismus. Demnach besitzt eine Minorität, die kapitalistische Klasse, die Produktionsmittel, Böden, Ressourcen und Geld, während andere davon abhängig sind. Durch das Privateigentum an Produktionsmittel und Kapital entsteht, so der Marxismus, eine Klassenstruktur, der zu Folge die Arbeitenden ihre Arbeitskraft den Kapitalisten auf dem Arbeitsmarkt anbieten müssen, um das eigene Überleben durch Lohnarbeit zu finanzieren.
Es bestehe ein Widerspruch zwischen den beiden Klassen Kapital und Lohnarbeit, da der Kapitalist nur durch die Ausbeutung der Arbeitskraft des Arbeiters am Markt konkurrenzfähig bleiben kann. Dies nimmt die Form an, daß der Lohnarbeiter mehr arbeitet als er bezahlt bekommt, er produziert einen Überschuß, den sogenannten Mehrwert. Dieser Mehrwert ist die Basis der Kapitalakkumulation durch den Kapitalisten.
Wird das Produkt verkauft, so verwandelt sich der Mehrwert in Profit. MarxistInnen argumentieren, daß die kapitalistische Klassenherrschaft durch staatliche Gewalt (Polizei, Militär, Justiz, Gefängnisse, usw.) aufrechterhalten werde.
Der dialektische und historische Materialismus von Marx und Engels erfaßt Widersprüche in der kapitalistischen Ökonomie: Widersprüche zwischen Reich und Arm, Besitz und Besitzlosigkeit an Waren, Produktionsmittel, Kapital, Ressourcen; Produktivkräften (Arbeit, Technik, Wissenschaft) und Produktionsverhältnissen (Verhältnisse zwischen Klassen) sowie zwischen den Klassen Kapital und Lohnarbeit werden analysiert und.
Dabei gelten die ökonomischen Beziehungen als die materielle Basis der Gesellschaft; Kultur, Religion, Politik, Recht und Ideologie werden als sozialer Überbau betrachtet, der nur auf der Grundlage der materiell-ökonomischen Basis existieren kann. Hier kommt Engels&rsquo Verständnis des Materialismus zum Tragen: die Produktion und Reproduktion (Basis) bestimmen die Struktur des Überbaus. Letztere spiegelt also die materiellen Verhältnisse wider. Um einer mechanistischen Kausalität auszuweichen, in der jede Wirkung eine Ursache hat und jede Ursache eine Wirkung, sprechen MarxistInnen wie Louis Althusser davon, daß es Rückwirkungen vom Überbau auf die Basis gibt. Althusser nennt dies die "Overdetermination" der Basis durch den Überbau (vgl. Althusser 1976, S. 177). Für Engels ist die Grundfrage der Philosophie das Verhältnis von Denken und Sein (siehe MEW Band 21, S. 274). Der dialektische Materialismus propagiert diesbezüglich, daß das Sein das Bewußtsein bestimmt.
Marx verwendete Hegels dialektische Methodologie, um den Kapitalismus zu analysieren. Diese Analyse basiert auf den Kategorien, Wert, Gebrauchs- und Tauschwert. Er wollte herausfinden welche Gesetze und Kräfte soziales Handeln und soziale Beziehungen beeinflussen und wie Arbeit, Wissenschaft und Technik als Produktivkräfte sozio-ökonomische Widersprüche des Kapitalismus entwickeln und war daran interessiert, die Bewegungsgesetze und Strukturen der kapitalistischen Produktionsweise sowie der geschichtlichen Entwicklung zu analysieren.
Marxistischer/Materialistischer Feminismus
Donna Landry und Gerald Maclean sehen Klassenanalyse und das Aufzeigen von Klassenwidersprüchen als wesentlich für den marxistischen Feminismus. Sie argumentieren für einen Klassenbegriff, der sich nicht klassisch marxistisch auf Kapital und Arbeit beschränkt, sondern eine Pluralisierung der Klassengesellschaft beschreiben kann: "Marxist feminism holds class contradictions and class analysis central [...] we are arguing that materialist feminism should recognize as material other contradictions as well. These contradictions also have histories, operate in ideologies, and are grounded in material bases and effects [...] these categories would include [...] ideologies of race, sexuality, imperialism and anthropocentrism" (Landry/Maclean 1993, S. 229).
Christine Delphy argumentiert in Delphy 1975, daß feministische und proletarische Wissenschaften Unterdrückung erklären müßten. Materialistischer Feminismus müsse sich daher mit der Unterdrückung und Beherrschung von sozialen Gruppen durch andere befassen. Materialismus sei traditionell eine Geschichtstheorie gewesen, in der Geschichte als die Geschichte der Klassenkämpfe gesehen wird. Frauen seien aber als Klasse von diesen Analysen ausgeschlossen geblieben (Delphy 1975, S. 62). Ähnlich wie Landry und Maclean sieht also auch Delphy Männer und Frauen als Klassen, zwischen denen es widersprüchliche Verhältnisse gibt: "the only groups materialist theory recognized as classes: proletarians and capitalists. For so long only these groups were recognized as classes [...] Sexuality is, however, very much a place of class struggle. It is one of the fields of confrontation of two groups; but the groups are not the proletarians and the capitalists, but social men and social women" (Delphy 1975, S. 63).
Die Begriffe "marxistischer Feminismus" und "materialistischer Feminismus" werden weitgehend gleichbedeutend verwendet. Hennessy/Ingraham 1997b betont jedoch, daß es Ansätze gibt, deren AnhängerInnen sich zwar als materialistische FeministInnen verstehen, daß es sich jedoch um postmoderne Theorien handle, für die Klassenanalysen irrelevant seien. Annette Kuhn und Ann Marie Wolpe sprechen sich für die Verwendung von Engels&rsquo Verständnis des Materialismus im Feminismus (Kuhn/Wolpe 1978, S. 86) aus. Diese lautet: "Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist aber selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung" (Engels 1946, S. Vf) Der Begriff Reproduktion, der eine wesentliche Rolle im marxistischen Feminismus spielt, wird hier also als die Erzeugung von Menschen durch Fortpflanzung definiert.
Reproduktion ist für feministische MarxistInnen ein wichtiger Begriff, da die traditionelle marxistische Analyse die Unterdrückung von Frauen als Nebenwiderspruch abtat, der im Überbau der Gesellschaft angesiedelt sei. Sei aber erst einmal die ökonomische Basis des Kapitalismus beseitigt, so verschwinde diese Unterdrückung ganz von alleine. Marxistische FeministInnen lehnen diese Analyse ab, sie sehen die Aufhebung des Kapitalismus lediglich als die Basis einer Gesellschaft ohne Herrschaft über Frauen.
Kuhn und Wolpe definieren materialistischen Feminismus als eine Position, die die Rolle der Frau in der Gesellschaft im Rahmen der Produktions- und Reproduktionsverhältnisse in verschiedenen Phasen der Geschichte analysiert (Kuhn/Wolpe 1978, S. 86).
Martha Gimenez spricht von physischer und sozialer Reproduktion und meint damit eine spezifische historische Kombination von Arbeit sowie Reproduktionsmittel (Waren, Werkzeuge, Utensilien, Rohstoffe, Nahrung, ...) mit Verhältnissen zwischen Männern und Frauen. Durch eine solche Kombination würden die derzeitigen und zukünftigen Mitglieder sozialer Gruppen durch Zeugung, Pflege (aufräumen, kochen, ...) und unterstützende Dienste (sexuelle Beziehungen, Kindererziehung, Kooperation, ...) reproduziert (siehe Gimenez 1978, S. 75). Der herrschende Zustand ist ihrer Meinung nach einer, in dem Männer die einzigen oder wichtigsten Verdienenden einer Familie sind und Frauen den Großteil der Hausarbeit machen; unabhängig davon, ob sie einer Lohnarbeit nachgehen oder nicht. Es sei nicht so relevant, ob es sich bei Hausarbeit um mehrwertproduzierende Arbeit handle oder nicht, sondern sie sei eine Art gesellschaftlich notwendiger Arbeit, die Waren und Dienstleistungen, die der ArbeiterInnenklasse zur Verfügung stehen, um jenes Ausmaß erweitert, daß sich diese durch die Lohnarbeit nicht finanzieren kann. Gimenez sieht Hausarbeit als eine Quelle von Gebrauchswerten, die in die Produktions- und Reproduktionsprozesse auf einer alltäglichen Ebene eintreten.
In einem Haushalt werden nach Gimenez Waren und Dienstleistungen, die dadurch finanziert werden können, daß mindestens eine Person lohnarbeitet, mit Hausarbeit kombiniert. Hausarbeit produziere damit Gebrauchswerte zur Konsumtion durch alle Haushaltsangehörigen. Dadurch werde die Produktion und Reproduktion der ArbeiterInnenklasse garantiert (vgl. Gimenez 1978, S. 77). Die Abhängigkeit der Frauen von Männern basiert laut Martha Gimenez auf persönlicher ökonomischer Abhängigkeit. Die Produktionsverhältnisse schaffe diese, indem Verdienende in einer Position seien, in der sie Zugänge zu materiellen Bedingungen der Reproduktion hätten, die anderen (meistens Frauen) verwehrt blieben. Dadurch entstünden asymmetrische Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau (siehe Gimenez 1978, S. 79) sowie zwischen Lohn- und Hausarbeitenden. Geschlechtliche Ungleichheiten innerhalb der ArbeiterInnenklasse entstünden somit durch die kapitalistische Produktionsweise. Die vorwiegende Rolle von Frauen in der Reproduktionssphäre komme von der Macht des Kapitals, strukturelle Limitierungen des Zuganges der ArbeiterInnenklasse zu den Bedingungen der Reproduktion zu schaffen. Die relative Ohnmacht der Männer und Frauen der ArbeiterInnenklasse zwinge sie in diese Reproduktionsverhältnisse zwischen den Geschlechtern. So entstünde ein Widerspruch zwischen Produktion und Reproduktion. Die wesentliche Aussage dabei ist, daß die Kontrolle der Produktions- und Reproduktionsverhältnisse durch die Kapitalisten in letzter Instanz das Geschlechterverhältnis bestimme.
Barbara Ehrenreich meint, daß die Industrialisierung das Patriarchat verändert habe: Die Produktion wurde in Fabriken und Städte verlagert. Dadurch wurde das patriarchale Familienleben verändert, da viele Individuen in die Stadt gingen, um Geld zu verdienen (Ehrenreich 1976, S. 67). Dies bedeute jedoch nicht, daß der Kapitalismus die Herrschaft von Männern über Frauen abgeschafft habe, sondern er habe sie nur verändert.
Der marxistische Feminismus propagiert, daß die billige oder umsonst geleistete Arbeit von Frauen wesentlich zur Generierung von Mehrwert, der Basis des Profits und des Kapitalismus, beiträgt. Es wird versucht, eine Beziehung zwischen Frauenunterdrückung und Kapitalismus herzustellen.
Es stellt(e) sich auch immer wieder die Frage, ob Hausfrauen zur ArbeiterInnenklasse gezählt werden können und ob sie tatsächlich Mehrwert produzieren. Diese Mehrwertproduktion zählt nämlich in klassischen Analysen als wesentliches Charakteristika dieser Klasse. Barbara Ehrenreich meint dazu: "We say, of course housewives are members of the working class - not because we have some elaborate proof that they really do produce surplus value, but because we understand a class as being composed of people and as having a social existence quite apart from the capitalist-dominated realm of production. When we think of class in this way, then we see that in fact the women who seemed most peripheral, the housewives, are at the very heart of their class - raising children, holding together families, maintaining the cultural and social networks of the community" (Ehrenreich 1976, S. 68).
Marxistischen Feminismus zu betreiben, heißt, Ungleichheiten in der Gesellschaft zu beschreiben und in einem Sinn zu analysieren, der die Widersprüche des Kapitalismus und die damit verbundene Generierung von Klassenunterschieden und Ungleichheit behandelt.
Dabei handelt es sich um Ungleichheiten wie jene, daß die 20 reichsten Prozent der Menschheit über 83 Prozent des weltweiten Einkommens verfügen, während die 20 ärmsten Prozent mit einem Prozent des Welteinkommens auskommen müssen; daß Frauen die wesentliche Quelle der Kapitalakkumulation sind, da die Pflege von Kindern, Kranken und Alten noch immer eine Frauenangelegenheit ist und da Frauen eine Quelle billiger Arbeitskraft sind; daß Frauen die Mehrheit der gesellschaftlichen notwendigen Arbeit leisten, aber trotzdem mit mehr Armut konfrontiert sind als Männer; daß 63 Prozent aller armen Menschen über 18 Jahre in den USA Frauen sind; daß weiße Frauen in den USA etwa 70 Prozent des Durchschnittseinkommens von weißen Männern verdienen, während das Einkommen schwarzer Frauen 64 Prozent des Einkommens weißer Männer beträgt (alle Angaben nach Hennessy/Ingraham 1997a, S. 1f).
Kritik des postmodernen Feminismus
Die amerikanische Soziologin und marxistische Feministin Martha E. Gimenez kritisiert am postmodernen Feminismus, daß sich dieser zu sehr auf Identität und Kultur beschränke und kapitalistische Widersprüche und eine Klassenanalyse außer Acht lasse: "Cultural and identity politics replaced the early focus on capitalism and class divisions among women" (Gimenez 1998).
Auch die marxistischen Feministinnen Rosemary Hennessy und Chrys Ingraham kritisieren an postmodernen Theorien, daß diese Klassen als wesentliche Strukturmerkmale des Kapitalismus außer Acht lassen. Sie meinen, daß sich viele postmoderne feministische DenkerInnen wie Donna Haraway als materialistische Feministinnen bezeichnen, daß ihre Ansätze aber nur als kultureller Materialismus gesehen werden können, da sie sich fast ausschließlich auf Ideologie, Staat, kulturelle Praktiken, Bedeutung und Repräsentation beschränkten. "Cultural materialism rejects a systemic, anticapitalist analysis linking the history of culture and meaning-making to capital&rsquos class system" (Hennessy/Ingraham 1997b, S. 5). Kultureller Feminismus beginne mit der Annahme, daß Mann und Frau grundlegend verschieden sind und konzentriere sich auf die kulturellen Symptome patriarchaler Unterdrückung. Reformen im Überbau der Gesellschaft würden befürwortet, die Veränderung der ökonomischen Basis des Kapitalismus spiele jedoch keine Rolle. Diese Art von Feminismus nehme an, daß Frauenunterdrückung nichts mit den materiellen Produktionsverhältnissen zu tun habe. Hennessy und Ingraham zählen Donna Haraway explizit zu diesen "kulturellen Feministinnen".
Carol A. Stabile versteht unter postmodernen Theorien solche, die Politik nur durch Identitätskategorien fassen (Stabile 1997, S. 396). Politischer Kampf richte sich dabei ausschließlich gegen die meist schlecht definierte Kategorie "Macht". Dies sei beispielsweise bei Michel Foucault der Fall. Auch sie meint, daß Klassenanalysen in postmodernen Theorien immer unwichtiger werden, obwohl die Klassenunterschiede tatsächlich immer größer werden. Mit Identitätspolitik meint sie z.B., daß lesbische und feministische Identität vermarktet wird und daß dadurch der Anschein entsteht, daß Identitäten wie Kleider gekauft werden könnten (siehe Stabile 1997, S. 405). Sie kritisiert an diesen Theorien auch, daß sie stark konstruktivistisch geprägt seien. Auf Grund der Vernachlässigung von Objektivität in der Politik sei es dann oft gar nicht mehr möglich, über politische Themen verständlich zu sprechen (Stabile 1997, S. 405).
3. Persönliche Bewertung
Mit der Cyborgmetapher beschreibt Haraway unter anderem eine gesellschaftliche Veränderung, von der ich meine, daß es sehr wichtig ist, sie und ihre Auswirkungen zu analysieren: Der Übergang vom fordistischen, wohlfahrtsstaatlich organisierten Kapitalismus zum postfordistisch, neoliberal organisierten. Scheinbar gibt es in jeder Phase des Kapitalismus eine spezifische Technologie als Innovation, die für gesellschaftliche Veränderungen mitverantwortlich ist. Während der Industrialisierung war dies die Dampfmaschine, im Fordismus das Auto sowie das Fernsehen und jetzt im Postfordismus sind dies die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Biotechnologie wird immer bedeutender und ihre Auswirkungen können z.T. nur erahnt werden. Ich würde aber nicht so wie Haraway quasi sagen, daß Bio- und I&K-Technologien bereits denselben Stellenwert haben.
Virtual Reality , Künstliche Intelligenz und Biotechnologie sind sicherlich Beispiele dafür, daß die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verschwimmen. Ich denke jedoch, daß Donna Haraway dieser Cyborgisierung einen zu zentralen Stellenwert als technologische Produktivkraft beimißt. VR und KI sind ein Aspekt der technologischen und gesellschaftlichen Veränderung, für zentral halte ich jedoch die Software- und Computerindustrie sowie neue I&K-Technologien wie das Internet. Dies sind jene Bereiche, in denen derzeit massiv Profit geschöpft wird und deren Anwendung die Gesellschaft wesentlich umgestaltet. Die ökonomische Globalisierung, schlanke Unternehmensorganisation sowie Telearbeit sind einige Aspekte dieser Umgestaltung.
Wesentlich bei dieser Transformation des Kapitalismus hin zu einer globalisierten Informationsökonomie ist, daß immer mehr Menschen weltweit mit Armut, Arbeitslosigkeit, Dequalifizierung sowie prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen konfrontiert sind. Und dies beschränkt sich nicht nur wie früher vorwiegend auf die sogenannte "3. Welt" und auf Frauen, sondern betrifft heute auch eine immer größer werdende Masse von Menschen im Westen. Sehr gut an Haraways Analyse gefällt mir, daß sie dies mit den Begriffen "Informatik der Herrschaft" und "Hausarbeitsökonomie" auf den Punkt bringt: Der Postfordismus bedeutet sich verändernde Herrschaftsverhältnisse für Frauen und Unterdrückte sowie Beherrschte weltweit; die Armut und soziale Deklassierung sind nicht mehr (fast) ausschließlich weiblich, sondern ein immer größerer Teil der Menschen ist davon betroffen - und auch immer mehr Frauen.
Cyborgs, so Haraway, überschreiten auch die Grenzen zwischen Mensch und Tier. Damit verbindet sie scheinbar die Hoffnung auf eine zukünftige "Verbundenheit" zwischen beiden. Die Tierrechtsbewegung erkenne dies bereits heute. Diese Argumentation halte ich für sehr problematisch, fast schon biologistisch. Ich gehe davon aus, daß es qualitative Unterschiede zwischen Tieren und Menschen gibt. Evolutionär gesehen gibt es bei jeder Transformation eines Systems, die die Aufhebung auf eine neue Systemstufe bedeutet, die Emergenz neuer Qualitäten, die nicht auf alte reduziert werden können. Solche emergente Qualitäten unterscheiden Menschen von Tieren: sie können Mittel identifizieren, um Ziele zu erreichen; bewußt handeln und sich gesellschaftlich organisieren. Werden solche qualitative Unterschiede geleugnet, gleiche Rechte für Tiere und Menschen behauptet oder gar die Gleichheit oder gleiche Bedeutung von beiden festgestellt, so besteht die Gefahr eines biologistischen oder anthropomorphen Fehlschlusses. Dies kann sehr gefährlich sein, da beispielsweise der Sozialdarwinismus und Vergleiche von Menschen mit Tieren (Parasiten, Läuse, usw.) wesentlicher Bestandteil faschistischer Ideologien waren/sind.
Ich stimme Haraway im Prinzip zu, daß "rassen-, gender- und klassenübergreifende" Allianzen notwendige Widerstandsstrategie gegen den Kapitalismus in seiner derzeitigen Form sind. Nichtsdestotrotz denke ich, daß es keine Rassen gibt und daß die Klassenanalyse nicht einfach über Bord geschmissen werden darf. Dabei gebe ich dem marxistischen Feminismus recht: für postmoderne Theorien, und dazu zählt auch Haraway, ist eine moderne Klassenanalyse des Kapitalismus scheinbar immer unbedeutender, obwohl sich die Unterschiede zwischen den Klassen immer weiter verschärfen.
Mit modern meine ich einen Klassenbegriff, der sich von jenem im klassischen Marxismus, der von Klasse nur als einem antagonistischen Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit spricht, wesentlich unterscheidet. Der feministische Marxismus hat sich bereits in den 70iger Jahren gegen enge Klassendefinitionen ausgesprochen. Als Beispiele habe ich Donna Landry, Gerald Maclean und Christine Delphy genannt. Der feministische Materialismus muß die traditionelle Sichtweise von Klassen geradezu negieren, da ansonsten die Frauenunterdrückung zum Nebenwiderspruch degradiert. Es ist daher meiner Ansicht nach nicht allgemein möglich, VertreterInnen dieser Richtung allgemein Engstirnigkeit, Dogmatismus und totalisierende Ansprüche vorzuwerfen.
Für einen solchen Klassenbegriff kann auf die Theorie von Gilles Deleuze und Félix Guattari zurückgegriffen werden: Sie sprechen vom heutigen Kapitalismus als einer Karte, die sich durch Linien, die bipolare Segmentaritäten erzeugen, auszeichnet. Wie ist das zu verstehen? Ich interpretiere dies so, daß die kapitalistische Logik eine Reihe von Gegensätzen und Spaltungen produziert: dies sind bipolare Verhältnisse oder binäre Codierungen z.B. zwischen Reich/Arm, Nord/Süd, Zentrum/Peripherie, Kapital/Lohnarbeit, Mann/Frau, InländerIn/AusländerIn, Heterosexuelle/Homosexuelle, Arbeitende/Arbeitslose, Weiß/Schwarz, Erwachsen/Jung, UmweltzerstörerIn/UmweltschützerIn, MilitaristInnen/PazifistInnen (entspricht Krieg/Frieden), RassistIn/AntirassistIn, KapitalistIn/AntikapitalistIn, zwischen Menschen, die als dünn, schön, "normal" oder intelligent gelten einerseits und solchen, die als dick, häßlich, "abnormal" oder dumm gelten andererseits. "Wir sind den großen gesellschaftlichen Gegensätzen entsprechend binär segmentarisiert: in gesellschaftliche Klassen, aber auch in Männer und Frauen, Erwachsene und Kinder, etc." (Deleuze/Guattari 1992, S. 284).
Ich bezeichne jene bipolaren Verhältnisse, also die Segmentaritäten, die sich im Kapitalismus gegenüberstehen, als Verhältnisse zwischen Klassen. Der Klassencharakter des Kapitalismus ist heute kein eindimensionaler mehr, der sich durch EIN widersprüchliches Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit auszeichnet, sondern ein pluraler: Viele widersprüchliche Verhältnisse existieren nebeneinander und übereinander (letzteres z.B. bei den von Haraway genannten "women of color").
Sämtliche dieser Klassenverhältnisse verschärfen sich im Neoliberalismus weltweit zunehmend. Haraway spricht von problematischen "Dualismen" wie männlich/weiblich und selbst/andere, aber sie lehnt es scheinbar ab, von Klassen zu sprechen. Ich halte einen pluralen Klassenbegriff allerdings zentral für eine effektive Strategie des Widerstands. Eine Umgangsweise mit den globalen Problemen kann es meiner Ansicht nach nur geben, wenn sich, so wie auch Haraway meint, Allianzen bilden. Dies müssen meiner Ansicht nach Allianzen sein, die sich aus Gruppen zusammensetzen, die sich gegen die beschriebenen binären Klassenverhältnisse aussprechen und die eine gemeinsame antikapitalistische Perspektive entwickeln wollen. Nur so könnte der Globalisierung der Ökonomie und der Armut die Globalisierung des Widerstands entgegengesetzt werden. Dabei spielt der Netzwerkgedanke, die soziale, kommunikative und technische Vernetzung, eine wesentliche Rolle.
Für mich stellt sich die Frage, ob sich jene Einheit, die Haraway beschwört, nur auf den Feminismus bezieht oder ob sie weiter gefaßte Allianzen im Auge hat. Ist erstes nämlich der Fall, so halte ich dies für eine unzureichende Strategie im Kampf gegen den "rassistischen, männlich dominierten Kapitalismus" (Haraway), der sich zusätzlich die Globalisierung zu Nutze macht.
Falls Donna Haraway bei jenen politischen Solidaritätsnetzwerken, die "heterogene Vielheiten" und die "Verknüpfung partialer Sichtweisen und innehaltender Stimmen zu einer kollektiven Subjektposition" darstellen sollen, keinen Objektivitätsmaßstab an die einzelnen Sichtweisen anlegt (und radikal konstruktivistisch argumentiert ist dies leicht möglich, da es dann eben kein richtig/falsch gibt), so verkommt dies zu einer postmodernen Beliebigkeit an Meinungen, mit derer die Synthese zu einer kollektiven antikapitalistischen Subjektposition ausgeschlossen sein muß. Meiner Ansicht nach müssen nämlich die partizipierenden Gruppen in so einem Netzwerk antifaschistisch, antisexistisch und antirassistisch sein. Ansonsten ist keine gemeinsame Synthese zu einem emanzipatorischen Subjekt, das sich gegen die Ausbeutungen im Kapitalismus stellt, möglich.
Die Hochstilisierung der Cyborg-Metapher im Kontext der SciFi-Ästhetik halte ich für überflüssig. Es ist zwar einerseits relevant, Vorstellungen und Visionen einer genderfreien Welt ohne Frauenunterdrückung zu entwerfen, aber dafür ist keine Anlehnung an die Science Fiction-Kultur notwendig. Hier trifft dann meiner Meinung nach eher jene Kritik des marxistischen Feminismus an der Postmoderne zu, die meint, daß Identität und Kultur zu sehr im Mittelpunkt stehen und eine Klassenanalyse außer Acht gelassen wird. Polemisch ausgedrückt: Das Lesen von Science Fiction-Romanen und das Ansehen von "Star Trek" & Co. wird so zum feministischen Widerstandsprojekt stilisiert.
Literatur:
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Bühl, Achim 1997 Die virtuelle Gesellschaft: Ökonomie, Politik und Kultur im Zeichen des Cyberspace, Opladen/Wiesbaden, Westdeutscher Verlag
Delphy, Christine 1975 For a Materialist Feminism, in: Hennessy/Ingraham 1997b, S. 59-64
Deleuze, Gilles/Guattari, Félix 1992 Tausend Plateaus, Berlin
Ehrenreich, Barbara 1976 What Is Socialist Feminism?, in: Hennessy/Ingraham 1997b, S. 65-70
Engels, Friedrich 1946 Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, Berlin, Verlag Neuer Weg
Gimenez, Martha E. 1978 The Oppression of Women: A Structuralist Marxist View, in: Hennessy/Ingraham 1997b, S. 71-82
Gimenez, Martha E. 1998 Marxist/Materialist Feminism
Haraway, Donna 1995a Ein Manifest für Cyborgs, in: Haraway, Donna, Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt/New York, Campus, 1995, S. 33-72
Haraway, Donna 1995b Situiertes Wissen: Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive, in: Haraway, Donna, Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt/New York, Campus, 1995, S. 73-97
Hennessy, Rosemary/Ingraham, Chrys 1997a Introduction: Reclaiming Anticapitalist Feminism, in: Hennessy/Ingraham 1997b, S. 1-16
Hennessy, Rosemary/Ingraham, Chrys (Ed.) 1997b Materialist Feminism: A Reader in Class, Difference, and Women&rsquos Lives, New York/London, Routledge
Hirsch, Joachim 1995 Der nationale Wettbewerbsstaat, Amsterdam/Berlin, Edition ID-Archiv
Hirsch, Joachim 1998 Vom Sicherheitsstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat, Berlin, ID Verlag
Kuhn, Annette/Wolpe, Ann Marie 1978 Feminism and Materialism, in: Hennessy/Ingraham 1997b, S. 83-87
Marx, Karl/Engels, Friedrich 1960ff Werke, Berlin, Dietz (referenziert als MEW mit Bandangabe)
Landry, Donna/Maclean, Gerald 1993 Materialist Feminisms, Blackwell
Stabile, Carol A. 1997 Feminism and the Ends of Postmodernism, in: Hennessy/Ingraham 1997b, S. 395-408