Globalisierung braucht Grundeinkommen

Christian Fuchs

 

In: Dossier 03/2003, S. 12-14.

 

Globalisierung bezeichnet allgemein die Ausdehnung sozialer Beziehungen über raum-zeitliche Distanzen  Dies bedeutet einerseits eine Entbettung dieser Beziehungen aus bestehenden Strukturen, andererseits eine Wiedereinbettung in diese und übergreifende Strukturen. Das heißt: Es besteht eine Dialektik von Distanz und Nähe in Globalisierungsprozessen.

Ein Beispiel: Kommunikationstechnologien wie das Telefon oder Computernetze wie das Internet ermöglichen einerseits Kommunikation über weite Entfernungen hinweg, andererseits auch die Unterstützung lokaler Kommunikationen und Handlungsstrukturen durch Technik und globale Informationsflüsse. Computervermittelte Kommunikation und Informationsbeschaffung (z.B. über das Internet) bedeutet nicht, dass die Einzelpersonen in einer globalen virtuellen Welt untergehen; in vielen Fällen können Menschen Erfahrungen und Wissen aus dem Cyberspace in ihr reales Leben und lokale Zusammenhänge integrieren.

 

Es entspricht  einer historischen Tendenz, dass sich das Handeln der Menschen stärker vernetzt, dass die Zahl der handelnden Akteure in der Gesellschaft wächst, sich Gesellschaften ausdehnen, neue Räume erschlossen werden und die Komplexität der sozialen Beziehungen ansteigt. Globalisierung bezeichnet in diesem Sinn einen allgemeinen, historischen Prozess der Vergesellschaftung und Gesellschaftsentwicklung.

 

Wir können unterscheiden zwischen

- ökonomischer Globalisierung: Ausdehnung der Produktions-, Distributions- und -Konsumtionsstrukturen

- politischer Globalisierung: Ausdehnung von Macht- und Entscheidungsstrukturen

- kultureller Globalisierung: Ausdehnung/Verbreitung von Wissens- und Wertstrukturen

Globalisierung ist kein vermeidbarer Prozess, allerdings muss unterschieden werden zwischen einer nachhaltigen, sozial verträglichen sowie einer antagonistischen Form der Globalisierung. Erstes gilt es zu fördern, zweites zu vermeiden. Die heutige Form der Globalisierung basiert auf Ausschluss, ungleicher Machtverteilung und Herrschaft und wird vorwiegend geprägt von ökonomischen Interessen. Zweck der heutigen kapitalistischen Wirtschaft ist die Akkumulation, also die Anhäufung von Kapital. Unternehmen haben die Aufgabe, Profite zu erzielen und zu vermehren. Die Herstellung von Waren und die Verzweckung der Arbeitskräfte sind Mittel der Gewinnerzielung, die aber nicht primär als Ziel hat, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Waren werden nicht für das Wohl der Menschen, sondern für den Profit der Wirtschaft produziert.

Die Globalisierung der kapitalistischen Ökonomie ist kein neues Phänomen, so sprach etwa bereits Karl Marx von einer  „Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarktes“, die den „internationalen Charakter des kapitalistischen Regimes“ darstelle.

 

Wirtschaftliche Globalisierung

 

Wenn davon gesprochen wird, dass sich die Ökonomie (erst) heute „globalisiere“, so ist dies eigentlich ein Irrtum, denn eine globale Ökonomie gibt es schon seit langem. Wir erleben heute einen neuen Schub ökonomischer Globalisierung. Dieser ökonomische Globalisierungsschub bedeutet nun nicht unbedingt eine massive Zunahme des Welthandels, sondern vielmehr einen

- zunehmenden Abbau staatlich-regulierender Schranken und Grenzen, sowie die

- Internationalisierung des Kapitals, die sich auf die drei großen Wirtschaftsregionen Europa, USA und Südostasien zentriert („Triadisierung“), und sowohl den Welthandel als auch den  Kapitalexport (in Form ausländischer Direktinvestitionen) betrifft.

 

Transnationale Konzerne werden zu den wesentlichen politischen Akteuren, sie siedeln sich dort an, wo die Investitionsbedingungen optimal sind und produzieren dezentral, flexibel, global vernetzt und verteilt. Dadurch sind die Nationalstaaten gezwungen, miteinander in Wettbewerb zu treten  um optimale Standortbedingungen für die Unternehmen. Optimale Bedingungen bedeutet dabei zumeist: Verschlechterung von Arbeitsbedingungen, Lohnsenkungen, Sozialabbau, Privatisierung (neoliberale Politik). Diese Form der Globalisierung führt daher zur Verschärfung der globalen Probleme, und bei vielen Menschen zum Gefühl der Hilflosigkeit und Entfremdung: Entscheidungen werden häufig weit entfernt von den Betroffenen, ohne deren Beteiligung getroffen.

 

 

 

Globale Institutionen

 

Politische Globalisierung bedeutet heute einerseits staatsbasierte weltweite Entscheidungs- und Machtstrukturen wie G8, WTO, IWF, Weltbank, OECD, UNO, Weltsicherheitsrat, NATO; andererseits die zivilgesellschaftliche, globale Vernetzung von Nichtregierungsorganisationen und Protestbewegungen.

Kulturelle Globalisierung basiert auf dem Gedanken allgemeiner menschlicher Werte. Immer wieder gab es bedeutende Versuche, humanistische Ideen weltweit durchzusetzen, immer wieder gab es aber auch Versuche, die Unterwerfung anderer Menschen durch den formellen Bezug auf universelle Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie zu legitimieren. 

 

Die Globalisierung von Gerechtigkeit, Solidarität, Zusammenhalt und Menschenrechten entspricht  der Idee des Humanismus. Die kapitalistische Form der Globalisierung scheint jedoch geradezu im antagonistischen Widerspruch zur Realisierung eines globalen Humanismus zu stehen: sie bedeutet eine ungleiche Verteilung von Einkommen, Reichtum, Produktionsmitteln und Ressourcen, von politischen Partizipationsmöglichkeiten und Macht,  und  von Chancen, sich an der gesellschaftlichen Norm- und Wertbildung zu beteiligen. Die weltweite Ausdehnung des Kapitalismus hat zur Schaffung und Verstärkung globaler gesellschaftlicher Probleme, d.h. zur Zerstörung von Mensch und Natur durch den Menschen, geführt. Soll es eine Welt in Frieden und Harmonie geben, so bedarf es einer anderen, neuen, solidarischen und gerechteren Form der Globalisierung.

Eine solidarische Weltgesellschaft, die auf Dialog und friedlicher Verständigung der Kulturen, gerechter Verteilung von Reichtum, umfassender Partizipation und einem schonenden Umgang mit der Natur basiert, ist möglich.

 

Jede Gesellschaft benötigt Mechanismen, die den sozialen Zusammenhalt ermöglichen. Diese Institutionen haben öffentlichen, halböffentlichen oder privaten Charakter. Institutionelle Formen der heutigen staatlichen Regulationsweise sind z.B.  das politische System, die Gesetzgebung, Sozialsysteme, Verbände und  Gewerkschaften, Wissenschaft, Bildung, Medien, Familie, Parteien, Kirchen. Justiz und Polizei. Durch die aktuelle Form der Globalisierung werden einige dieser Regulationsformen zurückgedrängt und durch marktwirtschaftliche Mechanismen ersetzt.

 

Die Lösung der globalen Probleme benötigt neue, solidarische, globale Regulationsformen. Globalisierung braucht Gestaltung, d.h. die (reale) Globalisierung von Menschenrechten, Gerechtigkeit und Solidarität ist notwendig und wünschenswert und kann nur durch aktives Handeln erreicht werden.

 

Globale Informationsgesellschaft

 

Die vorherrschende Form der Globalisierung führt zu schnellen Veränderungen der Arbeitswelt. Wissen und neue Technologien werden immer mehr zu wesentlichen Produktionsfaktoren, Arbeit und Produktionsprozesse werden  dadurch immer stärker vernetzt. In der modernen, sich globalisierenden Gesellschaft sind alle Tätigkeiten voneinander abhängig. Die Produktion eines Gutes ist nicht möglich ohne die Tätigkeiten vieler anderer Menschen in vielen anderen Bereichen. Die Bezahlung der Arbeitenden zu Marktpreisen ist nicht Ausdruck ihrer Leistung, sondern abhängig von Rahmenbedingungen und Machtverhältnissen, und weithin  beliebige Festlegung. In einer vernetzten Gesellschaft ist die individuelle Leistung einer Person weder genau feststellbar, noch eindeutig in Geld zu bewerten.

 

Die Informationsgesellschaft ist eine hochtechnologische Gesellschaft, in der die für die gesellschaftliche Reproduktion notwendige Arbeit durch Technisierungsprozesse abnimmt. Das fordistische Vollzeitarbeitsverhältnis ist in Folge dessen in einer Krise, es ergibt sich die Situation, dass immer mehr Menschen arbeitslos sind oder unter prekären Bedingungen arbeiten.

 

Mit der Globalisierung von Wissen und Technik als Produktionsfaktoren ist eine neue Situation entstanden: Die Gesellschaft basiert immer stärker auf kollektiven Ressourcen, die durch die Tätigkeit aller Gesellschaftsmitglieder über lange Zeiträume hinweg entstehen. Es besteht ein Widerspruch  zwischen Wissen als kollektiver Ressource und Wissen als Ware. Wissen und technischer Fortschritt stehen Unternehmen (nahezu) gratis zur Verfügung. Daher schulden sie der Gesellschaft für diese Vorteile Kompensation.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen, das zu einem wesentlichen Teil durch die verstärkte Besteuerung von Kapital und Wertschöpfung finanziert wird, könnte diesem Umstand Rechnung tragen.

 

Solidarität und Kooperation

 

Eine solidarische Weltgesellschaft, als alternative, demokratische und humanistische Form der Globalisierung, benötigt solidarische Regulationsmechanismen. Ein universelles (d.h. weltweit eingeführtes), bedingungsloses Grundeinkommen, das allen Menschen ein Leben in Würde und sozialer Sicherheit bietet, ist ein derartiges Regulationsinstrument. Gemeinsam mit weiteren Maßnahmen  allen voran die Entschuldung der ärmsten Länder und Regeln für die internationale Finanzwirtschaft, kann ein Grundeinkommen ein Schritt zu einer sozial gerechteren Weltgesellschaft sein.

Die Forderung nach  Einführung eines Grundeinkommens auf regionaler, nationaler, transnationaler und globaler Ebene ist zeitgemäße, fortschrittliche Politik, die den Herausforderungen der Globalisierung und Informatisierung gerecht zu werden versucht.

 

Die Stärkung der kollektiven Intelligenz und Problemlösungskapazität der Weltgesellschaft durch ein globales Grundeinkommen bedarf einer Kopplung mit Maßnahmen, die zur Umverteilung des Welt-Einkommens führen. 2,8 Milliarden Menschen leben von weniger als zwei Dollar pro Tag. Die Einkommenskluft zwischen jenem Fünftel der Weltbevölkerung, das in den reichsten Ländern lebt, und dem Fünftel in den ärmsten Ländern hat sich zwischen 1990 und 1997 von 60 zu eins auf 74 zu eins ausgeweitet. Immer mehr Menschen leben und arbeiten weltweit unter prekären Bedingungen. Globalisierung braucht Grundeinkommen, d.h. eine an humanistischen Werten orientierte Form der Globalisierung muss auf einer umverteilenden, internationalen Regulationsweise basieren.

 

 Der Jesuit  P. Pierre Teilhard de Chardin  zeigte sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts beeindruckt vom „erstaunlichen System der Land-, See- und Luftwege, der Postverbindungen, Drähte, Kabel und Ätherschwingungen, die mit jedem Tag mehr das Angesicht der Erde umspannen” und assoziierte damit das Bild der Entwicklung der Soziosphäre zur Noosphäre, einer globalen Sphäre der Vernunft, Kooperation und Verantwortung. Die Noosphäre hat zu tun mit „kollektivem Fortschritt“, „gegenseitiger Durchdringung und Verkittung der rnenschlichen Masse in sich selbst“  und mit der „Erarbeitung eines gemeinsamen Bewusstseins“.  Die technische Vernetzung der Gesellschaft über neue Medien gibt uns einen Eindruck vom Reichtum und den wundervollen Möglichkeiten, die heute bereits bestehen. Die menschliche Vernunft bleibt jedoch hinter den materiellen Möglichkeiten zurück, während ein Leben in Wohlstand und Selbstbestimmung für alle Menschen heute bereits materiell möglich wäre, ist das menschliche Handeln immer noch von ökonomistischer, instrumenteller Rationalität geprägt. Dies hat heute bedenkliche und höchst gefährliche Auswirkungen. Die globale Gesellschaft ist heute noch keine Noosphäre, sondern eine Sphäre der Herrschaft und der Kapitalakkumulation.

 

Für eine menschengerechte Weltgesellschaft

 

Die technische Vernetzung der Welt legt ein neues Prinzip nahe: jenes der umfassenden, partizipativen, vernetzten Kooperation. Dieses ist jedoch mit der bestehenden Dominanz von Konkurrenz- und Profitlogik unvereinbar. Zur Entwicklung einer Noosphäre, einer weisen Weltgesellschaft, bedarf es einer am Humanismus orientierten Regulationsweise des menschlichen Zusammenlebens. Ein universelles, bedingungsloses Grundeinkommen ist ein Schritt in diese Richtung. Es ist Vorschein einer Welt, die auf einem allseitigen solidarischen „Zusammenhang der Individuen in einer Vereinigung der Menschheit“ basiert (Teilhard). Eine dem Menschen gerechte und würdige Gesellschaft wird so vorstellbar, die auf der wirklichen „Aneignung des menschlichen Wesens durch und für den Menschen“ (Marx) basiert, und  „In der wirklichen Gemeinschaft erlangen die Individuen in und durch ihre Assoziation zugleich ihre Freiheit“.

Oder anders ausgedrückt: „Unsere Hoffnung kann sich nur verwirklichen, wenn sie in größerem Zusammenhalt und größerer menschlicher Solidarität zum Ausdruck kommt“ (Teilhard). Grundeinkommen ist eine solidarische Gestaltungsmaßnahme auf dem Weg in eine solidarische, vernetzte, kooperative Weltgesellschaft.

 

 

 

 

 

 

 


Quellen der Zitate:

Fuchs, Christian (2002) Krise und Kritik in der Informationsgesellschaft. Norderstedt. Libri.

 

Fuchs, Christian / Hofkirchner, Wolfgang: „Theorien der Globalisierung“ (2001),  Globalisierung – ein allgemeiner Prozess der Menschheitsgeschiche“ (2002a) und  Postfordistische Globalisierung“ (2002b) . In: Z, Nr. 48, 49, 50.

Marx, Karl:  Ökonomisch-Philosophische Manuskripte (1844),  Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie.

Band 1.(1867), Marx/Engels, Die deutsche Ideologie. (1846).

Teilhard de Chardin, Pierre. Die Entstehung des Menschen. München. Beck (1961), weiters:

 Building the Earth. Denville, (1965) Die lebendige Macht der Evolution. Olten. Walter (1966).