Christian Fuchs - Die ökonomische Krise in Südostasien
Japanische Investitionen in den SEA-3-Ländern
Im September 1985 wertete Japan auf Druck der USA den Yen auf. Durch eine Aufwertung steigen die Inlandspreise für AusländerInnen und sinken die Preise ausländischer Güter für InländerInnen. Effekte sollen die Abnahme der Exporte und die Zunahme der Importe sein. Bei einer Abwertung ist es umgekehrt: Inlandspreise sinken und Auslandspreise steigen, Exporte sollen zunehmen und Importe abnehmen. Mit vermehrten Einnahmen und dem Zustrom von Auslandskapital wird in so einem Fall gerechnet. Ein Beispiel für Abwertung zeigte sich beim japanischen Yen: Mitte 1995 war der Kurs im Verhältnis zum US-$ 1 $=76 Y. Mitte 1998 war der Kurs auf 1:145 gefallen ([Bischoff1998]).
Durch die Aufwertung 1985 wurden japanische Produkte am Weltmarkt teurer, die Rentabilität der japanischen Exporte war gefährdet. Aus Effizienz- und Kostenüberlegungen lagerten viele japanische Firmen ihre Produktion in die SEA-3-Länder (Indonesien, Malaysia, Thailand) aus. Durch das einströmende ausländische Kapital wurde das Wirtschaftswachstum dieser Länder angekurbelt (siehe Tabelle 8) und sie wurden zu bedeutenden Exporteuren. Welche Bedeutung hierbei das ausländische, und dabei vor allem das japanische, Kapital spielte zeigt sich z.B. daran, daß Ende der 80er der Anteil an Exporten aus Malaysia von Firmen, die unter nichtmalaiischer Kontrolle standen, im Elektronikbereich 99 Prozent, im Bereich elektrischer Geräte 90 und in der Grummiproduktion 80 Prozent betrug ([BernardRavenhill1995], S. 196]. Der japanische Aktienanteil an Ausländischen Direkt-Investitionen (ADI) im Fertigungssektor betrug 1992 73 Prozent in Malaysia und 68 Prozent in Thailand ([Yue1993], S. 84). 1994 waren etwa 7 Prozent der Fabriksarbeiter in Thailand Angestellte japanischer Firmen ([HatchYamamura1996], S. 11). Vgl. dazu auch Tabelle 9.
Wachstum der SEA-3-Ökonomien
Die SEA-3-Ökonomien wuchsen sehr schnell, das Wirtschaftswunder der "Tigerstaaten" war fixer Bestandteil der Wirtschaftsschlagzeilen. Der Großteil der Exporte ging in die USA, Überschüsse im Handel mit den Vereinigten Staaten waren die Folge. Die Handelsbilanzdefizite (mehr Exporte als Importe) mit Japan stiegen jedoch immer drastischer an. Es belief sich beispielweise 1992 für Thailand auf 105 Milliarden $ und für Malaysia auf 73 Milliarden Dollar ([Hart-Landsberg1999], S. 52). Diese Defizite konnte durch die Überschüsse im Handel mit den USA nicht ausgeglichen werden. Die Leistungsbilanzdefizite der SEA-3-Länder wuchsen dramatisch an: Es vergrößerte sich z.B. in Malaysia von 1993 bis 1995 von 4,8 auf 8,5 und in Thailand von 5,9 auf 8,1 Prozent des BIP (ebd.). Vgl. auch Tabelle 5.
Das Bruttoinlandsprodukt oder Gross Domestic Product (GDP) mißt die Waren und Leistungen, die in einer Periode in einem Land produziert werden. Es gibt auch das Bruttosozialprodukt (BSP) oder Gross National Product (GNP): es mißt, wieviel von BürgerInnen eines Landes produziert wurde, wobei dies nicht notwendigerweise in diesem Land selbst geschehen muß.
Seit Anfang der 90er wurden Vietnam und China auf Grund der dort herrschenderen "optimaleren" Verwertungsbedingungen für das japanische Kapital immer interessanter. Um attraktiv für ausländisches nichtjapanisches Kapital zu sein, erhöhten die SEA-3-Länder u.a. die Zinsraten und koppelten ihre Währungen an den Dollar. So konnte das hohe Wirtschaftswachstum aufrecht erhalten bleiben, die Auslandsverschuldung stieg aber durch die Aufnahme immer neuer Auslandskredite (die diese Länder auf Grund der für sie optimalen Zinsbedingungen den SEA-3-Ländern bereitwillig gaben) weiter an (siehe auch Tabelle 6). Seit 1995 verlor der Yen an Wert relativ zum US-$. 1997 war dies besonders schlimm, daher zogen viele japanische Banken ihre Kredite aus südostasiatischen Ländern zurück.
Malaysia
Die Regierung möchte bis 2020 den Status eines Industrielandes erreichen und verfolgt dieses Ziel mit der Initiative "Vision 2020". 1995 wuchsen die staatlichen Ausgaben für öffentliche Investitionen wegen großen Infrastrukturprojekten im Rahmen von "Vision 2020" um 25 Prozent ([CorsettiPesentiRoubini1998c], S. 3).Wirtschaftswachstumsraten von jährlich etwa 9 Prozent bis Mitte der 90er und das Anwachsen des Pro-Kopf-Einkommens auf 3500 $ 1996 ([Netto1996]) und 4680 $ 1998 ([Worldbank1998a]) ließen Malaysia zu einem Inbegriff einer dynamisch wachsenden Wirtschaft werden, eine Art neues Wirtschaftswunder.
Das Wachstum brachte jedoch auch Schattenseiten mit sich:
Es "schießen überall in der Nähe der industriellen Wachstumsgebiete Malaysias illegale Siedlungen aus dem Boden. In der glitzernden Hauptstadt Kuala Lumpur zählen die Bewohner dieser Viertel irgendwo zwischen Dorf und Favela schon mehr als Hunderttausende. Dort wächst eine kaum beachtete Unterschicht heran, die Schwierigkeiten hat, mit den Preisen für Lebensmittel oder Busfahrkarten mitzuhalten" ([Netto1996]).
1995 hatten 1,2 Millionen der 20 Millionen MalaysierInnen keinen angemessenen Zugang zu sanitären Einrichtungen, ca. 665.000 Kinder waren unterernährt (ebd.). Die Armut konnte jedoch seit 1970 von 49 Prozent auf 14 Prozent 1995 reduziert werden (ebd.). Bis 1998 stieg sie jedoch von 14 auf 16 Prozent an ([Worldbank1998a]). Etwa ein Fünftel der Bevölkerung kann nicht lesen und schreiben (ebd.).
Internet in Malaysia
Im Kontext von "Vision 2020" muß auch die Forcierung des Internets in Malaysia gesehen werden (alle folgenden Infos stammen aus [HashimYusof1999]): 1990 nahm der erste Internetprovider Joint Advanced Integrated Networking (JARING) seine Arbeit auf. 1992 wurde eine Satellitenverbindung in die USA hergestellt, seither sind Internetanwendungen für UserInnen in Malaysia möglich. Die JARING-Gebühren, die die UserInnen bezahlen müssen, werden von der Regierung festgelegt. Der zweite Internetprovider in Malaysia ist TMNet, Bestandteil von Telekom Malaysia. Die Anzahl der malaiischen InternetuserInnen siegt stetig an:
1992 |
1995 |
1996 |
1997 |
1998 |
90 | 23000 | 50176 | 100103 | ~ 250000 |
Tab. 1: Anzahl der Internet-UserInnen in Malaysia
Das National Information Technology Council (NITC) berät die Regierung hinsichtlich Förderung von IT und hat die National IT Agenda (NITA) initiiert. In dieser Agenda gibt es verschiedene Programme, die sich u.a. damit befassen, wie Malaysia zur Informationsgesellschaft werden kann. Elektronische Communities, Online-Bibliotheken, Internet-Zeitungen, Teleshopping und andere internetbasierte Formen des Infotainments und Edutainments werden von der Regierung gefördert.
Das hohe Wirtschaftswachstum der SEA-Länder vor der Krise zeigte sich auch an dem Boom der Telekommunikations- und Computerindustrie. 1993 wurden in Malaysia 62,5 US-$ pro Einwohner in die Telekommunikation investiert ([Interasia]). Investitionen von westlichen Telekommunikationsfirmen in SEA-Ländern wurden attraktiv. Einige Beispiele: US West kaufte um 230 Millionen US-$ 20 Prozent Anteile der malaiischen Telekommunikationsfirma Binariang. Die Deutsche Telekom 21 Prozent des Cellular Communications Network um 870 Millionen DM. Ähnliche Investitionen gab es vor allem in Indonesien, Indien und Thailand. Telekommunikationsfirmen aus ostasiatischen Ländern investieren aber auch in Europa. Ein paar Beispiele: Tru-Tech Electronics aus Malaysia hat einen 5 Prozent-Anteil an der deutschen Telekommunikationsfirma Hagenuk (Herstellung von Mobiltelefonen), die LG-Gruppe aus Südkorea läßt Halbleiterbausteine, Chips und Fernseherbestandteile in Wales produzieren. Samsung Electronics aus Südkorea läßt elektronische Teile in Schottland herstellen.
Beginn der Krise in Thailand
Die thailändischen Banken verliehen das aus dem Ausland kommende Kapital zu einem guten Teil an Baugesellschaften weiter. Eine Unzahl an Geschäftsgebäuden und Luxuswohnungen wurden gebaut, diese konnten jedoch nicht ausreichend vermietet bzw. verkauft werden. Die Baugesellschaften konnten ihre Kredite und Darlehen an die thailändischen Banken 1997 zu einem guten Teil nicht mehr zurückbezahlen, letztere wiederum gerieten bei den Auslandskrediten in Zahlungsverzug. Die ausländischen Investoren gerieten in Panik und wollten ihre Aktien und Anleihen so schnell wie möglich loswerden. Dollardarlehen wurden auf Grund der thailändischen Zahlungsunfähigkeit aufgekündigt.
Spekulanten beteilgten sich am Fall der thailändischen Währung, des Baht. Sie tauschten die Währung massiv gegen Dollar ein. Um eine Abwertung zu verhindert brachte die thailändische Regierung mehrere Milliarden $ für Baht-Ankäufe auf ([Lux1997]). Am 2. Juli 1997 gab die thailändische Regierung den fixen Wechselkurs auf, weitere Verkäufe und Spekulationen, die die Börsen-, Wertpapier- und den Wechselkurs weiter senkten, folgten. Die Auslandsschulden, die in US-$ gerechnet werden, verteuerten sich durch den Kursverfall enorm.
Am 5. August 1997 hatte der Baht bereits 20 Prozent an Wert verloren. Die thailändische Regierung stimmte einem IWF-Plan zu. 48 Finanzfirmen, die bereits bankrott waren, wurde die Unterstützung durch die thailändische Zentralbank entzogen [CorsettiPesentiRoubini1998c], S. 6). Vgl. auch die Tabellen 2,3,4.
Ausweitung der Krise auf Indonesien, Malaysia und die Philippinen
In Indonesien, Malaysia und den Philippinen war die Situation ähnlich: Auch hier nahmen die Leistungsbilanzdefizite und die Auslandsverschuldungen (Vgl. Tabelle 6) stetig zu, wurden Darlehen in großem Ausmaß an Immobilienfirmen vergeben und diese konnten schließlich nicht mehr zurückgezahlt werden. In Malaysia z.B. wuchsen die Kredite, die von Banken vergeben wurden, 1996 um 27,6 Prozent, wobei sich zeigte, daß eine Verlagerung vom produktiven in den nichtproduktiven (und dazu gehört der Immobiliensektor) stattfand. Ende 1996 gingen 42,6 Prozent aller malaiischen Inlandskredite in den Immobilenbereich und nur 21 Prozent in den produktiven Sektor ([CorsettiPesentiRoubini1998b], S. 30). Vgl. auch die Tabellen 10 und 11.
Auch die Währungen dieser Ländern wurden somit zum Spekulationsobjekt und ausländische Investoren zogen Kapital in großem Ausmaß ab. Die indonesische Rupiah, die malaiische Ringitt und der philippinische Peso verloren an Wert (siehe auch die Tabellen 2,3,4). Ende Juli 1997 hatte der Baht 25 Prozent an Wert relativ zum Kurs am Jahresanfang verloren, die Rupiah 9 Prozent, der Ringitt 4 Prozent und der Peso 10 Prozent. Bis August verschlimmerte sich diese Situation weiter: Der Baht hatte bereits 34 Prozent seines Wertes Anfang 1997 verloren, die Rupiah 27 Prozent, der Ringitt 17 Prozent und der Peso 14 Prozent ([CorsettiPesentiRoubini1998c], S. 8).
In Indonesien ging die Rezession (=IP-Wachstum von unter einem Prozent) damit einher, daß 20 Prozent der Arbeitsplätze verlorengingen. Der Lebensstandard der ArbeiterInnen sank dadurch dramatisch. Der Anteil der Armen in der Bevölkerung nahm während der Krise von 10 auf 20 Prozent zu ([Capdevila1998]).
Daten zur Krise
Die folgende Tabelle zeigt, wie sich der Kurs einzelner Währungen im Jahr 1997 in Bezug auf den US-$ verändert hat. Die Währungen der SEA-3-Länder und Koreas, die als erstes von der ökonomischen Krise betroffen waren, an Wert verloren:
Land |
Wertänderung |
Indonesien | -151% |
Korea | -107% |
Malaysia | -52% |
Philippinen | -52% |
Thailand | -78% |
Tab. 2: Kursverfall asiatischer
Währungen 1997,
[CorsettiPesentiRoubini1998b], S. 7
Die Veränderungen des Währungskurses der einzelnen Länder in Bezug auf den US-$ sind in der folgenden Tabelle zu sehen. Erkennbar sind die deutlichen Abwertungen seit 1997:
Land |
1990 |
1991 |
1992 |
1993 |
1994 |
1995 |
1996 |
1997 |
1997f |
Korea | 707,76 |
733,35 |
780,65 |
802,67 |
803,45 |
771,27 |
804,45 |
951,29 |
1695 |
Indonesien | 1842,8 |
1950,3 |
2029,9 |
2087,1 |
2160,8 |
2248,6 |
2342,3 |
2909,4 |
4650 |
Malaysia | 2,70 |
2,75 |
2,55 |
2,57 |
2,62 |
2,50 |
2,52 |
2,81 |
3,89 |
Philippinen | 24,31 |
27,48 |
25,51 |
27,12 |
26,42 |
25,71 |
26,22 |
29,47 |
39,98 |
Thailand | 25,59 |
25,52 |
25,40 |
25,32 |
25,15 |
24,91 |
25,34 |
31,36 |
47,25 |
Tab. 3: Nominal Exchange Rate ([CorsettiPesentiRoubini1998b])
Wenn als Ausgangspunkt für jede Währung ein Wert von 100 genommen wird, so stellen sich die Veränderungen im Laufe der 90er folgendermaßen dar. Die Daten beziehen sich jeweils auf das Jahresende. Deutlich zu sehen ist der Kursverfall im Jahr 1997.
Land |
1990 |
1991 |
1992 |
1993 |
1994 |
1995 |
1996 |
1997 |
Korea | 96,00 |
91,50 |
87,70 |
85,20 |
84,70 |
87,70 |
87,20 |
58,60 |
Indonesien | 97,40 |
99,60 |
100,80 |
103,80 |
101,00 |
100,50 |
105,40 |
62,40 |
Malaysia | 97,00 |
96,90 |
109,70 |
111,00 |
107,10 |
106,90 |
112,10 |
84,90 |
Philippinen | 92,40 |
103,10 |
107,10 |
97,40 |
111,70 |
109,60 |
116,40 |
90,90 |
Thailand | 102,20 |
99,00 |
99,70 |
101,90 |
98,30 |
101,70 |
107,60 |
72,40 |
Tab. 4: Real Exchange Rate ([CorsettiPesentiRoubini1998b])
Die folgende Tabelle zeigt, wie groß die Handelsbilanzdefizite asiatischer Länder in den 90ern waren (in Prozent des BIP):
Land |
1990 |
1991 |
1992 |
1993 |
1994 |
1995 |
1996 |
1997 |
Korea | -0,81 |
-3,04 |
-1,42 |
0.06 |
-1,22 |
-1,63 |
-4,36 |
-1,44 |
Indonesien | 1,68 |
0,91 |
1,81 |
1,48 |
0,72 |
-0,76 |
-1,14 |
0,22 |
Malaysia | 2,10 |
-3,74 |
1,39 |
-0,11 |
-1,59 |
-3,75 |
0,58 |
|
Philippinen | -5,73 |
-3,00 |
-4,27 |
-8,53 |
-8,95 |
-8,80 |
-9,44 |
-12,30 |
Thailand | -7,75 |
-6,88 |
-4,70 |
-4,56 |
-5,18 |
-7,09 |
-6,65 |
0,14 |
Tab. 5: Handelsbilanzdefizite in Prozent des BIP ([CorsettiPesentiRoubini1998b])
Die Auslandsverschuldung dieser Länder stieg immer mehr an. Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung der Schulden der entsprechenden Ländern an ausländische Geldgeber (Banken und andere) in Milliarden Dollar:
Land |
1993 |
1994 |
1995 |
1996 |
1997 |
1997-Q1 |
1997-Q2 |
1997-Q3 |
Korea | 45,22 |
60,97 |
83,26 |
109,15 |
103,78 |
113,42 |
118,25 |
104,71 |
Indonesien | 37,20 |
41,62 |
48,93 |
57,85 |
62,76 |
59,65 |
62,44 |
63,58 |
Malaysia | 16,02 |
14,48 |
18,76 |
25,91 |
29,08 |
31,23 |
33,00 |
29,47 |
Philippinen | 6,61 |
6,54 |
8,07 |
13,51 |
16,61 |
15,11 |
17,02 |
16,79 |
Thailand | 34,73 |
54,44 |
92,18 |
99,27 |
79,66 |
99,82 |
99,54 |
81,82 |
Tab. 6: Schulden in Milliarden Dollar ([CorsettiPesentiRoubini1998b])
Davon waren ein Großteil kurzfristige Kredite mit einer Laufzeit von maximal einem Jahr. Im folgenden ist deren Anteil an der Kreditgesamtsumme aus dem Ausland in Prozent angegeben:
Land |
Anteil der kurzfristigen Kredite an Gesamtkreditsumme |
Korea | 67% |
Indonesien | 61% |
Malaysia | 50% |
Philippinen | 58% |
Thailand | 65% |
Tab. 7: Anteil kurzfristiger Kredite an Gesamtkreditsumme
([CorsettiPesentiRoubini1998b])
Das Wirtschaftswachstum war in diesen Ländern vor der Krise sehr hoch (jährliches Wachstum des BIP in Prozent). Das negative Wachstum 1997 in Thailand zeigt bereits den Ausgangspunkt der Krise an:
Land |
1991 |
1992 |
1993 |
1994 |
1995 |
1996 |
1997 |
Korea | 9,13 |
5,06 |
5,75 |
8,58 |
8,94 |
7,10 |
5,47 |
Indonesien | 6,95 |
6,46 |
6,50 |
15,93 |
8,22 |
7,98 |
4,65 |
Malaysia | 8,48 |
7,80 |
8,35 |
9,24 |
9,46 |
8,58 |
7,81 |
Philippinen | -0,58 |
0,34 |
2,12 |
4,38 |
4,77 |
5,76 |
9,66 |
Thailand | 8,18 |
8,08 |
8,38 |
8,94 |
8,84 |
5,52 |
-0,43 |
Tab. 8: BIP-Wachstum in Prozent ([CorsettiPesentiRoubini1998b])
Die Attraktivität dieser Länder für westliches Kapital vor der Krise zeigt die folgende Tabelle (Investitionsraten in Prozent des BIP):
Land |
1990 |
1991 |
1992 |
1993 |
1994 |
1995 |
1996 |
1997 |
Korea | 36,93 |
38,90 |
36,58 |
35,08 |
36,05 |
37,05 |
38,42 |
34,97 |
Indonesien | 36,15 |
35,50 |
35,87 |
29,48 |
31,06 |
31,93 |
30,80 |
31,60 |
Malaysia | 31,34 |
37,25 |
33,45 |
37,81 |
40,42 |
43,50 |
41,54 |
42,84 |
Philippinen | 24,16 |
20,22 |
21,34 |
23,98 |
24,06 |
22,22 |
24,02 |
24,84 |
Thailand | 41,08 |
42,84 |
39,97 |
39,94 |
40,27 |
41,61 |
41,73 |
34,99 |
Tab. 9: Investitionsraten in Prozent des BIP ([CorsettiPesentiRoubini1998b])
Kredite und Darlehen der asiatischen Banken wurden vor allem an den Immobiliensektor vergeben. Die Summen wuchsen jährlich (jährliches Wachstum der Bankkredite an den Privatbereich in Prozent):
Land |
1991 |
1992 |
1993 |
1994 |
1995 |
1996 |
1997 |
Korea | 20,78 |
12,55 |
12,94 |
20,08 |
15,45 |
20,01 |
21,95 |
Indonesien | 17,82 |
12,29 |
25,48 |
22,97 |
22,57 |
21,45 |
46,42 |
Malaysia | 20,58 |
10,79 |
10,80 |
16,04 |
30,65 |
25,77 |
26,96 |
Philippinen | 7,33 |
24,66 |
40,74 |
26,52 |
45,39 |
48,72 |
28,79 |
Thailand | 20,45 |
20,52 |
24,03 |
30,26 |
23,76 |
14,63 |
19,80 |
Tab. 10: Wachstum der Bankkredite in Prozent ([CorsettiPesentiRoubini1998b])
Die Größenordnung dieser Summen läßt sich z.B. durch das prozentuelle Verhältnis zum BIP darstellen:
Land |
1990 |
1991 |
1992 |
1993 |
1994 |
1995 |
1996 |
1997 |
Korea | 52,54 |
52,81 |
53,34 |
54,21 |
56,84 |
57,04 |
61,81 |
69,79 |
Indonesien | 49,67 |
50,32 |
49,45 |
48,90 |
51,88 |
53,48 |
55,42 |
69,23 |
Malaysia | 71,36 |
75,29 |
74,72 |
74,06 |
74,61 |
84,80 |
93,39 |
106,91 |
Philippinen | 19,17 |
17,76 |
20,44 |
26,37 |
29,06 |
37,52 |
48,98 |
56,53 |
Thailand | 64,30 |
67,70 |
72,24 |
80,01 |
91,00 |
97,62 |
101,94 |
116,33 |
Tab. 11: Bankkredite im prozentuellen Verhältnis zum BIP ([CorsettiPesentiRoubini1998b])
Die Krise in Südkorea
Die Wirtschaft Südkoreas wurde von der Militärdiktatur staatlich gelenkt. Das Wachstum basierte darauf, daß Japan Technologie und Halbfertigwaren an die großen südkoreanischen Wirtschaftskonglomerate (Chaebols) verkaufte und auf der politischen und finanziellen Unterstützung durch die USA (die Südkorea im Zuge des Kampfes gegen die "kommunistische Bedrohung" Nordkorea sicher war). Südkoreas Kapitalismus ist ein staatlich regulierter und interventionistischer, der planend agiert. Gezielt wurden Subventionen und Investitionsfonds an die Chaebols vergeben.
Von Mitte bis Ende der 80iger waren die Exporte Südkoreas sehr erfolgreich, Handelsbilanzüberschüsse waren die Folge. Japan sah dies jedoch als Bedrohung und schränkte die Lieferungen an die Chaebols ein. Die USA verlangten eine Aufwertung der südkoreanischen Währung (des Wons), um Exporte aus Südkorea zu verteuern. Die Exportstrategie Südkoreas gelangte ins Hintertreffen und das Leistungsbilanzdefizit wuchs rasch an (Vgl. Tabelle 5). Die Profitraten der Chaebols sanken dramatisch. Verstärkt wurde all dies noch durch die Konkurrenz der "Tigerstaaten". Der Staat wollte die Profitabilität der Chaebols durch einen Angriff auf die Arbeiterklasse sichern, was 1996/97 in einem Generalstreik kulminierte. Die Auseinandersetzungen wurden ausgelöst durch ein neues Arbeits- und Geheimdienstrecht, die als Wunderwaffen gegen Südkoreas Wirtschaftsprobleme propagiert wurden. Das Arbeitsgesetz verbietet den unabhängigen Gewerkschaftsverband Korean Confederation of Trade Unions (KCTU) weiter bis 2002, erweitert die Flexibilität der Wochenarbeitszeiten von 44 auf 56 Stunden ohne Überstundenzuschläge, beseitigt den Kündigungsschutz und ermöglicht den problemlosen Einsatz von Streikbrechern. Das Nationale Sicherheitsgesetz (NSG)/Geheimdienstgesetz (AKB) ermöglicht das Haftrecht bei "Lob und Ermunterung des Feindes" (=Nordkorea) und die Bestrafung der Nichtanzeige von Sabotage ([Arranca!1997], S. 27). Die KCTU rief Ende 1996 zum Widerstand auf, Straßenschlachten und Generalstreik folgten. Die Proteste richteten sich nicht nur gegen die neue Gesetzeslage, sondern gegen die "autoritäre und intolerante Natur dieser Regierung" ([Grusch1997]).
Die Krise in den SEA-3-Ländern war Krisenauslöser in Südkorea, da die Investoren auch hinsichtlich der südkoreanischen Kreditwürdigkeit mißtrauisch wurden. Der Wonkurs fiel durch Investitionsrückzüge und Spekulationen im November 1997 um 25 Prozent, am Ende des Jahres hatte er 39 Prozent an Wert relativ zum Kurs am Jahresbeginn verloren ([CorsettiPesentiRoubini1998c], S. 12). Vgl. auch die Tabellen 2,3 und 4.
Der Abzug beinahe aller ausländischen Kredite aus Südkorea machte es den Schuldnern unmöglich, ihre Schulden bei den ausländischen Banken, die plötzlich alle verlangten, ausbezahlt zu werden, abzubezahlen. Dies verstärkte den Währungsverfall.
Im Zuge der Krise stieg die Arbeitslosigkeit von 2 auf 7 Prozent an, 12 Prozent der SüdkoreanerInnen leben in Armut ([Pröbsting1997b]).
Die Rolle des Internationalen Währungsfonds (IWF)
Um Zusammenbrüche zu vermeiden, baten Thailand, Indonesien und Südkorea den IWF um Hilfe, mußten dafür im Gegenzug IWF-Strukturanpassungsprogramme akzeptieren. Malaysia suchte seinen eigenen Weg aus der Krise. Das oberste Ziel des IWF bei derartigen Programmen ist es, daß die verschuldeten Länder genug Kapital und Devisen (=Guthaben im Ausland in ausländischer Währung) anlocken, damit sie ihre Schulden abbezahlen können. Die Schuldner müssen sich meist zu einer Hochzinspolitik verpflichten (um neue Mittel ins Land zu holen und Spekulationen zu vermeiden), zu Privatisierungen, Steuersenkungen für die Wirtschaft, Deregulierungen, gesetzlicher Gleichstellung von in- und ausländischen ökonomischen Akteuren (um Attraktivität für ADIen zu garantieren), zur Kürzung von Sozialleistungen, Schwächung von Gewerkschaften, Verschlechterung von arbeitsrechtlichen Standards und zur Kürzung der öffentlichen Ausgaben.
Ende 1998 kritisierte die Weltbank die Krisenstrategie des IWF: Die Hochzinspolitik und die Sparmaßnahmen hätten das Risiko einer weltweiten Rezession verschärft, anstatt zu beseitigen. Der Weltbank-Vizepräsident Joseph Stiglitz meinte, daß die IWF-Maßnahmen die Investoren nicht in den SEA-Ländern halten konnten, da sie in Folge der hohen Zinsen einen schwachen Markt und in Folge der Haushaltskürzungen soziale Unruhen befürchtet hätten ([Aslam1998]).
Die Kritiker der Hochzinspolitik des IWF in Asien meinen, daß diese Politik die Situation noch verschlimmert hätte, da dadurch der Bankrott von Banken und Firmen hervorgerufen wurde, was jedoch das Vertrauen der Investoren in die südostasiatischen Ökonomien weiter geschwächt hätte. Der Kursverfall sei daher durch die IWF-Politik beschleunigt worden. Viele dieser KritikerInnen meinen, daß eine Niedrigzinspolitik adäquat gewesen wäre.
Der IWF stellte Thailand einen 3,5 Millarden US-$-Kredit zur Verfügung. Die thailändische Regierung verpflichtete sich im Gegenzug z.B. dazu, 56 unprofitable Finanzinstitutionen zu schließen, zu Einsparungen im öffentlichen Bereich, öffentlichen Ausgabenkürzungen, zur Restrukturierung des Finanzbereiches und zur Senkung der Inflationsrate von 9,5 Prozent 1997 auf 5 Prozent 1998.
Im November 1997 gab der IWF einen 10 Millarden US-$-Kredit an Indonesien. Indonesische Verpflichtungen inkludierten eine Restrukturierung des Finanzbereiches, die Schließung von 16 insolventen Banken, die Liberalisierung des indonesischen Außenhandels und von ausländischen Investitionen, die Aufgabe von Monopolen und Privatisierungen.
Anfang Dezember 1997 vergab der IWF einen 21 Milliarden US-$-Kredit an Südkorea. Verpflichtungen Südkoreas beinhalteten u.a. die Restrukturierung des Finanzsektors, die Garantierung der Unabhängigkeit der südkoreanischen Zentralbank, die Schließung von 9 insolventen Banken, die Auflösung der nichttransparenten und ineffizienten Verbindungen zwischen staatlichen Banken und der südkoreanischen Geschäftswelt, die Liberalisierung der Handels- und Kapitalbedingungen, die Reform des Arbeitsmarktes. Wie letztere Reformen in Südkorea aussehen und daß sie einen Angriff auf die Arbeiterklasse darstellen, die zu heftigen Protesten und Streiks führen, wurde bereits erwähnt (sämtliche hier angeführten IWF-Infos über Thailand, Indonesien und Südkorea stammen aus [CorsettiPesentiRoubini1998c], Tabelle 39).
Was oder wer ist Schuld an der Krise?
Malaysias Premier Mohamad Mahatir gab die Schuld westlichen Spekulanten und forderte die "Tobin Steuer" (Steuer auf kurzfristige Kapitalinvestitionen, 1978 schlug der US-Ökonom James Tobin eine 0,1 prozentige Besteuerung von Devisengeschäften vor). Am 1.9.1998 verfügte er eine strikte Kontrolle über Spekulationen mit dem Ringgit. Nach Mahatirs Attacke gegen die Spekulanaten meinte der malaiische Innenminister, daß die Regierung nicht zögern würde, den Internal Security Act (ISA) gegen "rogue [=schurkische] foreign exchange speculators" (zitiert nach [US1997b]) anzuwenden. Der ISA ermöglicht es dem Innenminister, die Inhaftierung von Personen ohne Anklageerhebung und ohne Prozeß anzuordnen, wenn diese verdächtigt werden, die Sicherheit des Landes oder die Wirtschaft Malaysias zu gefährden. Für eine solche Festnahme wird kein Haftbefehl benötigt, die Untersuchungshaft kann bis zu 60 Tagen dauern, danach kann der Innenminister eine Inhaftierung von bis zu zwei Jahren anordnen, die auf unbestimmte Zeit verlängert werden kann. Ende 1994 befanden sich mindestens 25 Personen unter Berufung auf das ISA im Haftzentrum Kamunting. Darunter waren sechs Mitglieder der Kommunistischen Partei Malaysias, die 1989 wegen ihrer Mitgliedschaft verhaftet wurden ([AI1996a]). Das ISA wurde vor etwa 30 Jahren nach einem kommunistischen Aufstand in Malaysia eingeführt ([US1997b]). Im April 1997 wurden 189 Personen mittels dem ISA wegen Dokumentenfälschung festgenommen, im Juli desselben Jahres 72 wegen Telekommunikationsbetrug (vor allem der illegale Nachbau von Mobiltelefonen).
In Malaysia wird auch die Todesstrafe exekutiert. Zwingend vorgeschrieben ist sie für Drogenhandel, wegen Drogenbesitzes angeklagte gelten solange als schuldig, bis ihre Unschuld vor Gericht bewiesen wird. 1996 wurden z.B. 6 Personen zum Tode verurteilt und mindestens drei Gefangene hingerichtet ([AI1997b]). Interessanterweise wird in den Jahresberichten von Amnesty International (siehe [AI1997b] [AI1996a]) die Todesstrafe in Malaysia als Verstoß gegen die Menschenrechte benannt, während sie in den Menschenrechtsberichten des U.S. State Departments ([US1997b]) nicht einmal erwähnt wird, da sie für die USA als ein legitimes und akzeptables Mittel staatlicher Gewalt gilt.
Auch die Prügelstrafe ist Alltag in Malaysia. Sie kann auch bei Wirtschaftsdelikten wie Unterschlagung, Steuerbetrung oder Bestechung verhängt werden ([AI1996a]). Außerdem z.B. bei Drogenvergehen, Vergewaltigung, Entführung, Mord und Raubüberfall.
Wenn ich hier über Menschenrechtsverletzungen in Malaysia schreibe, so erfolgt dies aus keiner Perspektive der Verklärung der westlichen Repräsentativdemokratie als Garant der Menschenrechte. In westlichen Staaten gibt es eine Unzahl an Menschenrechtsverletzungen, dies zeigen die jährlichen Berichte von Amnesty International. Die angeblich weltweite Besorgnis westlicher Staaten um die Menschenrechte wird funktionalisiert, um Weltmachtansprüche militärisch durchzusetzen, und sie spiegelt ökonomische Interessen wider. Die Umgangsweise mit Ländern, die die Menschenrechte nach Position dieser westlichen Staaten verletzen, ist höchst selektiv. Irak und Serbien gelten als solche Länder, jedoch beispielsweise nicht die Türkei. [AI1996b] und [AI1997c] zeigen, daß auch in Österreich die Menschenrechtslage höchst problematisch ist. Vor allem die Mißhandlung und Folter an Festgenommenen und insbesondere an Menschen mit nichtweißer Hautfarbe werden immer wieder erwähnt.
Der Tod des Nigerianers Marcus Omofuma bei seiner Abschiebung nach Lagos am 1. Mai 1999 zeigt, daß sich die menschenrechtliche Situation von MigrantInnen in Österreich immer mehr verschärft. Omofumas Mund und zum Teil seine Nase wurden von den die Abschiebung exekutierenden Polizisten verklebt, er erstickte. Ähnliche Fälle, bei denen MigrantInnen bei ihrer Abschiebung starben, gab es auch im anderen EU-Raum: 1 Fall in Belgien und 2 in Deutschland.
Weitere Fälle von Polizeibrutalität in Österreich seien hier kurz erwähnt: Ein Österreicher mit schwarzer Hautfarbe wurde bei einer Verkehrskontrolle derart zusammengeschlagen, daß er mit einem blutunterlaufenen Penis und einer Gehirnerschütterung in die Unfallchirurgie gebracht werden mußte und mit eingegipsten Armen und Beinen neun Tage im Spital lag. Einer der Polizisten soll die anderen mit den Worten "Tretet ihm die Eier ein, damit er sich nicht mehr vermehren kann!" angefeuert haben (Falter 49/98). Polizisten der Fremdenpolizei verprügelten eine Lokalbesitzerin chinesischer Herkunft, ihre Schwester und den Koch ihres Restaurants. Die Beamten kamen nicht vor Gericht, die 3 Verprügelten wurden wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung angezeigt (Falter 49/98) und zu bedingten Haftstrafen und der Bezahlung von Schmerzensgeld an die Polizisten verurteilt (Falter 50/98). Im März 1999 berichteten fünf Zeugen davon, daß zwei Polizisten in einer Wiener U-Bahn-Station einen am Boden liegenden Schwarzen mit Fäusten, Tritten, Pfefferspray und Gummiknüppeln bearbeiteten und Äußerungen wie "Du dreckige Negersau, di mach&rsquoi fertig" von sich gaben (Falter 10/99). Der Verletzte, der mit der Rettung in ein Unfallkrankenhaus gebracht werden mußte, wurde zu neuen Monaten Haft (davon einer unbedingt) wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung verurteilt (Falter 16/99). Dies sind nur beispielhafte Fälle, die in der Öffentlichkeit bekannt wurden. Laut Statistik gab es 1997 österreichweit 321 Verfahren wegen Gewaltanwendung gegen Polizei- und Gendarmeriebeamte. Kein einziger Beamter wurde verurteilt (Falter 49/98).
Die Erwähnung dieser Menschenrechtsverletzungen in Österreich solle zeigen, daß hier keine Verklärung der europäischen und westlichen gegenüber der asiatischen Situation betrieben werden soll, sondern daß eine Kritik von Menschenrechtsverletzungen weltweit erfolgen sollte und daß die Funktionalisierung der Menschenrechte durch den westlichen Kapitalismus und die Pseudo-Verurteilung von Menschenrechtsverurteilungen in Asien durch westliche Staaten unter Ausklammerung der Situation in den eigenen Ländern ökonomisch-zweckrational zu beurteilen sind.
In der Vergangenheit gab es auch Behauptungen seitens des malaiischen Premiers Mahatir, daß die malaiische Ökonomie von einer jüdischen "Agenda" unterminiert werde ([US1997a]). Mahatir beschuldigte den Fondsmanager George Soros durch Spekulationen den Verfall des Ringitt herbeigeführt zu haben. Als Großbritannien Anfang der 90er das Pfund abwerten mußte, wurde ebenfalls Soros beschuldigt. Als sich die ökonomische Krise von Südostasien nach Rußland ausbreitete und der Rubel in einer Krise steckte, meinte Stanley Fischer vom IWF, Soros sei daran Schuld, da er in einem Leserbrief an die Financial Times die Abwertung empfohlen hätte. Die von Soros verwalteten Fons verfügen über etliche Milliarden Schilling. In Ländern mit hoher Zinsrate und mit Währungen hohen Kurses werden Kredite aufgenommen. Das dadurch erhaltene Geld wird in Dollar umgetauscht. Das Angebot der entsprechenden Landeswährung wird dadurch größer als die Nachfrage, der Kurs beginnt zu sinken. Die Landeswährung wird immer weniger wert, die Schulden von Soros&rsquo Fonds werden in Dollar geringer. Sie besitzen also dann mehr Dollar als sie umgerechnet in die entsprechende Landeswährung zurückzahlen müssen. Insgesamt bleibt so ein Gewinn. Dies stellt eine Kapitalverwertung in ihrer abstraktesten möglichen Form G-G' dar.
Das Feststellen der Schuld der Spekulanten an der Krise folgt alten Mustern. Die Attacken auf George Soros haben antisemitischen Charakter: Es erfolgt eine Trennung des "ehrlich schaffenden" vom "parasitären, raffenden, spekulativen" Kapital. Letzteres wird als jüdisches Kapital identifiziert und das Nichtfunktionieren des Kapitalismus wird nicht an den ökonomischen Widersprüchen, sondern an Juden und Jüdinnen festgemacht. Dieser Argumentation und Teilung in "schaffendes" und "raffendes" Kapital bedienten sich bereits die Nazis.
Auch der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt argumentiert ähnlich: "Die Funktionstüchtigkeit des freien Welthandels und der hoch arbeitsteiligen globalen Wirtschaft ist für sechs Milliarden Menschen wichtiger als die exzessive Freiheit einiger zehntausend habgieriger Dealer und Manager, die auf den kurzfristigen Finanzmärkten herumtoben" (Leitartikel in Die Zeit, 3.9.1998).
Der IWF gibt die Schuld dem Nepotismus und der Korruption der südostasiatischen Banken. Es wird argumentiert, daß ein tatsächlich freier Märkt den rücksichtslosen Geldverleih an befreundete Firmen verhindert hätte.
Auch [CorsettiPesentiRoubini1998b] und [CorsettiPesentiRoubini1998c] kommen zu dem Schluß, daß die Ursache der Krise ein "moral hazard problem" (moralisches Problem) sei:
"However, the crucial factor underlying the sustained investment rates was the financial side of the moral hazard problem in Asia, leading national banks to borrow excessively from abroad and lend excessively at home" ([CorsettiPesentiRoubini1998b], S. 3).
Es ist nicht möglich einfache Kausalzusammenhänge der ökonomischen Krise in Südostasien zu finden, da die Ökonomie ein komplexes System mit vielen Abhängigkeiten ist. Um ein besseres Verständnis zu ermöglichen, ist ein Blick auf die ökonomische und soziale Entwicklung in kapitalistischen Gesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg notwendig:
Kapitalistische Umbrüche: Vom Fordismus zum Postfordismus, vom Keynesianismus zum Neoliberalismus, vom Sicherheitsstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat
Die Regulationstheorie (Vgl. [Hirsch1995], [Hirsch1998]) propagiert das gemeinsame Auftreten eines Akkumulations- und eines Regulationsmodells in spezifischen Phasen der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Ersteres meint die ökonomischen Reproduktions- und Verwertungsstrukturen des Kapitals, zweiteres die institutionellen Rahmenbedingungen in der Form von Normen oder Gesetzen, die den Akkumulationsprozeß ermöglichen und zu einem bestimmten Grad lenken und kontrollieren. Ökonomischer Strukturwandel geht also nach dieser Theorie einher mit institutionellem, politischem und sozialem Wandel. Es wird argumentiert, daß sich im Zuge einer zyklischen Krise des Kapitalismus ein neues Akkumulations- und zugehöriges Regulationsmodell herausbilden, was eine gewisse ökonomische Stabilität garantiert, bis es durch entsprechende Produktivkraftentwicklung zu einer erneuten Krise kommt.
Das Akkumulationsmodell, das nach dem 2. Weltkrieg bis in die 70er Jahre den Kapitalismus prägte, war der Fordismus: Er basiert auf der tayloristischen, fabriksmäßigen Massenproduktion, Arbeitsabläufe wurden zerlegt und es wurde versucht, sie mittels Zeit- und Bewegungsstudien zu optimieren. Charakteristisch ist auch die Trennung von planender und ausführender Tätigkeit.
Der Fordismus entwickelte sich zu einer Organisationsform des Lebens, die auch gern als "american way of life" bezeichnet wird und die sich durch Elemente wie Massenkonsum, Geldausgeben statt Sparsamkeit, Wegwerfprodukte, schnelle Befriedigung von Bedürfnissen und Erzeugung von immer neuen Bedürfnissen charakterisieren läßt. Um die physische und psychische Existenz der Arbeitenden zu erhalten wurden kollektive soziale Schutzmechanismen notwendig. Dies führte in unterschiedlicher Intensität in den einzelnen kapitalistischen Zentren zum Aufbau des Wohlfahrtsstaates und war verbunden mit der Etablierung des Keynesianismus als Regulationsmodell. Dies soll nicht heißen, daß der Wohlfahrsstaat kein Ergebnis der Kämpfe der Arbeiterbewegung war, aber eine gewisse Zweckrationalität wird zusätzlich unterstellt.
Der Keynesianismus bedeutete staatliche Eingriffe in die Ökonomie, den bürokratischen Ausbau des Sozialstaates, geplante Wachstums-, Einkommensverteilungs- und Beschäftigungspolitik sowie die Anerkennung der Gewerkschaften als politische Kraft (ein Ausdruck dessen sind die Sozialpartnerschaften als institutionalisierte Klassenkompromiß-findungsformen). Keynes sprach von der "Notwendigkeit bewußten Managements" und der "Sozialisierung von Investitionen" (siehe [FreemanSoete1994], S. 28). Der Staat wurde als Interventionsmechanismus begriffen, der eingreift, wenn private Investitionen nicht ausreichen, um eine Depression oder andere ökonomische Probleme zu beenden. Der Fordismus war nationalstaatlich organisiert, die internationale Dimension stellte das Bretton-Woods-System, an dessen Ausarbeitung Keynes beteiligt war, dar. Es beruhte auf dem Prinzip der Liberalisierung des Welthandels und der Ansicht, daß diese Liberalisierung den Sicherheitsstaat unterminiere, was die Regulation von Kapitalflüssen erforderlich mache, um Kapitalflucht zu vermeiden. In diesem System wurden fixe Wechselkurse zwischen den einzelnen Währungen und dem Dollar installiert, eine Deckung erfolgte mittels Gold.
"Das Bretton-Woods-System geriet aus dem Gleichgewicht, als die US-amerikanische Notenbank die Dollardruckpresse über Gebühr laufen ließ, um den Vietnamkrieg und andere Vorhaben zu finanzieren, wodurch die Golddeckung verlorenging. Als Frankreich plötzlich große Dollarmengen in Gold eintauschen wollte, mußte dieser abgewertet werden" ([Felber1999]).
1972 traten die USA aus dem System aus, ein Jahr später brach es zusammen. Die Wechselkurse wurden freigegeben, das Spekulieren mit Währungen wurde möglich. Kapitalverkehrskontrollen gab es keine mehr, der Markt des "fiktiven" (Marx) Spekulationskapitals konnte sich ungehemmt entwickeln.
Der fordistische Staat war ein "Sicherheitsstaat" im doppelten Sinn: Er garantiere eine gewisse soziale Absicherung und fungierte andererseits als eine Art Überwachungsstaat. Erwähnt werden muß, daß der Fordismus keine homogene Angelegenheit darstellte, sondern daß sowohl Akkumulations- als auch Regulationsmodell in dieser Phase des Kapitalismus spezifische Ausformungen in verschiedenen kapitalistischen Zentren hatten.
Nach der Weltwirtschaftskrise in den 70er-Jahren setzte sich ausgehend von den USA und Großbritannien ("Reagonomics", "Thatcherism") eine Akkumulationsweise (mit dem "Neoliberalismus" als entsprechender Regulationsweise) im Kapitalismus durch, die von vielen als "Postfordismus" bezeichnet wird: Griff der Staat im Fordismus im keynesianischen Sinn durch Subventionspolitik in die Wirtschaft ein, so wird nun der freie Markt in seiner reinen, ungehemmten Form als Mittel zur Vermeidung von Wirtschaftskrisen propagiert.
Die Krise der 70er-Jahre wird oftmals auf den Ölpreisschock reduziert, ich meine jedoch, daß hier auch die tendenzielle Fall der Profitrate und die Unterkonsumption in der Form fordistischer Überproduktion eine wesentliche Rolle gespielt haben.
Der "Sicherheitsstaat" wurde zum "Nationalen Wettbewerbsstaat", dessen Politik immer mehr zur Standortpolitik wurde, die optimale Verwertungsbedingungen für ein international flexibel agierendes Kapital sichern soll. Dies ist Bedingung der neuen internationalen Konkurrenz um das Dumping der Sozialniveaus und arbeitsrechtlichen Standards. Nachdem der Systemvergleich sozialer Standards durch die historischen Prozesse überflüssig geworden ist, reproduziert sich diese ehemalige Konkurrenzsituation nun als Differenzierung der Sozialstandards nicht nach oben, sondern nach unten, im internationalen Wettbewerb kapitalistischer Staaten.
Die fordistische Massenproduktion standardisierter Waren wird zunehmend abgelöst durch eine diversifizierte Qualitätsproduktion, die eine kundenorientierte Fertigung mit kleinen Stückzahlen, hoher Qualität und flexibler Produktionsweise (Just-in-Time-Production, Lean Management) beinhaltet. Während im Fordismus standardisierte Konsumgüter im Mittelpunkt standen und Auto, Radio sowie Fernsehen ein wesentliches technologisches Paradigma darstellten, an dem ein Großteil der Bevölkerung in den kapitalistischen Zentren über die gesteigerten Masseneinkommen teilhaben konnte, bedeutet im Postfordismus die Anwendung des Computers und darauf gestützter Informations- und Kommunikationssysteme ein neues derartiges Paradigma. Die Computerunterstützung bedingt zusehends eine Erodierung der alten hierarchischen und zentralisierten Organisationsformen von Unternehmen und einen Übergang zu Dezentralisierung, Enthierarchisierung, verstärkter interbetrieblicher Kooperation und Netzwerkstrukturen.
Die Globalisierung hat mehrere Dimensionen ([Hirsch1998], S. 17f): eine technische in der Form der Nutzung von neuen Informations- und Kommunikationssystemen wie dem Internet zur weltweiten Übertragung und Verarbeitung von Information, eine politische im Sinn universeller, objektivierender Geltungsansprüche nach dem Zusammenbruch der UdSSR, eine ideologisch-kulturelle als die Globalisierung liberaldemokratischer Grundwerte und des kapitalistischen Konsummodells und eine ökonomische durch Liberalisierung des Waren-, Dienstleistungs-, Geld- und Kapitalverkehrs und die Internationalisierung der Produktion.
Die Globalisierung ist nicht wie Hans-Peter Martin und Harald Schumann in der "Globalisierungsfalle" (1996) argumentiert haben, das Ergebnis einer seit Jahrzehnten bewußt durchgeführten falschen Regierungspolitik, sondern wird aus der Logik und der Produktivkraftentwicklung des Kapitalismus als eine Strategie des Kapitals zur Lösung der fordistischen Krise durch die Ausnutzung internationaler Standortvorteile, was eine neoliberale Standortpolitik mit all ihren sozialen Konsequenzen geradezu bedingt, begriffen. In der inflationären Diskussion über Globalisierung wird großteils nicht der Kapitalismus als Verhältnis und Bedingung struktureller Probleme erfaßt, sondern werden mit immer neuen Präfixen langfristig reformierbare Ausformungen des Kapitalismus unterstellt: der Kasinokapitalismus, der Turbokapitalismus (dies wurde im Europawahlkampf 1999 von der KPÖ in der Form des Slogans "EU-Turbo-Kapitalismus stoppen!" aufgegriffen), der Raubtierkapitalismus (Helmut Schmidt), der Killerkapitalismus, der Mafiakapitalismus, der unzivilisierte Kapitalismus, usw.
Die Nutzung von Standortvorteilen bedeutet die Möglichkeit den Produktionsprozeß in autonom voneinander abwickelbare Teile zerlegen zu können, die jeweils dezentral erledigt werden und von einer Zentrale aus gesteuert werden. Jeder Teilprozeß kann in einem anderen Land, in dem die Verwertungsbedingungen des Kapitals für die entsprechende Aufgabe "optimal" im Sinne eines niedrigen konstanten und variablen Anteil des Kapitals und schlechtem Arbeitsrecht sind, durchgeführt werden. Die Abwanderungsdrohung ist der Ausdruck von antizipierter Arbeitslosigkeit, vermindertem Wachstum, geringeren finanziellen Mitteln des Staates und der postfordistischen Erpreßbarkeitssituation.
Die ökonomische Umstrukturierung geht einher mit der Nutzung und Forcierung neuer Informations- und Kommunikationssysteme. In [Fuchs1999] habe ich auf technische Aspekte der Globalisierung hingewiesen: Anthony Giddens sieht im sogenannten "disembedding", der Verlagerung/Auslagerung von sozialen Beziehungen und der Herstellung raum-zeitlicher Entfernung, und im "reembedding", der Wiederaneignung von derart ausgelagerten Beziehungen und Entfernungen, wesentliche Mechanismen der Moderne (Vgl. [Giddens1990], S. 21ff, 79ff). Im Kontext postfordistischer Ökonomie und der vielfach beschworenen ökonomischen Globalisierung bedeutet dies die Herstellung raum-zeitlicher Entfernung von Produktionsstandorten. Transportmittel und -methoden, Techniken der Lagerung und Konservierung, Massenkommunikationsmittel, I&K-Systeme, Informationsspeicherung und -verarbeitung ermöglichen den Prozeß des "reembeddings", der Wiederaneignung raum-zeitlich ausgelagerter ökonomischer Kategorien. Inwiefern solche Techniken eine Ursache oder Folge ökonomischer Globalisierung darstellen, ist eine Streitfrage. Im Giddens&rsquoschen strukturaktionstheoretischen Kategorien könnte die neue technische Forcierung als Medium und Resultat ökonomischer Globalisierung begriffen werden.
[Sassen1998] argumentiert, daß das dezentrale Internet zu neuen virtuellen und real-räumlichen Zentralisierungen und Segmentierungen führt: Die mächtigsten und infrastrukturell weit überlegenen Räume sind die Finanzzentren des Kapitalismus wie New York, London, Tokyo, Paris, Frankfurt, Zürich, Amsterdam, Los Angeles, Sydney und Hong Kong ([Sassen1998], S. 182). Weniger entwickelte Regionen haben kaum Anteil an der angeblich "virtuellen Gemeinschaft", dies bedeutet ungleiche Zugangsbedingungen und -geographien. Die virtuell dezentralen Zentralen fungieren als strategische Punkte des Weltmarktes und Marktplatz der führenden Industrien. Globale Ökonomie und globale Kommunikation sind in Bezug auf das Internet somit vor allem Ausdruck der Triadisierung und ungleicher Machtverteilung.
Es kann argumentiert werden, daß die postfordistische ökonomische Globalisierung eigentlich ein Mythos ist, da die Exportquoten der kapitalistischen Länder schon vor etwa hundert Jahren so hoch waren wie heute oder da in etwa drei Viertel der ausländischen Direktinvestitionen der OECD-Ländern innerhalb dieses Raumes verbleiben und sich daran in den letzten 15 Jahren nicht viel verändert hat. Tabelle 12 zeigt dies an Hand der Verteilung der ADIen der NAFTA-Länder und Westeuropas.
Empfängerländer | 1985 | 1992 |
NAFTA, EG, EFTA | 74 | 77 |
Südostasien | 6 | 7 |
Rest der Welt | 20 | 16 |
Tab. 12: Verteilung der ausländischen Direkt-
investitionen der NAFTA-Länder und West-
europas (aus: [Ofner1997], S. 290)
Die ökonomische Globalisierung muß jedoch im Zusammenhang mit einem veränderten Regulationsmodell gesehen werden, Globalisierung bedeutet in diesem Zusammenhang auch die Deregulierung von Schranken wie Schutzzöllen und Steuern sowie von sozialen Sicherungssystemen. Ökonomische Globalisierung kann nur im Kontext der Einheit von Akkumulations- und Regulationsmodell erfaßt werden, sie bezeichnet nicht eine Zunahme des internationalen Warenhandels, sondern vor allem die Schaffung neuer Rahmenbedingungen für den Verwertungsprozeß des Kapitals in der Form des zunehmenden Abbaus von institutioneller Schranken und Grenzen des Kapitalverwertungsprozeßes sowie die Internationalisierung des Kapitalverhältnisses und Triadisierung (Konzentrierung auf die drei großen Wirtschaftsregionen Europa, USA und Asien) der Kapitalmasse.
Ein Erklärungsansatz der Krise
Die marxistische "Krisis"-Gruppe um Ernst Lohoff und Robert Kurz argumentiert folgendermaßen (Vgl. z.B. [JungleWorld1997], [Kurz1997a], [Kurz1997b], [Lohoff1998]): Seit den 80ern verlagere sich die Kapitalverwertung von der realen warenförmigen Akkumulations- und Zirkulationssphäre in den spekulativen Finanzmarkt (Aktien-, Immobilien-und Devisenspekulation) in der Form von "fiktivem Kapital" (Marx). Es haben sich transnationale, globale Finanz- und Spekulationsmärkte herausgebildet, die den nationalen Notenbanken auf Grund der unglaublichen Masse an global in diesen neuen Märkten zirkulierendem Kapital eine ökonomische Intervention immer unmöglicher machen. Das Entstehen dieser Märkte ist nur im Kontext des Übergangs vom Fordismus zum Postfordismus zu erklären, der eine vom IWF geförderte und geforderte Strategie der Deregulierung und des Abgehens von staatlichen Interventionen in die Ökonomie mit sich brachte, um den angeblich "freien" Markt weltweit durchzusetzen. Dies war notwendige Bedingung für die Selbstvermehrung von spekulativem Kapital. Eine wesentliche Ursache der Weltwirtschaftskrise waren wiederum die fallenden Profitraten, die Verlagerung hin zu fiktivem Kapital muß im Zusammenhang mit der Krise der Realakkumulation gesehen werden.
"Gerade auf diesem Sektor des &lsquofiktiven&rsquo Kapitals ist die Globalisierung am weitesten vorangeschritten. Die mikroelektronische Revolution hat finanzielle Transaktionen unabhängig von Entfernungen und Zeitzonen in &lsquoEchtzeit&rsquo möglich gemacht, weil &lsquokörperlose&rsquo elektronische Buchungsimpulse im Unterschied zu realen Waren und Dienstleistungen keinerlei Kapazität und Zeit für Produktion und Transport benötigen" ([Kurz1997a], S. 18). Die Globalisierung und damit verbunden I&K-Systeme spielen dabei also eine wesentliche Rolle.
Die fiktive Akkumulation tue so, als ob sie die Realakkumulation ersetzen kann. Deshalb spricht die Krisis-Gruppe auch von einer "Kultur der Simulation".
Es wird argumentiert, daß der Erfolg der Tigerstaaten auf niedrigen Löhnen, schlechtem Arbeitsrecht, schlechten Arbeitsstandards und einem hohen Exploitationsgrad der Arbeiterklasse beruht habe. Diese Länder haben zwar High-Tech-Produkte wie Chips hergestellt, verfügen aber selbst nicht über die technischen Mittel, um eine derart hohe Produktivität wie in Europa oder den USA zu erreichen. Wenn jedoch beispielsweise in Asien eine Ware mit altfordistischer Basistechnologie von 30 Arbeitern hergestellt wird, in Europa aber ein ähnliches Produkt unter Hi-Tech-Einsatz von nur einem Arbeiter in viel kürzerer Zeit, dann steckt in der asiatischen Ware viel mehr variables Kapital und Arbeitszeit als in der europäischen. Um aber am Weltmarkt mithalten zu können und um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen beide Produkt zu ähnlichen Preisen verkauft werden. In der unter modernen technologischen Bedingungen produzierten Ware steckt wenig variables und konstantes Kapital, sie kann günstig verkauft werden. Länder mit niedriger Produktivität werden durch den "freien" Handel am Weltmarkt daher quasi gezwungen, äußerst niedrige Löhne zu bezahlen sowie die Arbeitsstandards und sozialrechtlichen Bedingungen zu deregulieren. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, daß die Armut in Entwicklungsländern immer mehr statt weniger wird.
Die SEA-3-Ländern waren von Importen aus Japan und den USA (vor allem Technologien) abhängig, um ihre Exportstrategien und das damit verbundene Wirtschaftswachstum garantieren zu können, da sie selbst nicht über die notwendigen Technologien verfügten und diese daher aus Japan einkaufen mußten. So explodierten die Handelsbilanzdefizite (siehe Tabelle 5). Das Spekulantentum und korrupte Banken in den SEA-3-Ländern waren sicher wesentliche Bedingungen der Krise, aber sie darauf zu reduzieren ist problematisch. Vielmehr muß auch gesehen werden, daß der Boom des Spekulationsgeschäftes durch den Übergang im Akkumulations- und Regulationsmodell vom Fordismus/Keynesianismus zum Postfordismus/Neoliberalismus als Reaktion auf eine zyklische Krise des Kapitalismus (2. Weltwirtschaftskrise in den 70ern) ermöglicht wurde, daß der Vormarsch des fiktiven Kapitals durch die (Profit-)Krise der Realakkumulation bedingt war, daß die Freigabe der Wechselkurse und der Fall von Kapitalverkehrskontrollen nach dem Zusammenbruch des Systems von Bretton-Woods eine wesentliche Rolle bei der Ermöglichung von Spekulationen spielt, daß die unterschiedlichen Produktivitätsniveaus einzelner Ländern über den Weltmarkt strukturelle Probleme (Armut, abhängige Industrialisierung wie im Fall der SEA-3-Länder, Dependenz) generieren (dies ist nebenbei auch der Grund warum Ricardos Theorie der komparativen Kostenvorteile in der Praxis nicht funktionieren kann) und daß die USA die explodierenden Handelsbilanzdefizite der "Tigerstaaten" gelassen hinnahmen, da sie selbst Profit daraus schlagen konnten. Der kalifornische Sozialhistoriker Robert Brenner meint, daß das Verleihen von zu viel Geld - was sicher ein wesentliches Moment der Krise war - strukturell bedingt ist:
"In Wirklichkeit sind Aufschwung und Krisen, getrieben von Überschuldung und übermäßigem Verleihen, in den Funktionsmechanismus des Kapitalismus fest eingebaut. Firmen überschulden sich und Banken verleihen zuviel Geld, weil sie sich so rasch als möglich am Markt beteiligen möchten, solange die Werte noch steigen, stets davon überzeigt, daß sie wieder rechtzeitig aussteigen können bevor die Werte zu sinken beginnen" ([Brenner1998], S. 63).
Das Spekulantentum kann nur als Auslöser, nicht als die Ursache der Krise gesehen werden. Die Feststellung als Ursache führt in einen tendenziellen Antisemitismus. Die ökonomische Krise an sich ist fixer zyklischer Bestandteil des Kapitalismus, sie erwächst aus den immanenten Widersprüchen der Kapitalverwertung. Auch [Pröbsting1998c] sieht die Ursachen in der Widersprüchlichkeit des Kapitalismus:
"Die Ursache der Krise liegt viel tiefer, nämlich in den strukturellen Widersprüchen der realen kapitalistischen Wirtschaft. Die Unmengen von auf den Finanzmärkten hin und her verschobenem Geldkapital kommen ja nicht aus dem Nichts, sondern entstammen dem in der materiellen Produktion geschaffenen Mehrwert. Es sind die Konzerne, die aufgrund mangelnder profitabler Anlagemöglichkeiten zunehmend Kapital als Geldkapital auf den Finanzmärkten anlegen, anstatt dieses für Neuinvestitionen zu nützen [...] Kurz, das produktive Kapital selbst spekuliert massiv, nicht (nur) diverse anonyme Aktienhaie".
Bereits Marx hat im "Kapital" den Tendenziellen Fall der Profitrate als Ursache solcher Krisen erkannt und beschrieben. Die Ware ist ein Ausdruck der Konkurrenzverhältnisse und der Profitinteressen am Markt. "Vielfalt" eines gleichartigen Produktes (wie z.B. 400 verschiedene Waschmittelsorten) und immer neue Produkte sind Ausdruck der Erzeugung immer neuer Bedürfnisse zwecks deren Kapitalisierung und Ausdruck von Disproportionen. Disproportionen zwischen Industriesektoren und zwischen wahrem Bedarf und produzierten Produkten. Produktions- und Investitionsentscheidungen werden im Kapitalismus auf Grund von Profitüberlegungen gemacht. Daher werden zu einem Zeitpunkt z.B. zu viele Maschinen produziert, zu einem anderen zu wenig. Marx nannte diese Disproportionen unpassenderweise "Anarchie der Produktion". Sie sind einer der Gründe für Krisen im Kapitalismus. In der marxistischen Imperialismustheorie wurde auch immer wieder die Unterkonsumption (Störung im Zirkulationsprozeß im Warenkapital W&rsquo, der darin enthaltene Mehrwert kann nicht realisiert werden, d.h. z.B. mangelnde Nachfrage) als Krisenursache genannt.
Der Krisisgruppe um Kurz und Lohoff geht es darum, zu zeigen, daß diese Krisen des Kapitalismus nicht vermeidbar, sondern strukturell bedingt sind.
Wenn Robert Kurz jedoch den "Weltuntergang der Finanzmärkte" ([Kurz1997b]) prophezeit, so ist dies dieselbe deterministische und automatistische Zusammenbruchserwartung auf Grund einer inneren Schranke der auf Wert beruhenden Produktionsweise, die bereits Marx hatte. Die Geschichte hat aber gezeigt, daß ein solcher Zusammenbruch des Kapitalismus noch nicht erfolgt ist, daß es nach jeder Krise durch Gegentendenzen einen Aufschwung gab. Daher meine ich, daß ein solcher automatischer Zusammenbruch zwar möglich ist, es sich aber um keinen Determinismus handelt. Die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise wird m.E. nach nur über das Emergieren antikapitalistischer Perspektiven von vernetzten revolutionären Subjekten, die Objekt der neoliberalen und generell kapitalistischen Unterdrückung und Ausbeutung sind, möglich sein. Und da gibt es nicht nur die Arbeiterklasse, sondern pluralisierte Klassenverhältnisse, also eine Vielzahl gesellschaftlicher bipolarer Territorien, die durch die Zerteilung der Gesellschaft durch sich überschneidende Linien - der Arbeiter z.B. ist nicht nur Unterdrückter, sondern oftmals z.B. im familären Bereich auch Unterdrücker - charakterisiert sind. Der dogmatische Marxismus-Leninismus entwirft eine gesellschaftliche Bipolaritätskarte mit den beiden Territorien Kapital und Lohnarbeitende. Dieses Konstatieren der Arbeiterklasse als DAS revolutionäre Subjekt antizipiert jedoch wiederum einen Klassencharakter einer potentiellen Revolution und einer angeblichen postkapitalistischen Gesellschaft.
Umgangsweisen mit der Krise
Am 2.9.1998 wurde der stellvertretende Ministerpräsident Malaysias, Anwar Ibrahim, durch Ministerpräsident Mohammad Mahathir entlassen. Offiziell wurde er wegen "unnatürlichem Geschlechtsverkehr" und Bestechung angeklagt, tatsächlich ging es jedoch um das Aufeinandertreffen zweier Strategien wie Malaysia mit der Krise umgehen soll. Im Unterschied zu Indonesien und Thailand ließ Mahathir keine IWF-Intervention zu, sondern versuchte die Krise durch staatskapitalistische Interventionen in den Griff zu bekommen: Der Kapitalverkehr wird kontrolliert, um kurzfristige Spekulationen zu verhindern, das Tauschverhältnis zwischen US-$ und Ringgit wurde mit 1:3,8 fixiert und die malaiische Währung kann nicht mehr im Ausland gehandelt werden. Anwar Ibrahim lehnte einen solche Staatsinterventionismus ab und forderte ein Antikrisenprogramm des IWF. Nachdem er verhaftet und durch die Polizei mißhandelt wurde, demonstrierten 80.000 Menschen in Kuala Lumpur. Der ehemalige Vizeministerpremier wurde daraufhin freigelassen. Unterschiedliche Oppositionsgruppen schlossen sich zur "Malaiischen Volksbewegung für Gerechtigkeit" zusammen. Sie forderten nicht nur Anwars Freilassung, sondern auch die Abschaffung des Internen Sicherheitsaktes (ISA). (Quelle: [Pröbsting1998a]).
In Südkorea konnte die Krise durch das IWF-Paket eingedämmt werden, die Börsen- und der Währungskurs steigen wieder an.
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[Yue1993] Yue, Chai Siow; Foreign Direct Investment in ASEAN Economies, in: Asian Development Review, 11(1)
Tabellenverzeichnis:
Folgende Daten werden für die Länder Korea, Indonesie, Malaysia, Philippinen, Thailand tabellarisch präsentiert:
Tab. 1: Anzahl der Internet-UserInnen in Malaysia
Tab. 2.: Kursverfall asiatischer Währungen 1997
Tab. 3: Nominal Exchange Rates
Tab. 4: Real Exchange Rates
Tab. 5: Handelsbilanzdefizite in Prozent des BIP
Tab. 6: Schulden in Milliarden Dollar
Tab. 7: Anteil kurzfristiger Kredite an Gesamtkreditsumme
Tab. 8: BIP-Wachstum in Prozent
Tab. 9: Investitionsraten in Prozent des BIP
Tab. 10: Wachstum der Bankkredite in Prozent
Tab. 11: Bankkredite im prozentuellen Verhältnis zum BIP