Christian Fuchs
Krise und Kritik in der Informationsgesellschaft.
Arbeiten über Herbert Marcuse, kapitalistische Entwicklung und Selbstorganisation
Soziale Selbstorganisation im informationsgesellschaftlichen
Kapitalismus, Teil 2
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Aspekte der evolutionären Systemtheorie in ökonomischen Krisentheorien
unter besonderer Berücksichtigung techniksoziologischer Bezüge
Abstract (Deutsch)
Ziel dieser Arbeit ist eine Formulierung von Thesen zur selbstorganisierten,
evolutionären Entwicklung der modernen Gesellschaftsformation. Weiters soll
untersucht werden, welche Rolle dabei moderne Computer-, Informations- und
Kommunikationstechnologien spielen.
Methodisch werden dazu verschiedene regulationstheoretische, marxistische
und neoschumpetersche Krisentheorien auf Aspekte der evolutionären Systemtheorie
untersucht, die die Krise des Fordismus und den Übergang zum Postfordismus
darstellen.
Der Fordismus als nach 1945 den Kapitalismus prägendes Entwicklungsmodell
basierte u.a. auf Massenkonsum, Massenproduktion, hierarchischen und zentralen
Unternehmenskomplexen, der Standardisierung der Produktion, dem Wohlfahrts-
und Interventionsstaat, der Fließbandproduktion und staatlichen Eingriffen
in die Ökonomie.
Der Postfordismus als sich seit der 2. Weltwirtschaftskrise Mitte der
1970er Jahre langsam herausbildendes Entwicklungsmodell basiert u.a. auf flexibler
Spezialisierung; Dezentralisierung, Informatisierung, Tertiarisierung, Globalisierung
und Enthierarchisierung der Produktion, einer diversifizierten Qualitätsproduktion
und dem Nationalen Wettbewerbsstaat.
Die Hauptthese dieser Arbeit lautet, dass der Kapitalismus ein komplexes,
evolutionäres System ist, dessen Entwicklung widersprüchlich und krisenhaft
verläuft. Die Krisendynamik ergibt sich aus ökonomischen, politischen und
ideologischen Antagonismen. Für jedes Entwicklungsmodell, d.h. jede Phase
der kapitalistischen Gesellschaftsformation gibt es eine spezifische, im vorhinein
nicht determinierte Widerspruchsstruktur, die früher oder später zu einer
gesellschaftlichen Krise und dem Zusammenbruch des jeweilig hegemonialen Entwicklungsmodells
führt. Ökonomische, politische und ideologische Widersprüche entfalten sich
und können sich dabei wechselseitig verstärken. In einer Phase der gesellschaftlichen
Krise ist die weitere Entwicklung nicht determiniert, sie stellt einen historischen
Bifurkationspunkt der gesellschaftlichen Dynamik dar. Die Entwicklung in Phasen
der Krisen und damit der Gesellschaft als evolutionär-selbstorganisierendes
System ist jedoch nicht völlig zufällig, sondern unterliegt einer dynamischen
Dialektik von Zufall und Notwendigkeit. Einerseits ist sicher, dass es im
Rahmen antagonistischer Gesellschaftsstrukturen immer wieder zu Phasen der
Krise kommt. Der genaue Zeitpunkt lässt sich jedoch auf Grund der komplexen
Kausalität, der selbstorganisierende Systeme i.A. unterliegen, nicht vorhersagen.
Im Rahmen eines gesellschaftlichen Bifurkationspunktes ist die Entwicklung
zwar grundsätzlich offen, es zeigt sich jedoch eine gewisse Abhängigkeit der
weiteren gesellschaftlichen Entwicklung von der sozialen Selbstorganisation
der Menschen, mit Hilfe der die gesellschaftliche Dynamik derart gestaltet
werden kann, so dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine gewisse Entwicklungslinie
eingeschlagen wird, erhöht werden kann. Dabei gibt es aber keine Gewissheiten,
die Wissenschaften und daher auch die Sozialwissenschaften sind heute mit
einem Ende der Gewissheiten konfrontiert.
Die französische Regulationstheorie geht wie die evolutionäre Systemtheorie
von einer Dialektik von Zufall und Notwendigkeit sowie Allgemeinem und Konkretem
bei der Evolution komplexer Systeme aus. Der Mechanizismus, Reduktionismus
und Determinismus der traditionellen Krisentheorien wird vermieden, eine Verkürzung
der gesellschaftlichen Antagonismen auf den Bereich der Ökonomie und darin
auf einen spezifischen ökonomischen Widerspruch wird vermieden, vielmehr werden
neben ökonomischen auch politische und ideologische als relativ autonome Krisenfaktoren
berücksichtigt. Des weiteren wird von einer für ein Entwicklungsmodell des
Kapitalismus spezifischen Einheit von Akkumulationsregime und Regulationsweise
ausgegangen, die durch konkrete und dem Entwicklungsmodell eigenen Widerspruchsstrukturen
geprägt wird. Es zeigen sich deutliche Parallelen zu den Theorien evolutionärer
Systeme, jedoch ist das Verhältnis von allgemeinen und konkreten Kategorien
sowie von Zufall und Notwendigkeit in der Regulationstheorie weitgehend ungeklärt.
Es entsteht der Eindruck, dass häufig von einer völlig zufälligen Entwicklung
der Widerspruchsstrukturen ausgegangen wird, die nicht dialektisch mit allgemeinen
Kategorien und Antagonismen vermittelt ist. Des weiteren wird die Bedeutung
der Technik in der Krise des Fordismus zu wenig berücksichtigt. Nichtsdestotrotz
liefert die Regulationstheorie eine umfassende krisentheoretische Analyse
des Fordismus, seiner Krise und des Postfordismus sowie ein brauchbares Schema
der gesellschaftlichen Entwicklung. Daher basieren unsere eigenen Thesen tw.
auf diesem Ansatz.
Marxistische Theorien, die die Krise des Fordismus analysieren, basieren zumeist auf einem doppelten, ökonomistischen Reduktionismus: Die Krise wird auf Widersprüche im Bereich der Ökonomie und darin auf einen einzigen, allgemeinen ökonomischen Antagonismus zurückgeführt. Die Dialektik von Zufall und Notwendigkeit sowie Allgemeinem und Konkretem, die durch die Selbstorganisationstheorien nahegelegt werden, werden nicht ausreichend berücksichtigt. Eine Ausnahme stellt die Weltsystemtheorie Immanuel Wallersteins dar, die marxistische Krisentheorie und evolutionäre Systemtheorie zu verbinden versucht. Wallerstein argumentiert, dass die gesellschaftliche Entwicklung in Phasen der Instabilität offen und nicht determiniert ist, dass die weitere Entwicklung durch das Handeln der Subjekte beeinflussbar, jedoch nicht determinierbar ist. Fortschritt sei daher möglich, jedoch nicht unvermeidlich. Der Kapitalismus befinde sich heute in einer fundamentalen Krise, Wallerstein meint, dass sich in 50 Jahren ein neues Weltsystem herausgebildet haben werde. Die Zeit bis dorthin würde eine sehr instabile sein, der Ausgang der weiteren Entwicklung sei aber offen, wodurch sich auch Entwicklungen in Richtung einer sozial und ökologisch nachhaltigen Gesellschaft einleiten ließen. Im Gegensatz zur Regulationstheorie werden in den marxistischen Krisentheorien technologische Krisenfaktoren stärker berücksichtigt, ohne dass die gesellschaftliche Dynamik jedoch auf den Bereich der Technik reduziert wird. Daher schließen unsere eigenen Thesen an diese Argumentationen tw. an.
Neoschumpterianische Krisentheorien beziehen sich methodisch häufig auf
die Selbstorganisationstheorien. Betont wird u.a. die Emergenz von Innovation,
Wissen und Imitation im Rahmen der endogenen ökonomischen Entwicklung langer
Wellen. Die Methodik der evolutionären Systemtheorie wird dabei jedoch zumeist
falsch angewandt, da Krisen zumeist auf rein technische Faktoren reduziert
werden. Technische Innovations- und ökonomische Prosperitätszyklen werden
dabei wie in den Theorien Langer Wellen i.A. üblich gleichgesetzt. Die Bedeutung
technischer Faktoren im Rahmen gesellschaftlicher Krisen wird überschätzt,
jene gesellschaftlicher Antagonismen bleibt unberücksichtigt.
Die Krise des Fordismus ergab sich aus den für dieses Entwicklungsmodell spezifischen ökonomischen, politischen, ideologischen und technischen Faktoren und Antagonismen. Es wird argumentiert, dass wir uns heute zwar bereits in der Phase des postfordistischen Entwicklungsmodells befinden, dass die gesamtgesellschaftliche Krise jedoch anhält, dies zeigt sich in Bereichen wie Ökonomie, Politik, Ökologie und der Zunahme der globalen Probleme. Im heutigen Bifurkationspunkt der gesellschaftlichen Entwicklung ist die weitere Entwicklungsdynamik jedoch nicht determiniert, viele potentielle Szenarios sind denkbar. Durch soziale Selbstorganisation aktiv handelnder Subjekte könnte die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass eine wünschenswerte Alternative eingeschlagen wird.
Aspects of Evolutionary Systems Theory in Economical
Crisis Theories with a Special Sociological Consideration of Technological
Factors
Abstract (English)
The aim of this work is the formulation of hypotheses
concerning the self-organizing, evolutionary dynamics of the modern formation
of society. We also discuss which role modern computer-, information- and
communication technologies play.
Methodologically we examine various Regulation-theoretic,
Marxist and Neo-Schumpeterian crises-theories that explain the crisis of Fordism
and the emergence of Postfordism.
Fordism as the mode of development that has shaped
capitalism after 1945 was based on factors such as mass consumption, mass
production, hierarchical and centralized organisations, the standardisation
of production, the welfare- and intervention-state, assembly line-based production
and state interventions into the economy.
Postfordism as the mode of development that has
slowly emerged since the second world economic crisis in the mid 1970ies is
based on factors such as flexible specialisation; the decentralisation, informatisation,
tertiarisation and globalization of production, the flattening of organisational
hierarchies, diversified quality production and the Nation State of Competition.
The main thesis of this work says that capitalism
is a complex, evolutionary system, its development is based on antagonistic
and crisis-ridden dynamics. A crisis of society results from economical, political
and ideological antagonisms. For each mode of development, i.e. each phase
of the capitalist formation of society, there is a specific structure of antagonisms
that is non-determined in its development and will result sooner or later
in a crisis of society and the collapse of the dominating mode of development.
Economical, political and ideological antagonisms unfold themselves and can
intensify themselves due to mutual references and causalities. In a phase
of crisis of society, the future development is not determined, it is a historical
point of bifurcation of social dynamics. But the development in such an unstable
phase and of society as an evolutionary-self-organised system is not left
to chance fully, it depends on a dynamical dialectic of chance and necessity.
On the one hand it is determined that antagonistic structures of society will
again and again result in phases of crisis. The exact point of time cannot
be predicted due to the complex causality that generally shapes self-organising
systems. Concerning a point of bifurcation in society, the historical development
is relatively open, but it nonetheless depends on certain subjective factors,
i.e. on the social self-organisation of active subjects. Social self-organisation
can increase the possibility that certain paths will be taken and that others
will be avoided. But there can be no certainty, the sciences and hence also
the social sciences are confronted with an end of certainties.
The French Theory of Regulation sees the development
of system shaped by a dialectic of chance and necessity as well as by a dialectic
of generality and specificity in the same manner as Evolutionary Systems Theory.
Mechanistic, reductionistic, economistic and deterministic arguments that
have been characteristic for traditional crisis theories are avoided, a crisis
of society is not reduced to economic factors and to a single economic antagonism.
Regulation theory rather considers besides economical also political and ideological
factors as relatively autonomous ones that influence crises of society. An
unity of a regime of accumulation and a mode of regulation that is characteristic
for a specific mode of development that is shaped by a specific structure
of antagonisms is assumed. There are distinct parallels between Regulation
Theory and Evolutionary Systems Theory, but the relationship between general
and specific categories as well as between chance and necessity is still largely
unsettled in the Regulation Approach (as well as in Systems Theory). It seems
that the Regulation School assumes a development of capitalism that is largely
shaped by random evolution of antagonistic structures that is not dialectically
related to general categories and antagonisms. The role technology plays in
the crisis of Fordism has been a little bit underestimated. Nonetheless the
Regulation Theory gives us a detailed analysis of Fordism, its crisis and
Postfordism as well as a very useful model of the development of society.
Hence our own approach is partly based on this theory.
Marxist
theories that have analysed the crisis of Fordism are in the most cases based
on a double, economistic reductionism: The crisis is reduced to the economy
and to a single, general antagonism within the economy. The dialectic of chance
and necessity as well as of generality and specificity that is put forward
by the theories of self-organisation is not taken into account sufficiently.
An exception is the World Systems Theory of Immanuel Wallerstein that tries
to combine Marxist crisis theory and Evolutionary Systems Theory. Wallerstein
argues that the development of society is relatively open and non-determined
in phases of instability and that the future development can be influenced,
but not determined by the actions of subjects. Hence progress is possible,
but certainly not inevitable. According to Wallerstein, capitalism is in a
major, maybe its final crisis today so that in 50 years a new world system
will have emerged. These 50 years will be a time a heavy instabilities and
social unrest, but the result of future developments is open hence also a
socially and ecologically sustainable society could be the outcome. In comparison
with Regulation Theory, technological aspects of crises are more important
in traditional Marxist crisis theories. This is done in a way so that social
dynamics are not reduced to technology. Hence some of our own theses depend
on such a Marxist sociology of technology.
Neoschumpeterian crisis theories quite frequently
refer to the theories of self-organisation methodologically. They stress e.g.
the emergence of innovation, knowledge and imitation during the course of
the endogenous development of long waves. But seen methodologically, Evolutionary
Systems Theory is applied in a false way because crises are reduced to solely
technological factors. Technological cycles of innovation and cycles of economical
prosperity are equated as is usually done in Long Wave Theories. Technological
factors of crisis are overestimated, antagonistic structures of society are
not considered as important influences.
The crisis of Fordism has resulted from economical,
political, ideological and technological factors and antagonisms that were
specific for this mode of development. We argue that we today are already
in the phase of a Postfordist mode of development, but nonetheless there is
sustained permanent crisis of the whole world system as can be seen in areas
such as the economy, politics and ecology as well as by the increase of the
global problems.
In the point of bifurcation that we live in today the further development of society and history is not determined, many potential scenarios are possible. Social self-organisation of active subjects could increase the possibility that a desirable alternative will be taken.