Christian Fuchs

 

Krise und Kritik in der Informationsgesellschaft.

Arbeiten über Herbert Marcuse, kapitalistische Entwicklung und Selbstorganisation

Soziale Selbstorganisation im informationsgesellschaftlichen Kapitalismus, Teil 2

ISBN 3–8311–3332–8. Libri Books on Demand. 408 Seiten. 27 €

 

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Aspekte der evolutionären Systemtheorie in ökonomischen Krisentheorien unter besonderer Berücksichtigung techniksoziologischer Bezüge

 

Abstract (Deutsch)

 

Ziel dieser Arbeit ist eine Formulierung von Thesen zur selbstorganisierten, evolutionären Entwicklung der modernen Gesellschaftsformation. Weiters soll untersucht werden, welche Rolle dabei moderne Computer-, Informations- und Kommunikationstechnologien spielen.

Methodisch werden dazu verschiedene regulationstheoretische, marxistische und neoschumpetersche Krisentheorien auf Aspekte der evolutionären Systemtheorie untersucht, die die Krise des Fordismus und den Übergang zum Postfordismus darstellen.

Der Fordismus als nach 1945 den Kapitalismus prägendes Entwicklungsmodell basierte u.a. auf Massenkonsum, Massenproduktion, hierarchischen und zentralen Unternehmenskomplexen, der Standardisierung der Produktion, dem Wohlfahrts- und Interventionsstaat, der Fließbandproduktion und staatlichen Eingriffen in die Ökonomie.

Der Postfordismus als sich seit der 2. Weltwirtschaftskrise Mitte der 1970er Jahre langsam herausbildendes Entwicklungsmodell basiert u.a. auf flexibler Spezialisierung; Dezentralisierung, Informatisierung, Tertiarisierung, Globalisierung und Enthierarchisierung der Produktion, einer diversifizierten Qualitätsproduktion und dem Nationalen Wettbewerbsstaat.

Die Hauptthese dieser Arbeit lautet, dass der Kapitalismus ein komplexes, evolutionäres System ist, dessen Entwicklung widersprüchlich und krisenhaft verläuft. Die Krisendynamik ergibt sich aus ökonomischen, politischen und ideologischen Antagonismen. Für jedes Entwicklungsmodell, d.h. jede Phase der kapitalistischen Gesellschaftsformation gibt es eine spezifische, im vorhinein nicht determinierte Widerspruchsstruktur, die früher oder später zu einer gesellschaftlichen Krise und dem Zusammenbruch des jeweilig hegemonialen Entwicklungsmodells führt. Ökonomische, politische und ideologische Widersprüche entfalten sich und können sich dabei wechselseitig verstärken. In einer Phase der gesellschaftlichen Krise ist die weitere Entwicklung nicht determiniert, sie stellt einen historischen Bifurkationspunkt der gesellschaftlichen Dynamik dar. Die Entwicklung in Phasen der Krisen und damit der Gesellschaft als evolutionär-selbstorganisierendes System ist jedoch nicht völlig zufällig, sondern unterliegt einer dynamischen Dialektik von Zufall und Notwendigkeit. Einerseits ist sicher, dass es im Rahmen antagonistischer Gesellschaftsstrukturen immer wieder zu Phasen der Krise kommt. Der genaue Zeitpunkt lässt sich jedoch auf Grund der komplexen Kausalität, der selbstorganisierende Systeme i.A. unterliegen, nicht vorhersagen. Im Rahmen eines gesellschaftlichen Bifurkationspunktes ist die Entwicklung zwar grundsätzlich offen, es zeigt sich jedoch eine gewisse Abhängigkeit der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung von der sozialen Selbstorganisation der Menschen, mit Hilfe der die gesellschaftliche Dynamik derart gestaltet werden kann, so dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine gewisse Entwicklungslinie eingeschlagen wird, erhöht werden kann. Dabei gibt es aber keine Gewissheiten, die Wissenschaften und daher auch die Sozialwissenschaften sind heute mit einem Ende der Gewissheiten konfrontiert.

Die französische Regulationstheorie geht wie die evolutionäre Systemtheorie von einer Dialektik von Zufall und Notwendigkeit sowie Allgemeinem und Konkretem bei der Evolution komplexer Systeme aus. Der Mechanizismus, Reduktionismus und Determinismus der traditionellen Krisentheorien wird vermieden, eine Verkürzung der gesellschaftlichen Antagonismen auf den Bereich der Ökonomie und darin auf einen spezifischen ökonomischen Widerspruch wird vermieden, vielmehr werden neben ökonomischen auch politische und ideologische als relativ autonome Krisenfaktoren berücksichtigt. Des weiteren wird von einer für ein Entwicklungsmodell des Kapitalismus spezifischen Einheit von Akkumulationsregime und Regulationsweise ausgegangen, die durch konkrete und dem Entwicklungsmodell eigenen Widerspruchsstrukturen geprägt wird. Es zeigen sich deutliche Parallelen zu den Theorien evolutionärer Systeme, jedoch ist das Verhältnis von allgemeinen und konkreten Kategorien sowie von Zufall und Notwendigkeit in der Regulationstheorie weitgehend ungeklärt. Es entsteht der Eindruck, dass häufig von einer völlig zufälligen Entwicklung der Widerspruchsstrukturen ausgegangen wird, die nicht dialektisch mit allgemeinen Kategorien und Antagonismen vermittelt ist. Des weiteren wird die Bedeutung der Technik in der Krise des Fordismus zu wenig berücksichtigt. Nichtsdestotrotz liefert die Regulationstheorie eine umfassende krisentheoretische Analyse des Fordismus, seiner Krise und des Postfordismus sowie ein brauchbares Schema der gesellschaftlichen Entwicklung. Daher basieren unsere eigenen Thesen tw. auf diesem Ansatz.

Marxistische Theorien, die die Krise des Fordismus analysieren, basieren zumeist auf einem doppelten, ökonomistischen Reduktionismus: Die Krise wird auf Widersprüche im Bereich der Ökonomie und darin auf einen einzigen, allgemeinen ökonomischen Antagonismus zurückgeführt. Die Dialektik von Zufall und Notwendigkeit sowie Allgemeinem und Konkretem, die durch die Selbstorganisationstheorien nahegelegt werden, werden nicht ausreichend berücksichtigt. Eine Ausnahme stellt die Weltsystemtheorie Immanuel Wallersteins dar, die marxistische Krisentheorie und evolutionäre Systemtheorie zu verbinden versucht. Wallerstein argumentiert, dass die gesellschaftliche Entwicklung in Phasen der Instabilität offen und nicht determiniert ist, dass die weitere Entwicklung durch das Handeln der Subjekte beeinflussbar, jedoch nicht determinierbar ist. Fortschritt sei daher möglich, jedoch nicht unvermeidlich. Der Kapitalismus befinde sich heute in einer fundamentalen Krise, Wallerstein meint, dass sich in 50 Jahren ein neues Weltsystem herausgebildet haben werde. Die Zeit bis dorthin würde eine sehr instabile sein, der Ausgang der weiteren Entwicklung sei aber offen, wodurch sich auch Entwicklungen in Richtung einer sozial und ökologisch nachhaltigen Gesellschaft einleiten ließen. Im Gegensatz zur Regulationstheorie werden in den marxistischen Krisentheorien technologische Krisenfaktoren stärker berücksichtigt, ohne dass die gesellschaftliche Dynamik jedoch auf den Bereich der Technik reduziert wird. Daher schließen unsere eigenen Thesen an diese Argumentationen tw. an.

Neoschumpterianische Krisentheorien beziehen sich methodisch häufig auf die Selbstorganisationstheorien. Betont wird u.a. die Emergenz von Innovation, Wissen und Imitation im Rahmen der endogenen ökonomischen Entwicklung langer Wellen. Die Methodik der evolutionären Systemtheorie wird dabei jedoch zumeist falsch angewandt, da Krisen zumeist auf rein technische Faktoren reduziert werden. Technische Innovations- und ökonomische Prosperitätszyklen werden dabei wie in den Theorien Langer Wellen i.A. üblich gleichgesetzt. Die Bedeutung technischer Faktoren im Rahmen gesellschaftlicher Krisen wird überschätzt, jene gesellschaftlicher Antagonismen bleibt unberücksichtigt.

Die Krise des Fordismus ergab sich aus den für dieses Entwicklungsmodell spezifischen ökonomischen, politischen, ideologischen und technischen Faktoren und Antagonismen. Es wird argumentiert, dass wir uns heute zwar bereits in der Phase des postfordistischen Entwicklungsmodells befinden, dass die gesamtgesellschaftliche Krise jedoch anhält, dies zeigt sich in Bereichen wie Ökonomie, Politik, Ökologie und der Zunahme der globalen Probleme. Im heutigen Bifurkationspunkt der gesellschaftlichen Entwicklung ist die weitere Entwicklungsdynamik jedoch nicht determiniert, viele potentielle Szenarios sind denkbar. Durch soziale Selbstorganisation aktiv handelnder Subjekte könnte die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass eine wünschenswerte Alternative eingeschlagen wird.

 

Aspects of Evolutionary Systems Theory in Economical Crisis Theories with a Special Sociological Consideration of Technological Factors

 

Abstract (English)

 

The aim of this work is the formulation of hypotheses concerning the self-organizing, evolutionary dynamics of the modern formation of society. We also discuss which role modern computer-, information- and communication technologies play.

Methodologically we examine various Regulation-theoretic, Marxist and Neo-Schumpeterian crises-theories that explain the crisis of Fordism and the emergence of Postfordism.

Fordism as the mode of development that has shaped capitalism after 1945 was based on factors such as mass consumption, mass production, hierarchical and centralized organisations, the standardisation of production, the welfare- and intervention-state, assembly line-based production and state interventions into the economy.

Postfordism as the mode of development that has slowly emerged since the second world economic crisis in the mid 1970ies is based on factors such as flexible specialisation; the decentralisation, informatisation, tertiarisation and globalization of production, the flattening of organisational hierarchies, diversified quality production and the Nation State of Competition.

The main thesis of this work says that capitalism is a complex, evolutionary system, its development is based on antagonistic and crisis-ridden dynamics. A crisis of society results from economical, political and ideological antagonisms. For each mode of development, i.e. each phase of the capitalist formation of society, there is a specific structure of antagonisms that is non-determined in its development and will result sooner or later in a crisis of society and the collapse of the dominating mode of development. Economical, political and ideological antagonisms unfold themselves and can intensify themselves due to mutual references and causalities. In a phase of crisis of society, the future development is not determined, it is a historical point of bifurcation of social dynamics. But the development in such an unstable phase and of society as an evolutionary-self-organised system is not left to chance fully, it depends on a dynamical dialectic of chance and necessity. On the one hand it is determined that antagonistic structures of society will again and again result in phases of crisis. The exact point of time cannot be predicted due to the complex causality that generally shapes self-organising systems. Concerning a point of bifurcation in society, the historical development is relatively open, but it nonetheless depends on certain subjective factors, i.e. on the social self-organisation of active subjects. Social self-organisation can increase the possibility that certain paths will be taken and that others will be avoided. But there can be no certainty, the sciences and hence also the social sciences are confronted with an end of certainties.

The French Theory of Regulation sees the development of system shaped by a dialectic of chance and necessity as well as by a dialectic of generality and specificity in the same manner as Evolutionary Systems Theory. Mechanistic, reductionistic, economistic and deterministic arguments that have been characteristic for traditional crisis theories are avoided, a crisis of society is not reduced to economic factors and to a single economic antagonism. Regulation theory rather considers besides economical also political and ideological factors as relatively autonomous ones that influence crises of society. An unity of a regime of accumulation and a mode of regulation that is characteristic for a specific mode of development that is shaped by a specific structure of antagonisms is assumed. There are distinct parallels between Regulation Theory and Evolutionary Systems Theory, but the relationship between general and specific categories as well as between chance and necessity is still largely unsettled in the Regulation Approach (as well as in Systems Theory). It seems that the Regulation School assumes a development of capitalism that is largely shaped by random evolution of antagonistic structures that is not dialectically related to general categories and antagonisms. The role technology plays in the crisis of Fordism has been a little bit underestimated. Nonetheless the Regulation Theory gives us a detailed analysis of Fordism, its crisis and Postfordism as well as a very useful model of the development of society. Hence our own approach is partly based on this theory.

Marxist theories that have analysed the crisis of Fordism are in the most cases based on a double, economistic reductionism: The crisis is reduced to the economy and to a single, general antagonism within the economy. The dialectic of chance and necessity as well as of generality and specificity that is put forward by the theories of self-organisation is not taken into account sufficiently. An exception is the World Systems Theory of Immanuel Wallerstein that tries to combine Marxist crisis theory and Evolutionary Systems Theory. Wallerstein argues that the development of society is relatively open and non-determined in phases of instability and that the future development can be influenced, but not determined by the actions of subjects. Hence progress is possible, but certainly not inevitable. According to Wallerstein, capitalism is in a major, maybe its final crisis today so that in 50 years a new world system will have emerged. These 50 years will be a time a heavy instabilities and social unrest, but the result of future developments is open hence also a socially and ecologically sustainable society could be the outcome. In comparison with Regulation Theory, technological aspects of crises are more important in traditional Marxist crisis theories. This is done in a way so that social dynamics are not reduced to technology. Hence some of our own theses depend on such a Marxist sociology of technology.

Neoschumpeterian crisis theories quite frequently refer to the theories of self-organisation methodologically. They stress e.g. the emergence of innovation, knowledge and imitation during the course of the endogenous development of long waves. But seen methodologically, Evolutionary Systems Theory is applied in a false way because crises are reduced to solely technological factors. Technological cycles of innovation and cycles of economical prosperity are equated as is usually done in Long Wave Theories. Technological factors of crisis are overestimated, antagonistic structures of society are not considered as important influences.

The crisis of Fordism has resulted from economical, political, ideological and technological factors and antagonisms that were specific for this mode of development. We argue that we today are already in the phase of a Postfordist mode of development, but nonetheless there is sustained permanent crisis of the whole world system as can be seen in areas such as the economy, politics and ecology as well as by the increase of the global problems.

In the point of bifurcation that we live in today the further development of society and history is not determined, many potential scenarios are possible. Social self-organisation of active subjects could increase the possibility that a desirable alternative will be taken.

 

 

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